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Kaffee- und Logierhäuser

Wieder ein Wort, von dem der Glanz gewichen ist – alle Romantik und Tradition, und was sonst das Wort würdig macht, in Ehren gehalten zu werden! Das Wort »Kaffeehaus« wird für mich künftig einen alles eher als angenehmen Klang haben. Jenseits des Meeres genügte dieses Wort, um in meinen Gedanken ganze Scharen historischer Stammgäste der Kaffeehäuser erstehen zu lassen und meine Phantasie mit Reihen heller Köpfe und Stutzern, Journalisten und Straßenräubern, aller Bohemiens von Grub Street zu bevölkern.

Aber hier, ach, hier ist sogar der Name nur Humbug. Kaffeehaus: das sollte wohl ein Ort sein, wohin die Leute kommen und Kaffee trinken. Aber das ist es durchaus nicht. Allerdings kann man Kaffee verlangen, und es wird einem etwas in einer Tasse gebracht, das man für Kaffee ausgibt; schmeckt man es aber, so wird man tief enttäuscht, denn Kaffee ist es unter keinen Umständen.

Und was vom Kaffee gilt, gilt vom ganzen Geschäft. Diese Orte werden hauptsächlich von Arbeitern besucht, und es gibt nichts, das das Anstandsgefühl und das Selbstbewußtsein bei diesen Menschen hier in den fettigen, schmutzigen Buden erhalten kann. Hier kennt man nichts Derartiges wie Tischtücher und Servietten. Man ißt inmitten der Überreste, die der Vorgänger liegengelassen hat, und verstreut seine eigenen Überbleibsel über den ganzen Fußboden. In der Hauptgeschäftszeit bin ich buchstäblich durch Lachen und Schmutz gewatet, der in einer dicken Schicht auf dem Fußboden lag, und ich habe mein Essen nur hinunterwürgen können, weil ich so unheimlich hungrig war, daß ich imstande gewesen wäre, alles zu verschlingen.

Und so ist wohl auch der normale Zustand des Arbeiters, nach dem Wohlbehagen zu urteilen, mit dem er sich zu Tische setzt; Essen betrachtet er als eine Notwendigkeit, und er macht dazu nicht viele Umstände. Er bringt eine tierische Gefräßigkeit mit, und ich bin überzeugt, daß er, wenn er geht, noch einen recht gesunden Appetit hat.

Wenn man einen solchen Menschen morgens auf dem Wege zur Arbeit hineingehen und sich eine Tasse Tee bestellen sieht, die in Wirklichkeit nichts mit Tee zu tun hat, worauf er ein Stück trockenes Brot aus der Tasche zieht und es mit dem Tee hinunterspült, so kann man überzeugt sein, daß er bei weitem nicht genug in den Leib bekommen hat – nicht einmal an schlechter Nahrung –, um imstande zu sein, seine Arbeit zu verrichten. Und ebenso sicher ist es, daß er und tausend andere, denen es wie ihm ergeht, unmöglich nach Quantität und Qualität eine Arbeit leisten können, wie tausend Arbeiter, die tüchtig Fleisch und Kartoffeln gegessen und Kaffee getrunken haben, der wirklich Kaffee ist.

Als Landstreicher bin ich in einem kalifornischen Gefängnis mit weit besserem Essen und Trinken traktiert worden, als die Londoner Arbeiter es in ihren Kaffeehäusern bekommen. Und als Landarbeiter habe ich in Amerika für zwölf Pence ein Frühstück bekommen, von dem ein englischer Landarbeiter sich nichts träumen läßt. Allerdings würde er auch nicht mehr als drei oder vier Pence für sein Frühstück bezahlen können, aber das ist verhältnismäßig ebensoviel, wie ich bezahlte; denn ich verdiente sechs Schilling mit der Arbeit, für die er zwei oder zwei und einen halben Schilling bekommen würde. Andrerseits muß man auch in Betracht ziehen, daß ich weit mehr leisten konnte als er. Die Sache hat zwei Seiten. Wer gut lebt, wird stets imstande sein, mehr zu arbeiten, als der, der schlecht lebt. Die Seeleute pflegen folgenden Vergleich zwischen den Verhältnissen auf englischen und amerikanischen Frachtdampfern zu ziehen: Auf englischen Schiffen, sagen sie, ist das Essen schlecht, der Lohn schlecht und die Arbeit leicht – auf den amerikanischen Schiffen ist das Essen gut, der Lohn gut und die Arbeit schwer.

