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Zehntes Kapitel

Ungefähr sechs Monate, nachdem ich Mr. O'Gallagher's Schule zum Platzen gebracht hatte, wurde die Compagnie, zu welcher mein Vater Ben gehörte, wieder auf die See beordert, und bald nachher segelte er in dem Redoutable, Vierundsiebenzig, nach Ostindien ab. Ich kann ohne Bedenken versichern, daß meine Mutter sehr erfreut war über seinen Abschied, weiß übrigens nicht zu sagen, ob sie ihre Gefühle je genauer zergliederte. Indeß möchte ich wohl glauben, daß ihre Wünsche darauf hinausliefen, das Kapitel der Zufälle möchte Ben's Wiederzurückkunft verhindern, da sie sich seiner als ihres Gatten schämte und zugleich überzeugt sein mußte, daß er einer anständigen Versorgung ihrer Schwester im Wege stand.

Ben sagte uns Allen an einem schönen Tage Lebewohl, und meine Mutter war sehr großmüthig gegen ihn, da sie wohl in der Lage war, es sein zu können. Ich denke fast, daß auch Ben die Trennung nicht allzu leid that, denn trotz seiner Beschränktheit mußte er doch gefühlt haben, welche Null er geworden war, daß er nicht nur von meiner Mutter, sondern von Jedermann im Hause, sogar auch von mir, nur als eine Art Oberknecht behandelt wurde.

Es traf sich nun, daß ungefähr einen Monat nach Ben's Abreise Kapitän Delmar durch Verwendung seines Onkels, des Lord de Versely, das Commando eines Schiffes erhielt, welches in dem Redway lag, und bei dieser Gelegenheit über Chatam kam. Er hatte keine Idee davon, daß meine Mutter sich hier befand, denn sie war ihm ganz und gar aus dem Gesichte gekommen, und wäre ich nicht gewesen, so würde er sehr wahrscheinlich, ohne diese Entdeckung gemacht zu haben, weiter gegangen sein.

Unter andern Vergnügungen hatte ich eine große Vorliebe für eine gewisse junge Bulldogge, deren Lieutenant Flat im vorigen Kapitel gedacht, und womit er mir ein Geschenk gemacht hatte. Der Hund war nun ausgewachsen, und ich hatte ihn viele Streiche gelehrt, von denen mir namentlich einer (natürlich auf anderer Leute Kosten) die größte Unterhaltung machte: ich hatte nämlich aus Kalfaterwerg einen sehr starken und dicken Haarzopf von anderthalb Fuß Länge angefertigt, an dessen oberem Ende sich ein eiserner Haken befand.

Der Zopf ließ sich, ohne daß man es bemerkte, von hinten leicht in die Rockkrägen einhaken, und Bob war von mir dressirt worden, auf mein Geheiß (und nicht früher) nach dem Schwanze hinaufzuspringen, wo er sich auch befinden mochte, um sich mit der ganzen Zähigkeit seiner Raçe daran anzuhängen.

Man kann sich denken, daß dieß in der Kaserne viel Spaß machte. Auch Kapitän Bridgeman hielt es für eine treffliche Posse und zollte ihr seinen Beifall; aber außer der Kaserne nahm man es anders, denn ich hatte schon manches alte Weib fast zu Tode erschreckt, indem ich den Schwanz irgend einem hintern Theile ihres Anzuges anheftete.

Da trug es sich zu, daß ich, als ich eines Nachmittags mit Bob umherkreuzte, den neu angekommenen Kapitän Delmar bemerkte, wie er in dem vollen Pompe seiner Uniform in Begleitung eines Seecadeten die Straße hinunterparadirte. Ich dachte bei mir selber: »Tausend! wie gerne möchte ich diesem meinen Schwanz an seinen schönen Rock hängen, wenn ich es nur wagen dürfte,« wurde aber allmälig so lüstern, daß ich meinen Zopf richtig losmachte, um ihn bei der nächsten Gelegenheit benützen zu können. Ich fürchtete indeß, der Seecadet möchte mich sehen.

