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41. Fortsetzung

Der General erhob den Arm und deutete nach der Türe. Der Major griff nach mir, erhielt aber einen Faustschlag, daß er wie ein Klotz auf den Boden fiel. In demselben Augenblicke hatte ich ihm die beiden Revolver in den Händen und den Riegel vorgeschoben. Ich richtete den einen auf den General und den andern auf die beiden Offiziere.

»Sennores,« sagte ich, gar nicht laut, sondern in gedämpftem Tone, um die im Vorzimmer befindlichen nicht aufmerksam zu machen, »wer von Ihnen eine laute Silbe spricht oder eine Bewegung macht, die ich ihm nicht erlaube, den schieße ich nieder. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf!«

Sie schwiegen und starrten bald einander, bald mich an. Das hatten sie freilich nicht erwartet. Um sie noch mehr einzuschüchtern, fuhr ich fort »Sie haben vorhin selbst gesagt, daß mir alles zuzutrauen sei. Nun wohl, trauen Sie mir also getrost zu, daß ich Sie alle drei erschieße, bevor ich mich füsilieren lasse. Meine Kugeln sind schneller, als Ihre Degen. Sie haben sich verrechnet. Ich bin kein argentinischer Schafsjunge, der sich von dem Worte General in die Enge treiben läßt. Bei mir gilt der Mann, nicht aber der Titel. Von Spitzbuben lasse ich mich nicht verschüchtern. Dieser sogenannte Major ist als Räuber jenseits der Grenze eingebrochen. Wir haben uns allen Rechtens seiner erwehrt, und dafür soll ich erschossen werden? Das fehlte noch! Setzen Sie sich auf Ihre Stühle!«

Sie zögerten.

»Setzen Sie sich!« wiederholte ich. »Diese Revolver, welche der Major mir stahl, sind mein Eigentum. Ich kenne sie genau und weiß, daß sie augenblicklich losgehen, wenn man einen meiner Befehle nicht sofort erfüllt. Setzen Sie sich also!«

Ich trat um zwei Schritte vor und hielt ihnen die Läufe drohend entgegen. Vielleicht sah mein Gesicht noch gefährlicher aus, als die Revolver. Die drei ließen sich zögernd auf ihre Stühle nieder.

»Sie werden nicht schießen. Sie wagen es nicht!« stieß der General hervor.

»Nicht wagen? Was kann ein zum Tode Verurteilter noch wagen?«

»Sie können sich dadurch nicht retten!«

»Das fragt sich sehr! Jedenfalls hätte ich da meine Unschuld vorher an meinen Richtern gerächt. Aber, wer sagt Ihnen, daß ich nicht doch entkäme? Die Knaben, welche sich im Vorzimmer befinden, fürchte ich nicht; es würde eben Leben gegen Leben, Tod gegen Tod gelten. Aber, so weit kommt es gar nicht. Ich stehe im Begriff, Ihnen Gelegenheit zu geben, einen Fehler zu verhüten, den Sie später außerordentlich bereuen würden. Major Cadera hat sich mir gegenüber für einen Untergebenen Latorres ausgegeben. Hätte er mir gesagt, daß er Lopez Jordan dient, so wären alle Feindseligkeiten unterblieben. Ich habe Jordan eine wichtige Botschaft zu bringen.«

»Das geben Sie nur vor!«

»Gut, zweifeln Sie meinetwegen einstweilen! Ist Lopez weit von hier?«

»Nein.«

»Wann könnte er hier sein?«

»In drei Stunden.«

»So senden Sie zu ihm.«

»Das kann ich nicht. Ich bin überzeugt, daß Sie lügen.«

»Ich will diese Beleidigung ruhig hinnehmen und Ihnen einen Vorschlag machen, welchen anzunehmen Sie wohl nicht zögern werden. Bedenken Sie, daß Ihr Leben sich in meiner Hand befindet! Sie entlassen mich jetzt, geben mir und meinen Gefährten ein menschenwürdiges Gemach zum Aufenthalte und lassen uns in demselben bewachen. Zugleich senden Sie eine Estaffette an Jordan, und sobald dieser kommt, führen Sie mich vor. Bestätigt er mein Todesurteil, so werde ich mich ohne Weigern erschießen lassen.«

Der General blickte die andern fragend und dann mich mißtrauisch an.

»Sie haben einen heimlichen Hintergedanken?« fragte er.