Und das ist überhaupt für die Arbeitsverhältnisse in beiden Ländern bezeichnend. Die Ozean-Schnelldampfer müssen selbstverständlich für ihre Schnelligkeit und Triebkraft bezahlen, und ebenso muß der Arbeiter mit mehr Arbeit für die bessere Triebkraft bezahlen, die er erhält, und kann er das nicht, so erlangt er keine guten Verhältnisse. Zum Beweis dafür braucht man sich nur einen englischen Arbeiter anzusehen, der nach Amerika kommt. Er wird in New York mehr Steine vermauern als in London, in St. Louis mehr als in New York, und noch mehr in San Franzisko, wo der Maurerlohn zwanzig Schilling täglich beträgt, und wo diese Arbeiter zur Zeit streiken, um einen Lohn von vierundzwanzig Schilling zu erlangen. Aber er lebt auch desto besser, je mehr Steine er vermauert.

Frühmorgens kann man in den Straßen, die die Arbeiter auf dem Wege zur Arbeit passieren, eine Menge Frauen sehen, die auf dem Rande des Bürgersteigs sitzen mit Säcken voller Brot, das die Arbeiter massenweis kaufen und im Weitergehen verzehren. Sie spülen nicht einmal das trockene Brot mit einer Tasse Tee von der Art hinunter, wie man sie für einen Penny in den Kaffeehäusern erhält.

Es steht außer Zweifel, daß kein Mensch imstande ist, nach einer solchen Mahlzeit ein ordentliches Tagewerk zu leisten, und ebenso sicher ist, daß den Schaden sein Arbeitgeber und das Volk in seiner Gesamtheit zu tragen haben.

Kürzlich stießen einige Staatsmänner den Feldruf aus: Wach' auf, England! Es würde von klarerem und gesünderem Menschenverstand zeugen, wenn sie stattdessen riefen: Versorge die Deinen, England!

Die Ernährung des Arbeiters ist nicht nur schlecht, sie ist auch unreinlich. Ich habe vor einem Schlächterladen gestanden und eine Gruppe besorgter Hausfrauen beobachtet, die Stücke von Ochsen- und Schaffleisch zwischen den Fingern drehten, Abfälle, die man in Amerika als Hundefutter gebrauchen würde. Ich will nicht für die Reinheit der Hände dieser Hausfrauen garantieren, ebensowenig wie ich für die Reinlichkeit der Zimmer garantieren würde, in denen sie mit ihrer Familie hausen; dennoch kramten und suchten sie in den Lebensmitteln herum, ängstlich, daß sie nicht genügend für ihr Kupfergeld bekommen würden.

Ich verfolgte mit den Blicken ein besonders unappetitlich aussehendes Stück Fleisch, folgte ihm auf seinem Wege durch die Hände von zwanzig Frauen, bis es endlich einer kleinen verzagten Frau zufiel, der der Schlächter es aufhängte. Den ganzen Tag lang wurde von diesem Haufen genommen und neuer Abfall dazugehäuft, Staub und Straßenschmutz legten sich darüber, die Fliegen setzten sich darauf, und die schmutzigen Finger drehten und wendeten es.

