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Zweiter Abschnitt.
Die Grundlosigkeit meiner Gefangenschaft.

Nachdem ich mich hinsichtlich des Vorwurfs der Undankbarkeit und der Empörung beim Gebrauche meiner wiedererlangten Freiheit hinlänglich gerechtfertigt habe, darf ich auch nicht den geringsten Schatten eines Verdachtes bezüglich der Ursachen, die den Verlust meiner Freiheit bewirkten, oder vielmehr bezüglich der klaren Thatsache bestehen lassen, daß überhaupt keine Ursache vorhanden war, die den Machtmißbrauch, dessen Frucht jener Verlust war, hätte rechtfertigen können. Ich bin diese kurze Erörterung sowohl mir wie meinen Freunden und dem Vertrauen der Rechtschaffenen schuldig, die, da sie mein Gemüt nach dem ihren beurteilten, mich aus bloßer innerer Überzeugung von meiner Unschuld immerfort verteidigt haben. Ich muß ihnen zeigen, daß dies Gefühl sie nicht betrog.

Mein Ruf ist allzulange dem Hasse meiner Feinde, die keine Widerlegung zu fürchten hatten, und der Rücksichtslosigkeit der Zeitungsschreiber preisgegeben gewesen, die allerdings durch das Aufsehenerregende und die Strenge meiner Haft gerechtfertigt wurde. Wie konnte man sich vorstellen, daß unter einer durchaus nicht unmenschlichen Regierung und besonders unter einem Könige, dessen gute Absichten bekannt sind, eine so strenge Behandlung keine angemessenen Gründe haben sollte?

Ein fremder Botschafter, der aus eigenem Antriebe und auf Befehl seines Fürsten lebhaften Anteil an mir nahm, erzählte mir nach meiner Freilassung, daß nie eine Staatsangelegenheit ernster behandelt ward als meine Gefangenschaft, und daß er trotz seiner Neigung, mich für unschuldig zu halten, aus der Weise, in der man ihm bei seinen Gesuchen den Mund schloß, gefolgert habe, ich wäre eines Majestätsverbrechens schuldig, dessen verzögerte Bestrafung noch eine besondere Gnade gegen mich sei.

Und alle, die sich zu meinen Gunsten verwandten, fanden denselben Empfang. Bald eisiges Schweigen, bald Zeichen des Bedauerns und des Mitleids, bisweilen sogar Lobsprüche, die den besten, leider aber aus den außerordentlichsten Gründen zur Ohnmacht verdammten Willen zu bekunden schienen, endlich halbe Worte, die der Einbildungskraft bezüglich der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens und der Dauer wie der Gerechtigkeit der Strafe den weitesten und unheimlichsten Spielraum ließen – das war's, was meine Freunde bei allen Beamten fanden, wenigstens bei denen, von welchen nicht vorauszusetzen war, daß ihnen die wahren Gründe für meine Gefangenhaltung verborgen wären.

Ich muß gestehen, es ist unbegreiflich, daß der Gegenstand einer solchen Handlungsweise nicht bloß sich in letzter Instanz als vollkommen unschuldig erwies, sondern nicht einmal angeklagt ward; es ist unbegreiflich, daß man, während man seine Person einer Behandlung aussetzte, die kaum die größten und besterwiesenen Verbrechen gerechtfertigt haben würden, gleichzeitig seine Ehre mit kaltem Blute der öffentlichen Rücksichtslosigkeit und Bosheit preisgab, daß man dieser Bosheit das Recht einräumte, die ungerechte Härte, mit der man gegen ihn verfuhr, als Beweis für seine Frevelthaten zu betrachten und anzuführen, daß dabei die Urheber dieser hinterlistigen Verheimlichung gerade die waren, welche am besten die Ungerechtigkeit und die Gefährlichkeit derselben kannten, und daß endlich diese Gefährlichkeit und Ungerechtigkeit bei der Berechnung ihrer Rache, bei dem Gewinne, den sie aus ihrem zwingherrlichen Betruge ziehen wollten, in Betracht gekommen war.

Es ist unbegreiflich, daß es ein Ministerium giebt, welches einer so raffinierten und konsequent durchgeführten Grausamkeit, einer so tiefen Heuchelei fähig ist, und daß Männer, die mit den wichtigsten Staatsangelegenheiten beschäftigt sind oder für damit beschäftigt gelten, Zeit finden, den Plan zu einem so schmählichen Betruge zu entwerfen, daß sie sich verbünden, um den Fürsten, der sie mit seinem Vertrauen beehrt, und gleichzeitig das Publikum zu hintergehen, das Zeuge ihrer Schritte ist, daß sie einen Bund schließen, um durch solche Kunstgriffe einen Menschen zu verderben – und wen? Einen einfachen Privatmann, einen untadelhaften Unterthan, dessen einziger Fehler der war, daß er zu sehr sein Vaterland geliebt und zu viel ihrem Worte getraut hatte. Diese Thatsache ist jedoch noch wahrer, als sie staunenerregend ist.

Ich wiederhole, ich weiß nicht, was man dem Könige gesagt hat, welcher Verleumdungen man sich bedient hat, um in seinem Geiste der anscheinenden Notwendigkeit, mich durch einen Gewaltstreich zu zermalmen, das Übergewicht zu verschaffen über das Vergnügen, das er an der Lektüre meiner Artikel zu finden schien, und über seine Neigung, mich in seinen Schutz zu nehmen. Nie ist mir etwas darüber mitgeteilt worden: während der zwanzig Monate meiner Gefangenschaft ist nicht der Schatten eines Verhörs, nicht die Spur einer Untersuchung über mich ergangen. Im Angesichte von ganz Europa richte ich an die französischen Minister die feierliche Herausforderung, ein einziges Aktenstück beizubringen, welches beweist, daß in Bezug auf mich auch nur die geringste Formalität erfüllt worden ist.

Meine Freilassung war, wie man gesehen hat, mit demselben Geheimnis umgeben, und der Verbannungsbefehl war nicht minder schweigsam: ich kann mich also genau genommen in keiner Hinsicht rechtfertigen, weil ich absolut nicht weiß, was man mir zur Last gelegt hat.

Indessen ist schon dies Schweigen ohne Zweifel eine schwere Beeinträchtigung einem Manne gegenüber, der im übrigen mit einer Grausamkeit bedrückt ward, die eine völlige und niederschmetternde Überzeugung von seiner Schuld voraussetzte. Alle Gesetze verpönen ein solches Verfahren: nur in der Bastille darf man es sich erlauben, und vielleicht hat man es sogar an diesem Orte sich nur mir gegenüber zu erlauben gewagt. Es bedürfte gar keines weitern Beweises für die Nichtigkeit oder Fälschlichkeit der Anklage.

Aber noch mehr! Hier ein Umstand, der vollends jeden Zweifel beseitigen wird: man hat mir unaufhörlich in der Bastille gesagt, meine Gefangenschaft sei eine Folge des direkten und unmittelbaren Willens des Königs, ich sei kein Mann von hinlänglich geringer Bedeutung, daß man ohne seine Zustimmung einen Gewaltstreich gegen mich auszuführen gewagt hätte! Diese geheiligte Schranke hat man unaufhörlich den Anstrengungen entgegengestellt, die ich machte, um die so sorgfältig verhehlten Ursachen meiner Haft zu entdecken oder doch wenigstens halb und halb kennen zu lernen. Jene Zustimmung, jener Wille haben aber demnach irgendwelche Beschuldigungen, irgendwelche mit Sicherheit behauptete und bestimmt ausgedrückte Beschwerden zur ersten Ursache gehabt.

