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11. Fortsetzung

Vom Fenster aus bemerkte ich das ledige Pferd, welches für mich bestimmt war. Es war nicht mehr wert als die andern auch. Es blutete ebenso an den beiden Weichen und hatte einen tückisch ängstlichen Blick wie alle diese Tiere, welche keine Liebe und Pflege finden.

»Das ist für mich?« fragte ich.

»Ja, Sennor. Ich habe Ihnen das ruhigste und zuverlässigste ausgewählt.«

»Dafür bin ich Ihnen nicht dankbar, ebenso wenig auch dafür, daß Sie es angeputzt haben wie die anderen. Ich liebe das nicht. Sie können das alles abnehmen und die Decke auch. Ich reite hart und sitze also auf dem bloßen Sattel.«

»Behüt' mich Gott, sind Sie ein Mann! Sie werden es bereuen, die Decken verschmäht zu haben! Soll ich hinabgehen, um sie wegzunehmen?«»Ja, bitte!«

Er ging.

Ich hatte noch einen zweiten, sehr triftigen Grund, diese Decken zurückzuweisen, aber ich sagte ihm denselben nicht. Dieser Grund bestand in dem Ungeziefer, mit welchem diese Leute bis zur Überfülle behaftet zu sein pflegen, und ich fühlte keine Lust, gleich am ersten Tage mit einer solchen Einquartierung bedacht zu werden.

Durch das Fenster blickend, sah ich, daß er die Decken abschnallte. Dabei schien er seinen Gefährten etwas zu erklären. Ich vermutete, daß er ihnen verbot, über meinen ungewöhnlichen Anzug zu lachen. Er schob das Tier hin und her, und dabei bemerkte ich, daß das Pferd das eine Hinterbein schnell und zuckend hob, im Sprunggelenk stark bog und rasch wieder auf den Boden setzte. Ah, hielt man mich für einen so schlechten Reiter, daß man mir ein solches Tier anbieten konnte? Ich öffnete das Fenster und rief hinab:

»Aber, Sennor, das Pferd leidet ja ganz stark am Zuckfuß!«

»Nur ein wenig,« antwortete er herauf.

»Das ist mehr als ein wenig!«

»Sie werden es nicht bemerken, wenn Sie im Sattel sitzen!«

»Ich werde gar nicht auf diesem Pferde sitzen.«

Ich machte das Fenster zu, um den Wirt aufzusuchen. Er gehörte zu den wenigen, welche einen Stall besaßen. In demselben hatte ich mehrere Pferde stehen sehen, von denen eins mir besonders gefallen hatte. Er stand mit seiner ganzen Dienerschaft bereit, mir einen höflichen Abschied zu bereiten. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er war bereit, mir das Pferd abzulassen, und ließ es in den Hof bringen. Ritt ich schlechte Pferde, so war ich gezwungen, oft zu wechseln. Ich brauchte ein Tier, welches sich an mich gewöhnte und auf welches ich mich verlassen konnte. Wechseln wollte ich so wenig wie möglich, am liebsten gar nicht.

Ja, das war ein ganz anderes Tier als der Zuckfuß! Ein vierjähriger Brauner, voll Feuer, stark und doch elegant gebaut, mit hübsch aufgesetztem Halse und prächtiger Hinterhand. Die Yerbateros standen dabei und betrachteten ihn mit bewundernden Blicken.

»Da darf man sich noch nicht aufsetzen,« erklärte Monteso. »Der muß erst einen Tag lang nebenher gehen, um müde zu werden.«

»Ja,« stimmte der Wirt bei. »Er wurde nicht gebraucht und hat über eine Woche im Stalle gestanden. Übrigens reite ich ihn nur selbst. Er duldet keinen andern im Sattel. Sie werden Ihre Not haben, wenn Sie ihn kaufen, Sennor!«

»Was kostet er?« fragte ich kurz, anstatt der Antwort.

