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Es gibt ein Wort, das jeder vernünftige Mensch auf den Tod haßt, das Wort: modern, denn mit keinem Wort wird mehr Unfug getrieben.
Modern ist man, wenn man nach der Urgroßväter Weise Rollschuh läuft, modern ist man, wenn man einen Gehrock trägt, wie er 1813 beliebt war, modern ist man, wenn man erotische Verirrungen in Damengesellschaft bespricht, die Austern kaut, für das Frauenwahlrecht schwärmt, Edmund Rostand für tief hält, Absinth trinkt, Kalikuxe kauft, auf die Regierung schimpft, ohne Fischmesser keinen Fisch essen kann, den Angelus Silesius vor der Lotterbank liegen hat, in dem Nigger seinen Bruder sieht, mit revolutionären Ansichten kokettiert, in Buddhismus macht, nur noch Zigaretten rauchen kann, Bonapartekultus treibt und was des dummen Zeuges mehr ist.
Als unmoderner Mensch gilt dagegen der, der nicht sofort auf jeden Modeschwindel hineinfällt, der erst abwartet, ob irgendeine Sache oder eine Richtung Sinn hat, der ruhig und besonnen an alles Neue oder Aufgewärmte herantritt und sich solange mit dem Alten und Bewährten behilft. Das war früher in der Jägerwelt üblich. Mit kalten Augen sah sich der Mann, der aus Beruf oder Neigung den grünen Rock trug, jede Neuerung auf dem Gebiete der Jagd an, und erst, wenn er sich genau davon überzeugt hatte, daß es sich um eine Einrichtung von wirklichem Nutzen handelte, machte er sie sich zu eigen, oft aber dann noch nicht einmal, denn der gerechte Jäger setzte einen gewissen bäuerischen Stolz darein, sich nicht von der Mode beeinflussen zu lassen, sondern möglichst lange die Ausrüstung zu tragen, die schon der Vater trug, zog er zu Holze.
Als die Hinterladerwaffe aufkam, gab es eine Menge alter Jäger, die ihr jahrzehntelang fern blieben. »Unsinn!« sagten sie sich; »was ich an meiner alten Pumpe habe, das weiß ich.« Sie hatten nicht so unrecht. Das Lefauchex hatte sofort eine Vermehrung der Jagdunfälle zur Folge, und nicht minder eine ziemlich ungesunde Zunahme der Jäger von Liebhaberei, und mit ihm kam das Schießertum auf. Es war so schnell zu bedienen, das neue Gewehr; im Handumdrehen war es entladen und neu versorgt. Bis dahin sparte man mit dem Schusse, des umständlichen Ladens wegen; nun aber wurde frisch, fromm, froh, vergnügt darauf losgeballert und Dampf gemacht auf alles, was da kreuchte und fleugte. Das war um die Zeit, als Deutschland zu Gelde kam. Jagen gilt als herrschaftliche Beschäftigung, also jug alles, was als Kavalier gelten wollte. Weidmännische Erziehung hatte man nicht; also stürzte man sich nach Emporkömmlingsart auf alles, was neu war, und warf das Gewährte zum alten Eisen. Kaum hatte man die Lefauchex, da kam die Zentralfeuerwaffe auf; die Büchsflinte wurde von dem Drilling verdrängt, die einläufige Büchse und der Zwilling mußten der Repetierwaffe weichen; heute haben wir schon die Browning, und hier und da sieht man auch schon die automatische Pirschbüchse, aus der man ein Dutzend Kugeln herausspritzen kann, ohne daß man ein einziges Mal absetzen muß.
Es versteht sich von selbst, daß, wie auf anderen Gebieten, auch in der Jagd nicht alles beim alten bleiben kann. Niemand von uns möchte den Hinterlader mit Zentralfeuerung entbehren; bei großen Hasenschlachten, in stark besetzten Hühnerjagden, auf der Suche auf Enten und Birkwild ist auch die Browning nicht zu verachten; der Drilling ist für den Jäger, der eine Heid- oder Moorjagd sein nennt, kaum entbehrlich; der Streifenlader ist bei der Jagd auf wehrhaftes Wild eine ausgezeichnete Waffe, und die rauchschwachen Treibmittel haben ihre unleugbaren Vorzüge dem alten Schwarzpulver gegenüber, freilich auch ebenso viele Nachteile. Erinnern Sie sich noch der Aufregung, als das Spiralit auf dem Munitionsmarkte erschien? Jeder, der etwas sein wollte, schoß mit Schießpappe. Nach zwei Jahren gab es kein Spiralit mehr; es konnte atmosphärische Feuchtigkeit ebensogut vertragen wie ein Spitzenkleid, brannte in der abwitzigsten Weise nach und hatte nicht mehr Durchschlagskraft als die meisten Witze in dem »Simplicissimus«. Versunken und vergessen, das ist des Spiralites Fluch.
