Detlev von Liliencron
Poggfred
Detlev von Liliencron

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Achtundzwanzigster Kantus: Das letzte Geleit.

Motto:

Menschheit ist ein sehnsuchtstrübes Rühricht,
überspannt von einem Regenbogen.
Darauf steht die schillernde Inschrift:
hier wird grenzenlos gelogen!

Richard Dehmel.

              Nein, Vater, unser Leben ist nicht schön;
Mag sich der Optimist auch überschlagen
Vor Freude nach den »himmlischen, seligen Höhn«,
Es ist bitter durchtränkt von Leid und Plagen.
Natur und Kreatur: ein wild Gestöhn.
Laut oder heimlich: seufzen und entsagen.
    Stirb! rülpst der Tod; es fegt dich weg mein Besen,
    Die Erde gähnt dich ein, du bist gewesen.

Gibt es ein Wiedersehn? ein Weltgericht?
Nur deine tiefe Sehnsucht wirkt den Glauben,
Daß einst du schweben wirst im heiligen Licht,
Wo deine Lieben leben, Wolkentauben.
Ist dieses »Wiedersehn« nicht nur Gedicht?
Ein Hoffnungskanaan mit frommen Lauben?
    Gott ist das Mitleid, das wir alle haben
    Mit uns selbst, und es wird mit uns begraben.

Die Wimpern zu für immer, Hadessäume:
Das ist nach aller Unruhe das Beste.
Der »Sünde« frei, es fielen alle Zäume,
Wir schlafen eine ewige Sieste.
Der heiße Tag und seine dunstigen Träume
Entließen uns aus ihrem stickigen Neste.
    Doch möcht ich wohl, ich wär ein liebes Plärrlamm:
    In Domino salutem sempiternam.

Die Sünde in Gedanken, die der Tat
Sind gleich; ich wüßte keinen Unterschied.
Doch halt, da trenn ich eine feine Naht:
Die Sünde in Gedanken ist timid,
Auf gut Deutsch: feige, die versteckte Saat.
Doch die der Tat singt uns ein andres Lied:
    Die hat (ich sag es immerhin) den Mut,
    Selbst wenn ihr Dolch heimtückisch stößt ins Blut.

Die Sünde heißt das eine Wort, (das zweite
Heißt die Moral,) womit ihr stets uns quält.
Bleibt mir damit vom Hals, sonst macht ihr Pleite,
Versengt euch, wenn ihr mir davon erzählt.
Ich halt nicht still; schert euch mit dem Gespreite
Von Gottweißwasundwem, womit ihr schmält!
    Für mich ist euer Mumpitz wie ein Toter,
    Ein Haufe Stank und Staub und de cent d'autres.

Na, und Moral? Die hat für sich ein jeder
Im Innern, grade wie es ihm just paßt.
Nach außen aber glänzt und gleißt sein Leder
Gefirnißt und gelackt, ein netter Gast.
Er trägt an seinem Hut Tartüffens Feder
Und heuchelt hübsch, ein heilloser Hansquast.
    »Hierorts« bläst mancher Streber die Schalmei;
    Den Himmel gar beschleicht die Streberei.

Wer lange lebt, denkt schließlich wie Tiber,
Als er vor Ekel sich zurückgezogen.
Gekrallte Finger sind des Menschen Wehr
Nach außen, in des wütenden Kampfes Wogen;
Im Frieden hält er flugs die Hohlhand her,
Zum Trinkgeldnehmen lieblich eingebogen.
    Und nun versteh ich auch Lord Chesterfield,
    Der seinem Sprößling laxe Lehren hielt:

Belüge und betrüge, wo du kannst;
Betrogen und belogen wirst du immer.
Beschütze gut, was du dir schwer gewannst,
Mit jedem Tage wird der Ansturm schlimmer;
Und wenn du eben einen übermannst,
Ein neuer Gegner stürmt, vielleicht noch grimmer.
    Schwing gut den Zweifäustler, schwing auch die Axt!
    Und reiß das Herz heraus dem, den du packst.

Für meine Feinde schmied ich eine Stanze:
Ersauft, erfriert, verbrennt, ihr Lieben, Guten!
Stickt euch ins Grab an einer Pomeranze,
Ich steh dabei und will Halali tuten!
Verreckt, wenn ihr das vorzieht, am Veits-Tanze,
An einem unstillbaren Nasenbluten!
    Ein Jauchenfaß schütt ich auf eure Wiesen,
    Meintwegen mögt ihr euch zu Tode niesen.