»Sie sollen ihn für fünfhundert Piastertaler haben.«

Das waren nach deutschem Gelde achtzig Mark. Ich handelte nichts ab und zahlte ihm die Summe sofort aus. Ich hätte ihm auch noch mehr gegeben. Im Stalle hatte ich einen englischen Sattel mit zugehörigem Zeuge hängen sehen. Ich kaufte auch das noch und hatte dafür hundert Papiertaler, also sechzehn Mark zu zahlen.

Nun war Pferd und Sattel mein, und ich konnte machen, was mir beliebte. Sämtliche Insassen und Bewohner des Hotels hatten sich auf dem Hofe eingefunden. Der Braune hatte keinen Augenblick still gestanden. Er sprang in graziösen Bewegungen im Hofe umher, und der Peon, welcher ihn aus dem Stalle gelassen hatte, gab sich vergeblich Mühe, ihn am Halfterbande zu fassen. Als noch zwei andere Knechte sich diesen Bemühungen anschlossen, wurde das Pferd geradezu wild und verteidigte sich mit den Hufen gegen die es bedrängenden Männer. Es wurden Lassos herbei geholt; aber das Tier schien die Weise, wie man sich dieser Riemen bedient, genau zu kennen. Er tat, so oft die Schlinge geflogen kam, um sich um seinen Hals zusammen zu ziehen, einen Seitensprung, durch welchen es ihm gelang, der Gefangenschaft auszuweichen.

Monteso lachte die Knechte aus. Er behauptete, sie seien im Gebrauche des Lassos nicht geschickt genug. Aber als er es dann selbst versuchte, hatte er ganz denselben Mißerfolg, wie sie, und seine Kameraden erging es ebenso.

»Sennor, Sie müssen sich der Bola bedienen,« sagte er zu mir. »Das Pferd hat den Teufel im Leibe. Werden ihm nicht die Kugeln um die Hinterbeine geworfen, so daß es stürzen muß, so bekommen Sie es nicht in Ihre Gewalt.«

»Meinen Sie? Ich denke, daß der Lasso genügend ist, es zu fangen. Denn ich glaube, daß es bisher am nötigen Geschick gefehlt hat.«

Er machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht und musterte mich mit einem Blicke, ungefähr wie ein Rechenkünstler einen Schulknaben ansehen würde, welcher behauptet, im Kopfe aus einer hundertstelligen Zahl die Kubikwurzel ziehen zu können.

»Das klingt sehr hübsch aus Ihrem Munde!« lachte er. »Getrauen etwa Sie sich, es besser zu machen als wir alle? So versuchen Sie es! Sie werden ausgelacht werden, wie ich.«

Ich rollte meinen Riemen auf, legte die Schlinge und näherte mich dem Pferde. Es sprang weiter, und ich folgte ihm langsam von der Seite. Dabei schwang ich den Lasso um den Kopf. Jetzt machte ich eine schnelle Armbewegung, als ob ich die Schlinge schleudern wolle, tat dies aber nicht. Der Braune ließ sich betrügen; er machte seinen Seitensprung. Kaum jedoch hatten seine Hufe den Boden wieder berührt, so flog ihm der Riemen um den Hals. Ich hielt das andere Ende desselben fest und wurde vom Pferde einmal um den Hof gezerrt. Dabei aber zog sich die Schlinge so fest zusammen, daß dem Tiere der Atem verging und es stehen bleiben mußte. Augenblicklich stand ich neben ihm und sprang auf. Ich lockerte die Schlinge, und nun gab es sich alle Mühe, mich abzuwerfen. Es folgte ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, welcher mir den Schweiß in dicken Tropfen in das Gesicht trieb; aber ich blieb Sieger, und der Braune mußte sich ergeben.