Mag man nun aber auch über die scheinbaren und wirklichen Fortschritte in der Waffentechnik und Munitionsfabrikation denken, wie man will, zwei große Nachteile sind nicht abzuleugnen. Einmal wird es dem Menschen von heute, der Geld und Zeit genug hat, allzu bequem gemacht, Jäger zu werden, und zum anderen wird der Jäger nach mehreren Richtungen hin zu unselbständig gemacht. Früher bildete man sich unter Führung eines gerechten Weidmannes langsam zum Jäger aus; heute wird man im Handumdrehen, wenn auch nicht gerade Jäger, so doch Schießer. Früher goß sich der Jäger die Kugeln selber, fertigte sich selbst die Pflaster an, maß die Ladung ab, stellte sich selbst allerlei Wildlocken her; heute kauft er das alles fix und fertig im Laden. Das ist ja an und für sich weiter nicht schlimm; aber es entwöhnt den Mann davon, sich selber zu helfen, ist es einmal nötig. Welcher Jäger von heute ist imstande, seine Waffe gänzlich auseinanderzunehmen, blitzblank zu putzen und wieder zusammenzusetzen? Wer eine Selbstspannerwaffe führt, braucht sich dessen nicht zu schämen, denn um sich in deren verzwickten Klappmatismus hineinzufinden, muß man schon gelernter Mechaniker sein, aber auch die meisten Hahngewehrjäger überlassen das Reinigen der Waffe dem Jagdhüter oder dem Büchsenmacher, und unter hundert von ihnen gibt es kaum dreißig, die imstande sind, sich ihre Patronen selber herzustellen. Aber noch nicht zwei von hundert Jägern bringen eine Blatte oder Habichtslocke zusammen, und mit der Laterne des Diognes kann man sich Jäger suchen, die das Haus der Wellhornschnecke so beschneiden können, daß es einen guten Hirschruf abgibt.
Und so ist es überall. Man führt seinen Hund nicht mehr selber ab, sondern läßt das von irgend einem Förster besorgen. Man baut sich kaum mehr selbst einen Schirm oder Stand; denn dafür hat man den Jagdaufseher. In einer Viertelstunde aus Buschwerk eine Krähenhütte herzustellen, das bringen nicht viele Männer mehr fertig, und daß man, hat man eine kleine Säge, eine Hand voller Bretternägel und einen Hammer, in derselben Zeit einen leidlichen Hochsitz zurechtzimmern kann, das klingt den meisten Jagdjägern wie eine Fabel. Schießen kann man, das ist aber auch alles. Das schöne Gefühl, ganz auf sich selber gestellt zu sein, ist man draußen, niemand zu brauchen als seine beiden Augen und seine zwei Hände, das geht den meisten Jägern von heute ab. Sie können sich zur Not einen Bock selber ausmachen, brechen ihn auch schließlich selbst auf, geht es nicht anders; aber dann ist es auch Schluß. Daß man Knüppel- und Würgefallen ohne andere Werkzeuge als mit der Säge selbst machen kann, das glauben sie nicht, und daß es ein männliches Vergnügen ist, Pirschsteige zu hauen, das erscheint ihnen als ein guter Spaß. Den transportablen Hochsitz, das künstliche Schmalreh, die pneumatische Blatte und ähnlichen Unsinn kennt der moderne Jägersmann; frage man ihn aber: »Haben Sie einen Standhauer bei sich?« so wird er vielleicht antworten: »Nee, aber einen alten Steinhäger.«