Nun denn, ihr dreisten Verleumder, denen es gelungen sein dürfte, mir die Achtung des Schutzherrn zu rauben, den die Natur und die Vorsehung mir gegeben hatten, ich fordere euch vor die Stufen seines Thrones, ich verklage euch vor seinem biedern und redlichen Gemüte, das ihr betrogen habt. Habt ihr ihm etwas gesagt, was ihm meine Anhänglichkeit an seine Person, meine Hingebung an seine Interessen, meinen Haß und meinen Abscheu gegen jeden Kunstgriff überhaupt, namentlich aber gegen die, welche einen entgegengesetzten Zweck verfolgt hätten, nur einen Augenblick hat verdächtig machen können, so erkläre ich hiermit in aller Form: ihr habt so viel Lügen gesprochen wie Worte.

Und schmeichelt euch nicht mit der Erwartung, meinem Drängen unter dem so oft entweihten Schleier der Achtung vor den Staatsgeheimnissen zu entgehen, täuscht euch nicht mit der Hoffnung, er werde die Triebfedern eures verlogenen Despotismus verhüllen, wie die Bastille die Folgen desselben verhüllt – nein! ich werde euch bis in dies Asyl hinein verfolgen, das ihr schändet, und werde nicht aufhören, die für euch furchtbaren Worte zu wiederholen, gegen die vielleicht der gerechte Monarch, an den ich sie richte, nicht unempfindlich sein wird, die Worte: »Ihr habt ihn hintergangen: mein Betragen und meine Feder waren zu jeder Zeit rein wie mein Herz.«

Ihr habt aussprengen, versichern und in allen Zeitungen drucken lassen, »ich hätte gefährliche Pläne geschmiedet und Eingaben verfaßt und eingereicht, die Frankreich beschwerliche Reklamationen zuziehen oder doch das Verlangen nach Erhebung solcher erwecken könnten.« Dies Gerücht habe ich bei der Auferstehung aus meinem Grabe am meisten verbreitet gefunden: das ist die Schmach, der ihr meine Asche hingegeben hättet, wenn nicht euren Bemühungen zum Trotz eine allmächtige Hand mich derselben entrissen hätte.

Vielleicht hat auch das Hindernis, das ihr meiner Rückkehr nach Brüssel in den Weg legtet, den Zweck gehabt, diesem ebenso verbrecherischen wie widersinnigen Betruge noch mehr Halt und Ansehn zu verschaffen. Vielleicht habt ihr, nachdem ihr ihn in den Augen derer, welche ihr täuschen wolltet, wahrscheinlich gemacht hattet, auch die Geschicklichkeit besessen, eine Erklärung zwischen den beiden Fürsten zu verhindern, die er anging, und einer Auseinandersetzung vorzubeugen, die mich gerechtfertigt haben würde.

Vielleicht habt ihr sogar aus Furcht vor dem Schutze, mit dem die erhabene und tugendhafte Fürstin mich beehrte, die das Band zwischen beiden bildet, Marie Antoinette, die Schwester Josephs II, und Gemahlin Ludwigs XVI.
D. Übers.
diese Verleumdung nur deshalb ausgesprengt, um sie zum Schweigen zu zwingen, sobald es sich um mich handelte. Als Gemahlin des einen und Schwester des andern mußte sie, so lange die Thatsachen nicht aufgeklärt waren, allerdings fürchten, den Schein auf sich zu laden, als nehme sie Anteil an einem Manne, der es gleichmäßig an Achtung vor beiden hatte fehlen lassen. Und wie jene Thatsachen aufklären, da es bei der Verfänglichkeit des Gebietes, auf das ihr den Verdacht lenktet, so leicht war, jede Auseinandersetzung zu vermeiden?

Den Einfluß und die Macht, die Erklärung zu unterdrücken, die ich hier niederschreibe, werdet ihr jedoch nicht haben. Bei der ausschließlichen Beschäftigung mit meinen litterarischen Arbeiten habe ich mir, ohne Ausnahme, keine andern politischen Spekulationen gestattet als die, welche ich in den Annalen veröffentlichte. Hier nun wage ich, um den Betrug auszudecken, den ihr angestiftet oder geduldet habt, den erhabenen Fürsten anzurufen, dessen Namen derselbe bloßstellt. Anstatt dem tollen Wahnwitz zu huldigen, der die Zerstückelung Frankreichs hätte vorhersagen und rechtfertigen mögen, habe ich nie aufgehört, mir im Schoße dieses Landes einen Zufluchtsort zu bereiten (XVI). Stets habe ich mein Glück von dem seinen abhängig gemacht, bis zu dem Augenblicke, wo ihr die zärtlichste Anhänglichkeit mit Strafen lohntet, die kaum seinen unversöhnlichsten Feinden gebühren – bis dahin hatte es kein folgsameres Kind, keinen treuern Unterthan.

Wenn meine Seele nur den Schatten eines Gefühls gehegt hat, das von dem hier ausgedrückten verschieden ist, so giebt es ohne Zweifel irgendwelche Spuren davon. Nun denn, entdeckt sie, bringt sie ans Licht, durchstöbert die Büreaux, setzt die privilegierten Spione in Bewegung, deren heimliche Thätigkeit ihr so teuer bezahlt: bin ich in der That schuldig, so wird die Dreistigkeit meines Leugnens die Inhaber der Beweisstücke für meine treulosen Anschläge mit ebensoviel Entrüstung erfüllen, als mein ursprünglicher Verrat ihnen Verachtung eingeflößt haben würde, und sie würden sich beeilen, euch bei der Entlarvung eines heuchlerischen Betrügers zu unterstützen, der sich schmeicheln wollte, ihre Nachsicht mißbrauchen zu können, und sich bemühte, den Schein der Tugend mit den Kunstgriffen des Verbrechens zu verbinden. Es giebt ja weder ein Staatsgeheimnis noch ein Staatsinteresse, das diese Enthüllungen verbieten könnte, die so wertvoll für euch sein würden.

Aber ich bin weit entfernt, sie zu fürchten! Mein Benehmen hat, wie alle meine Schriften ohne Ausnahme beständig das Gepräge ein und derselben Gesinnung getragen, das Gepräge patriotischer Begeisterung und eines in Bezug auf diesen Punkt bis aufs Höchste getriebenen Zartgefühls. In dieser Beziehung sind mein Mund, meine Feder und mein Herz immer unwandelbar in Übereinstimmung miteinander gewesen, hier muß man mich durch Thatsachen Lügen strafen oder aber anerkennen, wie gefährlich und verbrecherisch die Umtriebe sind, die einen Augenblick lang meine Unschuld zweifelhaft machen konnten.

Aber sind auch meine privaten Schriften so lauter gewesen wie meine öffentliche Thätigkeit? Habe ich nicht irgend eine sozusagen innere Unklugheit, eine geheime Unvorsichtigkeit begangen, welche die von der Regierung verhängte Strafe rechtfertigen könnte? Habe ich nicht vielleicht einen hochgestellten Mann verletzt, dessen Rang man eine Genugtuung schuldig zu sein glaubte? Das ist die letzte Zuflucht meiner Verfolger und auch der letzte Streich des Verhängnisses, das mich bestimmte, ein in jeder Hinsicht passives Musterbild der Unterdrücktheit zu sein.

Ist es nicht seltsam, daß ich nach dem, was ich vom Hasse der Körperschaften, von der Pflichtvergessenheit der Beamten gelitten habe, noch genötigt bin, mich bezüglich eines derartigen Falles zu rechtfertigen und Rechenschaft zu geben von allen Seufzern, die die innere Empörung mir auspressen, von allen Zuckungen, die der Schmerz bei mir hervorrufen konnte? Ich muß mich indessen wohl oder übel zu dieser Aufzählung entschließen, einmal, weil sie notwendig ist, und sodann, weil sie die ganze Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit der Umtriebe, deren Opfer ich war, vollends enthüllen wird.