Kapitän Delmar war an mir vorbei, der Seecadet gleichfalls, und ich dachte bereits, es sei Alles vorbei, als sich Kapitän Delmar plötzlich umwandte und den kleinen Offizier fragte, ob er das Befehlbuch bei sich habe. Der Cadet langte an seinen Hut und antwortete verneinend, worauf Kapitän Delmar dem jungen Menschen eine sehr strenge Vorlesung über seine Vergeßlichkeit zu halten begann, obgleich er selbst auch vergessen hatte; und während dieß vorging, kam ich wieder an den Beiden vorbei.

Dieß war eine Gelegenheit, der ich nicht widerstehen konnte; denn während der Kapitän und der Cadet so gut im Austheilen und Einnehmen begriffen waren, hakte ich meinen Wergschwanz in den Kragen der goldgestickten Kapitäns-Uniform und ging dann mit Bob auf die andere Seite der Straße hinüber.

Nachdem der Cadet gebührend vorgenommen war, wandte sich Kapitän Delmar wieder um und ging seines Weges, worauf ich Bob rief, der bereits so begierig auf den Spaß war, als ich, und ihm, während ich auf den Kapitän deutete, sagte: »hol' es, Bob.« Mein Begleiter war in drei oder vier Sätzen über der Straße drüben, machte dann einen Sprung auf Kapitän Delmars Rücken, packte den Schwanz, blieb mit den Zähnen daran hängen, und schüttelte ihn mit aller Macht, während er selbst in der Luft baumelte.

Kapitän Delmar wurde ganz zurückgerissen und durch den unerwarteten Angriff beinahe über den Hausen geworfen. Eine kleine Weile konnte er den Grund nicht entdecken, endlich aber wandte er den Kopf über die Schulter und griff mit der Hand zurück, Worauf er seinen Feind erkannte.

In demselben Augenblicke rief ich: »Toller Hund! toller Hund!« und als der Kapitän diese beunruhigenden Worte hörte, hatte er fast den Tod vor Schrecken. Der Eckenhut fiel ihm vom Kopfe, und er gab Fersengeld, indem er, so schnell als er konnte, mit dem immer noch festhaltenden Bob die Straße hinuntereilte.

Die erste offene Thüre, die er bemerkte, war die zu meiner Mutter Bibliothek. Er stürzte hinein, warf Kapitän Bridgeman, der am Ladentisch saß und mit Tante Milly plauderte, beinahe über den Hausen und rief: »Hülfe! Hülfe!« Als er sich umwandte, kam ihm der Degen zwischen die Beine, so daß er über denselben strauchelte und stürzte. Dadurch wurde der eingehakte Schwanz los, worauf Bob aus dem Laden galloppirte und mir, der ich noch mit dem kleinen Cadetten fast erstickt vor Lachen auf der Straße stand, seine Prise überbrachte. Ich verbarg den Zopf wieder unter meinen Rockschößen, und wagte es, mit ganz gesetztem Gesicht auf meiner Mutter Haus zuzugehen, in das ich durch eine Hinterthüre hinein schlich, um Meister Bob in der Waschküche unterzubringen. Der kleine Cadet, welcher den Hut des Kapitäns aufgehoben hatte, gab mir im Vorbeigehen einen Wink, der zu sagen schien, er wolle mich nicht verrathen.

Kapitän Delmar half sich mittlerweile unter Kapitän Bridgeman's Beistand aus die Beine. Letzterer wußte nur zu gut, wer diesen Possen gespielt, und hatte, nebst Tante Milly, große Mühe, seine Lachlust zu unterdrücken.

»Barmherziger Himmel! was ist das gewesen? War das Thier toll? hat es mich gebissen?« rief Kapitän Delmar in den Stuhl zurücksinkend, auf welchen ihn Kapitän Bridgeman gesetzt hatte.

