|
Grabstille Nacht. Du hörst die Diebe schleichen
Und vorsichtig mit Hand und Füßen tasten
Und horchend stehn, wenn sie das Ziel erreichen.
Kein Lärm wacht auf, sie brauchen nicht zu rasten.
Scht, leise. Halt! Was rührt sich? Sie erbleichen.
Ach was! Nur vorwärts. Scht. Nichts überhasten.
Ein Bernhardiner bellt, fern, wie vermummt,
Dumpf, dreimal dumpf: wufwufwuf, und verstummt.
Todstille Nacht. Die Nachtigallen schweigen,
Der Dieb der Liebe schleicht sich nun heran.
Sein leiser Gang verstiebt auf Gartensteigen,
Syringen duften her von Ispahan.
Und vor der »Laube von Jasmin« verneigen
Sich kichernd Evchen und ihr nackter Mann,
Die leider niemals Bräutigam und Braut
Und niemals standesamtlich auch getraut.
Tiefstille Nacht. Kein Ton. Schlaflose Nacht,
Wer kennt sie nicht, wer hat sie nicht durchkrochen.
Die Nerven schlagen eine wilde Schlacht:
Einnicken, Augen auf, die Pulse pochen.
Am andern Morgen sind wir überwacht
Und abgespannt und fühlen alle Knochen.
Schlafloser Nächte wüste Rhapsodie,
Chaotische Gedankenlotterie.
Schlaflose Nacht. Dein Kindchen neben dir,
Wie schläfts in seinem Bettchen, fest, gesund.
Die roten Bäckchen glühen, blühen schier;
Ein wenig offen steht der kleine Mund.
Ein Beinchen schlüpfte aus dem Pfühlquartier,
Schnell steckst dus wieder in den warmen Grund.
Der Säugling schreit aus seinem Kissenflaum;
Gleich hörts die Mutter, wiegt ihn, bleibt im Traum.
Schlaflose Nacht. Ich weiß nicht, wie es kam:
Ich wühlte mich in Menschenhaß hinein.
Lieblosigkeit, Treubruch, Philisterkram,
So häuft der Mensch dem Menschen Pein auf Pein.
Wie Wölfe beißen sie sich, ohne Scham;
Statt Liebe tragen sie ein Herz von Stein.
Ja: Plus je connais l'homme, plus j'aime le chien.
Das sagt Montaigne. Bravo, Sieur! C'est bien.
Ich dachte über meine Feinde nach:
Die »ganz intimen« sind die mehr als schlimmen,
Die heuchlerisch sich freun mit Weh und Ach,
Die heimlich uns zum Leichenfraß umschwimmen,
Die erst ihr Lob uns schütten tausendfach,
Um dann am Schluß »moralisch« zu ergrimmen.
Ich kenne euch und euern Unratkübel,
Ich kenne euch! mir wird vor Ekel übel.
Schlaflose Nacht. O, aus den Menschenwirren
Zieh dich zurück in deine Heimatklause.
Da laß den Zechbrüderpokal zerklirren,
Ruh aus bei Weib und Kind, fühl dich zu Hause.
Da darf dich keiner in die Ketten schirren,
Die dir Frau Fama schmiedet mit Gebrause.
Drum preis ich stets dies eine Wort ausdrücklich:
Wer im Verborgnen lebt, nur der lebt glücklich.
Von langen Reisen war ich heimgekehrt
Aus großer Städte lautem Marktgewühl,
Und war in Poggfred wieder eingekehrt
Und fand da gleich ein seltsam Wohlgefühl:
Als wär ich aller Sünden reingekehrt
Und läge sauber auf dem Unschuldspfühl.
Nur konnt ich nicht die ersten Nächte schlafen,
Zu plötzlich trat die Ruhe ein im Hafen.
Viel Briefe gabs und Kunde mancherlei:
Grenzboten, Neue Rundschau, Nord und Süd,
Kalugas Fahrt vom Ob zum Jenisei.
Auch gabs zwei neue Füllen im Gestüt.
Ein Freundesbrief klang frisch und kummerfrei,
Ein andrer trostlos, trüb und wegesmüd.
Auch sandte mir ein Los Herr Lilienfeld
Mit sichrer Aussicht auf ein Heidengeld.
Die Stanze hab ich eben plagiiert.
Na nu? Nu na? Nunu? Nana? Na ja!
Ich hab sie nur ein wenig variiert.
Nu na? Na nu? Nana? Nunu? Na ja!
Das hat mich aber wirklich nicht geniert.
O oh, O je, O ne, O ja, na ja!
Zwar ist es Diebstahl, geistesarm und ledern;
Indes, wer schmückt sich nicht mit fremden Federn?
Ein Pergament auch fand ich vor, gefunden,
Wo, ewigen Dunkels stumpf, die Spinne webt;
Ich las von schweren, kummervollen Stunden,
Die eine Frau um ihren Mann durchlebt,
Um seines Seelenheils und Glaubens Wunden,
Noch als sie schon zur ewigen Ruh entschwebt.
Eins fiel mir auf: Ein Ritter denkt so frei
Im Jahr des Heilands Dreizehnhundertzwei?
Das mächtige Geschlecht de Prato thronte
(De Prato, später Pogwisch, von der Wisch)
Auf vielen Burgen, Gütern und bewohnte
Halb Holstein fast, freiherrlich wie der Fisch.
Frondeurs, feudal, ehern, bis Alles fronte;
So »Dat bün Ick« schlugs auf den Eichentisch.