Die einzige diesbezügliche Beschwerde, von der man mir Mitteilung gemacht hat, und die mir als die alleinige Ursache meiner Haft dargestellt wurde, bezog sich auf einen Brief an den Herrn Marschall de Duras. Ich will diesen Brief nicht rechtfertigen, die Erörterung darüber würde sehr zwecklos sein, aber es war ein Privatbrief, der nur den Privatmann betraf, ein provozierter und sogar notwendig gemachter Brief, und zwar notwendig gemacht durch ein Benehmen, das tadelnswerter war als meine Heftigkeit, ein geheimgehaltener Brief, den ich nie jemand gezeigt habe, ein Brief, den geschrieben zu haben ich niemals leugnete, weil ich nicht zu lügen verstehe, dessen Empfang aber Herr de Duras immer abgeleugnet hat, wenigstens dem Publikum gegenüber, ein Brief, über den er sich nicht beklagt zu haben behauptet und sich in der That so wenig beklagt hat, daß man mir trotz meines Ansuchens niemals das Original desselben vorzuzeigen vermochte, der also in keinem Falle die Grundlage eines gerichtlichen Verfahrens noch irgendwelcher Bestrafung werden konnte, ein Brief endlich, bezüglich dessen ich, als man mich fragte, ob ich ihn geschrieben hätte, eine Antwort erteilte, die den Haß hätte zum Erröten bringen und die Rache entwaffnen müssen (XVII). Näheres über diese Brief-Angelegenheit findet sich in Linguets Anmerkung XVIII.
D. Übers.

Wie dieser Brief aber auch beschaffen war, so liegt doch auf der Hand, daß nur das etwa dadurch erregte öffentliche Aufsehen ihn zu einem Verbrechen machen konnte, und er hat kein solches erregt. Wie er auch beschaffen war, und selbst wenn er mit ebensoviel Aufsehen in die Öffentlichkeit gekommen wäre, wie meine Verhaftung erregt hat, so war er doch kein Staatsverbrechen. Wie er auch beschaffen war, so hätte er doch sicherlich nicht zwanzig Monate Bastille und die ununterbrochene Fortdauer der grausamsten Behandlung gerechtfertigt, deren Schauplatz dieser Höllenraum je gewesen ist.

Ich fühle wohl, man wird begierig sein, dies verhängnisvolle und mysteriöse Schriftstück kennen zu lernen, und wenn ich nur dem Verlangen nach Rache gehorchte, so würde ich es veröffentlichen. Aber auch noch hier achte ich die Absichten des Königs: da mein Brief ihm mißfallen konnte, so gebe ich ihn preis. Ich opfere ihn dem Urteile, das er darüber gefällt hat, ohne dieser letzten Huldigung einen andern Wert beizumessen als die Genugthuung, sie geleistet zu haben (XVIII).

In den Büreaux des französischen Ministeriums befindet sich indessen noch ein anderes Schreiben, das vielleicht noch mehr als das vorerwähnte zu meinem Unglück beigetragen hat: dies dem Könige vorzulegen, hat man sich weislich gehütet, und in der That würde es mich vor allem bewahrt haben, wenn es ihm zu Gesichte gekommen wäre. Man hat mich nie daran erinnert, da ich aber nicht bezweifle, daß es in weit höherm Grade als das erste auf den Entschluß der Minister eingewirkt hat, und da es auf der Hand liegt, daß man, während man sich des ersten bediente, um das Gemüt des Königs zu erbittern, doch so rücksichtsvoll war, ihm das zweite zu verhehlen, das nur seine Minister erbittern und beunruhigen konnte, so halte ich es für meine Pflicht, dasselbe hier mitzuteilen.

Es ist einen Tag nach dem Briefe an den Herrn Marschall de Duras geschrieben und an den Polizei-Direktor Herrn Le Noir adressiert, durch dessen Hände die Annalen gingen, bevor sie in die der Verteiler gelangten.

Im März 1780 waren nämlich nacheinander die Nr. LIX und LX meiner Zeitschrift auf Ansuchen des Herrn de Duras und des Pariser Parlements angehalten worden. Die erste Unterdrückung hatte ich geduldig hingenommen, bei der zweiten schrieb ich, am 7. April 1780, jenen Brief an den Herrn Marschall de Duras, den er niemand sehen läßt und ich ebensowenig, und am folgenden Tage richtete ich an Herrn Le Noir nachstehendes Schreiben:

 

»Brüssel, am 8. April 1780.

Mein Herr,

Nachdem ich in meinem gestrigen Briefe meiner nur allzuberechtigten Entrüstung Ausdruck gegeben, will ich noch im Namen der Gerechtigkeit und der Vernunft einen Versuch machen, obschon ich zu meinem Schaden erfahren habe, wie wenig Macht diese in Frankreich der Intrigue und dem Ansehen gegenüber haben. Hier eine kurze Darlegung der Angelegenheit, die ich den Ministern zu unterbreiten bitte. Man wird nicht verfehlen, nach wie vor zu sagen, es sei das mein Hitzkopf, mir scheint indessen, es sind meine guten Gründe.

Ich kann nicht begreifen, daß der Herr Marschall de Duras noch mehr Aufsehen machen will. Ich gestehe, dem, was der Herr Graf Desgrée ihm gesagt hat, läßt sich nichts mehr hinzufügen, aber das Gesagte wiederholen und das Publikum darauf hinweisen, daß der Herr Marschall keine Genugthuung dafür erhalten hat, bedeutet auch etwas. Mich dünkt, an seiner Stelle müßte man vor allem jedes Aufsehen vermeiden: er ist aber im Begriffe, mehr Aufsehen zu machen als je in seinem Leben.

Wie dem aber auch sein mag, ich kann Ihnen nur wiederholen, was ich Ihnen schon mehrmals zu sagen die Ehre hatte, daß ich nämlich einen Widerwillen dagegen empfinde, von neuem den frühern Scherereien zu unterliegen, daß ich den dringenden Wunsch hege, dem nicht mehr ausgesetzt zu sein, daß ich aber auch den Mut besitze, ihnen Stand zu halten. Es wird mir mein Vermögen kosten, aber ich bin an Opfer gewöhnt.

Man hat in Paris den Vertrieb der Nr. LIX und LX meiner Annalen verboten: sie sind aber in England, in Holland, in Deutschland, in den Niederlanden veröffentlicht und verbreitet worden, und werden es in Frankreich selbst durch die Nachdrucker. In Paris nur die rechtmäßige Ausgabe mit Arrest belegen, während man alle übrigen duldet und begünstigt, heißt eine empörende Ungerechtigkeit begehen, die überdies völlig zwecklos ist: man wird dadurch die verbotenen Nummern nicht hindern, in Paris Eingang zu finden, man wird sie dadurch nur um so beachtenswerter, um so gesuchter, um so wertvoller machen, und das Aufsehen wird um so größer und anhaltender sein. Ich sehe nicht ein, was die Beteiligten dabei gewinnen. Der Vorteil lag darin, daß die in Frankreich erscheinenden Nachdrücke der Censur unterlagen und daher vielfach die anstößigen Stellen ausfallen ließen. Wie bereits in der Einleitung erwähnt ward, scheint die Berville-Barrièresche Ausgabe der Linguetschen Denkwürdigkeiten der Abdruck eines solchen Nachdrucks zu sein: es fehlen darin sämtliche Ausfälle gegen das schnöde Verfahren der französischen Polizei, das Linguet im ersten Abschnitte geißelt (und dementsprechend auch die Anmerkungen VIII-XII), und ebenso ist der ganze zweite Abschnitt durch Weglassungen um ein Drittel, der obige Brief selbst um ein Viertel verkürzt, so daß er in der gedachten Ausgabe z. B. die Stelle, die Anlaß zu dieser Bemerkung giebt, gar nicht enthält.
D. Übers.

