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Dreiundvierzigstes Kapitel

Da weder ich noch meine Leute mit Gepäck versehen waren, das uns lästig gefallen wäre – denn wir besaßen nichts, als was wir auf dem Leibe trugen – so nahmen unsere Vorbereitungen keine lange Zeit weg. Wir brachen des andern Morgens auf, und als wir in die Elbemündung einfuhren, fanden wir, daß die Franzosen ihre Flotille zerstört hatten. Bald nachher wurden wir von der Bevölkerung eingeladen, an's Land zu kommen und die von den Feinden geräumten Batterien in Besitz zu nehmen. Ich blieb mit Croß und meinen Leuten in Cuxhaven, während unsere beiden Schiffe stromaufwärts fuhren, um einen Kaper zu verfolgen.

Nach ein paar Tagen war ich meiner Unthätigkeit müde, und da ich mich sehnte, Hamburg zu besuchen, so schlug ich Croß vor, daß er mich begleiten sollte, was er sich auch bereitwillig gefallen ließ. Ich hatte in Helgoland einen Wechsel gezogen, so daß es uns nicht an Geld fehlte und wir unsern Ausflug ungehindert antreten konnten. Indeß waren wir noch nicht weit gekommen, als wir die Nachricht erhielten, der Weg nach Hamburg sei so voll von zerstreuten französischen Truppen, daß es unmöglich sein würde, in nächster Richtung die Stadt zu erreichen. Von diesen ordnungslosen Zügen hatten wir zu befahren, zusammengehauen zu werden, weßhalb wir den uns gegebenen Rath befolgten, und auf Feldwegen zu Fuß wanderten, bis wir Hamburg zwischen uns und den Fluß gebracht hatten. Hier fanden wir aber, daß wir uns der königlichen Stadt nicht nähern konnten, ohne daß wir uns weiter in's Innere des Landes zogen. Endlich hörten wir, daß die Einwohner der Stadt Lüneburg sich erhoben und die französische Garnison vertrieben hätten, und dieß veranlaßte mich, dorthin zu gehen, um der unablässigen Gefahr auszuweichen, von französischen Nachzüglern, die sich auf ihrem Rückzüge alle erdenklichen Frevel erlaubten, aufgegriffen zu werden.

Wir langten wohlbehalten an, gaben vor den Behörden die verlangte Auskunft über uns und wurden gut aufgenommen. Wir waren jedoch kaum zwei Tage an Ort und Stelle gewesen, als die Freude und das Prahlen der Städtler wegen des kürzlichen Siegs über die französische Garnison durch die Nachricht in Bestürzung verwandelt wurde, daß General Moraud mit einer beträchtlichen Streitmacht anrücke, um die Stadt wieder zu nehmen. Der panische Schreck war so groß, daß an eine Vertheidigung nicht zu denken war, und als ich eben die Bewohner der Stadt aufforderte, Widerstand zu leisten, strömten die französischen Truppen schon zu den Thoren herein. Zwei Kürassiere galloppirten auf uns zu und nahmen mich und Croß gefangen. Einige Minuten nachher kam auch General Moraud heran und fragte in rauhem Tone, wer wir wären, worauf ich antwortete, daß wir als Offiziere in englischen Diensten stünden.

»Fort mit ihnen und bringt sie in guten Gewahrsam,« rief er. »Ich will hier ein Beispiel an ihnen statuiren, das nicht so leicht vergessen werden soll.«

Wir wurden nach der Wachstube gebracht, wo wir die Nacht über eingeschlossen blieben. Des andern Morgens sah einer der Kürassiere in unser Gefängniß herein, und ich fragte ihn, ob wir nicht Etwas zu essen haben könnten.

» Cela ne vaut pas la peine, mon ami. Vous n'aurez pas le temps pour la digestion; dans un demi-heure vous serez fusillés

»Darf ich fragen, was dieß auf Englisch heißt, Kapitän Keene?« versetzte Croß.

