Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Zweiter Teil: Streifzüge um Poggfred.

Fünfzehnter Kantus: Die Rennbahn.

Motto:

Lerne verlieren, willst du gewinnen.

Richard Dehmel.

                Ist unser Leben eine Rennbahn nicht,
Wo jeder jeden sucht zu überholen?
Und wenn der Vordermann den Hals sich bricht,
Wird voller Frohgefühl der Nächste johlen.
Er stürmt mit rücksichtsloser Zuversicht
Ans Ziel, erreichts mit seinen Siegersohlen,
    Erreicht es nicht, denn eine Nasenlänge
    Schlägt ihn sein Hintermann im Hufgedränge.

Ich glaube, dieses Thema hatten wir
Schon als Tertianer auf; ganz richtig, ja.
Drum: eh ich wiederkäue wie ein Stier,
Erzähl ich lieber die Historia
Von einem unbekannten Wett-Turnier,
Das ich vor Jahren irgendwo besah.
    Es zeichnete der Ort durch nichts sich aus,
    War eingerichtet wie bei uns zu Haus.

Tribünen, Sattelplatz, Steinmauer, Gräben,
Turfgigerln, Jockeys, Breaks, Paradewagen,
Sehr wichtige Männerchen mit Fahnenstäben,
Rotweingesichter, fettig vor Behagen,
Und magre Menschen, die ihr Alles gäben,
Vermöchten sie den Gegner totzujagen.
    Die heilige Plebs darf rings den Platz umsäumen,
    Die Straßenjungen hocken auf den Bäumen.

Kurzum, wir kennen alle den Klimbim,
Wir sahen manches Mal dem Rennen zu,
Und ritten selbst vielleicht den Ibrahim,
So hieß mein Hengst, vielleicht den Kakadu,
Vielleicht den forschen Wallach Isegrim,
Vielleicht die flinke Stute Blindekuh,
    Und setzten auf Kujon dreihundert Louis,
    Und dann gewann, verdammt, der Pui-Pui.

Bei jenem Run, von dem vorhin ich sprach,
Stand im Programm nur noch das Herrenreiten.
Am Start nun, der mir in die Augen stach:
Was muß ich sehn? leb ich zu andern Zeiten?
Ob im Gehirn mir eine Schraube brach?
Werd ich verrückt für alle Ewigkeiten?
    Am Start, wo unsre Gentlemen schon halten,
    Seh ich, weiß Gott, unglaubliche Gestalten:

Mazeppa, Seydlitz, Ziethen sind erschienen,
Der wilde Jäger hat sich eingefunden.
Und diese dort, mit ihren grausigen Mienen?
Die Reiter Sankt Johannis, des profunden,
Die Vier, in königlichen Hermelinen:
Pest, Hunger, Krieg, umringt von ihren Hunden,
    Und bummlig sitzt auf seinem Klapperklepper
    Mynheer der Tod mit seinem Sensenschnepper

Und alle diese warten mit den Herren.
Halloh! Wer kommt denn da noch angekrochen?
Ein Droschkengaul? Sie schieben und sie zerren.
Potztausend! Seht die ausgetretnen Knochen!
Sein Lenker sucht den Lärm zu überplerren;
Hat die Tarantel denn den Kerl gestochen?
    Was will der unglückselige Lyrikus
    Hier auf der Rennbahn mit dem Pegasus?

Ein rasendes Gelächter schwillt im Kreise
Und pflanzt sich bis zum letzten Stehplatz fort.
Der arme deutsche Dichter schauert leise
Und wünscht sich weg von dem verflixten Ort.
Sein Wams ist flickig wie nach böser Reise,
Backpflaumenähnlich ist er ausgedorrt.
    Doch jetzt ermannt er sich und trabt gelassen
    Zu jenen hin durch abgepfählte Gassen.

Und stellt getrost sich mit in ihre Reihe,
Und achtet ihrer spöttischen Lippen nicht.
Graf Pest begrüßt ihn: »Höre mal, verzeihe,
Was bist denn eigentlich du für ein Wicht?«
Der Hunger schnarrt: »Jeschtatten! Ich verleihe,
Herr Bruder, Ihnen eine Beefsteakschicht.«
    Hans Ziethen schimpft: »Hinaus den Lendenlahmen
    Die Kracke paßt durchaus nicht in den Rahmen!''

Nu los! Der erste Start gelang sogleich;
In wundervoller Linie bleibt der Schuß.
Die Spitze nimmt Baron von Himmelreich;
Sanft zuckelt nach, o weh, der Pegasus.
Mazeppa spielt dem Freiherrn einen Streich:
Sein Pferd geht durch, als brennts ein Teufelskuß.
    Hans Joachim von Ziethen, das Genie,
    Der schlägt das Feld, natürlich, tout prix.

So treibt sichs fort. Das liebe Publikum
Macht lange Hälse, furchtbar interessiert,
Und wird allmählich vor Erstaunen stumm,
Und ist nachgrade etwas indigniert,
Das heißt, es nimmt »die Sache« äußerst krumm,
Weil seine Wetten nicht all right placiert.
    Hans Ziethen hält noch immer hoch den Kranz,
    Doch Seydlitz packt schon seines Fuchses Schwanz.

So treibt sichs fort. Jetzt aber kommen wir.
Wir, wir, des heiligen Johannes Reiter!
Das schwarze, weiße, rote, falbe Tier
Sind um den »Großen Preis« die ersten Streiter.
In einer Flucht frontieren alle vier,
Voran der Hunger, Peter Pest ist Zweiter,
    Scharf hinter ihnen jagt der Krieg, brandrot,
    Da überflügelt sie Rittmeister Tod.

