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16. Fortsetzung

»Sennor,« sagte Monteso, »sollte er doch wirklich ein Beamter sein! Sein Auftreten ist so sicher!«

»Nicht sicher, sondern frech.«

»Warum haben Sie ihn dann entlassen!«

»Konnte ich anders?«

»Ja. Wenn Sie wirklich überzeugt sind, daß er sich für etwas ausgibt, was er gar nicht ist, so steht es fest, daß er uns bestehlen wollte. Wir konnten ihm also durch eine tüchtige Tracht Prügel das Wiederkommen verleiden.«

»Was nützt es uns, den Menschen zu prügeln? Gar nichts! Übrigens glaube ich nun selbst, daß es nicht auf einen Diebstahl abgesehen war. Als ich kam, war er bei Ihnen fertig. Er stand zum Gehen bereit, bevor er mich sah. Vom Stehlen ist also keine Rede.«

»Was aber könnte er denn sonst bei uns gewollt haben?«

»Das eben möchte ich wissen. Er befand sich bei Ihnen, hatte es also nicht auf Ihre Kameraden, sondern auf Sie abgesehen. Vermissen Sie wirklich nichts? Ist Ihr Gewehr in Ordnung?«

»Mir fehlt nichts, und das Gewehr ist unberührt. Der Teufel mag erraten, was der Kerl bei mir gesucht hat!«

»Ich werde nachdenken. Vielleicht errate ich das Richtige.«

»Ja, denken Sie nach, Sennor, denn das Nachdenken ist meine schwache Seite. Meinen Sie, daß wir wieder schlafen dürfen? Daß er uns nicht mehr belästigen wird?«

»Wird ihm nicht einfallen! Er ist jedenfalls froh, von uns fort zu sein. Wir sehen ihn wohl nicht eher wieder, als bis der Streich reif ist, den er gegen uns auszuführen beabsichtigt.«

Ich begab mich in meine Stube; aber zum Schlafen kam ich nicht. Ich sann und sann, und doch konnte ich trotz aller Anstrengung nicht erraten, was der Mann bei den Yerbateros gewollt hatte. Ich überlegte jedes Wort, welches er gesagt hatte; ich erinnerte mich an jede seiner Mienen; ich verglich und verglich – – vergebens!

Endlich schlief ich doch ein, hatte aber einen unruhigen Schlaf, aus welchem ich bald wieder erwachte. Der Tag schaute zum Fenster herein, und ich stand auf. Die Yerbateros lagen noch schlafend unter ihrem Strohdache. Ich ging hin zu ihnen. Ich untersuchte den Boden, das Gras, die ganze Umgebung des Hauses; ich fand nichts, gar nichts, was mir als Fingerzeig hätte dienen können. Man kommt dadurch in einen geradezu peinlichen Seelenzustand, der nur schwer zu beschreiben ist. Sich vor etwas ganz Unbekanntem und Unbestimmtem ängstigen zu müssen, ist fatal.

Ich weckte die Männer. Wir bezahlten die Zeche und ritten dann weiter. Auch heute bot die Gegend keinen andern Anblick dar als gestern und vorgestern. Wir folgten den ausgefahrenen Geleisen der Diligence und kamen an gar keine Ortschaft. Einige Ranchos berührten wir, konnten aber über Mateo nichts erfahren.

Um die Mittagszeit wurde die Gegend belebter. Die Estanzias und Ranchos mehrten sich, und Leute begegneten uns. Wir näherten uns der Stadt Mercedes, bogen aber rechts ab, nach Norden zu, wo die Besitzung des Verwandten Montesos sich befand. Wir hatten den Rio Negro zur Linken. Zuweilen kamen wir ihm so nahe, daß wir seine schimmernde Wasserfläche erblickten. Es gab zahlreiche Fahrzeuge auf derselben, denn Mercedes, welches an seinem Ufer liegt, treibt einen lebhaften Handel mit dem Landesinnern.

Drei Stunden von Mercedes sollte der Verwandte wohnen; es waren aber wohl mehr als vier. Doch wurde mir die Zeit nicht lang, denn die Nähe des Flusses wirkte vorteilhaft auf die Landschaft und deren Bewohner.