Jene Nummern enthalten beinahe gar nichts Anstößiges. Die Nr. LIX könnte weit schärfer sein. Ich kann nicht annehmen, daß die Interessen des lächerlichen Neffen des Herrn de Leyrit an dieser Unterdrückung Anteil haben (XIX). Es handelt sich also nur darum, dem Herrn Marschall de Duras den Verdruß über eine unangenehme Betrachtung bezüglich seines Prozesses zu ersparen – findet sich dieselbe aber nur in dieser Nummer, oder vielmehr ist sie darin nicht, wenigstens zum Vorteile des Kommandierenden, gemildert worden?

Wenn zwei Männer, die durch ihren Namen und ihre Stellung berufen sind, ein Beispiel der Redlichkeit im Handeln und der Delikatesse im Reden zu geben, sich im Angesichte von ganz Europa gegenseitig mit ausdrücklichen Worten der Betrügerei und des Diebstahls beschuldigen, wenn sie sich an einen ordentlichen Gerichtshof wenden, um Genugthuung und Gerechtigkeit zu erhalten, wenn aber dieser Gerichtshof die Sache unentschieden läßt, so begeht er mindestens ein Amtsverbrechen, und vielleicht sogar zwei. Ist ein Schuldiger vorhanden, so ist es ein Skandal, daß er nicht bestraft wird, ist aber keiner vorhanden, so ist es ein noch weit ärgerer Skandal, daß der Urteilsspruch dem Verdachte eine größere Verbreitung giebt, anstatt ihn zu vernichten, und zwei Unschuldige entehrt, anstatt sie freizusprechen. Das ist alles, was ich gesagt habe: meine Bemerkung wendet sich gegen die Richter. Das Publikum ist nicht so nachsichtig: es bezeichnet den Schriftsteller de Castellan als den wirklichen Schuldigen, und die erbettelte Konfiskation der Nr. LIX wird ihn nicht wieder ehrlich machen.

Was die Nr. LX anlangt, so sind das Thatsachen. Die Scherereien der Parlemente, ihre innere Tyrannei, den Beistand, den alle ihre Mitglieder sich schuldig zu sein glauben und einander wirklich bei den Gelegenheiten leisten, wo sie sich am wenigsten erlauben dürften, ihren legalen Charakter mit ihren besondern Interessen zu vermengen, die Bestechlichkeit der Sekretäre, ihre Ränke, ihre Treulosigkeiten, ihre Gewohnheit, sich von beiden Parteien bezahlen zu lassen u. s. w. – das alles sind feststehende Thatsachen. Da die Obrigkeit diese Mißbräuche weder bestrafen noch abstellen will, so muß wenigstens die Gewißheit, daß man sie nicht der öffentlichen Verdammung entziehen kann, eine Art Zügel dafür bilden: es liegt das im Interesse der Regierung und sogar in dem der Körperschaften, die durch so viele Ausschreitungen der Verachtung preisgegeben werden.

So lange ich von England aus geschrieben habe, bin ich keiner Schikane ausgesetzt gewesen (XX), und ich habe dort weit stärkere Sachen geschrieben. Gemäß dem in England entworfenen, veröffentlichten und ausgeführten und in Frankreich wohlbekannten Plane aber sind die Verträge zwischen dem französischen Publikum, der französischen Post und mir abgeschlossen worden. Gemäß diesem Plane sind die Subskriptionen eröffnet und entgegengenommen, ist die Verteilung der Zeitschrift gestattet worden, und hat der König die Exemplare angenommen, die ich ihm unmittelbar zugehen ließ. Nie hat man es mir zur Bedingung gemacht, daß ich die schlechten Streiche der französischen Marschälle, falls einer deren beginge, oder die Amtsvergehen der Gerichtshöfe respektieren sollte. Man hat mir überhaupt keine Bedingung gestellt, und ich würde auch keine angenommen haben.

Ich habe es nie verstanden, mich irgend einer Censur zu unterwerfen. Im Gegenteil, ich habe zu wiederholten Malen öffentlich versichert und drucken lassen, daß ich nie einen andern Censor haben würde als mein eigenes Zartgefühl. Noch ist meinerseits kein Wort gefallen, das von diesem mißbilligt werden könnte. Woher also die Hindernisse, die man mir in den Weg zu legen trachtet?

Indem ich über das Meer setzte, habe ich den Ort gewechselt, aber nicht das Herz. Ich habe ohne Bedauern mein Vermögen zum Opfer gebracht, meine Unabhängigkeit aber und die Vorrechte, auf die ich infolge eines feierlichen Vertrages Anspruch zu machen habe, würde ich nicht zum Opfer bringen. Man kann mich für meine Liebe zu Frankreich, für mein Vertrauen zu dem französischen Ministerium, für meine unbedingte Hingebung an mein Vaterland bestrafen, man kann mich durch den Ekel zu dem Entschlusse bringen, das Schreiben aufzugeben, nie aber wird man mich dahin bringen, als Sklave zu schreiben. Von allen Entschädigungen, welche die französische Regierung mir schuldet, ist, wie mir scheint, die Freiheit meiner Feder die wenigst kostspielige und, wage ich zu behaupten, die nützlichste für sie.«

 

Das ist, wie ich nicht bezweifle und nie bezweifelt habe, obschon ich nie davon sprach, die wahre Ursache meines Unglücks, das hat das französische Ministerium bestimmt, die Gelegenheit zur Rache zu ergreifen. Bei der Erhabenheit und Lauterkeit meiner Handlungsweise, als ich England verließ, hatte es mir das erwähnte feierliche Versprechen nicht abschlagen können, und seitdem hatte es nicht einmal einen Vorwand finden können, um es zu verletzen.

Im übrigen schulde ich dem Andenken des Herrn Grafen de Maurepas die Gerechtigkeit: er war weder rachsüchtig noch unversöhnlich – einzig und allein mit der Erhaltung seiner Ruhe und seines Ansehns beschäftigt, suchte er keine andern Genüsse. Er ergötzte sich an dem, was die Annalen Heiteres brachten – um das Ernste kümmerte er sich kaum. Vielleicht fand er es sogar spaßhaft, daß es den Anschein hatte, als ob er mein Protektor wäre. Die nämlichen Züge zeigt das Charakterbild, das Boissy d'Anglas in seinem Essai sur la vie, les opinions et les écrits de M. de Malesherbes von Maurepas entworfen hat. »Herr de Maurepas,« heißt es dort (nach Berville-Barrière), »war mit einem sehr angenehmen und sehr pikanten Geiste begabt, es war aber mehr der Geist eines Mannes von Welt, als eines Staatsmannes ... Er war unter Ludwig XIV. und unter dem Regenten Minister gewesen und verbannt worden, weil er das Mißfallen der Frau von Pompadour erregt und den König durch einige rücksichtslose Reden verletzt hatte. Von Charakter war er oberflächlich, sorglos, unentschieden und vereinigte den Leichtsinn, ja die Unbesonnenheit eines Jünglings mit dem Egoismus und der Schwäche des Greises ... Bei keiner Sache entwickelte er Konsequenz und Beharrlichkeit, außer bei dem, was ihn persönlich anging, denn alsdann war er ebenso fest und ausdauernd wie nur irgend ein anderer. Das Interesse des Königs kümmerte ihn wenig und noch weniger das des Thrones; er hatte kein anderes Streben, als seinen Einfluß zu bewahren.« Dabei liebte er es, Geschäfte und Staatsangelegenheiten mit einem Bonmot abzufertigen und allem eine witzige Wendung zu geben. Eines Tages bemerkte Malesherbes, man müsse den König veranlassen, die Bastille in Augenschein zu nehmen. »Um Gotteswillen nicht!« rief Maurepas aus, »er würde keinen Menschen mehr hineinstecken wollen!« (Vgl. Chamfort, édit. Stahl, p. 167.)
D. Übers.