Der Haß ist Lucifer-Dianens Sohn.
Der Haß, der Schwester Liebe hoher Bruder,
Schreit wild mit mir auf breitem Feuerthron:
Ich hasse, hasssse dich, verfluchtes Luder.
Und gondeln du, mein Feind, und ich, plumps, schon
Im Styx, dich schlüg ich noch mit Charons Ruder.
    Nur müssen wir ihn (leider!) oft verbergen
    Und seine Riesenkraft schmählich verzwergen.

Der Haß ist herrlich, wenn er seine Pfeile
Wie Blitze durch die faulen Wasser zischt,
Und wenn das Feld durch seine Donnerkeile
Von ihm verwüstet daliegt und erfrischt.
Doch »Klugheit« fordert oft, daß seine Beile
Stumpf werden und sein letztes Flämmchen lischt.
    Ich liebe Bismarcks Wort, das nie verblaßt:
    Ich habe diese ganze Nacht gehaßt.

Des Hasses andre Schwester heißt die Rache,
Die eher nicht das Schwert der Scheide giebt,
Als bis in ihres Feindes breiiger Lache
Haus, Hof und Herrn ein Ende sie beliebt.
Dann spielt sie Fangball in der Hallenwache
Mit seinem Haupt. Es tröpfelt und es stiebt
    Das Blut des Halses auf die Marmorstufen.
    Jetzt hält sies hoch, und jetzt gehörts den Hufen.

Dein heißes Herz sollst du in Eisen schnüren,
In kaltes Eisen. Weißt du auch, warum?
Wenn du sie öffnest, deine Herzenstüren,
Dann halten alle dich für maßlos dumm,
Und haben recht und werden dich nasführen
Und ausrufen: Dreht mal dies Vieh rundum!
    Und gibt das Glück dir stumm ein Stelldichein,
    Laß nicht und nie die Außenwelt herein!

Verzweiflung müßte jeden Menschen quälen,
Wüßt er, daß nichts ihm hilft der stärkste Wille.
Nie kann er sich aus seiner Hülle schälen,
Liest er auch Tag für Tag die Trostpostille.
Und würd er mit der Schöpfung sich vermählen,
Umsonst: nichts wird ihm als die schwarze Stille.
    Er geht, entsetzt von all der Nacht und Not,
    Mit ausgespannten Armen in den Tod.

Den Onde lyne mig! Wegda die Flausen!
Hinaus! Und nimm die Freude untern Arm!
Hyänen mögen bei Hyänen hausen,
Und gib zum Fraß den Wölfen deinen Harm.
Du mußt vergnügt die Welt am Ohre zausen,
Dann wird das Herz dir wieder wohl und warm:
    Die Zweifel sollen am Montblanc zerschellen,
    Strömt über mich von neuem, Menschenwellen!

Der schönste Sommermorgen hat geflaggt,
Die Sonne soff den Tau schon zentnerweis.
Was sich auf Erden abmarackt und plackt,
Soll heut mal bremsen seinen Fleiß und Schweiß.
Längst bin ich unterwegs, und unbefrackt,
Doch auch nicht nackt, auf Sirupmanns Geheiß,
    Und sing, aus welchem Grund, ich weiß nicht wie,
    Hortensens Lied: Partant pour la Syrie.

In Stormarn bin ich; Poggfred liegt nicht fern,
Nicht allzufern der Grafschaft. Viel zuhauf
Gibts da der »Stürmenden«. Der helle Stern
Des edeln Hauses Wedel ging hier auf.
In braven Heidenzeiten war es Kern
Der Priesterkaste und des Volkes Knauf.
    Noch immer heißt der Gau der Wedel-Gau,
    Wo dieser Clan einst saß im Waldverhau.

Das Wappen Stormarns ist der wilde Schwan,
Der den gezackten Halsring trägt als Zier.
Die Hauptstadt Stormarns, Hamburg, ging voran:
Auf ihrer Alster zieht das stolze Tier
Seit Urzeiten die blanke Wasserbahn,
Gleichsam der Hansa schwimmendes Panier.
    Die Stormarn schwuren auf den Schwan den Eid,
    Und den Walküren war der Schwan geweiht.

Was hör ich da für einen losen Sang?
Ein Tingeltangellied, nicht ganz »solid«:
        Sehn Sie, das ist ein Geschäft,
        Und das bringt noch was ein.
        Ein jeder aber kann es nicht,
        Es muß verstanden sein.
    Wer kommt frischweg? Ein junger Jägersmann.
    Hast recht, sing zu, du lustiger Kumpan!