Wir kamen sogar zuweilen durch ein kleines Wäldchen, hier eine Seltenheit, und ich hatte nun auch die Freude, eine ganze Straußfamilie zu sehen. Wir kamen durch Büsche auf den freien Camp. Die Tiere hatten in der Nähe geweidet und jagten, über unser Erscheinen erschrocken, in größter Eile davon. Die Wirkung auf mich war eine sonderbare: ich mußte so herzlich lachen, daß mir die Tränen in die Augen traten. Den Yerbateros war der Anblick dieser Vögel etwas sehr Vertrautes, und doch lachten sie mit, von meiner Lustigkeit angesteckt.

Wer kein ausgesprochener Griesgram ist, wird unbedingt ein Gelächter aufschlagen, wenn er eine Truppe Strauße ausreißen sieht. Das ist kein Rennen, wie ich es mir ausgemalt hatte, sondern ein höchst kurioses und possierliches Humpeln und Watscheln. Sie werfen die Beine auf eine ganz unbeschreibliche Weise hinter sich; die Haltung des Körpers und die Bewegungen des Halses tun das Übrige.

Der amerikanische Strauß oder Nandu wird im La-Plata-Gebiet Avestruz genannt. Er ist ein riesengroßer Vogel, welchen man selten einzeln sieht. Ein Männchen hat immer fünf und noch mehr Hennen bei sich; oft sieht man Trupps bis zu zwanzig Individuen. Er wird selten geschossen, sondern zu Pferde gejagt und mit dem Lasso gefangen. Die Eingeborenen behaupten, daß sein Fleisch sehr wohlschmeckend sei. Wenn dies wahr ist, so ist das ein Vorzug, welchen er vor seinem afrikanischen Verwandten hat. Das Fleisch eines jungen Vogels ist allerdings nicht übel, aber einen älteren weich zu bringen, das möchte wohl schwer gelingen.

Seine Federn werden zu allerlei Putz verwendet, besonders zur Herstellung von Staubwedeln, doch haben sie bei weitem nicht den Wert der Federn des afrikanischen Straußes.

Beliebt sind die großen Eier des Nandu. Die zu einer Familie gehörigen Hennen legen ihre Eier in ein gemeinschaftliches Nest. Diese letzteren werden nicht von der Sonne, wie man irrtümlich angenommen hat, sondern von dem Vogel ausgebrütet. Das Nest ist außerordentlich kunstlos, und besteht nur in einer ausgekratzten Erdvertiefung.

Die Menschen streben diesen Eiern fleißig nach, denn dieselben sind außerordentlich nahrhaft und wohlschmeckend; eine Tortilla aus Straußeneiern wird selbst ein Feinschmecker nicht verschmähen. Man behauptet freilich anderwärts, Kiebitz- und Fasaneneier sollen zarter sein. Ich bestreite es nicht.

Die Sonne senkte sich gegen den Horizont, als wir an einer weidenden Rinderherde vorüber kamen. Monteso deutete auf die eingebrannten Zeichen und sagte:

»Das ist das Zeichen meines Verwandten. Wir befinden uns auf seinem Gebiete.«

Der Mann mußte ungeheuer reich sein, denn wir ritten an noch andern Herden Rindern, Pferden, Schafen vorüber, und alle diese Tausende von Tieren trugen dasselbe Zeichen. Agave-Zäune, welche mir meilenlang vorkamen, trennten die einzelnen Herden und Weideplätze von einander. Gauchos jagten auf sehr schnellen Pferden über diese Flächen, um die Tiere zusammen zu halten oder kämpfende Stiere aus einander zu treiben.

Dann sahen wir Baumwipfel sich im Norden erheben. Weiße Mauern schimmerten uns einladend entgegen. Wir hatten die Estanzia vor uns, welche im Schatten hoher Pappeln, Eichen und Trauerweiden stand. Besonders waren die letzteren von einer Größe und Schönheit, wie man sie in Deutschland gewiß nicht zu sehen bekommt. Ein Landschaftsmaler wäre entzückt gewesen über jeden einzelnen dieser Bäume.