Nun stieg ich ab, schickte nach meinen Sachen, welche sich noch oben in dem Zimmer befanden, und legte dem Pferde indessen den Zaum an. Als ich dann meine schöne Santillo-Decke auf den Rücken des Pferdes gab, um den Sattel darauf zu legen, sagte der Yerbatero:

»Sie sind ein sehr tüchtiger Reiter.«

»Und wie ist es mit dem Lasso?«

»Nun, den werfen Sie ausgezeichnet. Ich bin beinahe überzeugt, daß Ihre Begleitung uns wenigstens keine schweren Hindernisse bereiten wird.«

»Ich danke Ihnen für diese Aufrichtigkeit! Vielleicht sehen Sie ein, daß ich Ihnen nützlich, anstatt hinderlich bin. Steigen wir jetzt auf!«

Meine Doppelbüchse umhängend, stieg ich in den Sattel und ritt auf die Straße. Der Wirt und seine Untergebenen machten mir tiefe Verbeugungen und knixten noch hinter mir her. Der Umstand, daß ich mich nicht vom Pferde hatte werfen lassen, hatte ihre Achtung für mich erhöht.

Der erste Mensch, welchen ich sah, als ich auf die Straße kam, war Sennor Esquilo Anibal Andaro, der famose Haziendero, welcher mir den Bravo nachgeschickt hatte. Er stand dem Tore des Hauses gegenüber, und es hatte den Anschein, als ob er nur gekommen sei, Zeuge meiner Abreise zu sein. Wußte er denn, daß ich jetzt Montevideo verlassen werde? Von wem hatte er das erfahren können? Er warf einen langen, giftigen und dabei wie triumphierenden Blick auf mich. Wäre ich Willens gewesen, noch länger hier zu bleiben, so hätte dieser Blick mich warnen müssen, denn derselbe sagte mir ganz deutlich: »Gestern ist es nicht gelungen, aber ich habe dir eine andere Falle gestellt, in welcher du ganz gewiß stecken bleiben wirst!«

Einen Augenblick hatte ich zu warten, bis die Yerbateros aufgestiegen waren. Als wir uns dann in Bewegung setzten, kam Andaro auf uns zu, schritt schnell quer vor dem Kopfe meines Pferdes vorüber und rief mir dabei in höhnischem Ton zu:

»Glück zur Reise, Sennor!«

Ich antwortete ihm natürlich kein Wort, sondern tat, als ob ich ihn gar nicht gesehen hätte. Monteso aber war ganz ergrimmt über diese Frechheit. Er stieß seinem Pferde beide Sporen in den Leib, daß es emporstieg, riß es zur Seite und zwang es dann, einen Satz zu tun, durch welchen Andaro zur Erde geschleudert wurde. Seine Flüche und Verwünschungen folgten uns laut nach.

»Dieser Halunke hätte eigentlich von meinem Pferde zertreten werden sollen!« schimpfte der Yerbatero. »In seinem Gesicht lag etwas Drohendes; blieben wir noch da, so hätten wir wohl Gefahr zu befürchten.«

»Davon bin ich überzeugt. Ja, ich möchte fast glauben, daß er jetzt noch im Sinne hat, mir eine Schlinge zu legen. Vielleicht ist sie schon gelegt, und ich tappe ganz ahnungslos hinein.«

»So sah er allerdings aus. Aber worin könnte diese Schlinge bestehen? Höchstens könnte er irgendwo einen Kerl hingestellt haben, welcher auf Sie schießen soll.«

»Das ist möglich. Kommen wir durch Waldung?«

»Welch eine Frage! Von Waldung ist hier keine Rede. Das Land besteht aus lauter wellenförmigen Erhöhungen, in deren Vertiefungen, wenn es Feuchtigkeit gibt, ein lichtes Buschwerk steht. Bäume aber finden Sie nur an den Gebäuden stehen, welche über das Land zerstreut liegen.«

»So würden wir also einen Hinterhalt, den man mir gelegt haben könnte, sofort bemerken?«

»Augenblicklich. Übrigens werde ich zwei meiner Leute beordern, in gewissem Abstand voran zu reiten, so lange wir rechts und links noch Bauten haben, hinter denen jemand stecken könnte. Indessen sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen, denn es reitet ein Sennor mit uns, welcher uns in dieser Beziehung von Nutzen sein kann.«

»Wie? Sie haben, ohne mich vorher zu fragen, jemanden die Erlaubnis erteilt, sich uns anzuschließen?«

»Ja, denn ich war Ihrer Zustimmung sicher, wenn es überhaupt einer solchen bedarf.«

