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Der Vorfrühling zeigt seine matten Farben,
Ein Rosenhauch umschimmert Busch und Baum;
Die Schafe weiden auf den Winternarben
Von Feld und Wiese und am Waldessaum.
Es steigt der Saft, schon ahn ich reiche Garben;
Die Eiche stöhnt, die Birke seufzt im Traum.
Die Dichter fangen wieder an zu schwellen,
Doch hoff ich, nicht wie Uhland festzustellen:
»Was ich in Liedern manches Mal berichte,
Von Küssen in vertrauter Abendstunde,
Von der Umarmung wonnevollem Bunde,
Ach, Traum ist leider alles und Gedichte.«
Ei, ei, was hör ich da von einem Dichter!
Das ist ja greulich! Also Alles Posen?
Pfui Deibel! Alles Schein und Talmilichter?
Und aller Inhalt pure Wassersaucen?
Verdammt noch mal! Ich steh hier nicht als Richter,
Doch die »Entschuldigung« macht mich erbosen.
Mein Uhland, fast verlör ich deinen Faden,
Liebt ich nicht deine herrlichen Balladen.
Ein Dichter ist? Der, der mit leichten Beinen
In Schlamm und Blumen auf der Erde steht.
Dem Veilchenduft und Stallgestank von Schweinen,
Ob »schön,« ob »häßlich,« um die Nase weht.
Der Seidenhemden oder Bauernleinen
Gebraucht, wies ihm beliebt; Fluch wie Gebet.
Sein Erstes sei: den Boden recht begreifen,
In dem des Menschen Lebenskerne reifen.
Die Engel geigen ihm vom Himmelssaal,
Die Hölle muß ihm ihre Teufel schicken;
Tief muß er schaun in alle Pein und Qual,
Die Freude muß vor Freude ihn ersticken.
Er kämpft mit Gott, er ruft ihn im Choral,
Er will in Nacht und Not zusammenknicken.
Verleiht ihm dann die ewige Phantasie
Noch Sternenflügel, wird er ein Genie.
Und ist er ein Genie und nicht brutal:
Dann stürzt er unter Faust und Stiefelnägeln,
Er sitzt als Knecht bei jedem Siegesmahl,
Er krümmt sich unter den Banausenregeln.
Sein armes Hirn ist bald im Hospital;
Da kann mans, Einsatz twinti Penn, verkegeln.
Das bürdet dem Philister keine Sorgen.
Was las ich doch von Hermann Lingg heut Morgen:
»Dies Menschenkind ist ein Genie,
Das dürft ihr schelten, stoßen, schinden,
Es wird das alles überwinden,
Verzeihend, wie es stets verzieh;
Es kann bewundern nur und lieben,
Drum los darauf mit allen Hieben!
Am besten wärs, ihr schlügt es tot,
Als Sündenbock für eure Sünden!
Und ist es tot, dann hats nicht Not,
Dann könnt ihr seinen Ruhm verkünden,
Es gibt euch dann sogar noch Brot,
Denn über sein geniales Dichten
Könnt einen Lehrstuhl ihr errichten.«
Die Haide wehklagt leise: Tommy friert.
Vom vorigen Sommer welken noch die Glöckchen,
Verschrumpft, verdorrt, verblaßt und schmutzbeschmiert.
An einem hing verfitzt ein Haidschnuckflöckchen,
Das Blümchen schien dadurch rundum wattiert,
Und hat jetzt Tag und Nacht ein warmes Röckchen.
Hier bin ich fern von Menschen, Gott sei Dank!
Fern ihrer Klatschsucht, ihrer Schlachterbank.
Nun ist der volle Frühling eingezogen;
Die Fahne schwingt er hoch, der junge Held.
Die Schwalbe kam, der Storch kam angeflogen;
Zu Pfingsten haben alle Leute Geld.
In jedem Dorfkrug kratzt der Fidelbogen,
In tausend grellen Farben tanzt die Welt,
Und bunt sind Wiese, Hecken, Hain und Hasel,
So scheckig wie die Rathauswand in Basel.