Die Händler fahren den ganzen Tag mit kleinen Wagen voll von fleckigem, faulem Obst herum, das sie in der Regel nachts in dem einzigen Raum aufbewahren, den sie zum Leben und Schlafen haben; dort ist es allen Krankheitskeimen, aller Ungesundheit und der vergifteten Atmosphäre ausgesetzt, die in einer überfüllten, unsauberen Wohnung herrscht – und am nächsten Tag wird es wieder herumgefahren und zum Verkauf ausgeboten.

Die armen Arbeiter von East End wissen gar nicht, was gesundes Fleisch und frisches Obst heißt – im übrigen können sie sich's überhaupt sehr selten erlauben, Fleisch und Obst zu essen; und selbst der bessergestellte Arbeiter kann mit seiner Nahrung keinen Staat machen. Nach den Kaffeehäusern zu urteilen, die einen sehr guten Maßstab abgeben, erfahren sie ihr Lebelang nicht, was Tee, Kaffee und Kakao eigentlich sind. Das Spül- und Aufwaschwasser, das die Kaffeehäuser servieren, und das nur in bezug auf Wäßrigkeit und Schmutzigkeit variiert, gibt nicht eine blasse Ahnung von dem Tee und Kaffee, den wir andern zu trinken gewohnt sind.

Da wir gerade bei Kaffeehäusern sind, fällt mir eine kleine Begebenheit ein, die ich einmal in einem solchen Lokal an der Mile-End-Straße in der Nähe der Jubilee-Straße beobachtete.

»Kannst du mir nicht dafür etwas geben, mein Kind? Ganz gleich, was, ich habe den ganzen Tag noch nicht einen Bissen geschmeckt, und ich falle bald um ...« Es war eine alte Frau, die das sagte. Sie war in armselige schwarze Lumpen gekleidet und hielt einen Penny in der Hand. Die, an die sie sich wandte und die sie »mein Kind« nannte, war eine vierzigjährige Frau, zugleich Besitzerin und Kellnerin des Geschäfts.

Ich wartete, vielleicht in ebenso großer Spannung wie die alte Frau, um den Erfolg ihrer Bitte zu sehen. Es war vier Uhr nachmittags, und die Alte sah schwächlich und krank aus. Die Frau des Hauses bedachte sich einen Augenblick, dann kam sie mit einem großen Teller voller Lammfrikassee und grünen Erbsen. Ich war gerade mit dem Verzehren des gleichen Gerichts beschäftigt und gestehe, daß die grünen Erbsen grüner hätten sein können, ohne zu jung zu sein; wie dem aber auch sei, jedenfalls kostete die Portion sechs Pence, und die Wirtin überließ sie ihr für einen Penny und unterstrich damit wieder die alte Wahrheit, daß die Armen am barmherzigsten sind.

Die alte Frau erschöpfte sich in Danksagungen, setzte sich mir gegenüber an den schmalen Tisch und machte sich gierig über das dampfende Essen her. Dann aßen wir eifrig und schweigend, sowohl sie wie ich, bis sie mir plötzlich heiter zurief:

»Ich hab' eine Schachtel Streichhölzer verkauft! – Ja,« bekräftigte sie unter einem noch stärkeren Heiterkeitsausbruch, »ich hab' eine Schachtel Streichhölzer verkauft! Daher hab' ich das Geld.«

»Sie müssen doch schon bei Jahren sein«, bemerkte ich.

»Ich bin gestern Vierundsiebzig geworden«, sagte sie und machte sich wieder mit Appetit an ihren Teller.