Er sagte das in etwas wichtigem Tone. Darum antwortete ich:

»Gewiß bedarf es meiner Einwilligung. Ich pflege nur mit Leuten zu reisen, welche mir angenehm sind. Darum hätte es sich ganz von selbst verstanden, daß Sie mich vorher fragen mußten.«

»Ich bitte aber, zu bedenken, daß eigentlich ich der Anführer unserer kleinen Reisegesellschaft bin!«

»Einen Anführer gibt es nicht. Meiner Ansicht nach hat jeder gleiche Rechte. Sie mögen die Direktion haben, wenn Sie mit Ihren Kameraden in den Urwald reiten, um Yerba zu sammeln. Da ich aber kein unter Ihnen stehender Yerbatero bin, so kann ich Sie nicht als meinen Anführer anerkennen. Soll ich von den Anordnungen eines andern abhängig sein, so reise ich lieber allein.«

Hatte ich vorhin seine allzu große Vertraulichkeit zurückgewiesen, so mußte ich ihn jetzt von dem Gedanken abbringen, daß ich in irgend welche Abhängigkeit zu bringen sei. Er war ganz gewiß ein sehr braver Mann; aber er durfte nicht glauben, auch nur den geringsten Vorrang vor mir zu haben. Gab ich das aber zu, so hatte ich mich ein für alle Mal in Abhängigkeit gegeben. Leute seines Bildungsgrades greifen dann leicht weiter, als sie eigentlich sollen. Meine Worte versetzten ihn in Bestürzung.

»So ist es nicht gemeint, Sennor!« sagte er schnell. »Ich habe Ihnen nicht zu gebieten, das weiß ich ja. Es fällt mir gar nicht ein, Ihnen gegenüber den Anführer spielen zu wollen. Wenn ich ja ein kleines Vorrecht beanspruche, so ist es nur dasjenige, Sie beschützen zu dürfen.«

»Dagegen habe ich freilich gar nichts.«

»Und darüber, daß ich diesem Caballero erlaubt habe, mit uns zu reiten, dürfen Sie nicht zürnen. Sie haben keine Veranlassung dazu.«

»Also ein Caballero ist er, kein gewöhnlicher Mann?«

»Er ist ein fein gebildeter Herr, ein höherer Polizeibeamter.«

»So habe ich nichts gegen seine Begleitung einzuwenden, vorausgesetzt, daß er das auch wirklich ist, wofür er sich ausgibt.«

»Natürlich ist er es. Warum sollte er es nicht sein und mich belogen haben?«

»Hm! Aus Ihren Worten ist zu vermuten, daß Sie ihn eigentlich nicht genau kennen?«

»Ich kenne ihn, und zwar sehr gut.«

»Seit wann?«

Er wurde ein wenig verlegen.

»Nun,« antwortete er, »eigentlich erst seit – – gestern.«

»Ah! Das nennen Sie eine gute Bekanntschaft?«

»Unter diesen Umständen, ja. Sie selbst kennen ihn ja auch. Erinnern Sie sich nur des Herrn, welcher sich gestern abend in unsere Nähe setzte und um die Erlaubnis bat, mit uns spielen zu dürfen.«

»Dieser ist es? Hm!«

Ich brummte nachdenklich vor mich hin. Dies veranlaßte ihn zu der Frage:

»Haben Sie etwa ein Bedenken?«

»Ja. Für ein so wichtiges Amt, welches große Erfahrungen und eine ziemlich bedeutende Karriere voraussetzt, scheint der Mann doch wohl zu jung zu sein.«

»Denken Sie das nicht! Hier macht man schneller Karriere als anderwärts. Es gibt noch höhere Beamte, welche nicht viel älter sind. Sie werden ihn als einen hochgebildeten und sehr unterrichteten Mann kennen lernen. Als ich ihm mitteilte, daß ein vielgereister Deutscher mit uns reite, war er ungemein erfreut davon.«