Es ist rührend anzusehen, wie solch ein Mensch, dessen Wiege von Asphaltdünsten umsäuselt wurde, sich anstellt, wenn er sich einen Stand schneiden will und einige Zweige von Daumenstärke beseitigen muß. Er hat ein Taschenmesser, das eine prachtvoll geperlte Hirschhornschale und mindestens zwanzig Klingen und dergleichen hat. Er zückt es und säbelt los. Im Schweiße seines Angesichts schnippelt er fünf Minuten an dem Zweige herum, zieht sich ein halbes Dutzend Wasserblasen in der Hand zu, bricht sich drei Scharten in die viel zu sehr gehärtete Klinge, reißt sich seinen schönsten Fingernagel ein und bricht schließlich den Zweig mit solchem Getöse herunter, daß der Rehbock sich fragt: »Aha! also werden wir für das erste nicht gerade dort zur Äsung austreten!« Würde der Mann draußen aufgewachsen sein, so hätte er den Ast mit drei Schnitten entfernt, indem er ihn stark bog und das Messer durch die Beuge zog, eine Kunst, die der Bauer schon lernt, wenn er noch Hosen trägt, aus denen hinten das Hemdchen flaggt. Und ist so ein Bauernjüngelchen seine zehn Jahre alt, dann steht er nicht hilfslos da, braucht er einen Bindfaden und hat er keinen; er schneidet sich einen Zweig, entblättert ihn, klemmt ihn mit dem dicken Ende in die linke Achselhöhle, und hast du nicht gesehen, ritscheratscheratz, hat er mit fünf Drehbewegungen eine Weide daraus gemacht, die dieselben Dienste leistet wie eine Zuckerschnur.
Darum tut ein kluger Jägersmann gut, wenn er sich, hat er Zeit, ab und zu einmal hinstellt und zusieht, wie ein Bauer oder Waldarbeiter den Busch rodet; er kann eine Menge dabei lernen, vorzüglich, wenn er nicht so ein Glacémännchen ist, daß er schon Quesen in die Hände bekommt, denkt er daran, daß er sich selber einmal einen Pirschsteig hauen muß. In die Lage kommt aber jeder Jäger einmal, der nicht immer und ewig mit dem Jagdaufseher hinter sich zu Holze zieht, ein Genuß, der nur solchen besseren Menschen Spaß machen kann, für die es ein schweres Problem ist, ohne Kammerdiener in ihre unaussprechlichen Unterhosen einzuschliefen. Wer aber auf eine ähnliche Unabhängigkeit beim Jagen keinen besonderen Wert legt, wer sich draußen dann am wohlsten fühlt, bekommt er den ganzen Tag außer ein paar hübschen Mädels, die zum Heuen gehen, kein menschliches Wesen zu Blick, der sieht oft urplötzlich ein, daß er heute oder morgen auf den Bock nur dann zu Schusse kommt, wenn er sich vor dem Lichtschlage nach der Wiese hin einen Pirschsteig baut, und darum führt er den Standhauer bei sich, das alte, schwere, auf der Rückseite mit einer Säge versehene Messer, das so schnell und sicher arbeitet wie ein Handbeil, und so zückt er es, schlägt sich in zehn Minuten den Steig, ohne mehr Lärm zu machen, als eben nötig ist, und ohne den Bock zu vergrämen, denn an lautes, ungescheutes Hacken ist der gewohnt von den Waldarbeitern her. Um doppelbaumdicke Äste zu beseitigen, bedarf es nur eines einzigen Hiebes, und die glatten Trennflächen schaden den Bäumen nicht ein bißchen. Das ist ein anderes Werk als das Herumsäbeln mit dem Taschenmesser, das nebenbei noch den großen Nachteil hat, daß der Bock es scheußlich übel nimmt, denn er ist es nicht gewöhnt und als eingefleischter Gewohnheitsmensch, wollte sagen, Gewohnheitstier, ist ihm alles Ungewohnte verdächtig.
