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FF.
Die Prozesse Saint-Vincent, Rogé und Le Bel.

Im Jahre 1774 wurden dem Marschall de Richelieu eine Anzahl Wechsel über eine Gesammtsumme von 100 000 Thalern präsentiert, die er einer Dame als Gegenleistung für gewisse Gefälligkeiten ausgestellt haben sollte. Der Marschall bestritt die Ächtheit seiner Unterschrift und klagte Frau von Saint-Vincent, die Inhaberin jener Papiere, der Fälschung an. Diese Dame wurde daraufhin mit ihrer Dienerin und dem Sieur de Bennavent, dem angeblichen Nachahmer der Unterschrift des Marschalls, am 25. Juli 1774 in die Bastille geführt. Allerdings wurde sie bereits am 30. desselben Monats wieder entlassen, aber man gab ihr einen Wächter bei, der sie beständig begleiten sollte. Der Prozeß nahm inzwischen seinen Fortgang. Von beiden Seiten wurden höchst interessante Denkschriften und Rechtsgutachten veröffentlicht, man klagte einander der Zeugenbestechung an und brachte allerliebste Skandal-Anekdoten aufs Tapet – kurzum, das Interesse und die Spannung des Publikums wurden auf jede Weise erregt und genährt. Bei der Confrontation, die zwischen den beiden Parteien vor Gericht stattfand, bemerkte der Marschall: »Aber, Madame, fassen Sie doch nur Ihre Gestalt ins Auge! Ich bitte Sie, bezahlt man dergleichen mit einer so exorbitanten Summe?« – »So eingebildet bin ich nicht,« gab die Dame zurück, »aber betrachten Sie auch die Ihre, Herr Marschall, und sagen Sie, ob eine geringere Summe im Stande sein würde, sie erträglich zu machen.« Die Sache kam erst 1777 zum Austrag und Abschluß: die Wechsel wurden für gefälscht erklärt, Frau von Saint-Vincent aber wegen unzulänglicher Beweise von der Instanz entbunden und das Verfahren gegen sie auf diese Weise niedergeschlagen. Berville-Barrière p. 225.

Nicht geringeres Aufsehen erregte der Prozeß gegen Marie Rogé, geborene Piery, die Frau eines Töpfers in Lyon. In den dürftigsten Verhältnissen geboren, hatte diese Tochter eines Lyoner Weinschenks als Kind auf den Straßen Backwerk verkauft, war dann mit dreizehn Jahren als Ladenjungfer in ein Modewarengeschäft eingetreten, hatte sich während der Dauer dieser Stellung unter den Wüstlingen Lyons einen gewissen Ruf erworben und endlich im Jahre 1749 den Töpfer Pierre Rogé geheiratet. Im Jahre 1770 kam sie eines Prozesses wegen nach Paris. Dort erneuerte sie ihre Bekanntschaft mit dem Sieur Parent, der früher Direktor der Handelskammer zu Lyon gewesen war, und wußte diesen Beamten dahin zu bringen, daß er sie ohne jede Bürgschaft von ihrer Seite bei mehreren bedeutenden Landankäufen als Strohmann gebrauchte. Da die nichts weniger als glänzenden Vermögensverhältnisse der Eheleute Rogé bekannt waren, so erregte der Ankauf des Terrains des ehemaligen Jesuitenklosters St. Joseph zu Lyon seitens der Frau Rogé die Aufmerksamkeit der Polizei. Man glaubte in ihr eine geheime Agentin der Jesuiten erwischt zu haben und setzte sie am 16. Februar 1777 in die Bastille, aus der sie jedoch auf die Erklärung Parents hin, daß er das Geld zu jenem Ankaufe hergegeben habe, schon am 21. desselben Monats wieder entlassen wurde. Diese kurze Haft war indessen nur das Vorspiel des eigentlichen Prozesses. Im Oktober 1778 mußte Parent seine Zahlungen einstellen. Im Haben seines Contos führte er eine Forderung an die Frau Rogé im Betrage von 900 000 Livres auf. Die Schenkwirtstochter, die ehemalige Dame der Halbwelt von Lyon besaß jetzt ein prächtiges Hotel in Paris, hatte eine Equipage, hielt sich Diener und lebte auf großem Fuße, ohne die eigentliche Herkunft ihres großartigen Vermögens nachweisen zu können. Sie bestritt aber auf das Entschiedenste, dem Sieur Parent auch nur einen Heller schuldig zu sein. Man steckte nun die beiden Parteien am 19. Dezember 1778 in die Bastille, aber trotz aller Nachforschungen gelang es nicht, Beweise für den ohne Zweifel von Seiten der Rogé verübten Betrug zu beschaffen. Sie wurde daher am 14. Juni 1779 wieder in Freiheit gesetzt, der bedauernswerte Parent aber, um ihn den Verfolgungen seiner Gläubiger zu entziehen, auf Betreiben seiner Familie als unzurechnungsfähig nach Charenton geschafft, wo er Mitte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhundert starb. Charpentier IV, 138-142; V, 119-131.

Minder pikant, aber in seinem Verlaufe von höchstem Interesse für das Publikum war der Prozeß gegen Le Bel. Antoine Le Bel war erster Sekretär des Ober-Intendanten des Grafen d'Artois, Radix de Sainte-Foix. Als nun Ende 1778 der junge Prinz in Folge seiner Verschwendung und der liederlichen Verwaltung seiner Angelegenheiten vor dem Bankerotte stand, glaubten die eigentlichen Urheber der drohenden Katastrophe, Bastard, der Kanzler des Hauses d'Artois, und der Intendant Sainte-Foix, sich nicht besser rechtfertigen zu können, als indem sie Le Bel der Fälschung und der Unterschlagung beschuldigten. Der unglückliche Sekretär wurde daher in der Nacht vom 15. zum 16. Dezember 1778 in die Bastille geführt und der Prozeß gegen ihn anhängig gemacht, in dessen Verlaufe er am 30. April 1779 nach der Conciergerie gebracht ward. Um sich zu rechtfertigen, konnte Le Bel nicht umhin, seine Vorgesetzten anzuschuldigen und die Unterschleife Bastards und Sainte-Foix's aufzudecken. Dies gelang ihm so vollständig, daß er zwar nicht freigesprochen, weil sonst der Graf d'Artois ihm Schadenersatz hätte leisten müssen, aber doch von der Anklage entbunden wurde, während das Parlament sich anschickte, gegen Bastard und Sainte-Foix das Verfahren einzuleiten. Der erstere, dem seine Ehre doch lieber war als sein Leben, entzog sich dem Prozesse durch den Tod, indem er sich im Januar 1781 vergiftete; Sainte-Foix dagegen gab seine Ehre dran und erschien knieend vor dem Gerichtshofe, um den Gnadenbrief des Königs zu überreichen, der das Verfahren gegen ihn niederschlug. Der Prozeß endete erst am 30. Juli 1781 mit der Freilassung Le Bels. Charpentier V, 101-119.

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