»Wo befindet er sich jetzt? Holen wir ihn an seiner Wohnung ab?«

»Nein. Wir verabredeten, daß wir draußen vor der Stadt mit ihm zusammentreffen würden.«

»Das ist mir nicht lieb. Ein Beamter von solcher Stellung gesellt sich nicht draußen vor der Stadt wie ein Wegelagerer zu seinen Reisegenossen. Warum kam er nicht in das Hotel, sich mir vorzustellen? Warum läßt er sich nicht an seiner Wohnung abholen? Kennen Sie überhaupt dieselbe?«

»Nein.«

»Aber wenigstens ist Ihnen sein Name bekannt?«

»Ja. Er heißt Sennor Carrera.«

»Der Name klingt gut. Wollen hoffen, daß er zu dem Manne stimmt! Wären wir nach seiner Wohnung geritten, um ihn abzuholen, so hätten wir den Beweis gehabt, daß er wirklich derjenige ist, für den er sich – – ah, Sennor, welch eine Nachlässigkeit!«

Ich hatte während der letzten Worte an meine Tasche gegriffen, als ob ich etwas suche. Jetzt hielt ich mein Pferd an und ließ ein möglichst beunruhigtes Gesicht sehen.

»Was ist's? Was fehlt Ihnen?« fragte er.

»Soeben bemerke ich, daß ich meinen Geldbeutel im Hotel auf dem Zimmer liegen gelassen habe.«

»Das ist kein Unglück, denn er liegt jedenfalls noch dort. Ich werde einen meiner Leute zurücksenden, ihn zu holen.«

»Danke! Ich hole ihn selbst. Mein Pferd ist wohl schneller als die Ihrigen. Wenn Sie langsam reiten, werde ich Sie bald einholen.«

Ohne seine Gegenrede abzuwarten, wendete ich mein Pferd und galoppierte zurück, aber nicht nach dem Hotel, denn ich hatte den Geldbeutel in der Tasche, vielmehr nach dem Polizeigebäude, welches in der Nähe des Domes lag. Dort angekommen, band ich das Pferd an und ließ mich dann zu dem obersten der anwesenden Beamten führen. Der Mann machte große Augen, als er mich in dem hier so fremdartigen Trapperanzug eintreten sah. Ich stellte mich ihm vor und fragte, ob es einen Comisario criminal Carrera gebe.

»Nein, den gibt es nicht, Sennor,« lautete die Antwort. »Wahrscheinlich haben Sie als Fremder den Namen verhört?«

»O nein. Der Mann hat sich selbst als einen Polizeibeamten dieses Ranges bezeichnet.«

»Gewiß war es ein Scherz.«

»Dann scheint aber Grund vorhanden zu sein, dem Scherze ein wenig zu Leibe zu gehen, weil ich vermute, daß der angebliche Kriminalist Böses im Schilde führt, und zwar gegen meine Person.«

»Dann muß ich mich freilich eingehender mit der Angelegenheit befassen. Bitte, setzen Sie sich!«

Er deutete auf einen Stuhl, auf welchem ich mich niederließ und nahm an seinem Tische Platz. Dort legte er einige Bogen weißen Papieres vor sich hin, tauchte die Feder in die Tinte und begann:

»Zunächst muß ich mir Ihren Namen, Ihr Alter, Ihre Nationalität, den Geburtsort, den Stand, die Vermögensverhältnisse, den Grund Ihrer Anwesenheit und anderes notieren. Sie werden die Güte haben, mir meine Fragen zu beantworten.«

»Um Himmels willen!« rief ich, gleich wieder aufstehend. »Soll das ein wirkliches, ausführliches Legitimationsverhör werden?«

»Allerdings. Es ist unumgänglich nötig!«

»Ich kam nur, um Anzeige zu erstatten und Sie zu ersuchen, mir einen Beamten mitzugeben, welcher sich des Betreffenden bemächtigen soll.«

»Das ist sehr viel verlangt. Haben Sie denn ganz besondere Gründe, anzunehmen, daß der Mann Böses gegen Sie im Schilde führe?«

