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Eilftes Kapitel

Der ehrenwerthe Kapitän Delmar war jetzt ein häufiger Gast in dem Hause meiner Mutter und ein guter Kunde für die Bibliothek. Er richtete es jedoch in der Regel so ein, daß seine Besuche in die Abendstunden fielen, um welche Zeit die Marineoffiziere sich beim Diner befanden; denn er war ein sehr hochmüthiger Mann und hielt es nicht für passend, daß Offiziere untergeordneten Rangs »zwischen den Wind und seine Gnaden geriethen«.

Ich kann nicht sagen, daß ich ihn besonders leiden mochte, denn sein pompöses Wesen kam mir lächerlich und widerlich vor. Er erwies mir zwar mehr Aufmerksamkeit, als sonst Jemanden, schien aber der Ansicht zu sein, daß mit seiner herablassenden Gönnerschaft alles Nöthige gethan sei, während ich ihm zuverlässig weit mehr zugethan gewesen wäre, wenn er mir hin und wieder eine halbe Krone geschenkt hätte: nicht daß es mir gerade an Geld gefehlt hätte, denn meine Mutter versah mich mit Rücksicht auf mein Alter reichlich; aber obgleich man durch Schmeichelworte ein Mädchen veranlassen kann, einen zu lieben, so fordert doch der Knabe handgreiflichere Gunsterweisungen.

Hinter dem Rücken meiner Mutter ließ man wohl viele, nicht sehr schmeichelhafte Bemerkungen über ihren früheren Verkehr mit Kapitän Delmar laut werden, denn wie es nun gehen mag, es gibt immer Jemanden, der etwas weiß, worauf man Bedenken oder Muthmaßungen baut, und so war es auch hier der Fall. Indessen, was ihr auch bösartige Leute in ihrer Abwesenheit Uebels nachreden mochten, so blieb man doch in ihrer Gegenwart mäuschenstille oder betrachtete sie wohl gar im Gegentheil wegen der Freundschaft eines so wichtigen Mannes, wie der ehrenwerthe Kapitän Delmar war, für eine Person von weit größerer Bedeutung.

Sie machte mich ohne Unterlaß darauf aufmerksam, wie passend es sei, mir die Gunst dieses großen Mannes zu sichern, und je mehr sie dieß that, desto weniger war ich geneigt dazu. In der That wäre ich sogar in offene Meuterei ausgebrochen, wenn sich nicht Kapitän Bridgeman auf die Seite meiner Mutter geschlagen, und mir, als ich einmal wegen eines andern Streiches gegen den edlen Kapitän mit ihm sprach, nicht nur seinen Beistand verweigert, sondern mir auch gesagt hätte, wenn ich je wieder einen solchen Gedanken unterhalte, so solle ich ihm nur nimmer auf sein Zimmer kommen.

»Ei, was kann er mir denn Gutes erweisen?« fragte ich.

»Er kann dich im Leben recht hübsch vorwärts bringen. – Wer weiß? – vielleicht setzt er dich auf das Halbdeck und sorgt für dein Avancement im Dienst.«

»Wie, und macht einen Middy aus mir?«

»Ja, und vom Midshipman kannst du bis zum Postkapitän oder zum Admiral steigen, was ein weit höherer Rang ist, als mir je zu Theil werden wird,« sagte Kapitän Bridgeman. »Laß dir daher rathen, und thue deiner Mutter den Willen. Sei recht höflich und achtungsvoll gegen den Kapitän Delmar, und er vertritt vielleicht Vaterstelle an dir.«

»Das will nicht viel heißen,« versetzte ich, indem ich an meinen Vater Ben dachte. »Ich möchte weit lieber zwei Mütter, als zwei Väter haben.«

Und damit hatte die Unterhaltung ein Ende.

Ich hatte eine dicke Freundschaft mit Mr. Dott, dem Midshipman, geschlossen, der Kapitän Delmar allenthalben folgte, wie Bob mir zu folgen pflegte, und der gewöhnlich in dem Laden oder vor dem Hause bei mir blieb, wenn sein Kapitän meine Mutter besuchte. Er war ein kleiner Schalk, so voll Teufelei, als ich selbst, und sogar seine übermäßige Novizenehrfurcht vor dem Kapitän konnte ihn nicht hindern, daß er nicht hin und wieder losbrach. Meine Mutter schenkte ihm große Aufmerksamkeit, und wenn er Urlaub erhalten konnte (den sie sogar oft persönlich für ihn erbat), so lud sie ihn nach unserem Hause ein, wo er dann mein treuer Spießgeselle war. Wir pflegten in diesem Fall gemeinschaftlich auszuziehen und wetteiferten mit einander, um auf anderer Leute Kosten Verwirrung und Heiterkeit zu veranlassen, so daß wir bald der Schrecken und Abscheu aller alten Fruchtweiber und Bettler in der Nachbarschaft wurden.