»Ich würde gern etwas für das alte Mädel tun, weiß Gott, aber das ist das erste, was ich selbst heute zu essen kriege«, versicherte ein junger Bursche, der neben mir saß. »Und das nur, weil ich ein paar Groschen mit Aufwaschen verdient habe. Du lieber Gott! Was für eine Menge Töpfe ich auswusch.«

Und kurz darauf fügte er als Antwort auf meine Frage hinzu: »Ich habe sechs Wochen lang nicht in meinem Beruf arbeiten können; nur hin und wieder eine zufällige Beschäftigung, und von einem bis zum andern Mal hat es immer verdammt lange gedauert.«

Man erlebt manches kleine Abenteuer in den Kaffeehäusern, und ich werde kaum die echte Londoner Amazone vergessen, die ich irgendwo in der Nähe des Trafalgar-Platzes traf, und der ich, als ich bezahlte, ein Goldstück reichte. Nebenbei möchte ich bemerken, daß Bezahlung erwartet wird, ehe man mit dem Essen beginnt, und ist man schlecht gekleidet, so ist man einfach gezwungen, vorher zu bezahlen.

Das Mädchen biß mit den Zähnen in das Goldstück, prüfte den Klang auf der Theke und sah mich und meine Lumpen dann von oben bis unten boshaft an. »Wo haben Sie das gefunden?« fragte sie schließlich.

»Irgendein Bettler hat es wohl auf dem Tische liegenlassen, als er ging, meinen Sie nicht?« antwortete ich.

»Was meinen Sie damit?« fragte sie und sah mir ruhig in die Augen.

»Ich mache die Dinger selber«, fuhr ich fort.

Sie schnaufte höhnisch und gab mir in kleiner Silbermünze heraus, und da rächte ich mich, indem ich in jede einzelne Münze biß und den Klang prüfte.

»Ich will Ihnen einen halben Penny geben, wenn Sie mir noch ein Stück Zucker zum Tee geben«, sagte ich.

»Scheren Sie sich zum Teufel!« lautete die höfliche Antwort, und sie unterstrich deren Höflichkeit noch mit verschiedenen belebenden Ausdrücken, die sich nicht im Druck wiedergeben lassen.

Ich habe nie das Talent gehabt, zu antworten, und mit dem bißchen, was ich sagte, wurde sie schnell fertig; und ich schluckte meinen Tee als ein geschlagener Mann, während sie mich anglotzte und mir mit den Blicken folgte, bis ich auf der Straße stand.

Während 300 000 Menschen in Einzimmerwohnungen in London und 900 000 auf ungesetzliche und unverantwortliche Weise wohnen, sind 38 000 in öffentlichen Unterkunftshäusern einregistriert. Es gibt viele derartige Häuser, aber in einem gleichen sie sich alle – die kleinen, schmutzigen sowohl wie die ungeheuer großen, die fünf Prozent Zinsen geben und von anständigen Angehörigen des Mittelstandes gelobt werden, die jedoch nur eines von ihnen wissen, nämlich, daß es Stätten sind, wo man nicht wohnen kann. Dieser Umstand, daß sie eigentlich unbewohnbar sind, gilt für sie alle; ich meine nicht, daß die Dächer entzwei sind, oder daß es durch die Wände weht, ich denke nur daran, daß das Dasein an diesen Stätten erniedrigend und ungesund ist.

»Hotel des armen Mannes« werden sie oft genannt, die Bezeichnung ist Ironie – kein Zimmer zu besitzen, in dem man hin und wieder allein sein kann, morgens aus dem Bett gezerrt zu werden, ob man aufstehen will oder nicht, jede Nacht ein andres Bett zu mieten und dafür zu bezahlen, das ist wahrlich eine Lebensweise, die dem Leben in einem Hotel sehr fern ist.

Man betrachte das, was ich hier gesagt habe, nicht als eine endgültige Verurteilung der großen privaten und kommunalen Logishäuser und der »Arbeiterheime«. Das ist durchaus nicht meine Absicht. Sie haben vielen der Abscheulichkeiten abgeholfen, die an den unverantwortlichen kleinen Logishäusern klebten, und sie bieten dem Arbeiter für sein Geld mehr, als er früher gehabt. Aber deshalb werden sie doch nie so bewohnbar und gesund wie die Wohnungen, auf die ein Mann, der seine Arbeit in der Welt tut, Anspruch erheben kann.