Der erste Jahrmarkt und sein Hokuspokus!
Tür auf! Wer bleibt im »Wonnemond« zu Haus.
Der liebe Gott hat sicher seinen Jokus
Heut über Alles, Löwen oder Laus.
Im Garten prunken Tulpenstolz und Krokus
Und glühen ihre mächtige Sehnsucht aus.
Die Tiere sind ganz außer Rand und Band:
Der Hunger schweigt, die Liebe steht in Brand.
Die Kinder spielen um die Häuserecken,
Der Ausflugswandrer übt schon seine Beine.
Und Sonntags zeigen sich auf allen Strecken
(Deutschland, verzage niemals) die Vereine.
Der Jüngling tut sich häufig dann erkecken
Und wirbt um seine Eine, Kleine, Feine.
Der letzte Bahnzug pfeift: »eilt!« In den Lauben
Hört jählings leider auf das Küsserauben.
O Waldmeister! O Maibowle! Ihr Tröster!
Du Frühlingstrank in Haus und Buchenhallen!
Wie nimmt er uns die Sorgen, wie erlöst er!
Er läßt den Murrkopf selige Hymnen lallen.
Zuweilen macht er mutwillig, dann stößt er
Und läßt den reizendsten Liederschatz erschallen:
»Ich bin die Josefine von der Heilsarmee,
Durch mich bekam die Chose erst ihr Renommee.«
Ein Frühlingsregentag. Es ziehn schnurgrade
Die langen Fäden aus den Wolken nieder.
Aus Wipfeln singt, wie eine Abendgnade,
Die Drossel ihre trunknen Hochzeitslieder.
Stät plätscherts fort. In diesem warmen Bade
Dehnt wohlzumut die Erde ihre Glieder.
Es rühren mich die Töne in der Runde
Wie eine milde, stille Sterbestunde.
Und meine Haide? Ist auch die erwacht?
Sie ist erwacht und findet ihr Genügen.
Ein Tausendfüßchen hat sich aufgemacht
Und läuft zur Liebsten, rasend vor Vergnügen.
Die Ringelnatter ruht noch schwer in Nacht,
Ihr Zünglein schläft, sie träumt von Mäusezügen.
Hier bin ich fern von Menschen, Gott sei Dank!
Fern ihrer Scheelsucht, ihrer Mörderbank.
Der Trommelschlag des Frühlings geht durchs Land,
Schalmein und Flöten, Flieder, weiße Kleider;
Im Winde weht manch loses Nackenband.
Ich glaube, selbst Hans Beil, der Kopfabschneider,
Hängt heut sein artig Messer an die Wand.
Wie lange währt das wohl? Ach, leider, leider
Ist die Glückseligkeit von kurzer Dauer,
Ich sehe Wilhelm Jensen auf der Lauer:
»Fürwahr, ich mag es nicht mehr sehn,
Dies ewige Werden und Vergehn,
Dies Auferblühn in Zauberpracht
Und schon Verwelken über Nacht,
Daß keinen Herzschlag du vergißt,
Wie alles nur zum Sterben ist,
Und was als Glück uns schön bewegt,
Im Keime schon die Trauer hegt.«
Der Sommer, dieser grobe Triumphator,
Zog durch Syringen und Goldregenprunk.
Viel Kränze folgten ihm, dem Imperator,
So kam er mit prachtvollem Ehrenschwung.
Er brachte harsch die Hitze vom Äquator,
Und seine Ritter tranken manchen Trunk.
Am vierundzwanzigsten im Junischwall
Verlassen Spargel uns und Nachtigall.
»Das heißt,« die Nachtigall hört auf zu singen.
Und so genau soll auch der Tag nicht sein;
Noch gestern schlug ihr Kehlchen zum Zerspringen,
Voll Eifersucht und Wut und Liebespein.
Sie will den Nebenbuhler niederzwingen,
So klangs zu mir ins Fenster klar herein.
