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»Abwechslung macht Spaß,« sprach jener bekannte Koppelknecht; da aß er seine Erbsensuppe mit der Heuforke.
So ist es: der Mensch liebt die Veränderung. Es ist ja wahr: la donna è mobile, aber wir Männer stehen dem niedlicheren Geschlechte darin wenig nach, besonders wir besseren Männer, die wir keine schönere Erholung kennen, als wenn wir nach dem Verse handeln können: »Im Wald und auf der Heide« usw. Mir geht es nicht anders. Die Pirsch, vorzüglich die Pirsch aus freier Hand im Bergwald oder im wilden Bruch, das ist mir A und O aller Jagd; zuzeiten klettere ich aber auch ganz gern auf einen Hochsitz, sehe mir die Natur von oben herunter an mit demselben Gefühle, das der Rentier und vierstöckige Hausbesitzer hat, wenn er mit der Zigarre in den wohlgenährten Zügen im Fenster liegt und das Gekrabbel der Geschäftsmenschen unter sich mit dem Lächeln des Mannes betrachtet, der es nicht mehr nötig hat.
Man sitzt dann da so gemütlich, macht sich mit seiner Pfeife blauen Dunst vor, denkt an gar nichts oder an noch weniger und beäugelt alles das, was sich unter einem bewegt: den Hasen, der sich in der Abendsonne den billigen Balg wärmt, die alte Standricke, die sich am jungen Grase den letzten Rest von Taille wegfuttert, den Bock, der einen Busch frisiert, daß die Blätter in der Nachbarschaft herumlaufen, den Birkhahn, der da hinten nach der Schwierigkeit balzt, den Storch, der sich befleißigt, dem Überhandnehmen der Frösche zu steuern, den Bussard, der mit einer Eselsgeduld auf ein und dieselbe Maus lauert, und was es sonst an besseren Wirbeltieren noch gibt.
Nur jagen, das tue ich in der Eifelturmlage im allgemeinen nicht gern; die Waffen sind dabei nicht gut und gleich. Ich komme mir beträchtlich hinterlistig und bequem vor, soll ich vom Hochsitze aus den Finger krumm machen; denn den wichtigsten Sinn, den das Haarwild hat, die Witterung, stehle ich ihm. Unter Umständen geht es freilich nicht anders. Wer seine Hirsche seinem Nachbarn gönnt, der tut gut, auf den Hochsitz zu verzichten und hinter ihnen andauernd herzukrebsen; nach acht Tagen kann er zu Hause bleiben und braucht sich keine Nacht mehr um die Ohren zu schlagen. Aber wer den Bock nur vom Hochsitze aus zu jagen versteht, dem müßte von Rechts wegen der Jagdschein abgeknöpft werden.
Ich weiß noch, welch ein geistloses Gesicht ich machte, als ich vor zehn Jahren eine Postkarte bekam, auf der zu lesen stand: »Holtendorf, 14. Mai. Geerter Her, ihr Bok tritt Klock halbig achte aus auf der Dreigroschenwise. Sie gebrauchen also for halbig fünfe nich zu varen. Womit ich bin ihr hochachtungsfoller Piepke, Jagdaufs.« Heißt 'n Geschäft, dach't ich; da soll ich also einen bombensicher angebundenen Bock totschlagen. Und ich hatte mich so darauf gefreut, mir in der wüstesten Ecke selber einen Bock auszuknobeln und ihn im Schweiße meines Angesichts zu weidwerken. Und nun sollte ich auf dem Hochsitze hocken wie ein Baumaffe und einen Bock schießen, der so pünktlich war wie ein Regierungssupernumerar oder ein Schnellzug. Lieber wäre ich in meiner Raubjagd herumgekrochen, aber ich durfte den Besitzer der Jagd nicht vor den Kopf stoßen, und so mußte ich denn hin.