»Nein, ich meine es ehrlich. Mein Ehrenwort darauf!«

»Alle Teufel! Was soll Jordan denken, wenn er erfährt, daß – daß –«

Er zögerte seinem Gedanken Worte zu geben, darum sprach ich ihn aus:

»Daß Sie sich von einem deutschen Halunken so in die Enge haben treiben lassen? Er wird es Ihnen verzeihen. Besser ist es auf alle Fälle, als wenn er später hört, welch ein unersetzlicher Schaden ihm zugefügt worden ist, indem man mich füsiliert oder vielmehr ermordet hat. Denn, Sennor, ich schwöre darauf: Sie sind vollständig überzeugt, daß ich unschuldig bin!«

Er zog es natürlich vor, diese letztere Behauptung nicht zu beantworten und fragte:

»Und wenn ich nun auf Ihren Vorschlag eingehe, geben Sie da diese Revolver an mich ab?«

»Nein, die gebe ich erst an Jordan ab. Ich sehe da links eine Türe. Wohin führt dieselbe?«

»In ein leeres Hinterzimmer.«

»Kann man von dort hinaus?«

»Nein.«

»So lassen Sie meine Gefährten holen. Wir quartieren uns in dieses Zimmer ein, und Sie lassen uns Essen, Trinken und Zigarren bringen. Jordan kommt in dieses Zimmer hier. Sobald er da ist, gebe ich ihm meine Revolver durch die Türe. Bis dahin aber behalte ich sie bei mir.«

»Geben Sie Ihr Ehrenwort, daß Sie keinen Fluchtversuch unternehmen und daß Sie sich ruhig in diesem Nebenzimmer verhalten werden?«

»Ja.«

»Und überhaupt nichts Gewalttätiges und Hinterlistiges unternehmen werden?«

»Ja. Dabei setze ich aber Ihr Ehrenwort voraus, daß auch Sie meine Bedingungen erfüllen!«

»Ich gebe es. Ihre Hand, Sennor!«

Ich hielt ihm die meinige hin. Er schlug langsam und zögernd ein.

»Major Cadera hat mir wiederholt sein Wort gegeben, es aber gebrochen,« fuhr ich fort. »Ich denke, daß Sie, General, mehr Ehre besitzen, als er. Ich vertraue Ihnen und werde mich sofort in das Zimmer verfügen, in welches Sie mir meine Gefährten nachsenden werden.«

»Ich halte Wort. Doch fordere ich von Ihnen das Versprechen, daß Sie auf keinen Fall einem meiner Untergebenen sagen, was hier geschehen ist. Nur Jordan muß es leider erfahren.«

»Ich verrate es nicht.«

»So gehen Sie in das Zimmer. Ich werde Ihre Kameraden sogleich kommen lassen,« sagte er, indem er die Türe öffnete.

Der Major lag noch immer still da. Ich bückte mich zu ihm nieder, schnallte ihm meinen Gürtel ab, um denselben mitzunehmen, denn er enthielt die Patronen, und ging hinaus. Während ich die Türe langsam hinter mir zuzog, hörte ich den General sagen:

»Wirklich ein Teufel, genau so, wie uns der Major – –«

Mehr vernahm ich nicht; die Schlußworte konnte ich mir selbst hinzufügen. Der hohe Offizier hatte sicher nicht geahnt, daß die Szene auf diese Weise enden werde. Warum hatte er mich nur mit dem Major und nicht unter Bedeckung der vier Soldaten eintreten lassen! Doch, selbst in diesem letzteren Falle hätte ich mich meiner Haut gewehrt, lebte aber wohl in diesem Augenblicke nicht mehr. Ich traute dem Generale zu, daß er Wort halten werde, und hatte mich wirklich nicht in ihm getäuscht. Es vergingen nur wenige Minuten, bis die Kameraden alle hereinkamen. Hinter ihnen wurde die Türe verriegelt.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Bruder. »Im Vorzimmer liegt der Major als Leiche!«

»Nicht Leiche. Es ist ihm ein wenig übel geworden.«

»Übel? Ich sehe es Ihnen an, worüber ihm übel geworden ist. Haben Sie ihn niedergeschlagen?«

»Ja.«

»Cielos! Welch ein Wagnis! Man bringt uns hierher. Bedeutet das eine Verbesserung oder Verschlimmerung unserer Lage?«

»Verbesserung, wenigstens was Sie betrifft. Für mich bedeutet es nur eine Gnadenfrist. Ich soll erschossen werden.«