Ich hörte von Neu-Rahlstedt übern Grund
Das Tierchen, immer noch nicht schnabelwund.
O Nachtigall, gesungne Einsamkeit –
Die Einsamkeit und das Vergessenkönnen,
Schon wie gestorben sein zur Lebenszeit,
Ganz schon vergessen sein, wer kann sichs gönnen?
Das ist das einzige Glück im Erdenleid.
Und ob wir alles andre auch gewönnen,
Ruhm, Reichtum, Macht sich eint auf unserm Scheitel:
Das Glück bleibt aus, denn »das Glück« ist alleitel.
Die Eitelkeit, die Herrschsucht sind zwei Schwestern,
Verbrecherinnen sinds, die jede Straße
Durchstrolchen, unausweichbar heut wie gestern,
Durchstrolchen mit dem allerschärfsten Glase:
Man sieht uns doch? Glück ist uns euer Lästern!
Wir sehn durchs Augenglas euer Gerase:
Was protzen die in ihrer goldnen Kutsche?
Schimpft nur in eurer ganz gemeinen Rutsche!
Der Hochmut ist ein goldbefrackter Affe,
Der mit äh äh »den Pöbel« übersieht
Und ihn, wer glaubts, mit seiner einzigen Waffe,
Der Dummheit, wie im Schleppnetz nach sich zieht.
Je hohler, aufgeblasener dieser Laffe,
Je mehr singt er sich selbst sein Fahnenlied.
Ach, ach, er fällt: es fällt sein Nullenhaus,
Und alles geht vorbei und lacht ihn aus.
Der Neid stützt auf den Tisch die Ellenbogen,
Und seinen Kopf vergräbt er in die Hände,
Und stiert und stiert mit seinen »glupschen Oogen«;
Ah, wenn ich jetzt, du Hund, dich vor mir fände,
Fest krummgeschlossen und ins Joch gezogen,
Ich freute mich bis an mein Lebensende.
Und stürbest du vor mir, verfluchte Katze,
Ich schlüge dir noch in die welke Fratze.
Die Neugier ist ein allerliebstes Tier.
Gevatterin: Frau Klatschsucht: eine Ratte,
Die überall den Speck riecht im Revier,
Die Milch im Keller und die Bodensatte.
Die schnüffelnd überall hat ihr Quartier
Und ihre Dreckspur zeigt auf jeder Matte.
Nie kam mehr Unglück in die Welt hinein,
Als durch dies schmucke Pärchen im Verein.
Ins Zuchthaus! Und nicht unter zwanzig Jahren,
Mit Einzelhaft! Und Ehrverlust für immer:
Verleumdung, Klatschsucht, Neugier! Wie Pestscharen
Stürzt ab in Höllenpfuhl und Schwefelflimmer,
Ihr grausen drei, mit euern Schlangenhaaren,
Ihr drei verdammten, aasigen Frauenzimmer!
Es gilt, für euch ein Übermaß zu suchen,
Um es als härtestes Gesetz zu buchen.
Der Ruhm? Nehmt eine lange Flaggenstange
Und hißt dran eine grelle Fahne auf.
Dann freut die Fahne sich: ich prange, prange,
Und wickelt sich vor Lust selbst um den Knauf.
Doch eh der Tag sinkt, lauert schon am Strange:
Wer? Der sie niederholt in schnellem Lauf.
Die Erde ist des Himmels Folterkammer.
Die letzten Stanzen schrieb ich nur in Klammer.
Im Frühling sah ich heuer Prag und Wien.
In Hütteldorf bei Wien, im Wiener Wald,
Lag still ein Garten, den der Mond beschien;
Aufschwung von Schumann klingt woher, verhallt.
Ein wilder Nußbaum dämmert Phantasien;
Klein-Dagny singt, sie ist zehn Jahre alt,
Aus Steyermark, entzückend, Bauernweisen.
Leb wohl, mein Wien! ich muß nun weiter reisen.