Ein Wolf, sein Wappentier, äugt übern Zaun;
Den armen Dörpertüffeln wars ein Graun.
Erloschen, ausgestorben, παντα ρει:
»Von Pogwisch heute noch und nimmermehr.«
Im vorigen Jahrhundert warens zwei,
Die letzten, Schwestern, aus dem Pogwischheer,
Die eine Priorissa der Ballei,
A. Goethe war der andern Ehebär.
Erloschen. Und auch Goethes Haus erlosch;
Der Orkus schlug den Genius wie den Frosch.
»In Zedernwipfeln nistet unsre Brut
Und schäkert mit dem Sturm und äfft die Sonne«:
Vulwoldus Quintus aus dem Wolfenblut
Und Benedicta Wohnsfleth, seine Wonne.
O wäre Gott der Welt nur halb so gut,
Wie dieser Wulfwolf seiner Lebenssonne!
Um ihre Herzen wuchs ein Kinderkreis,
Strotzend wie Blütenreis an Blütenreis.
Nur eines trennte schroff die beiden Gatten
Und war wie eine Wand im Paradies
Und gab dem Lichte einen tiefen Schatten
Und klang wie Eisensturz auf sanften Kies:
Des Ritters Glaube war längst im Ermatten,
Und sank bald ganz verlassen ins Verließ.
Die Edelfrau blieb fromme Christin stet,
Sanft gleich der heiligen Elisabeth.
Es kam zum Ausbruch mal. Der Ritter schrie:
»Laß mir die ewige Plärrerei nun sein!
Half je dein Gott? Dir? Mir? Ich glaub ihn nie;
Der Priester lügt, es lügt der Heiligenschein.
Ich fall nicht mehr vorm Sanctus auf die Knie,
Ich will mich nicht mehr wie ein Knecht kastein.
Der Tod ist nur gelöster Staub und Schleim,
Und die Unsterblichkeit ist Pfaffenleim.«
Da zog sie ihren dichten Schleier vor
Und schwieg und ging. Der Ritter sah ihr nach
Und schritt verdrießlich durch sein Gartentor
Und schaute lang in den Forellenbach.
Und bei dem Schweigen blieb es. Wie ein Flor
Hings über Fensterkreuz und Tür und Dach.
Die Frau trug heimlich ihren großen Schmerz,
Er nagt und nagt, und endlich bricht ihr Herz.
Es war ein Frühlingstag, wie keiner war,
So jung, so grün und blau, so liebelicht.
Die Märchenkönigin kämmt ihr Seidenhaar,
Die ersten Schwalben zwitschern ihr Gedicht;
Im Felde drängt sich eine Kinderschar,
Die Ringelreigen tanzt und Primeln bricht.
Da tritt der Tod der Herrin auf den Saum
Reicht ihr den Arm zum ewigen Frühlingstraum.
Die Stunde wandert. Bald geht ein Geraune,
Ein Schwatzewässerchen, durch Dorf und Land:
Ein Engel säng im Chor, daß jeder staune,
Ein Engel sei im Orgelchor erkannt.
Und das Gesumm wird endlich zur Posaune,
Das Glimmerfeuerchen zum hellen Brand.
Vulwoldus Pogwisch hörts und lacht und schilt:
Ihr Narren, weg mit euerm Nebelbild!
Doch als nicht enden wollte das Gedränge,
Als immer lauter ward der Hymnenton,
Als selbst der Bischof eintraf mit Gepränge
Und seinen Segen gab vom Weihethron
Und unter Blumenfracht und Blattgehänge
Ins Kirchlein bat den Ritter, den Patron:
Da kam er trotzig, ohne Psalm und Träne.
Sein Wappenwolf zeigt über ihm die Zähne.
Der Knabenchor beginnt die Litanein,
Da horch! Zur Orgel, wie aus Himmelshöhn,
Singt, unsichtbar, ein Engel selige Pein.
Frohlocken bald, bald leises Gramgetön;
Zuweilen singt die Stimme ganz allein,
Nun wieder mit im Chor wie leis Gestöhn.
So wechselt immerwährend der Gesang,
Bald überirdisch fremd, bald sterbensbang.
Der Bischof, um ihn die Gemeinde, kniet
Mit tiefgesenkter Stirn und lauscht dem Wunder
Und nimmt demütig hin das Sternenlied:
Gottvater ist der langmütigste Stunder,
Wacht auf, wacht auf, ehs einst zu spät geschieht,
Hört euch ins Herz den Liebesgnadenzunder!
Und einer kennt die Stimme ganz genau;
Er weiß, es ist die Stimme seiner Frau.
Ein Felsen, aus dem plötzlich Tropfen quellen,
Ein Fels, der plötzlich bebt und schüttert, schwankt,
Ein Riese, der von wilden Stromesschnellen
Plötzlich umwirbelt wird und zitternd wankt,
Ein Hirsch, den hundert Rüden laut umstellen,
Ein Stolzer, den das Schicksal niederzankt:
Das ist der Ritter nun, ein Betteljunge.
Sein Wappenwolf zeigt über ihm die Zunge.
Wie die Geschichte weiter sich begeben,
Ich las es nicht. Ob er zu Kreuz gekrochen?
Ob er der Kirche schenkte Gut und Leben
Und ließ sich von den Pfaffen unterjochen?
Und gab sein Wort, wenn auch mit Widerstreben?
Ob ers gehalten hat? Ob ers gebrochen?
Oder ob er ein Thomas ist geblieben?
Das alles fand ich nirgends aufgeschrieben. |