Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

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In Acht und Aberacht

Immer zahmer wird das Weidwerk von Jahrhundert zu Jahrhundert; die niedrige Jagd tritt in den Vordergrund, die hohe schrumpft zusammen.

Vorbei sind die Zeiten, da der Bär bei uns lebte; längst verschwand der Luchs aus den deutschen Gauen. Der Wolf wechselt nur noch selten über die Nordost- und Südwestgrenze des Reiches ein. Die wenigen Adlerpaare, die bei uns horsten, unterstehen der amtlichen Naturdenkmalpflege, und der Uhu, der Rufer der Nacht, wird ausgestorben sein, ehe wir in der Mitte des Jahrhunderts angekommen sind.

Der Mörz ward zur Mär aus grauen Tagen, und ein halb sagenhaftes Getier wurde die Waldkatze. Wer heute einen Otter erlegt, dünkt sich König und Held, und einen Marder haben die wenigsten Jäger anders als gegen Eintrittsgeld im Zoologischen Garten gesehen. Wer einen Fuchs schießt, steckt die Brust heraus, wie auf dem Exerzierplatz, und der Mann, der einen Ilk oder ein Wieselchen erlegt, läßt ihn sich bestimmt ausstopfen und hängt ihn hinter Glas und Rahmen an die Wand, damit Kinder und Kindeskinder noch des Ahnen Heldentat rühmen können.

Es ist eine ergötzliche Lektüre, das feingebundene, hochmoderne Schußbuch eines Durchschnittsjägers von heute. Der Rehbock ist das Hochwild und dann fängt das Gewimmel von Hasen und Hühnern und Fasanen und Enten und sonstigen jagdlichem Gesindel an, das ja ganz lustig zu jagen ist, dessen Erbeuten aber schließlich doch mehr unter den Begriff des Schießsportes als unter den der Jagd fällt. Denn man kann sagen, was man will: Jagen, das ist mehr als Stoppelhopfen und Rübenstolpern, ist mehr als Hinhalten und Treffen; es ist Pirschen und Schleichen, Lauern und Harren, ist eine Beschäftigung, bei der der ganze Kerl samt Herz und Lunge mit heran muß, und nicht bloß die Gehwerkzeuge und der Drückefinger; bei der es auch einmal eine Hose voll Angst gibt und wobei der Mann beweisen muß, daß er noch mehr kann, als bloß und immer wieder bloß schießen.

Eine einzige Wildart gibt es heute noch bei uns, die den ganzen, den vollen Mann erfordert, das ritterliche Schwarzwild, dessen Jagd unter Umständen nicht nur einen grünen Bruch am Hute, sondern auch einen roten an den Beinen mit sich bringt, oder einen Schmiß, in den eine ganze Hand hinein- und aus dem eine ausgewachsene Seele hinausgeht, und bei der mancher Mann, der sonst die schönsten Pfingstrosenbacken und recht stämmige Gehwerkzeuge hat, leicht weiß um die Nase wird und das Gefühl bekommt, als wimmle sein Herz plötzlich in jenen Kleidungsstücken umher, von denen man ehemals in der guten Gesellschaft nur auf Umwegen sprechen durfte. Aber das ist gerade das Schöne bei der Sache; das in Silber gefaßte Gewaff einer wehrhaften Sau, die den Schützen annahm, ist diesem dreimal so viel wert denn sein stärkster Hirsch, und wenn er mehr Enden hat, als der Mensch an Gliedmaßen zweiter Art besitzt.