In Prag bin ich entschieden mal geboren,
Vielleicht vor tausend Jahren, wer kanns wissen,
So ist mein Herz der alten Stadt verschworen;
Dort möcht ich immer meine Fahnen hissen.
Palerm und Ripen gehn mir nicht verloren,
Die waren auch von je mir Leckerbissen.
In Prag aß ich auch mal im Blauen Stern
Mit Oskar Wiener, einem Dichterherrn.
Du mußt es sehn, wenn sich der volle Mond
In seinen Gassen, Gäßchen eingefangen,
Wenn im Barock er auf den Kirchen thront,
Wenn seine Lichter den Hradschin umprangen,
Den silbernen Sarg Sankt Nepomuks umfangen,
Wenn er in Waldsteins großer Halle wohnt.
Viel hundert Sagen singen und Geschichten,
Ganz Praha ist ein Goldnetz von Gedichten.
Vorm Rathaus fand ich eine See von Blut:
Dreihunderteinundfünfzig Edelleute
Mit jedem ersten Sohn von ihrer Brut
Verstummten hier, dem Rachebeil zur Beute.
Versickert längst, versunken ist die Flut,
Doch sah mein geistig Auge sie noch heute.
Der Winterkönig floh, futsch, futsch, futsch, floh,
Bis er im Haag beim Brettspiel saß heilfroh.
Ich sah ein Kirchlein auch: »Marie im Schnee«
(Die Heilige Jungfrau, nordisch, tiefverschneit):
In einen Prozessionszug fällt, o weh,
Ein Stein. Tumult. Ade Besonnenheit.
Bautz: Martinez und Slavata. Herrje!
Der dreißigjährige Krieg steht schlachtbereit.
Ein Steinwurf nur, ein einziger Steinwurf nur.
Praha, na zdar! Dir gilt mein Liebesschwur.
Zurück aus Süd und seinen Herrlichkeiten.
In Holstein wieder. Kurze Sommernächte,
Wo sich die Lichter um den Vorrang streiten.
Die Ruhe heilt. Der Tag troff vom Gefechte,
Durch das ein jeder muß seit Olims Zeiten,
Vom Arbeitsstrauß- und Sorgenkranz-Geflechte.
Nach solcher Ernte geh ich gern spazieren,
Dann ruf ich: Hier darf niemand sonst passieren.
Und auch zur Winterzeit lieb ich die Nacht:
Wenn nicht zu arg die Stürme mich umreißen
Und mir der Schnee die Augen nicht verdacht.
Dann wandr ich oft, und lass die Welten kreißen,
Und freue mich der frechen Sternenpracht,
Und hör das Eis im Frost zusammenschweißen.
Meist bin ich dann allein mit meinem Schritt,
Zuweilen hab ich auch Begleitung mit:
Erinnerung: Es war am längsten Tage,
Wo Abendrot und Morgenrot sich küssen,
Mit blassen Armen, eine Sommersage,
Friedlich umhalst zu seligen Genüssen.
Ich sah sie auf der eingestellten Wage,
Die sich doch immer wieder trennen müssen.
Die Sonne hört ich schon die Pfeile schärfen
Und ihren Nachtsack in die Wogen werfen.
Um diese Zeit nun ging ich durchs Gelände,
Lautlos und weich lag um mich Marsch und Moor.
Wer ging denn neben mir und hielt die Hände
Und hielt den Arm als Augenschutz sich vor?
Ein zartes Mädchen. Wie? mit solcher Blende
An meiner Seite hier im Dämmerflor?
Ich setzte mich, um auszuruhen, nieder;
Auch sie blieb stehn, den Arm fest um die Lider.
Erhob ich mich, dann zog sie mit mir weiter,
Doch nahm sie von den Lidern nie den Arm.
Sag, liebes Mädel, schau mal hoch und heiter,
Sieh mir mal in die Augen liebewarm.
Weg mit dem Ärmchen! das ist viel gescheiter;
Vertrau mir deinen Kummer, deinen Harm.