Und wie der Araber Fantasia, schwenkt
Er in der Rechten hoch die blanke Hippe.
Die Linke läßt den Zügel, schlägt und schlenkt:
»Mir nach! Die Mähren sollen an die Krippe!«
Und wie er so das Ganze lockt und lenkt,
Verschwindet alles hinter dem Gerippe.
    Das Publikum gebärdet sich wie toll
    Und haut dem Buchmacher das Leder voll.

Was's das? In Lüften geht das Rennen weiter,
Baron von Himmelschimmel ganz zuletzt.
Vor ihm Mazeppa, Ziethen und Begleiter,
Die Pferde sind schon gründlich abgehetzt.
Jetzt kommen des Evangelisten Reiter,
Jetzt der erlauchte Knorpelmann, und jetzt –
    Der Dichter! vorneweg! die Lyra klingt,
    Allmächtig ist sein Flügelroß beschwingt.

Hinauf, hinauf in immer höherm Flug,
Bis du empfangen wirst von Sternenchören:
Wie je dein Herz in Seligkeiten schlug,
Und durften Schmerz und Elend dich zerstören
Hier fallen irdische Freuden, irdischer Trug,
Niemals wird dich Gemeinheit mehr empören.
    Ein dunkler Flammenmantel deckt die Zeit,
    Still leuchtet drüber die Unsterblichkeit.

Nach einigen Tagen sah den Platz ich wieder;
Er lag karfreitagleer und einsam da,
Die Haubenlerchen schwirrten auf und nieder,
Ein Bauernmädel trillerte Trala,
Der Kuhhirt sang den Kühen seine Lieder,
So war es einstens in Arkadia.
    Fern rumpelt eine städtische Droschke her;
    Wen brachte die wohl in dies Gräsermeer?

Ein grauer Strich, verliert sich die Chaussee;
Der Strich ist eingefaßt mit weißen Steinen,
Und Telegraphenstangen stehn im Klee.
Ein deutscher Klub in Kremsern, mit den Beinen
Eng aneinander, kommt durch die Allee;
Oh »Generalversammlung« in Vereinen!
    Gesang und Fahnen, Bier und Cervelat;
    In jedem Wagen kloppt mau seinen Skat.

Geschmacklos. Aber dort der einzle Mann,
In greisem Haar, er sieht sehr vornehm aus,
Er geht im Grase, bückt sich dann und wann:
Ein Wiesensträußchen pflückt er sich fürs Haus.
Da hat er seine stille Freude dran,
Es dünkt ihn schöner als ein Modestrauß.
    Ja, solch ein lieb unschuldig Feldbukett,
    Das macht wahrhaftig manche Schmerzen wett.

Ich sitze unter Bäumen nun im Krug,
Und um mich ist ein holder Gartenfriede.
Ich seh den Wolken zu, dem Schwalbenflug,
Und fühle mich langweilig und solide.
Bringt mir zur Stelle einen rissigen Pflug,
Ich hämmr ihn selbst zustande in der Schmiede.
    Die Knaben meines Wirtes spielen »Rennen«,
    Auf einem Beet seh ich Geranien brennen.

Demütig, karg liegt vor mir dies Stück Land;
Ein altes Weib verscheucht vom Weg die Gänse,
Ein Bierfuhrwerk wird eben ausgespannt,
Ein Tagelöhner kommt mit seiner Sense.
Was? Maler Henry, der hier Skizzen fand?
Ein Knecht latscht nach dem Stall mit Gurt und Trense.
    Weit, weit, kaum sichtbar kreisen Mühlenflügel:
    Ein Türmchen guckt neugierig übern Hügel.

Bei mir vorüber schwappt ein Düngerwagen,
Die Jauche tropft und hinterläßt die Spur:
Das Gold wird auf den Acker hingetragen,
Da hilft es kräftig weiter der Natur.
Bald läßt der Frühling zarte Hälmchen ragen,
Im Sommerwinde weht die braune Flur.
    Mit Hitze wechseln Regen und Gewitter.
    Es schwillt die Frucht, der Herbst schickt seine Schnitter.

Drei Pappeln stehen müde dort am Wege;
Wie kommts, daß sie mich trüb und traurig machen?
Denk ich daran, daß sie im Sturmgefege
Wie Ruten Gottes unsern Pfad bewachen?
An ihr geheimnisflüsterndes Gerege,
Wenn unzählbare Sterne sie bedachen?
    Sie sind mir Poesie; ich kanns nicht deuten,
    Daß sie mein Herz mit Schwergefühl erfreuten.

Zu Ende geht ein glühend heißer Tag,
Ein Wolkental zeigt milchiggelbe Streifen.
Kein Blitz frohlockt, es labt kein Donnerschlag;
Wie hör ich gern des Himmels Orgelpfeifen!
Zu viele Sonne macht uns matt und zag,
Durch frische Wetter läßt sich besser schweifen.
    Den Abend tröstet die erflehte Nacht,
    Der Tag trank Blut wie in der Völkerschlacht.

Denn jeder Tag ist eine große Schlacht;
Und hab ich, fröhlich kämpfend, sie genossen,
Was tuts, sink ich in die willkommne Nacht,
Ob ich entführt bin auf Walkürenrossen
In Walhalls schildeblankbeblitzte Pracht,
Ob ich ins selige Nichts zurückgeflossen.
    Noch leben wir! Drum auf nach Poggfred-Haus!
    Dort schlürfen wir noch manchen Becher aus.


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