Die Estanzia bestand aus mehreren Gebäuden, welche ein schloßähnliches Ganzes bildeten. Zunächst ritten wir in einen großen Hof, welcher von drei Seiten von einer hohen Mauer eingefaßt war. In der vorderen Mauer befand sich das Tor. Die vierte Seite des Hofes wurde von einem langen, zweistöckigen Gebäude begrenzt. Das war das Herrenhaus.

Der Hof war, hier zu Lande eine Seltenheit, sehr reinlich gehalten. Mehrere schwere Ochsenkarren standen da. Einige Füllen jagten spielend umher. Knechte waren mit allerlei Arbeiten beschäftigt. Wir ritten quer über den Hof nach der Eingangstüre des Hauses.

Die Knechte sahen uns, stutzten und kamen dann eiligst herbei, um uns zu begrüßen. Das geschah mit einer Höflichkeit, über welche ich mich verwundern mußte. Sie verneigten sich fast ehrfurchtsvoll vor Monteso, welcher barfüßig und zerlumpt vor ihnen stand und sich erkundigte:

»Ist der Sennor daheim?«

»Nein,« antwortete einer. »Er ist nach Fray Bentos, wegen der letzten Herde, welche wir dorthin geliefert haben.«

»Und die Sennora?«

»Ist daheim mit der Sennorita.«

»Melde mich!«

Der Peon ging in das Haus. Monteso befahl den andern:

»Unsere Pferde laßt frei; diesen Braunen aber übergebe ich eurer besonderen Obhut. Laßt es ihm an nichts fehlen!«

Das klang ganz so, als ob er hier zu befehlen habe. Seine Gefährten gingen nach verschiedenen Seiten ab. Mich aber führte er in das Haus und auf eine mit einem breiten Teppichläufer belegte Treppe. Oben öffnete der Peon, welchen er in das Haus geschickt hatte, eine Türe. Wir traten ein und standen vor zwei Damen, welche jedenfalls Mutter und Tochter waren. Er begrüßte beide auf das herzlichste, die Dame mit einem Handkuß und das Mädchen mit einem Kusse auf die Wange, wie es nur unter Verwandten üblich ist, und ich hörte zu meinem Erstaunen, daß die Tochter ihn Oheim nannte. Also war er jedenfalls der Bruder des Besitzers dieser Estanzia, welche eine der reichsten des Landes sein mußte.

Er stellte mich vor, und ich wurde mit ausgezeichneter Freundlichkeit begrüßt und von Herzen willkommen geheißen. Dann führte er mich nach dem Zimmer, welches ich bewohnen sollte. Wie war ich erstaunt, ein Logis zu sehen, welches aus Vor-, Wohn-, Schlafzimmer und Badestube bestand. Die Ausstattung war so geschmackvoll, daß ein Graf nichts an derselben auszusetzen gehabt haben würde. Er lächelte mich vergnügt an, als er meine Überraschung bemerkte.

»Gefällt es Ihnen hier, Sennor?« fragte er.

»Welch eine Frage! Sie haben mich da in ein Schloß, in ein wirkliches Palais gebracht!«

»Palais? Nein. Sie befinden sich in der einfachen Estanzia del Yerbatero.«

»Die Estanzia des Teesammlers! Sennor, da steigen gewisse Vermutungen in mir auf, welche –«

»Welche vielleicht das Richtige treffen,« fiel er ein. »Ich war ebenso wie mein Bruder, ein armer Teesucher. Wir waren ehrlich, fleißig und sparsam. Wir hatten Glück und mein Bruder heiratete ein reiches Mädchen. Wir kauften diese Estanzia. Er bewirtschaftet sie, und bin sein Kompagnon. Durch den Einfluß seiner Frau ist er ein feiner Caballero geworden, ich aber liebe die Wildnis, die Pampa, den Camp, den Urwald und bin dieser meiner Liebe treu geblieben. Ich sammle während acht oder zehn Monate des Jahres Tee, aber en gros, Sennor, und komme dann stets nach dieser Estanzia, um mich auszuruhen. Wen ich mitbringe, der gilt als Glied der Familie. Denken Sie also, Sie seien hier geboren und hätten ebenso zu gebieten, wie ich. Wie lange werden Sie brauchen, um den Schmutz des Rittes los zu werden?«