Seine Untergebenen dachten nicht so: die einen erinnerten sich noch des Briefes an den Herrn Grafen de Vergennes und der Porträts, die er enthält, die andern fürchteten den wenig politischen Freimut der Annalen. Spitzbuben scheuen die Laternen, sagte ein gescheiter Mann. Der Erfolg dieser Zeitschrift, die Einhelligkeit der ehrenhaftesten Stimmen zu ihren Gunsten, die Dienstfertigkeit aller, die sie nicht scheuten, d. h. aller Braven und Unparteiischen, legten jedoch dem bösen Willen Fesseln an.

Als man aber, um dem Greise seine Zustimmung zu entreißen, den Brief vom 8. April hatte, den man nur ihm zeigte, und den man ihm leicht als ein Drohschreiben hinstellen konnte, und als man überdies, um den jungen König gegen mich einzunehmen, den andern Brief vom 7. April hatte, den man ebenfalls nur ihm zeigte, samt allem, was man ohne Zweifel damit in Verbindung brachte, und was ebenfalls nur ihm gesagt wurde – da war es leicht, den Befehl zu erschleichen, an dessen Beschaffung man vielleicht schon verzweifelt hatte. Daß die Sachen wirklich auf diese Weise vor sich gegangen sind, läßt sich nicht bezweifeln, wenn man bedenkt, daß der Brief an Herrn Le Noir vom 8. April und die Lettre-de-cachet vom 16. desselben Monats datiert ist.

Dies Datum führt aber noch zu einer andern Folgerung: schon der bloße Gedanke daran bringt meine Hand zum Beben, und mit ebensoviel Abscheu wie Beklemmung lege ich sie hier dar.

Am 16. April 1780 befand ich mich gar nicht in Frankreich. Es stand völlig in meinem Belieben, nie wieder dahin zurückzukehren, und wenn nicht mein blinder Enthusiasmus für mein Vaterland, mein mehr wahnwitziges als blindes Vertrauen auf ein Versprechen französischer Minister in Verbindung mit zahllosen Verrätereien, wie man weiter unten sehen wird, mich vermocht hätten, Warnungen außer Acht zu lassen, die nur allzu zuverlässig waren, so würde ich nie dahin zurückgekehrt sein. Die Lettre-de-cachet wäre dann also nie zum Vollzug gekommen. Man schmiedete demnach diesen Donnerkeil aufs Gerathewohl und ohne zu wissen, ob er je seinen Zweck erfüllen würde. Das französische Ministerium hält also dergleichen Mordinstrumente in Reserve, es hat Magazine, in denen es diese Werkzeuge seiner Rache aufbewahrt, und es wartet, wie ein Jäger auf dem Anstande, ruhig ab, bis die Beute sich von selbst dem Streiche darbietet, den es derselben versetzen will.

Noch mehr: es ahmt das Verfahren des Jägers in seinen Vorbereitungen wie in der Sache selbst nach. Zwanzig Verrätereien, von denen die eine immer noch niederträchtiger war als die andere, wurden nach und nach auf einander gehäuft, um mir die Falle zu verbergen, die man mir gestellt hatte. Ist nicht schon die bloße Wiedergestattung des Vertriebs der Annalen unmittelbar nach dem 16. April eine solche Verräterei der verbrecherischsten Art?

Wie! man fuhr fort, unter dem Schutze der königlichen Autorität eine Zeitschrift im Publikum zu verbreiten, deren Verfasser im geheimen geächtet und von den Ministern dem Schimpfe und der strengen Behandlung geweiht war, die den Feinden des Königs und des Staates vorbehalten ist! Man fuhr fort, sie für den König in Empfang zu nehmen, man ließ sie ihm zukommen, man stellte sich, als billige man die Äußerungen der Befriedigung, mit denen er sie zu beehren fortfuhr, und sorgte dafür, daß ich davon in Kenntnis gesetzt wurde!

Die nämliche Mittelsperson, durch welche die Nachrichten von einer so schmeichelhaften Beistimmung zu mir gelangten, wurde gebraucht, um mich nach Paris zu locken. Der als Freund maskierte Spion, den die Polizei seit fünf Jahren auf meine Kosten unterhielt, um meine Geheimnisse zu erforschen, hörte seit der Mitteilung, daß ich von jenem Geheimnis unterrichtet wäre, nicht auf, den Schrecken, den mir dasselbe einflößte, durch die Erwägung zu bekämpfen, daß man doch den Annalen die Freiheit nicht zurückgegeben haben würde, wenn man sie dem Verfasser hätte nehmen wollen, und daß ich ohne Besorgnis nach Frankreich kommen könnte, da meine Schriften in Versailles so gut aufgenommen würden. Man benutzte also einen geheiligten Namen, um das Gelingen einer Ungerechtigkeit zu erleichtern, deren Werkzeug dieser selbe Name sein sollte!

Jene Ungerechtigkeit kam erst nach sechs Monaten zum Vollzug – aber noch nach sechs, nach zwanzig Jahren würde die Lettre-de-cachet, durch welche sie befohlen ward, dieselbe Wirksamkeit gehabt haben. Ich war also für den ganzen übrigen Teil meines Lebens bestimmt, zu irgend einer Zeit den Stoß mit diesem Dolche zu erfahren, und wenn ich im höchsten Greisenalter, mit Widerwärtigkeiten überhäuft und von Arbeiten erschöpft, von meinem Vaterlande als Lohn für so viele Anstrengungen und Opfer die Erlaubnis gefordert hätte, dort in Ruhe sterben zu dürfen, so würde ich, um es zu betreten, keine andere Pforte gefunden haben als die Bastille und kein ander Grab als deren Verließe!

Großer Gott, welchen Namen soll man nach diesen Betrachtungen der Lettre-de-cachet vom 16. April 1780 geben! Wie soll man diesen Eifer, sie zustande zu bringen, und die Geduld bezeichnen, die man entwickelte, als es den rechten Augenblick zu ihrer Benutzung zu erwarten galt! Es ist zur Genüge bekannt, welcher Mißbrauch unter der Regierung der letzten drei Ludwige mit den Lettre-de-cachet getrieben wurde. Man höre noch, was Boissy d'Anglas in dem schon erwähnten Essai über Malesherbes von dem Treiben des Vorgängers dieses Ministers, des Herrn de Saint-Florentin, Herzogs von La Brillière, berichtet. »Herr de Saint-Florentin,« erzählt Boissy d'Anglas, »besorgte die Kontrollierung und Verteilung der Lettre-de-cachet, und die Einbildungskraft erschrickt, wenn sie die ungeheure Anzahl der von diesem Minister ausgefertigten Haftbefehle erwägt. Er verteilte dieselben zu Tausenden: es gab keinen höhern Beamten, keinen Provinzial-Kommandanten, keinen Bischof, keinen Intendanten, der nicht so viel bis auf die Unterschrift unausgefüllte Lettre-de-cachet empfing, wie er nur wollte, so daß er nur über ihre Verwendung zu bestimmen brauchte. Man hat behauptet, es seien während der Dauer dieses Ministeriums mehr als fünfzigtausend von diesen Haftbefehlen ausgegeben worden: diese Zahl scheint auf den ersten Blick übertrieben, bedenkt man aber, mit welcher Leichtfertigkeit sie bewilligt wurden, und daß man sich nicht schämte, einen schmählichen Handel damit zu treiben, so darf man annehmen, daß jene Zahl nicht zu hoch gegriffen ist, da sie jährlich nur tausend Lettre-de-cachet für das ganze Gebiet des Königreichs ausmacht, und da bei dem Systeme, das man befolgte, die Willkür ihre zahlreichen Opfer sogar in den dunkelsten und niedrigsten Schichten der Gesellschaft suchte.«
D. Übers.

