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2.

Er wurde der Unterschlagung von Geldern in seinem Geschäft beschuldigt. Es handelte sich um keine sehr große, aber auch um keine belanglose Summe. In seinem Pulte wurden Papiere – durch seine Hände gegangene Kassenzettel und Kontrollabschnitte – gefunden, deren Herkunft an diesem Ort er nicht erklären konnte. Er wußte nicht, wie sie dorthin – in sein Pult – gekommen sein konnten, zu dem er allein den Schlüssel besaß.

Angesichts dieser Verdachtsgründe wurde er verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

Er war wie vor den Kopf geschlagen.

Er konnte nichts tun, als nur immer wieder seine Unschuld beteuern.

Es kam zur Verhandlung.

Er verteidigte sich schlecht. Sein offizieller Verteidiger, ein noch ganz junger und ungeübter Mann (zu einem anderen fehlten die Mittel), tat es noch schlechter.

Gefragt, was er zu seiner Verteidigung vorzubringen habe, konnte er nur immer wieder stammeln, daß er unschuldig sei. So war es auch damals in der Schule gewesen, bevor sich die Anschuldigung gegen ihn als falsch erwiesen.

Schon, daß man ihn für einen Dieb halten konnte, brachte ihn außer sich und raubte ihm jede Überlegung, die ihm hier allein hätte helfen, wenn auch kaum hätte retten können. Er besaß eine im Grunde schamhafte und äußerst empfindliche Seele – ein schweres Erbteil für einen Mann in einer rohen und schamlosen Zeit.

Trotz allem schienen Richter und Geschworene nicht ungünstig gegen ihn gestimmt. Seine bisherige Unbescholtenheit, die Unaufgeklärtheit des Falles, die Unbeweisbarkeit, wohin das fehlende Geld gekommen – manches sprach für ihn.

Bis am Schluß der kurzen Verhandlung, der letzten und späten an diesem Tage, der öffentliche Ankläger aufstand und das Wort ergriff. Erst jetzt erwachte Adolf Braun aus seiner Betäubung. Erst jetzt hörte er, was um ihn her gesprochen wurde, und verstand den Sinn der Worte. Es waren harte, falsche, wie auswendig gelernte Worte, die diese eintönige, knarrende Stimme so selbstbewußt in den Saal schleuderte. Worte, an die der, der sie sprach, selbst nicht glaubte, nicht glauben konnte. Adolf Braun wollte aufspringen, ihn unterbrechen, ihn widerlegen. Er konnte es nicht. Seine Kehle war wie zugeschnürt unter dem furchtbaren Unrecht, das ihm hier – mit diesen Worten – geschah. Dann war es zu spät.

Erst als das Urteil gesprochen war und er hinausgeführt werden sollte, fand er die Sprache wieder. Er wandte sich um, sah den, der eben noch gesprochen und dessen Worte allein zu diesem Urteil geführt, fest an und ihm in die Augen, und sagte noch einmal und zum letzten Male:

»Ich bin unschuldig!«

Und fügte, klar und deutlich, bis in die letzte Ecke hinein verständlich hinzu:

»Und Sie wissen es!«


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