Die kleinen privaten Logishäuser sind in der Regel so entsetzlich, daß es ganz unmöglich ist, sich mit ihnen auszusöhnen. Ich habe selbst in ihnen geschlafen und kenne sie, aber ich will sie übergehen und mich an die großen, besseren Anstalten halten.

In der Nähe der Middlesex-Straße in Whitechapel kam ich in ein großes Logishaus, das hauptsächlich von Arbeitern bewohnt wurde. Man mußte eine Treppe hinabsteigen, die von der Straße in den Keller des Gebäudes führte. Unten befanden sich zwei mächtige, schwach erleuchtete Räume, wo eine Anzahl Männer sich im Stehen ihr Essen bereiteten. Ich hatte beschlossen, mir auch etwas zu kochen, aber der Gestank, der mir entgegenschlug, nahm mir allen Appetit, und ich begnügte mich damit, zuzusehen, wie die andern aßen.

Ein Arbeiter, der gerade von der Arbeit kam, setzte sich mir gegenüber an den ungehobelten Holztisch und begann seine Mahlzeit zu halten. Eine Handvoll Salz auf dem nicht allzu reinen Tisch ersetzte ihm die Butter. Er tauchte sein Brot, Bissen für Bissen, hinein und spülte es mit Tee hinunter, den er aus einer großen Schale trank. Außerdem hatte er ein Stück Fisch auf seiner Speisekarte.

Er aß schweigend und sah weder rechts, noch links, noch auf mich. Rings an den andern Tischen saßen andere Männer und aßen schweigend wie er. Man hörte in der großen Halle kaum ein Wort.

Ein Gefühl von Niedergeschlagenheit überschlich alle in diesem halbdunklen Raum. Die meisten dieser Menschen brüteten über den Krumen ihrer Mahlzeit, und ich mußte mich wie Childe Roland fragen, was sie Böses getan haben mochten, daß sie so schwer gestraft wurden.

Aus der Küche ertönte mehr Lärm, und ich wagte mich in die Reihen, wo die Männer standen und kochten; aber der Geruch, der mir beim Eintreten Ekel verursacht hatte, war hier noch stärker, und ein Anfall von Seekrankheit trieb mich auf die Straße hinaus; ich mußte frische Luft schöpfen.

Als ich wiederkam, bezahlte ich fünf Pence für eine »Kabine«, empfing die Quittung für das Geld in Form eines großen Messingschildes und begab mich dann in das Rauchzimmer. Hier standen ein paar kleine Billardtische und mehrere Schachtische, die von jungen Arbeitern benutzt wurden, während andere in Gruppen darauf warteten, daß die Reihe zu spielen an sie käme. Rings saßen Männer, die rauchten, lasen oder sich ihr Zeug flickten.

Die jungen Menschen waren heiter, die alten verstimmt. Eigentlich waren es verschiedenerlei Menschen, lustige und traurige, und es sah aus, als schaffe das Alter die Einteilung.

Ebensowenig wie die beiden Kellerräume trug dieser Ort auch nur das entfernteste Gepräge von Behaglichkeit. Für Menschen, die wissen, was eine behagliche Häuslichkeit heißen will, könnte jedenfalls nicht die Rede davon sein, sich hier heimisch zu fühlen.

An den Wänden waren die unbilligsten und beleidigendsten [Ordnungnungsvorschriften] angeschlagen, um das Benehmen der Gäste zu regeln. Um zehn Uhr abends wurde das Licht ausgelöscht, und man konnte nichts tun, als zu Bett gehen.

Um zu seiner Schlafstelle zu gelangen, mußte man wieder in den Keller hinab, sein Messingschild an einen dicken Türwächter abliefern und eine Menge Treppen hinauf in die oberen Regionen des Hauses klettern. Ich ging bis zum Boden hinauf und wieder hinunter und sah ganze Etagen voll von Schlafenden.

