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Das nachstehende Bruchstück aus den Denkwürdigkeiten der Frau von Staal schließt sich unmittelbar an das an, welches wir auf S. 295-298 mitgeteilt haben. Gouverneur der Bastille war damals Jourdain de Launay, Kommandant der Herr de Maisonrouge, »ein gutherziger und freimütiger Soldat voll natürlicher Tugenden, denen ein wenig Barschheit und Unbeholfenheit beigemischt war, ohne sie zu verunstalten.« Dieser Offizier interessierte sich für Frau von Staal, damals noch Fräulein Delaunay, und suchte ihr die Gefangenschaft auf jede Weise zu erleichtern. Über den Spaziergang berichtet nun Frau von Staal ( Mémoires, t. II, p. 140) folgendes:
»Als Belohnung für seine Aufrichtigkeit gewährte man dem Marquis de Pompadour nicht die Freiheit, auf die man ihm Hoffnung gemacht hatte, aber die Zerstreuung des Spaziergangs auf der Bastion, wohin er alle Tage geführt wurde. Ich erhielt einige Zeit später dieselbe Vergünstigung, ohne sie irgendwie verdient zu haben. Man dehnte diese Gunst auch noch auf mehrere von uns aus, die nun einer nach dem andern unter sicherer Begleitung auf den Türmen spazieren geführt wurden. Mir war als besonderer Vorzug die letzte Stunde zur Promenade bestimmt worden, und unser Kommandant, der mehr und mehr Neigung zu mir faßte, hatte sich vorbehalten, mich dabei zu begleiten. Als er mich am letzten April (1719) abholte, teilte er mir mit, daß Herr Le Blanc Der Kriegsminister, der die Untersuchung in dem Verschwörungsprozesse leitete. den Befehl mitgebracht habe, alle unsere Spaziergänge mit dem ersten Mai aufhören zu lassen.
»Die Seltsamkeit, daß man gerade diesen Tag zu unserer Wiedereinsperrung bestimmte, nachdem man uns die ganze Rauheit der Witterung hatte empfinden lassen, überraschte mich und erweckte in mir die Überzeugung, daß man uns unter dem Anscheine, uns ein Vergnügen zu gewähren, hatte quälen wollen. Der Kommandant setzte mir auseinander, daß unsere tiefen Staatsmänner der Ansicht wären, zu einer Zeit, wo alle Welt spazieren geht, würden die Vorübergehenden und namentlich die, welche sich für einige von uns interessierten, diese durch ein Fernglas mustern und ihnen wohl gar Zeichen geben oder solche von ihnen empfangen, und dies würde von gefährlichen Folgen sein. »Ach Gott, mein Herr,« bemerkte ich ihm, »mich würde man vergebens aus der Nähe wie aus der Ferne mustern, ich würde nichts davon sehen. Wenn mir dergleichen passiert ist, hat man es mir immer erst sagen müssen. Wer aber sollte das hier thun?« Während dieses Gesprächs begaben wir uns nach dem Garten der Bastion, und beim Eintritt in denselben sagte ich wie Phädra:
»Hoher Sonnengott,
Zum letztenmale seh' ich deine Strahlen!«
Wie schon aus dem auf S. 69 angeführten Berichte La Portes, erhellt auch aus dem Obigen, daß es immerhin möglich war, mit einem gewöhnlichen Opernglase und auch wohl mit besonders scharfen Augen sowohl von der Straße wie von den Türmen aus jemand zu erkennen: die Befürchtungen der Gouverneure wie der Regierung waren also keineswegs völlig unbegründet. Einen weitern Beweis dafür liefert gerade der Umstand, der die Einstellung der Spaziergänge am ersten Mai 1719 veranlaßte, und den Frau von Staal allerdings nicht wissen konnte. Am 28. März genannten Jahres war nämlich Richelieu zum dritten (und letzten) Male in die Bastille gesteckt worden. Vgl. den Artikel über Richelieu im Abschnitt G. Auch ihm hatte man den Spaziergang auf den Türmen gestattet, und kaum hatte sich die Nachricht davon in Paris verbreitet, als die Rue Saint-Antoine gegen Ende April mit einem Schlage die beliebteste und eleganteste Promenade der Stadt wurde. Die Damen, die den Herzog für ihr ausschließliches Eigentum ansahen, dessen der Regent sie wider Gesetz und Recht beraubt hatte, winkten ihm aus ihren Kutschen mit den Taschentüchern zu, und ohne Gewalt anzuwenden konnte der Begleiter des Herzogs den galantesten Kavalier Frankreichs unmöglich hindern, diese Grüße von seinem Turme herab mit einem Gußregen von Kußhänden zu erwidern. Um diesem Ärgernis ein Ende zu machen, wurden die Spaziergänge untersagt und erst später, nach der Erkrankung des Herzogs und seiner Entfernung aus der Bastille (30. August 1719), von neuem gestattet, bis de Launay sie um 1779 völlig abschaffte, respektive auf den Hof beschränkte.
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