»Ich weiß es in der That nicht,« versetzte Kapitän Bridgeman; »aber Sie sind, wie es scheint, nicht beschädigt, Sir. Nicht einmal Ihr Rock ist zerrissen.«

»Was für ein Hund – wessen Hund kann es sein? – Er muß auf der Stelle erschossen werden – ich werde Befehl ertheilen, ich werde es dem Admiral melden. Darf ich um ein Glas Wasser bitten? Ah, Mr. Dott! Sie sind hier, Sir? Wie kommen Sie dazu, den Hund sich also auf meinen Rücken fest beißen zu lassen?«

»Mit Ihrem Wohlnehmen,« versetzte der dabei, indem er dem Kapitän seinen Eckenhut überreichte, »ich zog meinen Dolch, um ihn zu tödten, aber Sie liefen so schnell davon, daß ich Sie nicht einholen konnte.«

»Sehr gut, Sir; Sie können nach dem Boote gehen, um daselbst weitere Befehle zu erwarten,« entgegnete der Kapitän.

In diesem Augenblicke kam meine Mutter, welche eben mit ihrem Anzuge fertig geworden war, mit einem Glas Wasser, das Tante Milly hatte holen wollen, aus dem Hinterzimmer heraus. Als sie einen goldgestickten Kapitän bemerkte, trat sie voll Lächeln und Höflichkeit näher, bis sie sein Gesicht sah; dann aber stieß sie einen Schrei aus und ließ das Glas zu Boden fallen – zur großen Ueberraschung des Kapitän Bridgeman's, und deßgleichen meiner Tante, welche, da sie nie in der Halle gewesen war, den Kapitän Delmar nicht kannte.

Jetzt trat ich mit so gesetzter Miene ein, als ob, wie es im Sprüchwort heißt, »nicht einmal Butter in meinem Munde schmelzen wollte,« und natürlich war ich eben so erstaunt über die Verwirrung meiner Mutter, als die Uebrigen. Sie faßte sich jedoch bald und fragte Kapitän Delmar, ob er sich nicht herablassen wolle, ein wenig in dem Hinterstübchen auszuruhen. Als meine Mutter das Glas fallen ließ, hatte ihr der Kapitän voll in's Gesicht gesehen und sie erkannt, was er auch durch die leisen Worte: »Außerordentlich sonderbar – so gar unerwartet!« zu verstehen gab. Dann erhob er sich von seinem Stuhle und folgte meiner Mutter nach dem Hinterstübchen.

»Wer mag es wohl sein?« fragte Tante Milly Kapitän Bridgeman in leisem Tone.

»Ich denke, es ist der neue Kapitän der Kalliope. Ich las seinen Namen in den Zeitungen – der ehrenwerthe Kapitän Delmar.«

»Ja, so wird's sein,« versetzte Milly, denn meine Schwester wurde bei seiner Tante, Miß Delmar, erzogen. Kein Wunder, daß sie über das plötzliche Wiedersehen so überrascht war. Percival, du garstiger Knabe,« fuhr Milly fort, indem sie den Finger gegen mich schüttelte, »das ist wieder dein Anstiften.«

»O Tante Milly! hättest du ihn nur laufen sehen,« entgegnete ich, schon bei dem Gedanken mich des Lachens nicht erwehren könnend.

»Ich möchte dir rathen, deine Possen bei Postkapitänen zu unterlassen,« sagte Kapitän Bridgeman, »sonst könnte dir's einmal schlimm heimgegeben werden. Barmherziger Himmel!« rief er, indem er mir voll in's Gesicht sah.

»Was gibt es?« fragte Tante Milly.

Kapitän Bridgeman lehnte sich über den Ladentisch und ich hörte ihn flüstern:

»Haben Sie je eine solche Aehnlichkeit gesehen, als zwischen dem Jungen da und zwischen dem Kapitän Delmar stattfindet?«

Milly erröthete ein wenig, nickte mit dem Kopf und lächelte, während sie sich abwandte. Kapitän Bridgeman schien sich dann in ernste Gedanken zu vertiefen; er klopfte mit seinem Stocke an seinen Stiefel und sprach nichts.