Kapitän Delmar hörte zuweilen von meinen Streichen und machte ein gar majestätisches, strenges Gesicht; da ich jedoch nicht unter seinem Kommandostabe stand, so kümmerte ich mich wenig um sein Stirnrunzeln. Endlich bot sich mir eine Gelegenheit, welcher ich nicht widerstehen konnte, und da ich es nicht wagte, meinen Entwurf Kapitän Bridgeman oder Tante Milly mitzutheilen, so vertraute ich ihn Tommy Dott, dem kleinen Middy, der, ohne die Folgen zu bedenken, mit tausend Freuden darauf einging.

Zu Chatham hatte sich ein Theater aufgethan, das jedoch nur mittelmäßig besucht wurde. Ich war einmal mit Tante Milly und zweimal mit Mr. Dott dort, weßhalb ich mein Lokal gut kannte. Nun bemühte sich augenscheinlich eine der Schauspielerinnen, deren Benefiz in Bälde gegeben werden sollte, sehr eifrig, um Kapitän Delmar's Protektion, und mit dem gewöhnlichen Takte der Frauenzimmer hatte sie sich in der unterwürfigsten Weise an meine Mutter gewandt und sie gebeten, ihr bei dem Kapitän das Wort zu reden.

Meine Mutter, die sich in dem Gedanken gefiel, sub rosa die Beschützerin zu spielen, machte ihren Einfluß auf den Kapitän mit solchem Nachdruck geltend, daß ein paar Tage nachher durch die ganze Stadt Komödienzettel angeschlagen waren, welche verkündigten, daß am Freitag Abend unter Protektion des ehrenwerthen Kapitän Delmar und der Offiziere von seiner Majestät Schiff Kalliope zum Benefiz der Miß Mortimer » Der Fremde« und die Posse: » Der Wind erhebt sich«, gegeben werden sollten. Natürlich schickte die dankbare junge Dame meiner Mutter einige Freibillete, von denen ich eins für mich und ein anderes für Tommy Dott inne behielt.

Da Kapitän Delmar viele Damen, und natürlich alle Offiziere seines Schiffes mit sich brachte, so wurde das Haus gedrängt voll. Meine Mutter und Tante befanden sich in einer gesonderten Loge, in welcher Anfangs auch Tommy Dott und ich waren; nachher aber begaben wir uns nach dem Elysium oder der letzten Galerie hinauf. Die erste Galerie war von Kapitän Delmar und seinen Offizieren besetzt, und wir hatten unsere Stellung oben genommen, wo wir unbemerkt blieben, wohl aber den geputzten Halbkreis unter uns gut überschauen konnten.

Die Vorstellung begann. Miß Mortimer spielte die Rolle der Mrs. Haller mit großem Nachdruck, und rührte in der Schlußscene das Auditorium bis zu Thränen. Wir gedachten jedoch einen noch größeren Effekt hervorzubringen.

Wir hatten nämlich ein Pfund des feinsten schottischen Schnupftabaks gekauft, der in zwei Pappendeckelschachteln von der Form der Raketen, nur etwa sechsmal größer, eingeschlossen war. Wir hatten diese deßhalb angefertigt, um das Ganze bequem mit einem Male mitten in das Theater hinunter schleudern zu können, und zwar so, daß der Inhalt sich in einer Weise vertheilte, um nach allen Richtungen hin den gebührenden Antheil zu entsenden.

Auf dem Elysium befanden sich außer uns bloß Midshipmen und Leute, von denen zu erwarten stand, daß sie die Sache für einen guten Spaß nahmen und uns nicht anklagten, wenn sie bemerkten, daß wir die Schuldigen waren.

Auf ein Losungswort zwischen uns ließen wir, als eben Mrs. Haller ihrem Gatten ein Papier übergab, unsere Schnupftabaksschauer auf das Auditorium los, und zwar kreuz und quer über das Theater. In ein paar Minuten zeigte sich eine wunderbare Wirkung. Kapitän Delmars Partie, die sich gerade unter uns befand, erhielt wahrscheinlich einen größeren Antheil, denn das Niesen begann hier zuerst, und dann folgten die Logen auf der andern Seite. Das Parterre machte nach, und endlich wurden Mr. und Mrs. Haller, wie auch der Fremde, dermaßen von Niesekrämpfen befallen, daß sie nicht mehr weiter zu sprechen vermochten.