»Allerdings. Man hat gestern zwei Mordanfälle auf mich gemacht. Jetzt stehe ich im Begriff, nach Mercedes zu reiten. Ich befand mich bereits unterwegs; da erfuhr ich, daß ein junger Mensch mit uns will, welcher sich Carrera nennt und als Kriminalkommissar bezeichnet. Ich habe den Mann im Verdachte, sich in böser Absicht an meine Person machen zu wollen.«

»Was Sie da erzählen! Zwei Mordanfälle? Und davon wissen wir nichts! Sennor, Sie werden nicht nach Mercedes reisen. Wir müssen diesen Fall in die Hand nehmen und untersuchen. Sie werden als Zeuge hier bleiben.«

»Wie lange?«

»Das kann ich jetzt nicht wissen. Es kann einen oder auch mehrere Monate dauern.«

»Dann danke ich! So lange Zeit habe ich nicht. Mein Wunsch läuft nur darauf hinaus, von der Person befreit zu werden, welche sich einen falschen Stand beigelegt hat.«

»So müssen Sie auch in aller Form Anzeige erstatten.«

»Das tue ich ja hiermit!«

»Ja, aber der nötigen Form zu genügen, scheinen Sie eben nicht Lust zu haben. Ich muß auf jeden Fall die erwähnten Fragen aussprechen.«

»Und sie mit meinen Antworten zu Protokoll nehmen?«

»Ja. Dann werde ich Ihnen zwei Officials mitgeben, welche den Mann arretieren und ihn mit Ihnen zu mir bringen.«

»Und dann?«

»Dann werde ich sofort die Vorarbeiten fertigen und die Sache dem Kriminalrichter übergeben.!«

»Es wird also eine förmliche Kriminaluntersuchung anhängig gemacht werden?«

»Ganz selbstverständlich.«

»Und wie lange ist da meine Gegenwart notwendig?«

»Bis zum Urteilsspruch, also einige Wochen.«

»Das ist ganz und gar nicht nach meinem Geschmack, Sennor. Ich muß nach Mercedes. Soll ich des Kerls wegen hier bleiben, so bedaure ich, Sie belästigt zu haben, und verzichte auf alles. Empfehle mich Ihnen!«

Ich setzte meinen Hut auf und eilte nach der Türe.

»Halt, halt!« rief er mir nach. »Sie können verzichten, wir aber nicht. Da wir nun einmal wissen, daß – –«

Mehr hörte ich nicht, denn nun war ich draußen. Aber hinter mir riß er die Türe wieder auf und fuhr fort:

»Daß zwei Mordanschläge auf Sie gemacht worden sind –«

Jetzt war ich unten an der Treppe. Er stand oben und fügte hinzu, indem er mir nachkam:

»Gemacht worden sind, so sehe ich mich gezwungen, die Sache zu untersuchen und Sie – – –«

Ich befand mich unter dem Tore und band mein Pferd los. Er hatte die unterste Stufe erreicht und schrie:

»Und Sie bis Austrags der Sache hier festzuhalten. Darum muß ich Ihnen – – –«

Ich saß im Sattel, und er erreichte das Tor. Beide Arme nach meinem Pferde ausstreckend, wetterte er:

»Muß ich Ihnen jetzt allen Ernstes befehlen, hier zu bleiben, sonst werden Sie arretiert und so lange eingesperrt, bis – –«

Weiter vernahm ich nichts, denn ich jagte fort, nach der Markthalle zu, neben welcher mein Weg aus der Altstadt hinaus führte. Es fiel mir gar nicht ein, meine schöne Zeit an einen uruguayischen Kriminalprozeß zu verschwenden. Wollte er mich wirklich dazu zwingen, so konnte er ja versuchen, mich zu arretieren. Ich hatte nichts dagegen.

Es ging zur Bai hinab und dann wieder zu der Straße hinauf, an deren Ende die Yerbateros auf mich warteten.