So fuhr ich denn am selben Tage los. Es war wunderschön. Der Jagdbesitzer und der Jagdaufseher waren mit Gespann an der Bahn, mit einem so feinen Gespann, daß ich mich meines damals erst sieben, heute siebenzehnjährigen Jagdmantels schämte und meine Pfeife schleunigst wegsteckte, um sie durch die Zigarre zu ersetzen. Im Kruge dienerte der Wirt, knickste die Wirtin, knickste die Tochter, knickste die Magd; beinahe hätte ich auch geknickst. Der Tisch war mit blütenweißem Damast gedeckt und prangte im Schmucke des Silbernehochzeitsilbers. Es gab Kaffee, zweierlei Brot, dreierlei Mus, viererlei Kuchen, fünferlei Wurst, sechserlei Aufschnitt, siebenerlei Schnäpse, Zigarren, wie ich sie nur bei Kaisers Geburtstag rauche, und Zigaretten von ähnlicher Höhe. Als ich dieses ländliche Vesperbrot binnen hatte, dankte ich meinem Schöpfer, daß ich mir den Bock ersitzen durfte und nicht zu erpirschen brauchte, denn mein unterster Westenknopf, zwischen dem und dem Tische vor dem Vesper ein halber Fuß Luft gewesen war, klingelte und klapperte jedesmal, wenn ich schnaufte, an der Tischkante herum, trotzdem ich die Westenschnalle schon auf die weiteste Nummer gestellt hatte.
Der Bock, den ich um halb achte, Schlag halb achte mitteleuropäischer Zeit, schoß, war ein guter Bock, sogar ein viel zu guter Bock. Wir fuhren eine halbe Meile durch prachtvollen Wald und hielten vor einer Wiese; dort wurde erst der Hochsitz, eine Kanzel von beträchtlicher Größe, des Windes wegen, der inzwischen umgeschlagen war, mit bedeutendem Getöse durch den Jagdaufseher und einen Waldarbeiter von seinem alten Platze dreihuntert Schritte weiter durch Dorn und Dickicht geschleift und aufgerichtet, wobei ich mir dachte: »Na, wenn der Bock nicht an Gehirnerweichung leidet oder mit dem Dummbeutel geschlagen ist, dann kommt er sicher nicht.« Nachdem sich der Jagdinhaber verabschiedet hatte, blieb ich mit dem Jagdaufseher allein.
Der Mann erzählt mir, während er dabei gewaltig qualmte, mit seiner verrosteten Stimme ganz laut allerlei schöne Sachen, und als ich um dreiviertel sieben meinte, es wäre für mich Zeit, aufzubaumen, sah er mich erstaunt an und meinte: »Wo der Bock doch erst um halbig achte kommt?« Um sieben bestiegen wir dann endlich das Hochgericht. Wir, sage ich, denn Piepke kam mit, was mich maßlos erschütterte, denn mit dem Jagdaufseher neben oder hinter mir, na, das ist doch ungefähr so, wie eine Hochzeitsreise mit der Schwiegermutter dabei. Also Piepke saß neben mir, rauchte auf Deubel komm raus und erzählt so laut, als wenn die Böcke keine Lauscher hätten. Ich sagte gar nichts, nickte bloß ab und zu und starrte mit dummem Gesichte auf die schöne Wiesenlandschaft, in der drei Störche langsamen Schritt machten, während aus allen Büschen die Rehe heraustraten.
Zehn Minuten nach sieben Uhr stellte Piepke sein Geknarre ein. Fünfzehn Minuten nach sieben Uhr flüsterte er in seiner noch reichlich deutlichen Weise: »Die Ricke!« Ein alter grauer Kasten von mächtigem Umfange stolperte unmittelbar an dem Hochsitze vorbei, ächzte sich über den Graben fort, stürzte sich auf das grüne Gras und schlug sich heißhungrig den Pansen voll, ohne sich um Piepke, der ganz ungescheut mit dem Finger auf sie zeigte, was sich doch Damen gegenüber schon gar nicht paßt, zu kümmern. Mit einem Male warf sie auf, äugte zurück und kniete sich dann wieder hinter ihr Abendbrot. Piepke zog die Uhr; es waren fünfzehn Minuten nach sieben. Er nickte. »Das Schmalreh!« flüsterte er. So war es. Eine dürftige Schmalricke trat aus und fiel über die Äsung her. Zehn Minuten später flüsterte Piepke: »Sie können stechen; er kommt.« Ich hörte es einige Male brechen. Nach fünf Minuten stand ein sehr starker Bock unter dem Hochsitze, sicherte einen Augenblick und zog in die Wiese. Als er sich bereit stellte, schoß ich. Der Bock zeichnete stark, machte eine Wendung, floh dem Holz zu und brach vor dem Hochsitze verendet zusammen, während das Altreh und die Schmalricke sich entrüstet nach der Mitte der Wiese begaben, um ihre Mahlzeit fortzusetzen. Ich bekam meinen Bruch, Piepke seine zehn Mark und der Fall war erledigt.