Die »Kabinen« waren die besten Einrichtungen, die es gab. In jeder war Platz für ein schmales Bett und außerdem so viel Raum, daß man neben dem Bett stehen und sich ausziehen konnte. Das Bettzeug war sauber, und ich hatte weder an ihm noch an dem Bett etwas auszusetzen. Aber sie ermöglichten einem doch kein Privatleben, sie gaben keine Gelegenheit allein zu sein.

Um sich einen Begriff von einer solchen Etage voll Schlafkabinen zu machen, stellt man sich am besten einen Papprahmen vor, wie er zur Versendung von Eiern benutzt wird; jeder Raum ist in diesem Fall sieben Fuß im Geviert groß; denkt man sich einen solchen Papprahmen in einem gewaltigen leeren Raum auf den Fußboden gelegt, so hat man die Einrichtung der Etagen. Diese Zellen haben keine Decke, die Wände sind dünn, so daß man das Schnarchen aller Schlafenden und das Geräusch jeder Bewegung, das der Nachbar macht, deutlich hört.

Und diese kleine Zelle gehört einem nur für kurze Zeit. Morgens muß man ausziehen, man kann seinen Koffer nicht stehenlassen oder gehen und kommen, wann man will, seine Tür abschließen oder sonst etwas Derartiges. Im übrigen gibt es dort keine Tür, sondern nur einen Eingang. Wenn man Gast dieses Armeleute-Hotels sein will, muß man auf alles das verzichten und sich mit dem Gefängnisreglement abfinden, das man stets vor Augen hat, und das einem zeigt, daß man nichts wert ist, nur ein sehr kleines persönliches Ich hat und noch weniger Rücksicht darauf verlangen kann.

Nun behaupte ich, daß das wenigste, was ein Mann, der den ganzen Tag arbeitet, beanspruchen kann, ein Zimmer ist, das er für sich hat, dessen Tür er schließen und in dem er sich sicher im Besitz seines Eigentums fühlen kann; ein Raum, in dem er sich niedersetzen und am Fenster lesen, wo er kommen und gehen kann, wann er will, und einigen persönlichen Besitz sammeln kann über das hinaus, was er am Körper und in seinen Taschen trägt; ein Zimmer, wo er die Bilder seiner Mutter, seiner Schwester, seiner Braut, von Balletteusen oder Bulldoggen, je nach Geschmack, aufhängen kann – kurz, eine Stätte hier auf Erden, von der er sagen kann: »Dies ist mein, meine Burg; die ganze Welt muß vor der Türschwelle haltmachen; hier bin ich Herr und Gebieter.« Ich glaube, daß ein Mann, der so gestellt ist, ein besserer Bürger sein und ein besseres Tagewerk leisten wird.

Ich stand in einem Stockwerk des Armeleute-Hotels und lauschte. Ich ging von Bett zu Bett und betrachtete die Schlafenden. Die meisten von ihnen waren junge Leute im Alter von Zwanzig bis Vierzig. Alte Männer können es sich nicht leisten, im »Heim arbeitender Männer« zu wohnen; die müssen ins Asyl gehen. Ich betrachtete die jungen Männer, betrachtete Dutzende von ihnen, und sie sahen nett aus. Ihre Gesichter waren wie für die Küsse, ihre Hälse wie für die Arme von Frauen geschaffen. Sie waren so wert, geliebt zu werden, wie Männer es nur sein können. Und sie waren auch fähig zu lieben. Die Liebe einer Frau versöhnt und mildert das Gemüt, und ihnen tat schon etwas Versöhnendes und Tröstendes not, statt mit jedem Tage mehr und mehr zu verrohen. Und ich grübelte, wo die Frauen sein mochten, und hörte im selben Augenblick das trunkene Lachen einer Dirne. – Lemanstraße, Waterloostraße, Piccadilly, dort findet man sie.


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