»Nun,« rief Monteso mir entgegen, »da sind Sie endlich! Schon glaubte ich, Sie hätten aus Versehen eine andere Richtung eingeschlagen. Haben Sie das Geld gefunden?«

»Ich habe es. Und wo befindet sich der Gefährte, welchen wir erwarten? Ich sehe ihn nicht. Er hat doch vor der Stadt zu uns stoßen wollen!«

»Er wird noch etwas weiter vorangeritten sein. Darf ich vielleicht annehmen daß Sie sich nicht unfreundlich zu ihm verhalten?«

»Mein Betragen wird sich ganz genau nach dem seinigen richten.«

»So bin ich beruhigt, denn er ist ein außerordentlich höflicher Mann, ein Caballero durch und durch.«

»Was sich bei einem Comisario criminal von selbst versteht!«

Vielleicht hatte ich das in einem etwas ironischen Tone gesagt, denn Monteso fragte:

»Glauben Sie es immer noch nicht, daß er es ist?«

»Ich will Ihnen den Gefallen tun, keinen Zweifel mehr hören zu lassen.«

»Schön! Sie werden sich überzeugen, daß er wirklich ein Kriminalist ist. Er hat uns so viele interessante Fälle erzählt, in denen es ihm durch großen Scharfsinn und wahrhaft bewundernswerte Gewandtheit gelungen ist, die Schuldigen zu entdecken. Er hat oft sogar sein Leben riskiert.«

Wir hatten die Stadt bald so weit hinter uns, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Hier und da gab es noch ein vereinzeltes Feld, welches zum Schutze gegen die Herden von mächtigen Kaktus- und Agavehecken eingeschlossen war; sonst aber befanden wir uns im offenen Lande, dessen Charakter fast durch ganz Uruguay derselbe bleibt: eine hügelige Fläche, welche von dem feinen, selten über einen Fuß hohen Camposgrase bewachsen ist, und in den Vertiefungen lichtes Buschwerk, auf welches der Name Gebüsch eigentlich nicht angewendet werden konnte. Weidende Tiere sah man überall, Pferde, seltener Schafe, zumeist aber Rinder.

Ein vor uns reitender Mann hatte sich umgeblickt und uns gesehen. Er hielt sein Pferd an, um auf uns zu warten. Als wir ihm so nahe gekommen waren, daß ich sein Gesicht deutlich erblickte, erkannte ich den jungen Menschen, dem ich gestern abend meinen Stuhl überlassen hatte.

»Da haben wir Sie ja!« redete Monteso ihn an. »Guten Tag, Sennor! Hier sehen Sie den deutschen Caballero, von dem ich Ihnen erzählt habe.«

Der Mann war in weite, blaue Hosen und eine eben solche Jacke gekleidet. Seine Weste war weiß, ebenso die Schärpe, welche er sich um die Taille geschlungen hatte und in welcher ein Messer und eine Pistole steckten. Ein Gewehr hing an seinem Sattelknopfe. Er zog den Hut vom Kopfe, erhob sich in den Bügeln und grüßte:

»Mei-ne Em-pfeh-lung, Herr!«

Das klang gebrochen und in einem Tone, wie wenn ein Papagei die ihm eingelehrten Wörter ausspricht.

»Sie sprechen meine Muttersprache?« fragte ich spanisch.

»Nein,« antwortete er in derselben Sprache. »Ich kenne nur diesen Gruß, welchen ich mir in Buenos Ayres gemerkt habe, wo ich mit Deutschen verkehrte. Ich wollte Sie durch die Klänge Ihres Vaterlandes erfreuen. Darf ich hoffen, daß Sie meinem Anschlusse an Ihre kleine Gesellschaft Ihre Zustimmung erteilen?«

»Jeder ehrliche Mann ist mir willkommen.«

»So nehmen Sie mir eine Sorge vom Herzen. Ich danke Ihnen sehr!«

Er reichte mir die Hand, und ich gab ihm die meinige. Der angebliche Kriminalist war höchstens dreißig Jahre alt. Sein Gesicht sah nicht so aus, wie dasjenige eines mutigen, sogar verwegenen Menschen. Weit eher hielt ich ihn für einen verschlagenen Feigling, welcher seine Absichten am liebsten durch Hinterlist auszuführen sucht.


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