Der Bock hatte ein recht gutes Gehörn, aber ich habe es mit anderen mir gleichgültigen Knochen in einer Kiste auf dem Boden liegen. Doch ein anderes Gehörn, nicht so gut, wie das des Klockhalbigachtuhrbockes, und das ich auch vom Hochsitze aus erbeutete, das hängt an der Wand, und zwar an dem Ehrenplatze, nämlich über der alten Tabakpfeife, deren Porzellankopf das fröhliche Gesicht von Eidig, dem Wildschützen, ziert, und zwischen den gut ausgelegten, doch nur leidlich geperlten Stangen hängt meine Lieblingszwille. Den Bock, der es trug, den habe ich totgesessen. Der Nachbar, mit dem ich auf freundschaftlichem Kriegsfuße stand, sagte mir abends beim Biere: »Den Bock kriegen Sie nicht,« und ich sagte: »Wetten, daß?« Der Bock stand nämlich hart an der Grenze in einer Buchenjugend, die er immer erst verließ, wenn die Eulen aufwachten, obgleich er dann und wann auch zu ganz unpassenden Zeiten, zum Beispiel am hellen Mittag, auf diesen Gedanken kam. Deswegen versah ich mich mit Speis und Trank für zwölf Stunden, desgleichen mit Räucherwerk, dem Nibelungensang und einem derben Strick, begab mich um neun Uhr morgens zu der alten hohen Grenzbuche, sprang so lange, bis ich den untersten Ast erwischte, machte mit Gewehr und Rucksack einen bildschönen Aufschwung, krabbelte so lange, bis ich eine gute Sitzgelegenheit erwischte, wo ich sowohl Rückenlehne wie Fußstütze fand, band mich da fest und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
An Unterhaltung fehlte es mir nicht und die Zeit wurde mir keineswegs lang. Erstens die Landschaft: eins der schönsten, und eins der bekanntesten Stücke des schönen Harzes, ein weites Bachtal, von Blumen bunte Hänge, wilde Felsgruppen auf allen Kuppen, ein Dutzend von kleinen Wäldern, dahinter das Gebirge, aus dessen Waldbekrönung grau und ernst die Ruine heraussah, und dann hier ein Wartturm, von der Zeit zernagt, da, noch deutlich in der Wiese zu erkennen, der gedoppelte große Ring, der den Wall und den Graben der Kirche des Dorfes anzeigte, das im dreißigjährigen Kriege in Rauch aufging. Und dann die Tauben, die unter mir bei der Salzquelle herumpickten, die Rehe, die sich auf den Wiesen ästen, hier eine mausende Fuchsbetze, und da noch eine, und da die dritte, und dicht dabei ein Hase, und das Gabelweihenpaar, und der Wanderfalke, und, ei sieh mal, lieber Freund, was machen Sie denn da? Sie waren mir schon längst verdächtig, Sie Biedermann! Nun weiß ich doch, wer dreiviertel aller Wechsel mit dürren Zweigen verstellt und die anderen mit Rehschlingen versieht! Es hat doch manchmal sein Gutes, schwebt man dreißig Fuß über der Gegend. Dir wollen wir den billigen Rehbraten schon verpfeffern! Na, und dann war da zwischen lauter schwarzen auch noch eine schlohweiße Krähe, sogar in Schußnähe, die ich aber doch leben ließ, und der Vogel Bülow, den ich mir so nahe heranpfiff, daß ich ihm auf fünf Schritt in seine schönen roten Augen sehen konnte, und der Kohltäuber, den ich mir heranruckste und der ganz wild umheräugte, weil er den Nebenbuhler nicht gewahrte, und die Häher mit ihrer Faxenmacherei, wahrhaftig, ich dachte gar nicht daran, das Nibelungenlied aus dem Rucksacke zu langen, und als um neun Uhr abends der Bock die Dickung verließ, um im Feuer zusammenzubrechen, da war mir bis auf ein etwas gepreßtes Gefühl in der Sitzgegend gar nicht so, als hätte ich zwölf ausgeschlagene Stunden in der Buche geklebt.