Und nun bedenke man, daß eine auf diese Weise begründete, vorbereitete und vollzogene Haft beinahe zwei Jahre gedauert hat, daß sie meinem Vermögen und meiner Gesundheit einen beinahe unersetzlichen Schaden zugefügt hat, und daß, wenn mein absoluter Ruin in bürgerlicher Hinsicht und meine völlige Vernichtung in physischer Beziehung nicht die Folge gewesen sind, ich dies nur einer besondern Gunst der Vorsehung verdanke, die, da sie mich augenscheinlich zu dem Amte prädestinierte, das ich in diesem Augenblicke versehe, nämlich die Schrecken der Bastille an die Öffentlichkeit zu bringen, mich mit einer besondern Organisation ausgerüstet hat, um dieselben zu ertragen.

Hätte man dem Herrn Marschall de Duras eine so vollständige Genugthuung schuldig zu sein geglaubt, so könnte man nicht umhin, das zu wiederholen, was einer der berühmtesten Souveräne Europas Jedenfalls Friedrich II. von Preußen.
D. Übers.
bei dieser Gelegenheit bemerkte: » Dieser Herr de Duras ist also ein sehr großer Herr

Beispiele sind bei diesem Gegenstande von keiner Bedeutung: bei einer Sache, wo alles Laune und Despotismus ist, sind Autoritäten und Vergleiche durchaus unnütz. Dennoch kann ich nicht umhin, hier einen Vergleich aufzustellen.

Zur zahllosen Menge der Einkerkerungen, die eine Genugthuung, welche man Personen von Macht und Bedeutung schuldig war, zum Gegenstande hatten, kann auch die Gefangensetzung La Beaumelles gerechnet werden. Dieser mehr als indiskrete Schriftsteller hatte in seinen Denkwürdigkeiten der Frau von Maintenon den Satz anzubringen gewagt: » Der Wiener Hof, der seit langem beschuldigt wird, stets Giftmischer in seinem Solde zu haben« ... Diese Beleidigung war gewiß schwer und öffentlich: die Strafe konnte, ohne ungerecht zu werden, streng und die Genugthuung eine glänzende sein.

Dessenungeachtet schienen fünf Monate Bastille hinreichend. La Beaumelle fand sogar einen wirksamen Schutz in der Großmut des Hofes, den er beleidigt hatte. Er wurde auf Ansuchen desselben freigelassen und nicht verbannt. Hier befindet sich Linguet im Irrtum!: Anglivie de La Beaumelle wurde zweimal in die Bastille gesteckt, das erste Mal i. J. 1753 wegen einer mit satirischen Noten verbrämten Ausgabe von Voltaires Siècle de Louis XIV., das andere Mal i. J. 1756 aus dem oben von Linguet mitgeteilten Grunde. Die erste Haft dauerte allerdings nur fünf Monate, die zweite aber, von der doch Linguet spricht, länger als dreizehn Monate, und beide Male folgte der Freilassung ein Verbannungsdekret. Das Nähere s. im Anhang unter Q.
D. Übers.

Ein so tüchtiger Kriegsmann, guter Litterat, geistreicher Erzähler und wirklicher Akademiker der Herr Marschall de Duras auch ist – trotz all dieser Titel erscheint es nicht wahrscheinlich, daß er ganz allein von dem französischen Ministerium für wichtiger geschätzt worden sei als das ganze österreichische Kaiserhaus. Für wie heftig man auch meine sechs unbekannten Zeilen an den Herrn Marschall de Duras halten will, so ist doch nicht denkbar, daß sie mit der öffentlichen und ebenso bittern wie falschen Anschuldigung in dem Romane verglichen werden können, von dem oben die Rede war.

Wenn daher der Herr Marschall de Duras sich auch zum Strohmann für die Lettre-de-cachet gegen mich bei deren Erzeugung hergegeben hat, so ist doch klar, daß ich ihm nicht die Dauer meiner Haft zur Last legen darf: er würde ein so langwieriges Opfer weder verlangt, noch würde man es ihm angeboten haben (XXI).

An jener Rücksichtslosigkeit oder vielmehr Böswilligkeit, die für mich überall Verbrechen und für das französische Ministerium überall Entschuldigungen suchte, hat es auch nicht gelegen, wenn nicht der Glaube entstand, dies Opfer sei von einer etwas imposantern irdischen Gottheit gefordert worden. Man hat sich nicht darauf beschränkt, gelegentlich meines Falls nur den Namen eines einzigen Souveräns zu kompromittieren, sondern nachdem man mein angebliches Verhältnis zu dem einen für den Grund der Frevelthat vom 27. September 1780 ausgegeben hatte, suchte man noch einen zweiten zum unmittelbaren Spießgesellen zu machen. Man sprengte nämlich aus, meine Gefangensetzung sei auf dringendes Verlangen Sr. preußischen Majestät erfolgt. Es verbreitete sich das noch heute bestehende Gerücht, gereizt durch die Epistel an Herrn d'Alembert S. Annales politiques etc., Band VII, p. 79.
Linguet.
und durch die Einzelheiten, die ich gelegentlich der berühmten Geschichte mit dem Müller von Sanssouci veröffentlichen zu müssen glaubte Ibid., p. 4. ff.
Linguet.
und noch mehr angestachelt durch das Drängen der kleinen Pariser Platone, D. h. der Encyklopädisten. Vgl. die Einleitung, S. 12-15. 22-24.
D. Übers.
hätte dieser Monarch in Versailles meine Einsperrung gefordert, das französische Ministerium aber hätte einem Philosophen von solcher Bedeutung diese Gefälligkeit nicht abzuschlagen vermocht, und die Pforten meines Kerkers hätten sich nicht ohne Zustimmung dessen öffnen können, auf dessen Befehl sie sich geschlossen hatten.

Aber ist es wahrscheinlich, daß ein Gesetzgeber, der sich im eigenen Lande so gerecht und wohlwollend zeigt, sich so weit erniedrigt, für seine Rechnung vom Auslande eine Ungerechtigkeit, eine Bedrückung zu fordern? Ist es wahrscheinlich, daß er, nachdem er erst vor kurzem dem Verfasser der Annalen die Ehre angethan hatte, sich der Ausdrücke desselben sogar in einem seiner Gesetze zu bedienen, S. Bd. IX. der Annales politiques, p. 434.
Linguet.
sich nun eine Willkür dieser Art gegen den nämlichen Schriftsteller gestattet habe, der ihn nie beleidigt hatte? Ist es überdies wahrscheinlich, daß Versailles dem Berliner Hofe eine so grausame Huldigung schuldig zu sein geglaubt und daß man es gewagt hat, dem König von Frankreich den Vorschlag zu machen, er solle sich zum Vollstrecker der Rache des Königs von Preußen hergeben?