Kapitän Delmar mochte sich etwa eine Viertelstunde mit meiner Mutter in der Wohnstube befunden haben, als sie die Thüre öffnete und mir hineinwinkte. Ich gehorchte – freilich nicht ohne einiges Bangen, denn ich fürchtete, entdeckt zu sein. Indeß wurden meine Bedenken bald beseitigt. Kapitän Delmar erwies mir die Ehre, mit die Hand zu geben, pätschelte mich dann auf den Kopf und sagte, er hoffe, daß ich ein guter Knabe sei, was ich, da ich jetzt notgedrungen mein eigener Trompeter war, gar bescheiden für einen wirklichen Thatbestand erklärte. Meine Mutter, die hinter ihm stand, runzelte die Stirne über meine unverschämte Behauptung. Kapitän Delmar drückte dann meiner Mutter die Hand, versprach ihr, sie sehr bald wieder zu besuchen, klopfte mich wieder auf den Kopf, verließ die Stube, und entfernte sich durch den Laden.

Sobald Kapitän Delmar fort war, wandte sich meine Mutter an mich und sagte:

»Du garstiger, muthwilliger Knabe, wie kannst du solche Streiche spielen? Ich lasse den Hund todt schlagen, wenn du mir nicht versprichst, nie wieder etwas der Art zu thun.«

»Was zu thun, Mutter?«

»Geh' mir nur mit deiner scheinheiligen Unschuld. Ich habe schon von dem Zopfe gehört, an den sich Bob anhängt. So etwas geht wohl in den Kasernen mit den gemeinen Soldaten, Bürschlein, aber weißt du, wem du diesen Schabernack angethan hast?«

»Nein, ich weiß es nicht. Wer ist er?«

»Wer er ist, du pflichtvergessenes Kind? Er ist – er ist der ehrenwerthe Kapitän Delmar.«

»Nun, und was weiter? versetzte ich. »Er ist Marinekapitän, oder nicht?«

»Ja, aber er ist der Neffe der Dame, welche mich gepflegt und erzogen hat. Er war es, der die Hochzeit zwischen mir und deinem Vater zu Stande brachte. Ohne ihn, Kind wärst du gar nicht geboren.«

»O! ist's das?« entgegnete ich. »Aber Mutter, wenn ich nicht gewesen wäre, so würde er gar nicht in den Laden gekommen sein und dich aufgefunden haben.«

»Aber, mein Kind, wir müssen ernsthaft sein. Dem Kapitän Delmar bist du alle Achtung schuldig und darfst ihm keine Streiche spielen; denn du wirst ihn wohl sehr oft sehen, und vielleicht faßt er eine Vorliebe für dich. Ist dieß der Fall, so ist er in der Lage, dir recht viel Gutes zu erweisen und dich in der Welt vorwärts zu bringen. Versprich mir's also.«

»Nun, Mutter, ich will dir versprechen, ihn ungeschoren zu lassen, wenn du es wünschest. Aber, tausend alle Welt, Mutter, du hättest nur sehen sollen, wie der Cadet über ihn lachte. Es war ein Todesspaß, einen geschniegelten Kapitän in dieser Weise zum Laufe zu bringen.«

»Packe dich, du boshafter Galgenvogel, und vergiß nicht, was du mir versprochen hast.«

Dann ging meine Mutter in den Laden, wo sie fand, daß Kapitän Bridgeman, welchem sie erklären wollte, warum sie das Glas Wasser hatte fallen lassen, sich entfernt hatte.

An demselben Abend fand viel Rathschlagens zwischen meiner Mutter und Großmutter statt. Mich und meine Tante hieß man mit einander spazieren gehen, damit wir nicht hören sollten, was vorging, und als wir zurückkehrten, fanden wir sie noch in angelegentlicher Besprechung.

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