Dieser Hochsitz macht mir heute noch Freude, nicht allein wegen des verlängerten Antlitzes des lieben Nachbars, denn mit dem saß ich nachher noch eine Stunde hinter dem Biere, und als er mich mit dem Bocke neckte, sagte ich: »Der hängt all' lange im Keller,« worauf er das Bier plötzlich fad fand. Aber ich hatte mir den Bock selber ausgemacht, hatte manche Nacht seinetwegen in der klapprigen Jagdbude geschlafen, statt im Gasthause, manchen vergeblichen Gang vor Tau und Tag seinetwegen gemacht, mehr als einen Mittag auf ihn geweidwerkt, hatte ihn mir also sauer verdient. Wenn ich ihn auch lieber auf der Pirsche erlegt hätte, als aus dem Baume heraus, denn der Hochsitz ist und bleibt doch immer ein unedler Notbehelf, mag man sagen, was man will, es war immerhin kein angebundener Bock, wie mein Klockhalbigachtuhrbock von Holtendorf, der auf die Sekunde auf die Äsung dämelte, sondern ein wirklicher und geheimer Rat, mit sieben Salben geschmiert, den man auf andere Art kaum zu fassen kriegte, und den Sprung in die Buche in vollem Kriegsschmucke soll mir einer einmal nachmachen, und die Sitzerei von neun bis neun! Doch sonst schätze ich es nicht für Weidwerk, hoch vom Hochsitz her, wo die Eichkatz haust, den Finger krumm zu machen, denn es sind und bleiben Eselsbrücken der frohen Jägerei, hier und da unvermeidlich, im allgemeinen aber nur zum Bestätigen zu benutzen oder zum Beobachten von Wild und vier- und zweibeinigem Raubzeug.
Der letztgenannten wegen ist es gut, steht der Hochsitz nicht so da, daß man ihn auf eine Viertelmeile mit freiem Auge sehen kann, und darum soll man in allen Jagden, in denen verdächtiges Volk umherschleicht, auf Leitern und Kanzeln verzichten und sich geheime, unverdächtige Hochsitze bauen, was fast überall leicht zu machen ist. Man schneidet sich ein halbes Dutzend knieförmiger gebogener Äste und nagelt sie mit dem einen Schenkel so an einen Baum, daß sie nicht auffallen; ein Brett, das man unauffällig in der Krone befestigt, gibt den Sitz ab, ein derber Strick oder ein Stock, den man mit Draht festmacht, die Rückenlehne, und ist keine Fußstütze vorhanden, die unbedingt nötig ist, damit einem die Beine nicht absterben, so ist eine solche durch einen aufgenagelten Zweig schnell gemacht. Derartige Hochsitze lassen sich fast überall schnell herstellen; sie kosten so gut wie nichts, fallen nicht auf, sind also der Zerstörungswut nicht ausgesetzt und erfüllen ihren Zweck vollkommen, handelt es sich darum, einen Bock oder Hirsch auszumachen oder auf etwas anderes Obacht zu geben. Angenehmer ist natürlich die mit einem Sitze sowie Seiten- und Rückenlehne versehene Leiter. In derselben Zeit, in der man aber eine solche Leiter baut, kann man sich bei einiger Übung sechs von den einfachen Hochsitzen herstellen.
