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Als ich in die Stube zurückkehrte, war der Kranke in einen tiefen, ruhigen Schlaf gefallen. Die Bewohner des Rancho waren dann bei ihrer täglichen Beschäftigung, und mich nahm der Bruder mit hinaus ins Freie, um mir die zum Rancho gehörigen Umzäunungen zu zeigen. Dann saßen wir rauchend mit einander auf der Bank vor der Türe. Bis jetzt war kein Wort über den Sterbenden gefallen. Auch über sich selbst machte Frater Hilario keine Bemerkung, obgleich ich neugierig war, etwas Näheres zu hören. Natürlich vermied ich es, eine Frage auszusprechen. Nur das eine bemerkte ich, daß er eine ziemlich große Bildung besaß. Die Unterhaltung spann sich anfangs eigentlich nur um mich und meine Erlebnisse und Reiseabsichten. Als er hörte, wen ich in Tucuman besuchen wollte, sagte er überrascht:
»Sennor Pena? Wie haben Sie diesen kennen gelernt?«
»Ich traf ihn vor zwei Jahren in Mexiko und hörte von ihm, daß er sich nach dieser Zeit in Tucuman befinden werde.«
»Ganz recht. Sie werden ihn dort treffen. Er wohnt gegenwärtig in Tucuman, wo er sich zu neuen Ausflügen vorbereitet. Gehen Sie direkt dorthin?«
»Nein. Wir wollen vorher nach dem Gran Chaco.«
»Ah, das ist mir interessant, Sennor. Ein solches Zusammentreffen ist ganz unerwartet. Ich will nämlich auch nach dem Chaco und dann nach Tucuman.«
»Wirklich? Dann wäre es herrlich, wenn wir zusammen reisen könnten.«
»Es ist möglich. Wann brechen Sie auf?«
»In ganz kurzer Zeit, in nur einigen Tagen.«
»Ich ebenso. Ich würde mich Ihnen sehr gern anschließen, wenn ich wüßte, daß ich Ihren Gefährten willkommen sei. Wer reitet mit?«
»Der Yerbatero mit noch fünf seiner Gefährten. Die Leute werden nicht nur nichts gegen Ihren Anschluß haben, sondern sich herzlich über denselben freuen.«
»Aber, was wollen diese Yerbateros in Gran Chaco? Sie können doch reichlich Tee in anderen Gegenden finden, welche weit weniger gefährlich sind.«
»Dieses Mal reisen sie nicht als Teesucher, sondern in anderer Eigenschaft.«
»Wohl ein Geheimnis?«
»Eigentlich, ja. Ist dieser Gran Chaco wirklich so gefährlich, wie Ihre Worte vermuten lassen, Frater Hilario?«
»Ja. Ihnen freilich wird er nicht so gefährlich erscheinen. Wer, wie Sie, sich mit den Rothäuten und wilden Tieren des Nordens herumgeschlagen hat, der wird meinen, über den Gran Chaco lächeln zu können. Er hat indessen ebenso viele und große Gefahren, wie die Savanne oder die Wüste.«
»Sie meinen die wilden Tiere?«
»Nun, der Jaguar ist freilich kein bengalischer Tiger, ebenso wie der Puma nicht mit dem afrikanischen oder asiatischen Löwen zu vergleichen ist; aber beide sind doch gefährlich genug. Am meisten sind indessen die Wilden zu fürchten, welche sich mit der Unhörbarkeit einer Schlange zu bewegen verstehen!«
»Das verstehe ich auch.«
»Das möchte ich bezweifeln, natürlich, ohne Sie beleidigen zu wollen.«
»So wette ich mit Ihnen. Es soll finster sein. Sie sitzen hier auf dieser Bank, und ich stehe draußen vor dem Tore. Es ist Nacht. Kein Lüftchen regt sich, und man möchte darauf schwören, das geringste Geräusch hören zu können. Dennoch komme ich herein und setze mich hierher neben Sie. Wenn Sie nicht gerade an mich stoßen, sollen Sie gar nicht ahnen, daß jemand neben Ihnen sitzt.«
»Sennor, Ihre Worte in Ehren, aber das glaube ich nicht!«
»Sie werden es glauben lernen, da wir ja mit einander reisen. Ich denke, daß es da Gelegenheit geben wird, Ihnen zu beweisen, daß ich gar nicht zuviel gesagt habe.«
»Aber, wie wollen Sie herein? Das Tor ist ja verschlossen!«
»Ich steige über mit Hilfe des Lasso, dessen Schlinge ich nach oben werfe.«