Bei Preßvergehen, die, wie z. B. das oben erwähnte Vergehen La Beaumelles, darauf hinauslaufen, die Ehre einer Krone zu besudeln, werden die Fürsten ohne Zweifel einander die Hand reichen, um sie zu unterdrücken, wenn sie auch kein persönliches Interesse daran haben. In allen andern Fällen aber treiben sie die gegenseitige Eifersucht auf ihre Macht so weit, daß sie, und bisweilen zum Schaden der allgemeinen Ordnung, sogar die Schuldigen schützen: wie kann man also den Verdacht hegen, daß sie sich zur Ächtung eines Unschuldigen verbunden haben sollten?

Was aber endlich den König von Preußen vollends rechtfertigt und beweist, daß ich nicht der Kallisthenes des Alexanders des Nordens gewesen bin, das ist das Datum der Lettre-de-cachet, um die es sich hier handelt. Der 16. April 1780 liegt weit vor dem Zeitpunkte der Vergehen, mit denen man jenen Haftbefehl in Verbindung bringen möchte. Es leuchtet demnach ein, daß dieser Fürst seinen philosophischen Wandel nicht durch die mit solchem Eifer betriebene Verfolgung eines Schriftstellers befleckt hat, der allerdings seine Gunst nicht suchte, dem er aber sicher seine Achtung nicht hat versagen können.

Die Einzelheiten der Behandlung, die ich erlitten habe, sowie die Länge meiner Haft sind ebenfalls Beweise, daß er keinen Anteil daran gehabt hat. Wäre er der Urheber derselben gewesen – würde da nicht der Verlust der Freiheit ihm als eine hinreichende Genugthuung erschienen sein? Würde er von den französischen Ministern jene raffinierten Spitzfindigkeiten der Rache verlangt haben, von denen unten die Rede sein wird, oder würden diese ihn in solchem Grade verkannt und verunglimpft haben, daß sie sich ein Verdienst aus diesem Verfahren bei ihm machen zu können gemeint hätten? Würde nicht, anstatt eine Verlängerung meiner Trübsal zu befürworten, seine Großmut ihn vielmehr angetrieben haben, dem Beispiele des Wiener Hofes gegen La Beaumelle zu folgen? Würde er gegen einen Franzosen in der Bastille eine Strenge vorgeschrieben haben, die keiner seiner wirklich schuldigen Unterthanen in Spandau zu fürchten hätte?

Es ist gewiß seltsam, daß der Name zweier so großer Fürsten sich auf diese Weise mit dem Unglück eines einfache Privatmannes verknüpft findet, eines Mannes, dem vielleicht von allen, die sich literarisch beschäftigen, seine persönliche Anspruchslosigkeit, seine Abneigung gegen alles Aufsehen, sein Widerwille gegen jede Art von Ränken und Umtrieben, seine Gleichgiltigkeit gegen äußeres Glück und alle Ziele des Ehrgeizes am ehesten die Gefahren hätten ersparen müssen, die mit der Ehre, den Fürsten bekannt zu sein, verknüpft sind; aber schließlich liegt es auch klar auf der Hand, daß keiner von den beiden Souveränen, die hier in Rede stehen, zu meinem Unglück hat beitragen können. Meine Haft hat hinsichtlich ihres Ursprungs wie hinsichtlich ihrer Dauer ebensowenig angeblich von Berlin ausgegangene Ansuchen wie angeblich nach Wien gelieferte Berichte zur Ursache gehabt.

Was war denn nun aber das Ziel und das Motiv für diese lange Dauer meiner Gefangenschaft? Das hat man mir nicht verhehlt: es ist dies die einzige Eröffnung, die man mir je in der Bastille gemacht hat, die einzige Antwort, die ich je auf meine Bitten erhalten habe.

Schon nach vierzehn Tagen erklärte man mir frei und offen, es handle sich nicht mehr um Herrn de Duras. – »Aber um was handelt es sich dann?« – »O, sie fürchten, daß Sie sich zu rächen suchen werden. Die Thüren würden Ihnen sofort offen stehen, wenn sie sicher wären, daß Sie sich ruhig verhielten« – denn wenn man von den Göttern dieses Tartarus, d. h. den Ministern sprach, bediente man sich mir gegenüber immer nur des Sammelwortes SIE. Eben dies hat man mir zwanzig Monate lang unaufhörlich wiederholt, und das Publikum wußte es wohl, ohne daß man es davon in Kenntnis setzte.

Man denke sich in meine Lage und erwäge, mit welchem Schrecken, mit welcher niederdrückenden Empörung dies feige Geständnis mich erfüllen mußte. Also ein künftiger und ungewisser Ausbruch meines Grolls bestimmte meine gegenwärtige Sklaverei! Nachdem man mich einem unbilligen Rachegelüst zum Opfer gebracht hatte, verewigte man die Folgen desselben nur der Ruhe meiner Unterdrücker wegen! Ihrem politischen Ritual gemäß sollte ich Gefangener bleiben, so lange ich zu fürchten wäre, d. h. so lange mein Charakter nicht verächtlich geworden oder meine Organe nicht zerrüttet oder wenigstens meine schwachen Talente nicht durch die Kälte des Alters und die Krämpfe der Verzweiflung zerstört wären.

Welch unbegreifliches Geschick! Als es sich darum handelte, mich einem Trupp von Mördern im Amtsgewande zu Gefallen meines Berufs zu berauben, hatte ein Staatsanwalt, einer ihrer Spießgesellen, sich nicht gescheut, vor versammeltem Gerichtshofe in öffentlicher Sitzung zu behaupten, man könne mich nicht in meiner Stellung belassen der Unruhen wegen, die ich unfehlbar eines Tages in irgend einem Stande erregen würde, Vgl. den Appel à la postérité, p. 35.
Linguet.
und hier, wo es sich um meine Person handelte, überlieferte man mich kaltblütig einer ewigen Sklaverei in Erwägung des Grolls, den ich unfehlbar eines Tages empfinden würde!

In der Wirklichkeit war ich also immer friedlich, in der Vorstellung aber furchtbar, in der Gegenwart immer schuldlos, in der Zukunft aber strafbar, und so strafte man mich denn für das Zukünftige! Immer haben meine Feinde ihre schnöden Unbilligkeiten nur durch eine noch unbilligere Voraussicht zu entschuldigen vermocht! Immer führten sie als Motiv für ihre gegenwärtigen Ungerechtigkeiten meinen unfehlbaren Groll über die frühern Ungerechtigkeiten an! Nie hat man erproben wollen, ob nicht diese von stupider Furcht oder gewandtem Hasse diktierten Prophezeiungen der Begründung entbehrten!

Hier war ohne Zweifel die beste Gelegenheit dazu. Das reine und mitleidige Gemüt des Königs war durch die Erinnerung an meine Trübsal bewegt worden. Als die Intrigue sich beeiferte, seinen Rechtssinn zu verblenden, und die Verleumdung sich abmühte, ihn irre zu führen, hatte er mich geschützt, für mich gesprochen: er hatte gefühlt, daß die Strafe für die Vergehen, deren er mich damals schuldig glaubte, keine ewige sein dürfe. Vielleicht hatte ihm auch eine geheime Ahnung von meiner Unschuld schon vorher den Eifer seiner Ratgeber verdächtig gemacht, und trotz ihrer Bemühungen sprach er das allmächtige Surge et ambula, das meinem Unglück ein Ziel setzte.