Wie das Jagen vom Hochsitz im allgemeinen für die Katz ist, so ist eine Jagd ohne Hochsitze durchschnittlich mangelhaft. Wo Blößen mit Stockaufschlägen sind oder das Gelände sonstwie unübersichtlich ist, ist ohne Hochsitze kaum auszukommen, will man sich nicht von zehn Böcken neun verpirschen und seinen Rehstand unnötig beunruhigen. Eine Rotwildjagd aber ist ohne Hochsitze überhaupt nicht weidmännisch zu bejagen; denn nimmt schon der Bock eine frische Fährte oft sehr übel, so vergrämt sie den Hirsch jedesmal. Deshalb müssen in Hochwildjagden mindestens für die Jagdhüter Hochsitze beschafft werden, denn anders ist ein Bestätigen ohne empfindliche Störungen gar nicht möglich. Wo sie zu stehen haben, dafür lassen sich allgemeine Regeln nicht aufstellen; die Hauptsache ist, daß sie nicht in der Nähe der Wechsel stehen und daß Pirschsteige zu ihnen führen, so daß sie ohne Geräusch zu erreichen sind und daß sie so fest gebaut sind, daß sie nicht knarren, denn es gibt kein größeres Elend, als auf einer Knasterkanzel zu sitzen und fortwährend aufpassen zu müssen, daß man nicht zu tief Luft holt, weil dann das Jammerding sofort erheblich zu krächzen beginnt, so daß der Jäger andauernd Blut und Wasser schwitzt. Auf solchem Ungetüm habe ich einmal vier Stunden gesessen, um einen Mönch zu schießen; ich bekam ihn glücklich, hatte aber, so lange ich da saß, das Gefühl, als säße ich in einem Ameisenhaufen, und war gänzlich fertig, als ich hinabkletterte. Es waren ungefähr die schwersten Stunden meines Lebens, und wenn ich jemand etwas Übles an den Hals wünsche, dann denke ich im Abgrunde meiner Seele: »Ich wollte, du säßest auf der Knasterkanzel, bis du verschwarzen mußt!«
Ich habe auch schon auf Kanzeln gesessen, die Drehschemel mit Rückenlehne, Auflegevorrichtung, Bodenbelag von Torfmull, einen Aschenbecher und sogar ein Schutzdach hatten; es fehlte nur noch ein Zeitungsschrank und eine Kellnerin, dann war das Kaffeehaus fertig. Mancher liebt so was, mancher auch nicht, und dazu gehöre ich. Aber ein Hochsitz, der Gelenkrheumatismus hat und bei jedem Zephir vor Wehtag wimmert und stöhnt, das ist alles eher denn ein reiner Genuß, und die schönste Freude ist es auch nicht, auf einer Leiter zu hocken, die so steil steht, daß man es nicht wagen darf, mit den Ohren zu wackeln aus Angst, samt seiner treuen Knarre abwärts zu sausen. Auch ist es nicht gerade ein süßes Gefühl, ist da irgendwo ein nicht genug, aber dafür zu spitz abgeschnittener Ast, der einem bei jeder Bewegung zwischen den Rückenwirbeln herumstochert, oder irgendwo ein herausstehender Nagel, an dem man gerade dann mit dem Ärmel hängen bleibt, wenn man den darin befindlichen Arm ganz dringend gebraucht, oder wenn die Fußstütze so hoch angebracht ist, daß die Kniescheiben mit den Ohren Zwiesprache halten können, oder so tief, daß einem nach zehn Minuten die Beine mit Grundeis gehen, oder ist das Dings so eng, daß man darin eingeklemmt ist, wie die Auster in der Schale, oder ist da irgendwo ein Stück lose Rinde, das Freikonzert gibt, wenn man auch nur mit dem Schulterblatte zuckt, oder wippt einem vor seinen schönen blauen Augen ein Zweig herum, der mit tödlicher Bosheit gerade das verdeckt, was man nun gerade sehen will; kurzum: wenn Theodor Vischer Jäger gewesen wäre und Hochsitze gekannt hätte, so würde er in seinem köstlichen Roman »Auch einer« bei dem Kapitel über die Tücke des Objekts sicher einige schnöde Bemerkungen über Hochsitze angebracht haben.