»Dann mag es möglich sein. Aber das ist auch der einzige Punkt, an welchem Sie herein könnten.«
»Ich komme überall durch.«
»Auch durch den Kaktus?«
»Ja. Er mag noch so dicht oder voller Stacheln sein. Ich schneide mir ein Loch durch die Hecke. An die Schärfe und Festigkeit meines Bowiemessers kommt keine Ihrer Macheten.«
»Sennor, dann sind Sie ja ein ganz gefährlicher Mensch! Sie haben alles Talent zu einem Einbrecher. Aber selbst wenn Sie hier eingestiegen wären, würde ich Ihre Annäherung hören.«
»Machen wir einen Versuch?«
»Er könnte nicht gelingen. Denken Sie nur, daß ich jeden Schritt ihrer Riesenstiefel hören müßte. selbst wenn Sie noch so leise aufzutreten suchten.«
»Warten Sie es ab! Wir haben zwar keine ägyptische Finsternis, aber Abend ist es doch und leidlich dunkel. Ich werde mich nach jener Ecke, da rechts, entfernen. Sie legen Ihren Hut hier neben sich auf die Stelle, an welcher ich jetzt sitze. Ich komme und hole ihn, ohne daß Sie es bemerken.«
»Ja, tun Sie es! Aber fertig bringen Sie es nicht.«
»Ich bringe es, obgleich sich der Hut viel leichter holen läßt, wenn der Besitzer nichts davon weiß. Ich mache aber natürlich die Bedingung, daß Sie ihn nicht festhalten.«
»Das versteht sich!«
»Sobald Sie merken, daß ich da bin und ihn wegnehme, sagen Sie es; aber nach dem Hute dürfen Sie dabei nicht greifen. Von dem Augenblicke meiner Entfernung an bis zum Ende des Versuches dürfen Sie ihn nicht berühren. Sobald Sie aber merken, daß ich da bin, sagen Sie es, und ich habe verloren.«
»Gut! Die Sache ist interessant. Ich werde natürlich aufpassen wie eine Eule auf die Fledermäuse.«
Er saß zu meiner Rechten. Ich stand auf, und er legte seinen Hut auf meinen Platz. Es war so dunkel, daß er ihn nicht sehen konnte. Der Mond kam erst später. Der Hut lag ihm zur Linken, und ich ging nach der Ecke, welche zu seiner rechten Hand lag. Also mußte ich an ihm vorüber, wenn ich den Hut holen wollte. Das sagte er sich, und darum war er sicher, daß er mich ertappen werde. Ich aber war ganz anderer Meinung. Ich ging zwar mit lauten Schritten nach rechts hin, mußte aber von seiner linken Seite herkommen, um den Hut zu erhalten. Darum war ich gezwungen, einen Umweg zu machen und mich am Tore vorüber und den Zaun entlang nach der linken Ecke schleichen. Dies tat ich denn auch, indem ich mich lang am Boden ausstreckte und nur auf den Fingern und Fußspitzen ging. Das war ganz leicht. Der Boden war sandig und feucht; es gab nicht das geringste Geräusch.
Um ihn nun zu täuschen, als ob ich wirklich von rechts komme, und um seine ganze Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, nahm ich alle drei oder vier Schritte ein Sandsteinchen auf und warf es nach dieser Richtung. Er hörte das und freute sich darauf, mich abfassen zu können, denn er glaubte, daß mein Heranschleichen dieses Geräusch verursache. Auf diese Weise erreichte ich seine linke Seite und kam an die Bank. Ich hätte den Hut nehmen können, machte mir aber das Vergnügen, noch einige Steinchen über ihn weg zu werfen. Er drehte sich ganz nach der rechten Seite, denn er glaubte mich nahe. Das gab mir Gelegenheit, den Hut zu ergreifen und mich wieder auf den Platz zu setzen, den ich vorher eingenommen hatte. Er lauschte angestrengt, doch ließ sich nichts mehr hören.
»Sie warten wohl immer noch auf mich?« fragte ich.
Er fuhr ganz erschrocken herum.
»Ist es möglich! Sie sind da? Ich hörte doch nichts!«
Ich beschrieb ihm, wie ich es gemacht hatte, behielt aber dabei seinen Hut in der Hand und schlang mir den Lasso von der Hüfte los. Während ich sprach, band ich das eine Ende des letzteren an das Hutband fest.