War dies nun nicht der geeignete Augenblick, wenn in Ermanglung der Gerechtigkeit wenigstens Vernunft und umsichtige Klugheit etwas über die Minister vermocht hätten, um den Versuch zu wagen, was die Nachsicht über mich vermöchte, über dies unzähmbare Gemüt, dessen Verirrungen sie nach ihrer Behauptung mit soviel Nachdruck zu bestrafen gezwungen gewesen waren? Unaufhörlich habe ich dies in der tausend und einen Eingabe wiederholt, die ich aus der Tiefe der Bastille hervorseufzte. Ich kannte mein Vaterland nur erst von seiner strengen Seite und hatte es angebetet: wie groß würde nun meine Verehrung in dem Augenblicke gewesen sein, wo man ihm mit Hintenansetzung eines ungerechten Vorurteils und grausamer Launen erlaubt hätte, mir die Arme entgegenzubreiten, wo ich mich diesem Gefühle, das seine Härte nicht verwandelt hatte, das der Dankbarkeit für eine erste Wohlthat Dieser Ausdruck heischt eine Erläuterung, die ich nicht unter die Noten verweisen kann: es ist von zu großer Wichtigkeit für mich, daß man ihn nicht aus den Augen verliere.
Unter den zahllosen Widersinnigkeiten und Lügen, zu deren Gegenstand mich, wie das in der Regel zu geschehen pflegt, mein Unglück gemacht hat, befindet sich eine, die ich nicht mit Verachtung strafen darf: man hat nämlich gesagt, geschrieben und gedruckt, das französische Ministerium hätte um so größere Rechte auf mich, da ich von demselben ein Jahrgehalt von zweitausend Thalern bezöge.
Ich sehe mich zu der Erklärung genötigt, daß mir nie eine schamlosere Lüge vorgekommen ist. Es ist unbegreiflich, daß man dieselbe noch nach dem 27. September 1780 vorzubringen gewagt hat, nachdem ich doch im August desselben Jahres, in der Nr. LXIX der Annalen, S. 296, ausdrücklich erklärt hatte: »Es giebt nur einen einzigen (König in Europa), dem gegenüber Achtung, Anhänglichkeit und Treue Pflichten für mich sind, nur einen einzigen, von dem ich ohne Erröten und ohne Bedenken Wohlthaten hätte annehmen können. Von diesem aber habe ich immer nur Gerechtigkeit gefordert, und werde nie etwas anderes von ihm fordern.«
Es handelt sich hier nicht darum, welche Antwort mir auf diese Forderung zu Teil geworden ist: jedenfalls ist klar, daß der Mann, der öffentlich in einem gedruckten Werke eine solche Sprache führte, nicht bejahrhaltet war.
Die einzigen Aufmerksamkeiten, die mir in meinem Leben vom französischen Ministerium zu Teil wurden, sind drei Lettres-de-cachet: die eine schickte mich in die Bastille, die beiden andern ins Exil, und die erste von diesen beiden letztern war die Strafe dafür, daß ich als Advokat Herrn de Bellegarde verteidigt hatte, der damals feierlich als schuldig verurteilt und drei Jahre später feierlich für unschuldig erkannt ward.
Die übrigen Prozesse, die ich teils als Rechtsgelehrter, teils als einfacher Schriftsteller führte, haben mir keine so schmeichelhafte Auszeichnung eingetragen: es giebt jedoch nicht einen, dessen Erfolg mir nicht durch die Undankbarkeit der Klienten, die ich rettete, durch die Pflichtvergessenheit der Gerichtshöfe, die ich zum Gerechtsein zwang, und durch die Dummheit oder Bestechlichkeit der Beamten, die ich entlarvte, vergällt worden wäre. Es liegt keine Selbstüberhebung darin, wenn ich behaupte, die Advokatur und die Litteratur haben keinen Mann hervorgebracht, dessen Leben mit unglaublichern Vorfällen dieser Art durchflochten wäre, von der Verteidigung des Herrn Herzogs von Aiguillon an bis zu meinen Betrachtungen über die Verteidigung des Herrn de Lally.
Sollte man mich der Selbstüberhebung beschuldigen und den alten Vorwurf des Egoismus von neuem gegen mich erheben, so wage ich noch mehr zu behaupten: es hat nie einen Schriftsteller gegeben, dessen Eifer reiner, dessen Seele allen Umtrieben wie allen persönlichen Rücksichten weniger zugänglich und dessen schwache Talente ausschließlicher der Verteidigung des Rechts und der Aufdeckung der Wahrheit geweiht waren – das erhellt aus den Früchten, die ich davon geerntet habe.
Da ich hier die durch die Verteidigung des Herrn de Bellegarde veranlaßte Verbannung erwähnt habe, so muß ich bei dieser Gelegenheit dem Edelsinns des Herrn Marschalls de Biron meine Huldigung darbringen. Er war Vorsitzender des Kriegsrats, den die Lettre-de-cachet zu rächen schien, sparte aber keine Mühe, die Rücknahme derselben zu beschleunigen, und bei meiner Rückkehr war es der ehrenvolle und schmeichelhafte Empfang von seiner Seite, der Balsam auf meine Wunde goß:
Des chevaliers français tel est le caractère.
(Das ist die Denkungsart französ'scher Ritterschaft.)
Augenscheinlich aber ist es nicht die Denkungsart der Ritter von der Feder und der Marschälle der Akademie.
Linguet.
hätte verbinden können, wo ich nach Wiedereintritt in alle Rechte der übrigen Familie mir hätte sagen können: Bedauerliche Vorurteile haben dir geschadet – nun gut, bemühe dich, sie zu zerstören; man hat dir Heftigkeit und Ungestüm zum Vorwurf gemacht – sei bis zum äußersten sanftmütig und geduldig, suche die Befürchtungen zu zerstreuen, den Haß zu entwaffnen, jeden Vorwand zur Besorgnis zu entfernen.

Als ich mein Grab verließ, war es meine erste Regung, diese Gefühle zu bethätigen. Als ein neuer Lazarus des Schweißtuches ledig, das zwanzig Monate lang alle Bewegungen meines Mundes und meines Herzens erstickt hatte, gab ich offen meine Empfänglichkeit für sanftere Eindrücke, gab ich Friedensliebe und Dankbarkeit zu erkennen: fünf ganze Wochen lang streckte ich unablässig diesen ebenso unversöhnlichen wie feigen Despoten die Hände entgegen, die noch wund waren vom Druck der Ketten, mit denen sie mich so lange belastet hatten. Ich verlangte von ihnen nur die Gnade, man möchte mich auf die Probe stellen, und konnte sie nicht erlangen! sie wagten nicht zu glauben, daß meine Worte aufrichtig gemeint seien! In ihrer Unfähigkeit, mein Gemüt richtig zu beurteilen, hielten sie ihre Lettres-de-cachet für einen zuverlässigern Zügel als mein Ehrgefühl, und nun der Genuß einer fortan unantastbaren Freiheit mich kaumhin über den Preis tröstet, zu dem ich sie erkauft habe, preisen sie vielleicht ihre Weisheit, die sie erraten ließ, welchen Gebrauch ich unfehlbar davon machen würde.

Doch lassen wir diese Rückblicke und diese Klagen, die keinen Zweck mehr haben: da mir nicht gestattet ward, die französischen Minister von meiner Fügsamkeit zu überzeugen, so laßt uns wenigstens die Fähigkeit benutzen, in deren Besitz sie mich zwangsweise gesetzt haben, die Fähigkeit, den Augen des Publikums ihre Ungerechtigkeiten bloßzustellen und ihre Barbareien zu enthüllen. Die erstern sind bereits hinlänglich festgestellt: gehen wir nun auf die Einzelheiten der letztern ein, und wenn ein Leser sich bei der Lektüre dieser Denkwürdigkeiten zu der Bemerkung versucht fühlt, nie sei eine Unterdrückung mit soviel Nachdruck an den Pranger gestellt worden, so laßt uns ihn zu dem Geständnis nötigen, daß auch nie eine grausamere stattgefunden hat.

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