Was klingt herüber jetzt aus sanfter Weite?
Das Santus aus der hmoll-Messe? Horch.
        Santus, Santus, Santus,
        Dominus Deus Sabaoth!
        Pleni sunt coeli et terra gloria ejus.
        Osanna in excelsis!
    Das klingt, als jauchzt es her vom Weltendach;
    Gott kröne dich, Johann Sebastian Bach!

Auf meinem Gang stehn Blumen viel und Gras,
Blüht Teufelsabbiß, Gottesgnadenkraut,
Wolfsfuß, der seltne, den ich mir erlas.
Und wie das Kuckucksblümchen schämig schaut.
Der gelbe Färberginster. Leider saß
Der Ackersenf im Hafer, höchst vertraut.
    Das Weidenröschen und der Weiderich:
    Das süße Röschen und Hans Liederlich.

Kornähren fand ich krumm in Knicks und Hecken,
Von durchgefahrnen schweren Erntewagen.
Der Roggen war schon »ein«. Vielleicht auch stecken
Noch einige drin aus frühern Sommertagen.
Will wiedrum mich Musik aus Träumen wecken?
Ein Trauermarsch mit seinen Totenklagen.
    Ein Leichenzug fährt langsam auf mich zu;
    Da hat ein Mensch mal wieder seine Ruh.

Und wie der Sarg mir immer näher rückt,
Erkenn ich eine Reihe Veteranen,
Mit Orden, mit dem Eisernen Kreuz geschmückt.
Es kam von selbst: ich folgte ihren Fahnen,
Den alten Kriegern, die schon kopfgebückt.
Und Goethes Ausspruch hört ich leise mahnen:
    Der Mensch erfährt, er sei auch wer er mag,
    Ein letztes Glück und einen letzten Tag.

Hat ers verlangt? Schlachtmärsche wechseln ab:
Des heimgegangnen Helden letzter Wille.
Er muß noch einmal, kurz vor seinem Grab,
Die Märsche hören vor der Kirchhofsstille.
Im Leben waren sie sein Haltestab,
Bis ihm, aus ists, verglaste die Pupille.
    Drei Märsche folgen auf einander immer,
    Die sind voll Kraft und Schliff wie Bronzeschimmer.

(Der Torgauer:)
Der Sturm mißlang. Zurück. Und Finsternis.
Der Teufel schimpft! Bleibt stehn! Der König vorn!
Der Mond bricht matt durch einen Wolkenriß.
Noch einmal vorwärts! Zorn und Dorn und Sporn!
Der König, der sich in den Fels verbiß.
Vergebens! Wer trabt an im Winterkorn?
    Der alte Ziethen zeigt den Reiherbusch.
    Victoria! Blechmützen und Cartouche!
(Der Hohenfriedberger)
Friderici Genius hatte kommandiert;
Potselement, wie er den Feind zerbläute!

Das Regiment Bayreuth attackiert;
Und sechsundsechzig Fahnen sind die Beute!
     

(Finnländischer Reitermarsch:)
    Finnländsche Reiter: Oberst Falkenskjold.
Bei Lützen. Schritt. Der Oberst vor der Mitte.
Ein Schuß hätt ihn vom Sattel fast gerollt.
Noch immer zieht das Regiment im Schritte.
Ein zweiter Schuß trifft ihn durchs Schnallengold.
Sein Säbel winkt ins Feld zum Ährenschnitte.
    Fanfare! Falkenskjold und Pappenheim.
    Der Tod macht sich aus beiden einen Reim.

      Drei Salven. Amen. Erde. Hin ist hin.
Ich wandre wieder in den Einsamkeiten;
Die Redder wissens, wo ich gerne bin.
Und wie sich die Gedanken dann verbreiten:
Das Netz hat fein, das Netz hat grob Gespinn
Und dehnt sich in die Enge, in die Weiten.
    Gab plötzlich mir der schöne Tag den Kuß,
    Daß ich an unsern Mörike denken muß?

Wer kennt dich denn, Poet? Wer mag dich kennen?
Dein Vaterland? Da will ich lieber schweigen.
Nur wenige Menschen könnt ich immer nennen,
Die sich, gleich mir, vor deiner Anmut neigen.
Nichts soll uns, diese wenigen, von dir trennen;
Wir wollen deinen Kranz den Sternen zeigen.
    Ihr Deutschen, kommt und hört sein Saitenspiel!
    Seid dankbar, wenns in eure Herzen fiel:

Denk es, o Seele.
        Ein Tännlein grünet wo,
Wer weiß, im Walde.
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Sie sind erlesen schon,
Denk es, o Seele,
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.

Zwei schwarze Rößlein weiden
Auf der Wiese,
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Sprüngen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche;
Vielleicht, vielleicht noch eh
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe.


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