Sie erschraken, und ich erzählte ihnen, was geschehen war. Sie schüttelten die Köpfe über meine Verwegenheit, welche gar nicht verwegen gewesen war. Wenn man mit dem Tode bedroht wird, so gibt es keine Verwegenheit mehr, da kein Risiko vorhanden ist. Natürlich waren sie erfreut, daß es so glücklich abgelaufen war, doch hatten sie kein Vertrauen zu meiner Unterredung mit Jordan; glaubten vielmehr, dieser werde rächen, was ich seinen Untergebenen getan hatte. Ich aber war guten Mutes und sagte ihnen, wie sie sich zu verhalten hätten.

Man brachte uns Fleisch und Salz, Wasser und sogar eine Flasche Wein. Mehr konnten wir nicht verlangen, zumal auch zwei Zigarren für jeden dabei lagen. Die Stube war ganz leer. Wir saßen auf dem Boden, erst essend und trinkend, dann rauchend und uns in Erwartungen über unsre nächste Zukunft ergehend. Neben uns herrschte tiefe Stille. Erst nach Verlauf von beinahe vier Stunden bemerkten wir, daß gedämpfte Stimmen mit einander sprachen. Zuweilen tönte ein lautes Wort dazwischen.

Dann hörten wir taktmäßige Schritte. Ein kleines Weilchen später wurde unsere Türe geöffnet, nur eine Lücke weit, in welcher der General erschien. Er sagte:

»Ich habe Ihnen mein Wort gehalten; Sennor Jordan ist hier und erwartet Sie. Nun halten Sie auch das Ihrige, und geben Sie die Revolver zurück!«

»Hier sind sie,« antwortete ich, indem ich ihm die Waffen gab. »Wann kann ich den Sennor sprechen?«

»Sogleich.«

»Dürfen wir alle eintreten?«

»Nur Sie allein. Kommen Sie!«

Die Szene hatte sich verändert. Die beiden Offiziere saßen wieder an ihrem Tische; aber sie hatten sich jetzt mit Revolvern versehen; der General ebenso. An dem andern Tische, an welchem er sich nun niederließ, saßen noch drei Herren. Zwei von ihnen waren ihrer Kleidung nach auch Offiziere; der dritte, obenansitzende, schien Zivilist zu sein. Jeder von ihnen hatte eine Pistole vor sich liegen.

An der Türe stand der Major Cadera. Er sah bleich und angegriffen aus, jedenfalls von den Nachwehen meines Fausthiebes. Sein Gesicht war der personifizierte Haß, und aus seinen tückischen Augen fiel ein Blick auf mich, welcher jedenfalls den höchsten Grad der Rachgier bedeutete. Auch er hatte zwei Pistolen, eine in jeder Hand. Das sah schrecklich aus, war aber noch nicht alles, denn rundum an den Wänden waren Soldaten postiert, welche ihre geladenen Gewehre »beim Fuß« hatten. Es war klar, bei der geringsten drohenden Bewegung meinerseits wurde ich wie ein Sieb durchschossen.

Bei so einem Anblicke kann es einem unmöglich wohl zu Mute sein, und doch konnte ich mich eines Lächelns nicht erwehren. Wenn diese Kerle alle auf mich schossen, so mußten die Kugeln die Gegenüberstehenden treffen, denn alle konnten nicht in meinem Körper stecken bleiben. Gerade die Größe dieses Apparates, einem einzelnen Menschen Furcht einzuflößen, war lächerlich.

Der General deutete mir durch einen Fingerzeig den Punkt an, wohin ich mich stellen sollte. Ich stand dem in Zivil gekleideten Manne gegenüber. Er betrachtete mich mit durchbohrendem Blicke. Ich ließ meine Augen rundum laufen und sah auf jedem Gesichte mein Todesurteil verzeichnet. Sollte ich doch zuviel gewagt haben? Wie nun, wenn der einzige Halt, auf welchen ich mich verließ, mich doch betrog?