»O ja, es gibt uns eine erbauliche Aussicht. Der Mann meint, es sei nicht der Mühe werth, Etwas zu essen, da wir in einer halben Stunde erschossen würden.«

»Da wollen sie uns also wohl zuerst abthun und dann vor ein Gericht stellen?« entgegnete Croß. »Wird denn kein Grund angegeben?«

»Ich glaube kaum, Croß. Es thut mir nur leid, daß ich Sie in die Patsche gebracht habe, denn was mich betrifft, so mache ich mir wenig daraus.«

»'s ist mir nur um die arme Jane, Sir,« erwiederte Croß. »Indeß sind wir Alle dem Himmel einen Tod schuldig, und so ist's im Grunde nicht der Mühe werth, daß man viel Aufhebens davon macht.«

Unser Gespräch wurde jetzt von einer Abtheilung französischer Soldaten unterbrochen, welche die Thüre öffneten und uns zu folgen befahlen. Wir hatten nicht weit zu gehen, da man uns nur nach dem großen Platze vor dem Gefängniß führte, wo sich im Mittelpunkte der aufgestellten, nicht über dreihundert Mann betragenden französischen Truppen General Moraud mit seinem Generalstab befand. In der Entfernung von etwa zwanzig Ellen, und gleichfalls von Truppen umgeben, standen dreißig der ersten Einwohner der Stadt mit verhüllten Augen und gebundenen Händen, an welchen das schreckliche Beispiel, womit der General gedroht hatte, durch eine Fusilade executirt werden sollte.

»Sehen Sie, Croß,« sagte ich, »mit was für einer Hand voll Leute diese Franzosen die Stadt wieder genommen haben. Ach, wäre doch Widerstand geleistet worden, so hätten wir das Pack auslachen können.«

»Jetzt ist wohl nicht mehr viel zum lachen,« versetzte Bob.

» Allons,« rief uns der Corporal zu.

»Wohin?« fragte ich.

»Zu euren Kameraden dort,« erwiederte er; indem er auf die dem Tode geweihten Bürger deutete.

»Ich wünsche den General zu sprechen,« versetzte ich, den Gehorsam verweigernd.

»Nein, nein – Ihr müßt gehen.«

»Ich muß zuvor mit dem General reden,« entgegnete ich, indem ich den Corporal bei Seite schob und nach der Stelle ging, wo der General stand.

»Was gibt's?« fragte der General finster.

»Ich wünsche zu wissen, Sir,« entgegnete ich, »nach welchem Rechte Sie uns erschießen lassen. Wir haben als englische Offiziere die Verpflichtung, gegen Frankreich zu streiten, und können im äußersten Falle bloß als Kriegsgefangene behandelt werden. Aus welchem Grunde geben Sie Befehl, uns zu erschießen?«

»Weil Ihr Spione seid,« entgegnete der General.

»Ich bin kein Spion, Sir, sondern Postkapitän in der englischen Flotte, der sich mit der von dem Wrack seiner Fregatte geretteten Mannschaft dem Angriff auf Cuxhaven anschloß, und dieser hier ist mein Hochbootsmann, der mit mir nach Hamburg gehen wollte. Unter allen Umständen war es daher meine Pflicht, gegen Frankreich Partei zu nehmen, und wenn Sie uns erschießen lassen, so begehen Sie einen Mord, der gerächt werden wird.«

»Ihr mögt Euch immerhin für einen Fregattenkapitän ausgeben, aber Euer Anzug spricht gegen Euch; außerdem bin ich auch besser belehrt. Ihr seid zwei spionirende Schmuggler und sollt deßhalb fusilirt werden.«

»Ich erkläre Ihnen jedoch Angesichts aller Ihrer Offiziere, daß ich kein Spion, sondern Kapitän Keene von Seiner britischen Majestät Fregatte, der Circe, bin. Wenn Sie daher geneigt sind, mich erschießen zu lassen, so überlasse ich es meinem Vaterlande, meinen Tod zu rächen!«

In diesem Augenblick trat ein Offizier in Flottenuniform vor, und sah mir in's Gesicht.

»General Moraud,« sagte er, »dieser Offizier spricht wahr: er ist Kapitän Keene und ich ward Gefangener an Bord seines Schiffes. Und auch diesen andern Mann kenne ich recht gut.«

»Kapitän Vangilt, ich habe Ihre Einmengung nicht verlangt,« entgegnete ihm der General.