»Ich bin die Scham,« sie sagte selbst es nicht,
Doch klangs von irgendwo ans Ohr mir dicht.
Und sie verschwand. Und neben mir, o Wunder,
Tanzt ein Geschöpf. Ein neues Abenteuer?
Sie braucht bei ihrem Tanz nicht Zaum noch Zunder,
So vornehm hält sie sich in ihrem Feuer.
Ich denke an Champagner und Burgunder.
Hat sies erraten? Gleich nimmt sie das Steuer:
»Ich meine, was denn braucht es lang der Worte,
Wir essen morgen Nachmittag bei Pfordte.«
Welch lachend Ding. Hör an, du sprudelndes Wesen,
Ich bleibe heut den ganzen Tag bei dir.
Wir setzen uns auf einen Zauberbesen
Und sind in einem Augenblick bei mir.
Ich biete Alles dir und auserlesen;
Glaub mir, ich bin ein mächtiger Vezier.
Wir schaukeln uns im Meer der Seligkeiten,
Wo wimpelfrohe Blumenschiffe gleiten.
Komm mit nach Poggfred! Da sind dichte Lauben,
Wo trefflich wir Verstecken spielen können.
Am besten schmecken stets verbotne Trauben,
Die uns die lieben Menschen niemals gönnen.
Allüberall dort girren Liebestauben,
Die gern zu jeder Lustbarkeit entbrönnen.
Und willst du mal die Nordsee toben sehen,
Sie liegt ganz nah dabei, im Handumdrehn.
Die Nordsee muß zuweilen auch verschnaufen,
Dann liegt sie wie ein silbern Teebrett da;
Die groben Wogen ruhn sich aus vom Raufen,
Und spiegelblank ist ihre Gloria.
So fand ich ihre Tropf- und Triefetraufen,
Als ich an einem Badestrand sie sah,
Wo sich die Herren tragen à la Haby;
Es reimt sich drauf, deutsch ausgesprochen, Baby.
Fern ab von meiner Stelle steht die Brandung,
Die Wellen werfen sich zornmütig auf.
Wer sich dort etwa wünscht gelinde Landung,
Der purzelt wie ein Kartenschloß zuhauf,
Und er erlebt die allerschönste Strandung,
Es brüllt die See ihm zu: Sauf und versauf!
Wie sich die weiße Marmorstadt begießt,
Die fort und fort sich aufbaut und zerfließt.
Wohl zwanzigtausend »Gäste« schoben sich
Auf einer Wandelbahn am Ufer fort,
Und hin und her auf diesem einen Strich.
Doch gabs daran auch manchen kühlen Ort,
Wo man, die Sonne schien heut fürchterlich,
Sich labt, wenn allzusehr die Zunge dorrt.
Wenn sich jedoch ein Handschuhladen fände,
So würden ihn verachten alle Hände.
Denn da gehörts, eitel Koketterie,
Zum guten Ton, daß Dandys sich und Damen
Die Haut verbrennen lassen wie das Vieh.
Indessen will ich nicht darüber blamen,
Mags einer Plunder nennen oder Pli.
Ich spanne also einen andern Rahmen
Um all die schönen, stolzen Mädchen, Frauen,
Die dort sich sonnten, aus ganz Deutschlands Gauen.
Vielviele Fläggchen flatterten im Sande,
Mit oft sehr drolliger Inschrift: »Hau ihm, Otto!«
Darum herum die liebe Kinderbande,
Die jauchzend gab die »Burg« dem Wellenlotto.
Selbst Gorm den Gamle war nicht mal imstande,
Die Flut zu hemmen. Weg da! ist ihr Motto.
In meinem Buch, dem Poggfred-Manifeste,
Sind Dehmels Motti, wie mir scheint, das Beste.
Am selben Abend traf ich ein Gedränge,
Die Sonne war in dickem Dunst verschwunden,
An einem Punkte staute sich die Menge
Und stand gespannt, wie Kopf an Kopf gebunden:
Ein seltsam Schiff kam an mit viel Gepränge,
Als wärs in einer andern Welt gefunden.