Wer sich daran gewöhnt, den Standhauer zu führen, dem wird das Steigehauen bald nicht mehr eine Zwangsarbeit, sondern ein Vergnügen, um nicht zu sagen, ein Sport sein. Es wird ihm Spaß machen, eigenhändig seine Jagd mit einem Netze von Pirschsteigen zu überziehen, die Blößen miteinander zu verbinden und Buchten und Auskicke zu schlagen, wo es nötig, nützlich und angenehm ist: Lieb und wert wird ihm diese Arbeit werden, so lieb, daß er überhaupt nicht mehr weiß, daß es eine tote Zeit für ihn gibt. Ödet ihn der Asphalt, mopst ihn die Zivilisation, dann macht er, daß er hinauskommt. Er hat da einen jungen Stangenort, der an seine beste Rehwiese stößt. Will er dort einen Bock schießen, so geht das meist nicht anders, als wenn er sich stundenlang in einen Hochsitz klemmt, und das macht ihm keinen Spaß, denn er erpirscht sich lieber den Bock, als daß er sich ihn erbockt. Wenn er sich aber schräg durch den Stangenort einen Steig haut, dann kann er sich bei jedem Winde bequem an die Weise heranpirschen und braucht nicht stundenlang wie ein Affe in der Eiche zu kauern und sich Gesäßschwielen zuzuziehen. So stiefelt er dann fröhlich los, schuftet den ganzen Tag wie ein Holzhacker, hat hinterher einen Hunger, wie lange nicht, und schläft, daß ein Auge das andere nicht sieht. Auch macht er allmählich die Bemerkung, daß seine Weste anfängt Wellen zu schlagen, und mit Genugtuung stellt er fest, daß ein Fünfgroschenbrot in seiner Hose Platz hat, findet auch, daß sein Gang straffer, sein Blick frischer, seine Brust- und Armmuskeln weniger schlaff sind und daß ihn nicht mehr, wie im letzten Vorfrühling, der Atem in der Lunge schrammt.
Da er nun nicht auf den Kopf gefallen ist, macht er sich, so oft er Zeit hat, daran, das fröhliche Handwerk auszuüben und findet immer mehr Gefallen daran. Bisher war er faul und bequem; er graulte sich vor Treppensteigen und ein Umzug dünkte ihm eine Art Selbstmordversuch. Nun aber hüpft er die Treppen in die Höhe, wie ein Backfisch, und setzt seine Hausehre dadurch in erhebliches Erstaunen, daß er die Gardinenleisten selber anschlägt und es sich nicht nehmen läßt, die Bilder aufzuhängen, und sogar, man höre und staune baß, die Hausfrau nicht erst vom Bratenwenden fortzetert, reißt ihm ein Knopf ab, sondern sich Nadel und Faden holt und den Verlust höchsteigenhändig wieder gutmacht.
Die uralte, schöne Freude an der körperlichen Selbstbestätigung ist wieder in ihm erwacht. Er freut sich, kann er, der Tag für Tag sechs bis acht Stunden am Schreibtisch sitzen muß, einmal seine Knochen üben. Früher turnte er, um den Bauchspeck loszuwerden, in staubdurchwirbelten Sälen, oder kegelte im himmelblauesten Tabakdampfe, radelte auf menschenüberfüllten, langweiligen Radfahrwegen, ja, spielte sogar, schauderhaft, aber wahr, trotz seiner fünfundvierzig Jahre, zum Vergnügen der Einwohner Tennis, wobei er sich halb schick, halb albern vorkam. Jetzt hat er alle diese Leibesübungssurrogate nicht mehr nötig. Mit dem Standhauer in der gebräunten Männerhand schafft er sich in reiner Luft frische Bewegung, bringt seine roten Blutkörperchen auf die doppelte Anzahl, reckt seine Lungen um ein beträchtliches aus, weiß nicht mehr, was Appetitlosigkeit ist, schläft schon ein, ehe er noch beide Beine im Bett hat, und wacht früh mit leichterem Kopfe auf, als wenn er, wie ehedem, nach dem Turn- oder Kegelabend noch die üblichen drei halben Liter zur Erzielung der nötigen Bettschwere in sich hineinschwemmte. Er ist überhaupt ein ganz anderer Kerl geworden, schindet seine Untergebenen nicht mehr so, wird nicht gleich nervös, unterhalten sich die Kinder anders als im Flüsterton, fällt nicht gleich um, schlägt eine Tür etwas plump zu, hat nicht andauernd einen Schnupfen und schmeißt keine neronischen Blicke um sich, ist der Braten einmal nicht weich genug.
Und das alles hat er niemand anders zu verdanken als dem alten, unmodernen Möbel, so man beinahe nur noch in Museen und Althandlungen findet, dem Standhauer.