»In einer halben Stunde stehe ich zur Verfügung.«

»So hole ich Sie dann ab. Da ich daheim bin, muß ich auch in eine andre Kleidung fahren. So, wie ich hier bin, lasse ich mich nur sehen, wenn ich ausreite. Man lacht über mich, zankt mich sogar aus; aber ich befinde mich als armer Yerbatero am wohlsten.«

Er ging. Jedenfalls war er ein halbes Original. Nun konnte ich es mir freilich erklären, daß er in Montevideo mit silbernem Bestecke gespeist und Champagner getrunken hatte. Wer hätte das gedacht, als ich ihm lächerlicher Weise ungebeten zweihundert Papiertaler borgte!

Natürlich benutzte ich das Bad. Kleider zu wechseln gab es nicht. Als ich in das Wohnzimmer zurückkehrte, war mir leise ein prachtvolles Rauchservice an die Sammtcauseuse geschoben worden. Es gab echte Kuba, und ich griff sofort zu. Da klopfte es, und das lachende Gesicht des Yerbatero erschien in der geöffneten Türe, dann schob er sich vollends zur Türe herein. Jetzt sah er freilich ganz anders aus. Er trug einen Salonanzug von feinstem, schwarzem Stoffe, weiße Weste und Lackstiefel. Eine Kette mit großen Berloques hing von der Uhrtasche herab. Dazu war er auch im Bade gewesen und hatte sich den Vollbart nach hiesiger Weise ausrasiert.

»Nun, wie gefällt Ihnen jetzt Ihr Yerbatero?« fragte er, indem er, vor mir stehend, sich einmal um sich selbst drehte.

»Ein äußerst sauberer Caballero!«

»Nicht wahr? Ist mir aber unbequem. Morgen früh, wenn ich Ihnen unsere Herden zeige, werden Sie wieder den Alten vor sich haben. Jetzt soll ich Sie abholen. Wir wollen im Garten speisen.«

Ich folgte ihm die Treppe hinab, durch einen hohen, breiten Flur, über einen Innenhof und dann in den Garten. Das war ein Blumengarten, wie ich ihn hier nicht erwartet hatte. Die Dämmerung brach herein, und darum konnte ich ihn nicht überschauen; aber wir waren von Düften umgeben und die Wipfel von Bäumen rauschten über uns.

In einer großen, verdeckten Laube, die von einer Ampel erleuchtet wurde, war angerichtet. Die Tafel brach fast unter der Last der Speisen, welche sie zu tragen hatte. Ein Braten von wenigstens fünfzehn Pfund duftete uns verführerisch entgegen. Goldene Flaschenhälse schauten aus silbernen Kühlern. Das liebste aber war mir die aufrichtige Herzlichkeit, mit welcher wir von den beiden Damen empfangen wurden.

Ich merkte sehr bald, daß der Yerbatero mich sehr gut eingeführt hatte. Und dennoch gab es nicht jene laute, aufdringliche Hochachtung, die man mir gestern in San José gezeigt hatte. Man fühlte sich wirklich wohl bei diesen guten Leuten.

Aus einer Ecke des Gartens erklangen laute, fröhliche Stimmen und klingende Gläser.

»Hören Sie?« sagte Monteso. »Das sind meine Yerbateros. Was ich habe, haben auch sie, und wenn ich hungere, so klappern auch ihnen die Zähne. Brave Kerls, auf die man sich verlassen kann! Sie werden sie bald noch besser als bisher kennen lernen.«

Natürlich wurde vor allen Dingen erzählt, wie wir beide bekannt geworden waren und was wir bis heute mit einander erlebt hatten. Da kam einer der Peons und meldete, daß ein fremder Herr angekommen sei, ein Kavallerielieutenant, welcher die Sennora zu sprechen wünsche, da der Sennor nicht zu Hause sei. Die Dame erlaubte, daß der Herr zu ihr gebracht werde.