Der Krieg ist ein Übel, aber ein notwendiges, sagt man. Mit dem Hochsitze steht es ähnlich. Wo keiner ist, gebraucht man ihn dringend; sitzt man aber einmal darauf, so kommt es nicht selten vor, daß man singen möchte: »Und da will er wieder runter und da kann er nicht, radibimmel, radibammel, radibumbumbum, und da feixen ihm die Böcke in das Angesicht« usw. Noch heute, und dabei sind schon zehn Jahre darüber hin, sträubt sich mir alles, was ich auf dem Kopfe habe, denke ich an einen weichen, warmen, allzu weichen, allzu warmen Abend scheußlichen Angedenkens. Mückenfest, das bin ich, aber die infamigten Gnitten, die soll der sogenannte Dieser und Jener holen! Dreiunddreizig Tausend von dem Ungeziefer stürzten sich mindestens auf mich, nach meinem Herzblute lechzend, so daß ich das Gefühl hatte, ich müßte vor Angst auf die höchsten Akazien klettern; da aber im Bruch keine vorhanden waren, so erklomm ich eine Eiche und verankerte mich dort, so gut es ging, hielt mich mit dem linken Fuße an einem Aste fest und ließ den anderen in die Atmosphäre herunterbaumeln, bis er vor Langeweile vollkommen einschlief. Dann kam das Schmalreh und äste sich in bequemster Schußnähe, nämlich halblinks von mir, und dann kam der Bock und äste sich in unbequemster Schußnähe, nämlich halbrechts von mir, und ich saß da, wie der bekannte Leipziger Dachgreis bei der großen Wassersnot, kam mir vor, wie jeder verhagelte Lohgerber, dem die Petersilie wegschwamm, und konnte singen: »Du holdes Licht, du schöner Stern, du bist mir nah und doch so fern«, aber das tat ich nicht, sondern als der Bock sich taktvoll zurückzog, fluchte ich lästerlich.
Das ist aber noch gar nichts. Ein anderes Mal kletterte ich in eine Eiche bei einem Kahlschlag, in dessen hohen Stockausschlägen ein Bock sein Schmalreh wie ein Wilder trieb. Als er mir endlich schußgerecht kam, machte ich eine kleine Drehung und stach mir dabei einen spitzen Zweigstumpf derart in die Gesäßschwielen, daß ich glänzend vorbeiräucherte und wie ein übergefahrener Hund pfiff. Aber das Schönste kommt noch. Sitz ich da wieder mal in einer Eiche über einer unmenschlichen Porstdickung; kommt der Bock auch, aber natürlich von hinten, stellt sich unter die Eiche und plätzt, so daß ich ihm mitten auf den Grind gucken konnte. Als ich das tat, fiel mir ohne jede Vorrede der Hut herunter und dem Bocke auf das Genick, worauf sich mein Bock auf Nimmerwiedersehen empfahl und mich allein mit meinem Schmerz auf weiter Flur zurückließ. Und das ist auch noch nichts, denn das Allerallerschönste stieß einem Bekannten von mir zu, der seine zwei Zentner aufgebrochen wiegt. Er hatte sich eine Leiter bauen lassen, die er ab und zu mit sich herumschleppte. Er macht sich einen Bock aus, stellte die Leiter in eine Eiche, verblendete sie mit Zweigen und quetschte sich in den Baum. Schon war der Bock da. »Sieh da,« sagte er zu sich, als er die Zweige sah, »daran wollen wir eben mal ein bißchen fegen.« Er fegte, fegte, bis die Leiter umfiel, empfahl sich mit lautem Schreckensgeschrecke, kam auch nie wieder, und oben saß der Zweizentnermann und erfüllt die Luft solange mit lautem Wehklagen über sein hartes Geschick und den noch härteren Sitz, bis zwei Waldarbeiter ihn erlösten. Der Bock ließ sich aber nie wieder in jener Gegend sehen und wurde, wie die Ohrmarke nachwies, zwanzig Meilen von jener Stätte erlegt.
Ohne Luft kann man bekanntlich nicht leben, von der Luft erst recht nicht. Und mit den Hochsitzen geht es nicht viel anders: es jagt sich unbequem ohne Hochsitze, aber auch nicht immer bequem vom Hochsitz.