Es tönte von ihm her ein wirrer Sang,
Der übers Wasser wunderweich verklang.
Der Dampfer war elektrisch überhellt;
Langsam zog uns vorbei der Küstenkahn,
Dem sich Sardinen zahllos zugesellt,
Die hergesandt ein fremder Ozean.
Sie sind entsetzt oft aus der See geschnellt,
Denn die Makrele ist ein Fressian.
Die Sommernacht schläft ruhig wie ein Kind,
Da plötzlich hebt sich ein verflixter Wind.
Von Osten setzt er mit der Ebbe ein,
Die wüsten Wellen fangen an zu rollen.
»Das Publikum« beginnt sich zu entreihn
Und will sich schnell nach Haus und Halle trollen:
»Platz da! Wir wollen hier nicht länger sein!
Platz da! Was soll uns denn der Sturm umtollen!!«
Halt! rufen, Halt! auf einmal rauhe Riesen,
Langbeinige, schmale, sehnige Inselfriesen:
Es wird jetzt hier geblieben, Bummelleute!
Ihr seid uns Narrenvolk! Nur euer Geld,
Verdammich, nehmen wir als gute Beute.
Drum schleunig Halt! Von neuem aufgestellt!
Zehn Mark zahlt jeder nachträglich noch heute,
Dann zeigen wir euch eine Wiking-Welt.
Paßt auf! Doch prallt nicht zu sehr an die Leine,
Sonst gibt es gleich Au-Au-Schrein und Gegreine.
Ein König sitzt im Langschiff, aufgebahrt;
Knallgelb besäumte rote seidne Decken
(Gestohlen in Tarent) umhüllen hart
Das starre Gliedermaß des toten Recken.
Tief abwärts weht der lange weiße Bart,
Den schon die Tropfenspritzer leicht belecken.
Das Wiking-Schiff ist voll von reicher Beute,
Um die es keinen Normann je gereute.
Auf Bank und Bord sind viele Kostbarkeiten
Dem Häuptling auf die Reise mitgegeben:
Ein Skarabäus aus Egyptens Weiten,
Ein Demantschwertgriff loht noch lauter Leben,
Antike Vasen mußten ihn begleiten,
Und wundervolle Bronzen stehn daneben.
Ein goldnes Lamm von ungeheuerm Wert
Hat Pisa, mir nichts dir nichts, einst verehrt.
Sein Lieblingspferd liegt ihm vor seinen Füßen.
Das Kriegsschiff schwelt! Los! In den Schaum geschoben!
Die Skalden singen, seine Großen grüßen,
Die Harfen huldigen, die Luren loben.
Ein frommer Räuberheld braucht nichts zu büßen,
Er ist bei Thor bald in Walhalla oben.
Die Schildmaid führt ihn in den Gischt hinein
Und fährt ihn unter wildem Fackelschein.
Mit Ost und Ebbe geht es in die Nacht.
Die Lohe leichtert sternauf ihre Funken.
Die Möwen sind vor Schrecken aufgewacht
Und flattern ängstlich um den Brand, wie trunken.
Die Flamme sinkt, aus ist des Feuers Macht;
Die Schätze sind versandet und versunken
Und treiben trümmernd auf der salzenen See,
Die Morgenröte blinzelt ihr Ade.
Ja, wo ist denn die schöne Fee geblieben,
Die mir zur Seite ging? Sie ist verschwunden.
Die Langeweile hat sie weggetrieben.
Das muß ich leider brummig hier bekunden.
Was erst geschähe, säh sie mich »geschrieben«?
Ich bin deshalb allein an mich gebunden.
Allein ist jeder Mensch, allein, allein,
Und säß er im glückseligsten Verein.
Ich schlendre durch ein Dorf, wo Musikanten
Im Kinderkreise spielen, daß sie springen
Und hopsen, hei! an allen Ecken, Kanten,
Und sich im Reigen durcheinanderschlingen.