Aber welcher gewöhnliche Sterbliche kommt heute noch dazu, einem Schwarzkittel in freier Wildbahn die Kugel anzutragen? Die wenigen Stände, die heute noch Sauen in freier Wildbahn beherbergen, sind bald aufgesagt. Zum größten Teile lebt das Schwarzwild fingerzahm und ziegenkirre und jammervoll entartet trotz aller Blutzufuhr als Parkwild hinter dem Gatter, wechselt pünktlich zur Körnung, läßt sich in aller Gemütsruhe von den Sommerfrischlern besichtigen und grunzt geschmeichelt, wenn es heißt: »Wie nüdlich!« Höchstens wird es einmal einen alten Eingänger zu dumm, wenn ihm sein Verdauungsschläfchen durch das Gejodel etwelcher Touristen jählings unterbrochen wird, und er macht sich den Spaß, sie auf die Bäume zu jagen, damit sie am Stammtisch in der großen Stadt etwas zu erzählen haben von den grausamen Abenteuern und erschröcklichen Leibesgefahren, so sie in den unwirtlichen Gegenden mit den knallbunten Wegbezeichnungen und den polierten Touristenpfaden ausstehen mußten.

Nur in solchen Gegenden bekommt der Durchschnittsmensch heute noch den Anblick auf eine Sau. Die schonungslose Verfolgung hat das wehrhafte Wild, da früher weder dem Menschen noch den Rüden wich, sondern sich auf sein blankes Gewaff und seine dicke Schwarte verließ, so scheu gemacht, daß es erst lange nach Eintritt der Ulenflucht die Dickungen und Brüche verläßt und sich vor Tau und Tag darin wieder steckt. Und wer, der überhaupt auf Sauen zu jagen Gelegenheit hat, bekommt es anders zu Schusse denn vor den Treibern und Hunden, wo es zusammengeknallt wird wie Hasen und ähnliches Wildgesindel? Höchstens auf dem Anstande, von der Kanzel oder aus dem Lauerloche wird es unrühmlich abgeschossen, aber mit der Laterne kann man sich die Männer suchen, die die Sau ganz allein weidwerken oder sie gar nach alter guter Art mit den Findern jagen, wenn Spurschnee das Fallaub bedeckt, die Fichten alle weiße Hemden anhaben und der Frost den Eichen seine Krallen in die Borke schlägt.

Es gibt nicht viele Reviere, in denen sich die Pirsche und die Suche auf Sauen lohnt, und wo es sich lohnt, da sind dem Jagdinhaber seine heilen Knochen viel zu wert und zu teuer, als daß er einer persönlichen Auseinandersetzung mit einem hauenden Schwein oder einer alten Bache nicht gern aus dem Wege ginge; denn was hat der Mensch von ein paar Schmissen, mit denen er höchstens in der Schwimmanstalt glänzen kann? Und die Hauptsache bei der Jagd von heute ist und bleibt doch die Strecke! Denn wir Menschen von heute kennen ein Wort, und das heißt: praktisch, und eins, das heißt: unpraktisch, und das eine bringt etwas ein und das andere nicht, und darum befassen wir uns mit Dingen, die unpraktisch sind, ungern. Und deswegen schießen wir das ritterliche Wild auf der Treibjagd tot, anstatt es zu weidwerken mit jenem köstlichen Gefühle von Furcht und Hoffnung, das nur der Herrenreiter kennt, der mit Meister Klapperbein neben sich dem Ziele zuhetzt, das lustige Spiel mit dem Tode, einst ein männlicher Sport, heute eine Unbequemlichkeit, wie ein Skandalprozeß oder eine Ehrenangelegenheit. Es ist heute gar kein Kunststück mehr, Sauen zu jagen, hat man den Streifenlader in der Hand; ehe die angeschweißte Sau noch recht weiß, wo der Schütze steht, knickknack, und sie hat die zweite Kugel, und wenn nicht, in der Kammer sind noch reichlich. Wir sind ja so unglaublich praktisch. Wenn man einem der Leute, die mit der Jagdmitrailleuse losziehen, erzählt, daß heute noch Männer leben, die mit der einläufigen Vorderladerbüchse, die höchstens auf sechzig Gänge Fleck schoß, ganz allein auf Sauen pirschen gingen, so lächeln sie das Lächeln des Thomas und verstehen nicht, wie das ein Vergnügen sein konnte, sich bis auf fünfzig Gänge an einen grimmen Bassen heranzuschleichen, ihm die Kugel anzutragen und ihm dann kniend die Wehr entgegenzuhalten und ihn aufrennen zu lassen; denn es ist doch entschieden praktischer, den Keiler so lange mit Mantelgeschossen zu betupfen, bis die durchlöcherte Schwarte das Leben nicht mehr halten kann. Von wieviel mehr Weidmannswonne und Jägerlust aber so eine alte kurze Büchse mit schön ausgeziertem Lauf, reich geschnitztem Kolben und buntgesticktem Tragriemen erzählen kann, als die langweilige, schmucklose und ganz technisch abstrakt aussehende Siebenmillimeterkanone, davon haben sie keinen Dunst und dafür kein Verständnis.