»Aber, General, als Offizier aus der Marine des Kaisers ist es meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie getäuscht worden, und daß dieser Offizier die Person ist, für welche er sich ausgibt. Messieurs,« fuhr Kapitän Vangilt fort, indem er sich an die Umgebung des Befehlshabers wandte, »ich kann die Identität des Mannes bezeugen und bin ihm sehr verpflichtet für die Güte und Freundlichkeit, welche er mir zu Theil werden ließ, als ich sein Gefangener war.«

»Ich erkenne Sie jetzt, Mr. Vangilt,« versetzte ich, »und danke Ihnen für Ihr Zeugniß.«

»Sie sehen, General, daß er meinen Namen kennt. Ich muß um das Leben dieses britischen Offiziers bitten.«

Die übrigen Offiziere besprachen sich sodann mit dem General, der ihre Vorstellungen anhörte und dann mit einem grinsenden Lächeln erwiederte:

»Meine Herren, mag er immerhin Offizier sein, er bleibt demungeachtet ein Spion.«

In diesem Augenblicke sprengte eine Ordonnanz heran, stieg vom Pferde und überreichte dem Befehlshaber eine Note.

» Sacre bleu!« rief er; »so wollen wir jedenfalls noch zuvor unsere Rache haben. Soldaten, ergreift diese beiden Männer und bringt sie zu den andern.«

Vangilt machte Vorstellungen und bat, aber vergebens. Endlich nannte er in seiner Wuth den General einen »Feigling und Tollhäusler.«

»Kapitän Vangilt, Sie werden mir dafür ein andermal Rede stehen,« entgegnete der General. »Vorderhand wollen wir aber unsere Entscheidung in Vollzug setzen. Führt sie von hinnen!«

Vangilt bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, und alle übrigen Offiziere ließen Zeichen des Unwillens blicken.

»Leben Sie wohl, Vangilt,« sagte ich in französischer Sprache. »Ich danke Ihnen für Ihre Verwendung, obschon sie an diesem Schufte verloren war.«

»Fort mit ihnen,« brüllte der General.

In demselben Augenblicke ließ sich das Knallen einer unregelmäßig abgefeuerten Musketensalve vernehmen.

»Hole mich Dieser und Jener, wenn mir je ein so blutdürstiger Hallunke vorgekommen ist,« rief Croß. »Jedenfalls kannst du das auch noch in den Kauf nehmen,« fügte er bei, indem er dem General seinen Hut in's Gesicht schleuderte. »Ich wollte nur, es wär' ein Zweiunddreißigpfünder, du mordlustiger Spitzbube.«

Die Wuth des französischen Generals kann man sich leicht vorstellen. Er wiederholte seine Befehle und schwang seinen Degen drohend gegen seine Soldaten, welche uns jetzt nach dem Theile des Quarree's drängten, wo sich die übrigen Opfer befanden. Sobald wir dort angelangt waren, wollte man uns die Augen verbinden, wogegen wir uns aber auf's Entschiedenste weigerten. Dieß veranlaßte eine neue Zögerung. Die Musketenschüsse tönten jetzt näher und näher, und ein paar Augenblicke nachher kommandirte der General die Executionsmannschaft vor.

Die übrigen Gefangenen knieten nieder, während ich und Bob Croß stehen blieben, noch immer im Widerstand gegen die Soldaten begriffen. Der General befahl wiederholt zu feuern; die Executionsmannschaft war jedoch wegen des näher rückenden Feindes ganz verwirrt und konnte auch nicht einmal Feuer geben, denn sie hätte einige von ihren eigenen Leuten mit erschießen müssen, da wir uns nicht blos darauf beschränkten, Widerstand zu leisten, sondern auch diejenigen, welche uns hatten die Augen verbinden wollen, mit aller Gewalt festhielten. Der Ruf zu den Waffen erscholl, und die Truppen wechselten die Front, um dem Feind die Stirne zu bieten. Wir vernahmen ein lautes Hurrah, und heran stürmten einige hundert Kosaken mit ihren langen Spießen, mit denen sie solche Verheerungen unter den Franzosen anrichteten, daß sich dieselben nach kurzer Frist in größter Verwirrung durch die verschiedenen Straßen, welche nach dem großen Platze führten, flüchteten.

»Hurrah! wir sind gerettet!« rief Croß, eine Muskete aufgreifend, die von einem Soldaten weggeworfen worden war. Ich that ein Gleiches und verfolgte die flüchtigen Franzosen, bis eine Kugel, die mir in's Bein flog, meinem weitern Nachsetzen ein Ziel setzte. Ich rief Croß, der zu meinem Beistand herbeieilte und mir nach dem großen Platze zurückhalf, wo jetzt Alles von Truppen geräumt war.

*

 


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