Die Kinder wurden herausgebracht, um die Versöhnung ihrer Eltern zu bewerkstelligen, aber die armen Dinger konnten nichts als niesen; und endlich war der Aufruhr so schrecklich, daß der Vorhang niedergelassen wurde, nicht um einem lauten Geklatsche, sondern einem lauten Niesen in allen Theilen des Theaters zum Signal zu dienen.

Nie gab es etwas Spaßhafteres. Der Theaterdirektor schickte Polizeidiener aus, um die Uebelthäter zu entdecken, aber Niemand konnte sagen, wer den Streich gespielt hatte.

Er kam dann selbst auf die Bühne, um das Publikum anzureden, mußte aber nach sechs oder acht Niesestößen mit dem Schnupftuch vor der Nase wieder abziehen; und das Publikum, welches es unmöglich fand, den Kitzel in seinen Nasennerven zu unterdrücken, eilte so schnell als möglich aus dem Theater, die Posse: » Der Wind erhebt sich«, den leeren Bänken überlassend.

Ich brauche kaum zu sagen, daß wir Beide, Mr. Dott und ich, sobald wir den Schnupftabak ausgestreut hatten, hinuntergingen und ganz gesetzt unsere Plätze an der Seite meiner Mutter einnahmen. Auch thaten wir eben so erstaunt, als die übrige Gesellschaft, und trugen so viel als möglich dazu bei, den Niesenlärm zu vergrößern.

Kapitän Delmar war ganz wüthend über diesen Respektsmangel von Seite gewisser unbekannter Leute, und wenn wir entdeckt worden wären, so würde es, wie man auch mit mir hätte umspringen mögen, Tommy Dott jedenfalls ganz schlimm ergangen sein. So aber bewahrten wir unser Geheimniß und entkamen.

Allerdings hatten Milly und Kapitän Bridgeman Argwohn auf mich, und meine Tante legte es mir geradezu zur Last; aber ich bekannte nicht. Auch meine Mutter hatte ihre Muthmaßungen; da aber Kapitän Delmar keine hatte, so war dieß von keinem Belang.

Der Erfolg dieses Streichs war eine große Verlockung, an dem edeln Kapitän noch ein paar andere zu versuchen. Diese blieben ihm jedoch durch die einfache Thatsache erspart, daß Seiner Majestät Schiff Kalliope bemannt und segelfertig zurückberufen wurde; es hatte den Auftrag, in Portsmouth die Befehle der Admiralitäts-Commissäre zu erwarten, und Kapitän Delmar kam, um seinen Abschiedsbesuch zu machen.

Meine Schulzeugnisse lauteten sehr günstig, und Kapitän Delmar fragte mich bei dieser Gelegenheit zum Erstenmal, ob ich nicht ein Seemann werden möchte. Da Kapitän Bridgeman mir gerathen hatte, ein gutes Anerbieten von Seiten des ehrenwerthen Kapitäns nicht auszuschlagen, so antwortete ich bejahend, worauf der Kapitän entgegnete, daß er mich in Jahresfrist an Bord seiner Fregatte nehmen wolle, wenn ich in der Zwischenzeit recht fleißig gelernt habe.

Er pätschelte mich dann auf den Kopf, vergaß, mir eine halbe Krone zu geben, drückte meiner Mutter und Tante die Hand, und verließ das Haus. Tommy Dott folgte ihm, wandte sich aber unterwegs noch einmal um, und lachte mir sein Adieu zu.

Ich habe in der letzten Zeit meiner Großmutter nicht erwähnt. Die Sache verhielt sich nämlich so, daß sie nach Kapitän Delmars Erscheinen aus irgend einer mir unbegreiflichen Ursache erklärte, daß sie ihren alten Bekannten in der Halle einen Besuch abstatten wolle. Dieß geschah auch. Aus dem, was ich später hörte, konnte ich entnehmen, daß sie eine sehr große Abneigung gegen den edlen Kapitän hegte, obschon mir die Ursache nie mitgeteilt wurde. Bald nach Abfahrt der Kalliope erschien sie wieder, nahm ihren alten Sitz in dem Armstuhl wieder ein und griff abermals, wie zuvor, zu ihrem ewigen Strickzeug.

*

 


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