»Ja, wenn Sie es in dieser Weise gemacht haben!« meinte er. »Da bringe ich es auch fertig!«
»Jetzt bin ich es, welcher zweifelt. Mich würden Sie nicht täuschen.«
»O doch!«
»Nein. Ich würde das Geräusch eines geworfenen Sandkornes von demjenigen eines Menschenschrittes sofort unterscheiden. Übrigens wirkt jede List dadurch, daß nur der sie kennt, welcher sie ausübt. Darum ist man im Leben der Wildnis gezwungen, stets neue Listen zu entdecken.«
»Mit einer zweiten würden Sie mich nicht täuschen.«
»Wollen wir es versuchen, Frater Hilario?«
»Ja, ich bitte Sie darum.«
»Nun gut. Aber passen Sie genau auf!«
»Daran soll es nicht fehlen. Wenn Sie auch jetzt Erfolg haben, gebe ich zu, daß Sie der beste Jäger sind, den ich gesehen habe.«
»Schön. Hier ist Ihr Hut. Ich stehe auf und lege ihn wieder an dieselbe Stelle, an welcher er vorhin lag und ich jetzt gesessen habe. Wollen Sie sich überzeugen, daß er da liegt!«
Ich hatte den Hut wirklich hingelegt und trat vier oder fünf Schritte von der Bank zurück, indem ich aber den Lasso in der Hand behielt.
»Er liegt da,« sagte er, ohne sich zu rühren.
»Überzeugen Sie sich besser, denn Sie sehen ihn ja nicht. Fühlen Sie darnach!«
Er tat es.
»Ja, hier liegt er. Es ist gewiß.«
Es war gewagt von mir, ihn nach dem Hute greifen zu lassen. Wenn er den Lasso berührte, war der Streich verraten, Glücklicher Weise geschah dies nicht.
»Passen Sie also auf!« fuhr ich fort. »Ich werde wieder nach derselben Ecke rechts gehen. Sie berühren den Hut nicht, fassen aber sofort nach mir, wenn ich denselben nehmen will. Verstanden?«
Ich sagte das geflissentlich laut und hustete dabei einige Male, damit er nicht hören sollte, daß ich während des Sprechens den Hut von der Bank weg und zu mir herüberzog.
»Keine Sorge!« sagte er. »Werde schon aufpassen. Geben Sie sich nur Mühe!«
Ich ging lauten Schrittes nach der Ecke, band den Hut los, stäubte ihn ab und schlang mir den Lasso wieder um die Hüften. Dann legte ich mich auf den Boden und kroch nach der Bank. Jetzt war er ganz überzeugt, daß ich ebenso wie vorhin von der linken Seite kommen werde. Daher richtete er seine ganze Aufmerksamkeit nach dieser Seite. Ich erreichte die Bank und richtete mich neben ihm auf. Mich an die Wand lehnend, zog ich eine Zigarre hervor, strich ein Zündholz an und sagte:
»Jetzt kann ich wieder rauchen, denn den Hut habe ich.«
»Wirklich!« rief er und griff nach der Stelle, von welcher der Hut verschwunden war.
»Ja, da sitzt er auf dem meinigen. Hier haben Sie ihn wieder, Frater Hilario.«
»Unbegreiflich! Ich schaute nach links, und da stehen Sie rechts. Aber wie ist denn das zugegangen?«
»Das mag einstweilen mein Geheimnis bleiben. Sie sehen, daß es sehr leicht möglich ist, sich Ihnen zu nähern und Ihnen sogar den Hut zu nehmen, ohne daß Sie es bemerken. Glauben Sie nun, was Sie vorhin bezweifelten, nämlich, daß ich mich in nächtlicher Finsternis von draußen hereinmachen und neben Sie setzen würde, ohne daß Sie es bemerken?«
»Ja, jetzt glaube ich es.«
»Nun werden Sie wohl auch meiner Ansicht sein, daß ich mich wohl schwerlich von Ihren Indianern überlisten lassen würde. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich auf den wilden Chaco freue, besonders da ich ihn und seine Indianer an Ihrer Seite kennen lernen soll.«
»Sind auch die andern verlässige Leute?«
»Ich kenne sie nicht und habe sich noch nicht prüfen können. Als Yerbateros sind sie jedenfalls tüchtig.«
»Hm! Sie sagten vorhin, daß sie zu anderen Zwecken nach jener Gegend wollten, und ich weiß nicht, ob das Können eines Yerbatero diesen Zwecken gewachsen ist.«