Ich sah in einen Wirtshaussaal, da bannten
Sich meine Augen an zwei Schmetterlingen:
Zwei Mädelchen, sechs, sieben Jahre gut,
Die tanzten hier ein Solo wohlgemut.
Na, so was Reizendes sah ich noch nie:
Im Trippeltakt mit ihren kleinen Füßen,
Gehorchen sie der Walzermelodie,
Derweil sie mich mit ihren Stirnen grüßen.
Ein Pärchen nur im Saale, wirbeln sie
Und lassen sich den Schulzwanggang versüßen.
Zerzaust ein wenig war ihr Haargeflecht,
Das Zöpfchen stand im Tänzchen wagerecht.
Das Zöpfchen stand im Tänzchen wagerecht:
Im Leben nie vergess ich dieses Bild.
Ein Unschuldstraum in unserm Sumpfgeflecht,
Ganz erdenselig und ganz himmelsmild.
Fast fühlt ich mich geduckt, ich Adamsknecht,
Doch bin ich für »Moral« noch nicht gedrillt.
Lebt wohl, ihr Kleinen, tanzt nur eifrig zu;
Bald kommt die Zeit, da drückt auch euch der Schuh.
Ich wandre weiter. Es ist Mittag schon.
An einem Kirchlein komm ich grad vorbei,
Daran, gleich einer kleinen Bastion,
Ein alt Kapellchen klebt, wie Flickerei.
Dort liegt ein Urgeschlecht, gestürzt sein Thron;
»Längst ausgestorben!« ruft die Sakristei.
Ein lieber Lehrer schloß die Tür mir auf:
Da türmten sich die Särge wüst zuhauf.
Ein Bär, zum Streit gerichtet, war ihr Wappen,
Ihr Haus- und Wahlspruch hieß: L'Ours détruit tout!
Das Wort klingt nicht wie Staub- und Scheuerlappen,
Nicht wie das Wiederkäuen einer Kuh.
Das Wort erinnert nicht an Fliegenklappen
Und nicht an Tante Bettys Gummischuh.
L'Ours détruit tout; welch Drohen und Gedröhn,
Ein krachendes Gebälk und Wutgestöhn.
Gleich vorn lag eine Mumie. Mumie? Was?
Sie war aus ihrem Sarg herausgerissen,
Wohl nicht aus Rache, Bosheit oder Haß.
Nein: Diebe hatten sich darum beflissen:
Im Schwedenkrieg kam ihnen das zupaß.
Die suchten Taler in den Finsternissen.
Der Kopf lag weit getrennt von seinem Rumpf,
Die Leiche trug nichts außer einem Strumpf.
Wir brachten sie in ihre Truhe wieder.
Die gute Mumie war in ihrem Leben
Ein Herr gewesen im Barockgefieder.
Als ich nun weitre Laden wollte heben,
Purzelt ein Kindersärglein auf mich nieder;
Das hat mir denn für heut den Rest gegeben.
Ich ging nach Poggfred heim. Am nächsten Tage
sah ich von neuem meine Sarkophage.
Mit Arbeitern. Nun holten wir heraus
Die bronzenen Betten, das zerfallne Linnen.
L'Ours détruit tout, drang ich jetzt in ihr Haus
Und störte Molche, tausendjährige Spinnen,
Und ließ die Sonne scheinen in den Graus
Und große Wassermassen drüber rinnen.
Nach Stammtafeln verglich ich dann die Namen
Und stellte in den Stand sie wieder. Amen.
Dann trank ich mitgebrachten Pommery
(Die Arbeiter vergaß ich nicht dabei):
Ein letztes Vivat und Krambambuli!
Ein letztes Hoch der Clanschaft, und Juchhei!
L'Ours détruit tout! Wer das einst munter schrie,
Der hört nun nimmermehr sein Feldgeschrei.