Als er kam, erfuhren wir, daß er den Auftrag habe, eine Anzahl von Pferden einzukaufen. Er habe auch die Mittel miterhalten, dieselben gleich zu bezahlen, was bei den gegenwärtigen Verhältnissen ein für ihn sehr angenehmer Umstand sei. Leider habe er erfahren, daß Sennor Monteso nicht daheim sei, und es tue ihm herzlich leid, unverrichteter Sache wieder abreisen zu müssen.

»Mein Mann kommt morgen sicher zurück, wenn auch erst am Nachmittage,« erklärte sie. »Wenn Sie bis dahin Urlaub haben, Sennor, würde es mich freuen, Sie bei mir aufnehmen zu können.«

»Hm!« antwortete er nachdenklich. »Mein Urlaub würde wohl ausreichen, aber der Vormittag wäre versäumt.«

»Was das betrifft,« fiel Monteso ein, »so stelle ich mich Ihnen für früh zur Verfügung. Ich bin der Bruder des Besitzers und zugleich sein Kompagnon und habe das Recht, in seinem Namen Käufe abzuschließen.«

»Wenn dies der Fall ist, so werde ich mich allerdings am Morgen einfinden.«

»Einfinden? Wieso? Sie bleiben bei uns!«

»Das ist unmöglich, Sennor. Ich darf Sie nicht inkommodieren; das ist die Strafe, welche ich selbst mir dafür auferlege, daß ich so spät am Tage gekommen bin.«

»Pah! Wir werden Sie nicht fortlassen, Sennor. Oder trauen Sie den Bewohnern der Estanzia del Yerbatero vielleicht eine solche Unhöflichkeit zu.«

»Nein, gewiß nicht. Aber ich darf Ihre gütige Einladung nicht annehmen, denn ich bin nicht allein, ich habe fünf meiner Kavalleristen bei mir, die ich, wenn der Kauf zu Stande kommt, zum Transport der Pferde brauche.«

»Nun, die Estanzia hätte auch noch für mehr Personen Platz, ohne daß wir durch dieselben geniert würden. Erlauben Sie, daß ich das besorge!«

Er ging fort. und der Lieutenant mußte sich setzen, um mitzuessen. Er hatte sich Mühe gegeben, höflich zu sein. Dennoch gefiel er mir nicht. Worin das seinen Grund hatte, konnte ich mir selbst nicht sagen. Er war älter, weit älter, als sonst Lieutenants zu sein pflegen, denn er konnte wohl über vierzig Jahre zählen. Das war aber doch kein Grund zur Antipathie. Sein ganzes Gesicht bis auf die Wangen herüber war voller Bartwuchs. Seine Brauen waren borstig und über der Nasenwurzel zusammengewachsen. Sein Auge hatte einen stechenden Blick, obgleich er sich Mühe gab, denselben zu mildern. Kurz und gut, er gefiel mir ganz und gar nicht. Seine Uniform schien von der Phantasie geschneidert worden zu sein. Sie war zuavenmäßig, phantastisch und aus groben Stoffen gefertigt. Er machte auf mich nicht den Eindruck eines Offiziers, jedenfalls weil ich die hiesigen Verhältnisse nicht kannte und das knappe, »schneidige« Aussehen unserer heimischen Offiziere als Maßstab anlegte.

Eigentümlich war es, daß seine Anwesenheit auf die andern in gleicher Weise einzuwirken schien. Die Unterhaltung stockte. Der Lieutenant gab sich zwar alle Mühe, angenehm zu sein, erreichte aber seinen Zweck doch nicht. Es war plötzlich um und in uns kalt geworden.

Er richtete seine Worte meist an mich. Es war, als ob ich ihn sehr lebhaft interessiere. Er fragte nach meiner Heimat, nach den dortigen Verhältnissen, und seine Fragen waren so albern, daß ich oft nicht wußte, wie ich es vermeiden könne, ihn zu blamieren. Der Mann war im höchsten Grade unwissend. Sprach ich aber ein belehrendes Wort aus, so blitzte er mich aus dunklen Augen an, als ob ich eine Todsünde begangen hätte. Es war darum kein Wunder, daß die Unterhaltung endlich stockte. Er hatte uns um die ganze Freude des Abends gebracht.