»Ich verstehe, Bruder Hilario! Der Zweck, welchen sie verfolgen, soll geheim gehalten werden. Aber Sie werden uns begleiten und doch bald erraten, um was es sich handelt. Sie wollen einen berühmten Sendador aufsuchen, um mit ihm in die Cordillera zu gehen und nach vermauerten und versenkten Schätzen zu suchen.«
»Und Sie gehen mit?«
»Ja. Ich soll, so zu sagen, den Ingenieur dieses Unternehmens machen.«
»Worin sollen diese Schätze bestehen?«
»Aus Gefäßen, Schmucksachen und ähnlichen Dingen aus der Inkazeit.«
»Weiß man die Orte?«
»Man hat Pläne derselben.«
»Von wem?«
»Der Sendador hat sie von einem Padre geerbt, welcher unterwegs in der Cordillera gestorben ist.«
Er hatte ruhig gefragt und ich ihm auch unbefangen geantwortet. Ich wußte ja nicht, ob er von dem Kranken erfahren hatte, daß auch ich von der Angelegenheit wisse. Jetzt sagte er:
»Wollen nicht Versteckens spielen! Sie wissen, daß mir diese Angelegenheit nicht unbekannt ist?«
»Ich denke es mir. Der Kranke hat sich Ihnen jedenfalls anvertraut.«
»Ich kann darauf jetzt nicht antworten. Doch werde ich zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen und Umständen sprechen. Ich bin entschlossen, mit den Yerbateros zu reisen. Ich muß diesen Sendador sehen. Doch warne ich Sie, den ersteren und am allerwenigsten dem letzteren etwas ahnen zu lassen. Mein Weg hätte mich für dieses Mal über Santa Fé und Santiago nach Tucuman geführt. Es ist mir kein Opfer, ein wenig nach links und in den Gran Chaco abzuschweifen. Wir brechen frühzeitig auf, und ich bekomme da gleich Gelegenheit, die fünf andern Männer kennen zu lernen, mit denen wir reisen werden. Jetzt möchte ich einmal nach dem Kranken schauen.«
Dieser schlief noch immer. Er schlief auch noch, als wir das Abendbrot eingenommen hatten, den Priester konnten wir erst nachts erwarten. Dann saßen wir ernst bei einander und sprachen von der Heimat, an welcher das Herz des Deutschen selbst dann noch hängt, wenn er sich eine Existenz in der Ferne gegründet hat. Gegen Mitternacht hörten wir seinen leisen Ruf. Der Frater ging hinaus zu ihm und holte dann das Ehepaar. Ich hörte eine Zeit lang den unterdrückten Ton ihrer Stimmen. Dann wurde es still. Später kamen sie zu mir zurück, die beiden weinend und der Bruder mit dem Gesichte eines Heiligen.
»Er ist entschlafen, ehe der Priester kam,« sagte er. »Requiescat in pace! Er ging von uns voller Vertrauen auf die Gnade des Allbarmherzigen. Leben heißt kämpfen; sterben heißt siegen. Preis sei Gott, der uns den Sieg verliehen hat durch Jesum Christum, unsern göttlichen Heiland!«
Die Trauer um den Toten war tief und aufrichtig; doch trat die profane Notwendigkeit in ihre Rechte. Es war nicht mehr so zeitig, wie wir aufzubrechen beschlossen hatten. Bürgli machte uns den Vorschlag, nicht unsere Pferde, sondern zwei der seinigen zu nehmen. Der Frater wollte bei dem Begräbnisse zugegen sein, und auch ich wurde gebeten, teilzunehmen. Da konnten wir die Pferde zurückbringen. Bürgli wollte den Geistlichen bitten, einen Tag bei ihm zu verweilen. Unterdessen hatten die unseren ausgeruht und waren größeren Anstrengungen sofort gewachsen. Natürlich gingen wir gern auf dieses Anerbieten ein, und der Abschied war ein zwar sehr herzlicher, aber kurzer, da wir ja sehr bald wiederkommen wollten. Wir ritten nur ganz kurze Zeit auf dem Wege, auf welchem ich mit dem Yerbatero als Gefangener gekommen war. Die Bolamänner hatten so viel wie möglich alle im geraden Wege liegenden Siedelungen vermieden und waren aus diesem Grunde oft zu Umwegen gezwungen gewesen. Wir aber hatten das nicht nötig.
Bruder Hilario kannte die Gegend sehr genau. Er wußte alle Terrainschwierigkeiten zu vermeiden, und da wir die geradeste Richtung einschlugen, ritten wir zwei volle Stunden weniger, als ich mit den Kavalleristen gebraucht hatte.