Überhaupt Sauen! Na ja, ist ja ganz schön, kann man sich mal auf eine lösen, und ein Keilerkopf auf einem von Eichenlaub umrahmten Schild an der Wand des stilvoll eingerichteten Speisesaales, das macht sich ja ganz gut! Sonst aber, im Grunde doch nicht mehr zeitgemäß, diese Biester, fressen zu viel Kartoffeln und bringen auch nicht viel ein, höchstens solange sie noch im ferkelhaften Zustand sind, denn die alten Bassen werden ja doch nur zu Würsten für bayerische Holzknechte und ähnliches Volk mit pöbelhaft gesunden Mägen weiter verarbeitet! Darum fort mit Schaden! Generalverfügung vom höchsten grünen Tische: Alles was Wildschwein heißt, ist bis zum Ersten des nächsten Jahres abzuschießen, des Wildschadens wegen und überhaupt und so! Stimmt ja, daß die Sauen gewaltig viel Ungeziefer fressen, und scheint wahr zu sein, daß die giftgrüne Waldpest, der Eichenwickler, mit dem Aufhören der Waldhude und der Vertilgung der Sauen so unverschämt zunimmt, aber Wildschaden bleibt Wildschaden, und Rehe und Hasen tun es zur Not auch.

In seiner Schreibstube steht ein alter Oberförster, schmeißt erst sein zerknülltes Papier und dann seine Pfeife gegen die Wand, daß sämtliche Hunde unter das Sofa schliefen, stößt eine Unmenge von unchristlichen Redensarten aus, holt dann eine grüne Flasche aus einem braunen Schränkchen, genehmigt sich einen Doppelkümmel und, da der Mensch kein Storch ist und auf einem Schnaps nicht sicher genug steht, abermals einen, und zum Abgewöhnen Numero drei, bückt sich stöhnend, sammelt das amtliche Schriftstück auf, puhlt es auseinander, glättet es und plättet es und legt es in das Fach »Erledigt«, wo schon mehrere solcher arg zerknüllter Verfügungen liegen. Und dann steckt sich der Knasterbart eine Zigarre in das Gesicht, geht auf und ab und redet also: »Der Minister kann mir im Mondschein begegnen! Ich habe überhaupt keine Wildschweine, nur Keiler, Bachen, Überläufer und Frischlinge. Und Aasjägerei, die gibt's bei mir einfach nicht!« Und beim Försterappell sagt er zu seinen Belaufsbeamten: »Laut ministerieller Verodnung sind die Wildschweine auszurotten. 'standen? Wer mir aber eine Bache schießt, ganz Wurst, ob sie Frischlinge führt oder nicht, oder sich an Frischlingen oder überlaufenden Sauen vergreift, der hat sich das selbst zuzuschreiben. Und zuerst muß der alte Eingänger daran, hinter dem wir schon seit drei Jahren herumkrebsen; immer hübsch der Reihe nach! Und nun trinken wir ein Glas Bier zusammen.«

Es gibt noch genug alte Grünröcke, die so handeln, und das ist ein Segen, denn der Schaden, den die Sauen auf dem Felde anrichten, den machen Sie im Walde reichlich wieder wett. Und außerdem: Geld haben wir schließlich genug, wenn es auch oft umgekehrt aussieht, aber an wehrhaftem Wilde, das zu mutiger Mannestat herausfordert, ist bitterer Mangel, und darum soll man sich dreißig Male und dreie bedenken, ehe man das ritterliche Schwarzwild zum aussterben verdammt und es in Acht erklärt und in Aberacht.


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