Er mochte das wohl fühlen, denn er stand auf und bat, sich zurückziehen zu dürfen, da er sehr ermüdet sei. Er schien gar nicht zu wissen, welch einer Taktlosigkeit er sich damit schuldig machte. Er wurde für dieselbe bestraft, denn die Sennora nickte ihm nur ruhig zu, und Monteso klingelte einen Peon herbei, welchem er den Befehl erteilte, den Lieutenant nach dessen Zimmer zu bringen.

Als er fort war, holten wir alle erleichtert Atem. Aber erst nach einer Weile fragte mich der Yerbatero:

»Nun, Sennor, wie gefällt Ihnen unsere Kavallerie?«

»Ist dieser Lieutenant ein Typus derselben?«

»Gott sei Dank, nein. Wie man einen solchen Menschen auf die Remonte schicken kann, das begreife ich nicht. Ich habe gar keine Lust, mit ihm zu handeln. Höchst wahrscheinlich werde ich ihm solche Preise stellen, daß er gleich wieder fortreitet.«

»Das hättest du vorhin tun sollen, bevor er sich niedersetzte,« lächelte die Dame. »Wollen die Unterbrechung vergessen und wieder fröhlich sein wie vorher.«

Das taten wir denn auch. Wir saßen bis gegen Mitternacht beisammen und gestanden einander schließlich, daß wir lange keinen so frohen und schönen Abend erlebt hatten. Monteso gab der Sennorita und deren Gesellschafterin seine Arme, und ich reichte den meinigen der Sennora. So gingen wir noch eine Viertelstunde lang im Garten auf und ab, mein heller, lederner Jagdrock neben der eleganten Robe der Estanziera. Dann brachte der Yerbatero mich nach meiner Wohnung.

Am Morgen hörte ich, daß die Schokolade wieder im Garten eingenommen werden solle. Ich ging also in denselben. Ich war wohl am frühesten wach gewesen und fand niemand in der Laube, obgleich das Geschirr auf dem Tische stand. Aus diesem Grunde spazierte ich weiter bis an das Ende des Gartens. Dort gab es einige Stufen, welche zu einer kleinen Laube führten, die in gleicher Höhe mit der obern Kante der Gartenmauer lag. Man konnte also von hier aus über die Mauer hinweg sehen und hatte einen Ausblick auf die rundum liegenden Weiden und die auf denselben grasenden Herden. Ich stieg die Stufen hinan, setzte mich oben nieder und betrachtete das ganz und gar nicht romantische, aber sehr reich belebte Landschaftsbild. Noch befand ich mich kaum zwei oder drei Minuten oben, so hörte ich Schritte im Garten, welche sich meiner Ecke näherten. Die Laube war dicht verwachsen, so daß man mich nicht sehen konnte; ich aber erblickte durch die Zwischenräume der Blätter hindurch zwei schmutzige, bärtige Kerls, welche unweit der Laube standen und sehr lebhaft mit einander sprachen. Sie trugen rote Mützen, blau und rot gestreifte Ponchos und rote Chiripas; an den Füßen hatten sie Stiefeln ohne Sohlen, aber großräderige Sporen daran.

Das waren jedenfalls zwei von den fünf Kavalleristen, welche der Lieutenant mit sich hatte. Was sie sprachen, konnte ich nicht hören, da sie nur halblaut redeten. Nun aber kamen sie langsam näher, auf die Laube zu und die Stufen heran. Draußen blieben sie im Eifer des Gespräches für einige Augenblicke stehen, und nun verstand ich die Worte des einen:

»Uns braucht es doch nicht bange zu werden, denn wir riskieren nicht das mindeste.«

»Das weiß ich ebenso gut wie du, und es fällt mir gar nicht ein, Angst zu haben. Ich habe nur gemeint, daß die Angelegenheit schwieriger ist, als wir es vorher dachten.«

»Wegen der Verwandlung des Yerbatero?«

»Ja. Wer konnte ahnen, daß er der Bruder und Kompagnon des Estanziero sei! Der ganze Handel wird dadurch ein anderer. Aus dem Pferdekaufe wird – – –«

Er hielt erschrocken inne. Sie waren während der letzten Worte in die Laube getreten und erblickten mich. Ihre wettergebräunten Gesichter wurden noch dunkler, da die Verlegenheit ihnen das Blut in die Wangen trieb. Sie mußten sich sagen, daß ich den letzten Teil ihres Gespräches gehört habe.