Der Zivilist war es, welcher begann:

»Ich heiße Lopez Jordan. Du hast verlangt, mit mir zu sprechen. Ich hoffe, daß ich meine kostbare Zeit nicht grundlos an dich verschwenden muß. Stellt es sich heraus, daß du keine Veranlassung hattest, nach mir zu schicken, so werde ich die Todesstrafe verschärfen lassen.«

Er legte einen ganz besondern Ton auf das Du und Dich. Der General hatte also erzählt, daß ich ihm sofort sein Du zurückgegeben hatte, und nun wollte Jordan sehen, ob ich das bei ihm auch wagen werde. Gewonnen oder verloren! Hatte ich dieses Du vorher nicht gelitten, so brauchte ich es mir auch jetzt nicht gefallen zu lassen. Verschlimmert konnte meine Lage dadurch gar nicht werden. Darum antwortete ich getrost:

»Nachdem ich von anderer Seite mit so großer Feindseligkeit behandelt worden bin, tut es mir herzlich wohl, in diesem Hause ein so warmes Entgegenkommen zu finden. Schon der Sennor General hat mich mit dem traulichen du erfreut, und da ich nun auch von Dir dieses brüderliche Wort vernehme, so hege ich die Überzeugung, daß – –«

»Hund!« schrie mich Jordan an, indem er aufsprang. »Wagst du es auch bei mir!«

»Warum nicht?« antwortete ich möglichst harmlos. »Ich folge ja nur deinem eigenen Beispiele.«

»Ich lasse dich durch Ochsen zerreißen!«

»Das würde dein eigener Schaden sein, Jordan, denn in diesem Falle könnte weder William Hounters noch Sennor Tupido, welche mich zu dir senden, mit ihrer Bereitwilligkeit – –«

Weiter kam ich nicht. Das fürchterlich drohende Aussehen dieses von den Leidenschaften beherrschten Mannes veränderte sich wie mit einem Schlage. Sein Gesicht nahm plötzlich den Ausdruck freudigster Spannung an. Er trat zwei Schritte auf mich zu und fragte heftig:

»Sennor, Sie nennen da zwei Namen. Kennen Sie die Männer?«

»Ja. Ich wurde von Hounters zu Tupido gesandt, und dieser «

»Schickt Sie nun zu mir?«

»So ist es.«

»Mit einem Ja oder einem Nein?«

»Mit dem ersteren. Es ist alles bereits unterwegs.«

»Ah, que alegria! Und Sie, Sie sollten erschossen werden! Der Mann, der Bote, auf den ich so lange mit Schmerzen gewartet habe! Hinaus mit euch, Kerle! Schnell, sonst schieße ich euch in die Beine!«

Dieser Befehl galt den an den Wänden postierten Soldaten, welche sich auf das schleunigste davon machten. Mir war es, als ob ich in allen möglichen Staatslotterien das große Los gewonnen hätte. Der Major aber machte ein Gesicht, dessen Ausdruck gar nicht zu beschreiben ist.

»So, die Kerle sind fort,« sagte Jordan. »Willkommen, Sennor! Nun sind wir unter uns, und Sie können Ihren Auftrag ausrichten.«

Er gab mir die Hand und schüttelte die meine herzlich.

»Nicht so schnell, Sennor!« antwortete ich. »Ich bin fürchterlich beleidigt worden. Ich bin gekommen, Ihnen einen Dienst zu erweisen, von dessen Größe und Bedeutung Sie selbst wohl noch keine Ahnung haben, denn Ihre Wünsche werden über Ihr Erwarten erfüllt. Statt Willkommen und Dank zu finden, bin ich mit einer Feindseligkeit behandelt worden, welche ihres Gleichen sucht. Beinahe hätte man mich erschossen! Ich werde nicht eher von meinem Auftrage sprechen, als bis mir diejenige Genugtuung geworden ist, welche ich verlangen kann.«

»Sie soll Ihnen werden, Sennor, gewiß, ganz gewiß. Nur eine eigenartige Verkettung der Umstände kann schuld sein, daß Sie so verkannt wurden.«

»Die Schuld liegt nicht an den Umständen, sondern an den Personen. Man hat den Sennor General und man hat auch Sie belogen. Ich muß unbedingt um die Erlaubnis bitten, Ihnen erzählen zu dürfen, wie alles in Wahrheit geschehen ist.«

»Das dürfen Sie; das sollen Sie; tun Sie es!«

»Dazu bedarf ich meiner Gefährten. Darf ich sie hereinrufen?«

»Nein. Sie dürfen ja nicht erfahren, daß Sie –«

»Was ich einstweilen sage, dürfen sie hören. Ich muß sie hier haben als Zeugen gegen unsern lügenhaften Ankläger, welcher unser aller Verderben wollte.«

»So mögen sie hereinkommen. Ich erlaube es.«


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