Auf eure Sporen senk ich einen Kranz,
Auf eure Fahnen, euern Ritterglanz.
Lebt wohl! Die Welt hat lang euch schon vergessen.
Ich tat es nicht. Ich bin aus euerm Blut.
Ihr saht das Licht noch einmal, ungemessen,
Das Sonnenlicht, das Licht der Lebensglut.
Auf euer Herz sollt ihr die Hände pressen:
Nun ists genug! Und über uns die Flut!
L'Ours détruit tout! Der Bär hat ausgerottet!
Ein Hundsfott jeder, der darüber spottet.
Tritt einer an die Eingangstür vertraut
Und rüttelt, klopft und spricht dreimal: Señor!
Und keiner antwortet – –
Dann ruft der Horcher, weg vom Tor das Ohr,
»No contesta, está muerto« laut –
Und tiefe Stille lächelt wie zuvor.
Ich höre fern die Schicksalsäxte schleifen;
Wohnsfleths, lebt wohl! ich will nun weiter schweifen.
Ein stiller, sanfter Abend hüllt mich ein,
Ich rauche meinen Stengel Eminentes.
Wird der »geneigte Leser« mir verzeihn,
Schwör ich ihm zu: es war was Exzellentes?
Kein besser Kraut mag jemals wo gedeihn
Im Orient, im Ring des Occidentes.
Vorbei ging ich dem Krug »Zum Blauen Auge«;
Ich sagte mir, daß ich dahin nicht tauge.
Schon naht sich leis der Herbst, der harte Schnitter,
Und langsam bräunelt sich die Haselnuß.
Herr Sonnenschein ist ein gefälliger Ritter,
Die Beere ist ganz rot von seinem Kuß.
Doch zeigen noch die Nachmittaggewitter,
Daß sich der Sommer wehrt vorm öden Schluß.
Die Spatzen raufen sich mit Zorn und Zank
In hübscher Villen grünem Weingerank.
An meinem Wege fand ich einen Garten,
Nein, einen Park voll alter Eichenbäume,
Mit Feldern drin und einem ganz aparten
Echten Lenôtre-Gärtchen, dessen Säume
Beschnittne Hecken waren. Alle Arten
Baumlanger Thujen flüstern hier wie Träume.
Inmitten ist ein Wasserspiel zu sehn
In Rhododendren, pontischen Azaleen.
Im Norden dieses Gärtchens, vor der Hecke,
Stand eine Säule, haushoch, und darauf
Steht riesenhaft, so daß ich fast erschrecke,
Steht Schillers Büste, als der Säule Knauf.
Sie ist von mir entfernt noch eine Strecke,
Und unverzüglich setz ich mich in Lauf.
Der Märchengarten ruht im Abendschein,
Ich nenn ihn unsers Schillers heiligen Hain.
Den herrlichen Dichter schirmen, eine Wand,
Hoch überragend himmelanstrebende Linden.
Und Kinder kommen. Leicht streut ihre Hand
Viel Julirosen unter Kranzgewinden.
Und reife Menschen nahn. Aus Griechenland?
Ein Chorgesang erschallt und will verschwinden.
Ich singe selig mit den Menschen mit,
Wie Geister wandeln wir im Feierschritt:
Da ihr noch die schöne Welt regiertet,
An der Freude leichtem Gängelband
Glücklichere Menschenalter führtet,
Schöne Wesen aus dem Fabelland!
Ach, da euer Wonnedienst noch glänzte,
Wie ganz anders, anders war es da!
Da man deine Tempel noch bekränzte,
Venus Amathusia!
Nun neigten wir uns tief vor seiner Büste
Und schmückten uns mit Blumen vor ihm her;
Die Deutschen kamen selbst von fernster Küste,
Die Wolken glühten wie ein Flammenmeer.
Und als die Sonne endlich ging zur Rüste,
Fand ich allein mich stehn, der Platz war leer.
Da bog ich mich zur Erde vor ihm nieder
Und sprach (für mich das schönste seiner Lieder): |