»Entschuldigung!« stieß der eine hervor. »Wir wußten nicht, daß jemand hier sei, Sennor!«

Ich antwortete nur mit einem scharfen Blicke, den ich ihnen zuwarf. Das machte sie noch verlegener; sie drehten sich um und gingen.

»Alle Wetter!« hörte ich noch sagen. »Wer konnte ahnen, daß dieser –«

Weiter konnte ich nichts vernehmen, da sie sich sehr schnell entfernten. Der Inhalt ihres Gespräches gab mir sehr zu denken. Eigentlich hatten sie nichts gesagt, was geeignet gewesen wäre, Mißtrauen zu veranlassen; aber dies Mißtrauen war dennoch vorhanden. Es war mir, als ob sich uns oder wenigstens mir eine Gefahr nahe; aber woher sie kommen werde und welcher Art sie sei, darüber blieb ich vollständig im unklaren.

Ich wartete noch eine kleine Weile und stieg dann wieder in den Garten hinab, um mich dorthin zu begeben, wo die Schokolade getrunken werden sollte. Unterwegs traf ich auf Monteso. Er hatte mich in meiner Wohnung gesucht und nicht gefunden; darum hoffte er, mich im Garten zu sehen. Natürlich erzählte ich ihm das kleine Intermezzo und wiederholte das Gehörte wörtlich.

»Versetzt das Sie etwa in Unruhe?« fragte er.

»Natürlich, Sennor, Sie geben doch zu, daß die Äußerungen sehr befremdlich klingen?«

»Wieso? Ich finde das nicht.«

»Die Leute sprachen von einem Risiko!«

»Jeder Pferdekauf bringt ein solches mit sich.«

»Sie hatten Grund, ängstlich zu sein, wenn auch nicht in Beziehung auf ihre Personen. Sie meinten, die Angelegenheit sei dadurch schwieriger geworden, daß der Yerbatero der Teilhaber der Estanzia sei. Damit waren Sie gemeint.«

»Sie werden meinen, daß ich als erfahrener Yerbatero höhere Preise stellen werde als mein Bruder.«

»Und ich denke, daß diese Worte sich auf etwas ganz anderes beziehen müssen. Sollte nicht vielleicht der angebliche Kommissar seine Hand wieder im Spiele haben?«

»Ich möchte wissen, wie! Sie sehen zu schwarz. Ihr Mißtrauen ist einmal erwacht und scheint sich nicht beruhigen zu können. Nun ahnen Sie hinter den einfachsten Dingen Gefahr. Ihr Verdacht ist unbegründet. Glauben Sie mir das! Dort kommt meine Schwägerin mit ihrer Tochter und dem Offizier. Ich bitte Sie, ihre Unbefangenheit nicht zu stören!«

Der Yerbatero war heute nicht so gekleidet wie gestern abend. Wir wollten ausreiten, und darum trug er seinen alten Anzug wieder. Nur barfuß ging er nicht. Ein Paar Stiefeln waren die einzige Hindeutung, daß er ein reicher Herdenbesitzer sei.

Da niemand von uns eine Sympathie für den Offizier hatte, so wurde das Frühstück fast schweigend eingenommen. Die einzige kurze Unterhaltung bestand nur in der Erwähnung, daß Monteso ihm jetzt die Pferde zeigen werde und ich sie begleiten solle.

Sein Gesicht gefiel mir heute noch weniger als gestern. Bevor wir aufbrachen, begab ich mich in mein Zimmer. Ich wollte einer möglichen Gefahr nicht ungerüstet begegnen. Das Gewehr konnte ich freilich nicht mitnehmen. Das Messer oder vielmehr zwei Messer hatte ich im Gürtel. Das fiel nicht auf, da dort jedermann sein Messer stets bei sich führt. Dazu nahm ich die beiden Revolver. Ich steckte sie aber nicht in den Gürtel, denn ich wollte nicht durch eine solche Bewaffnung auffällig werden, sondern ich zog die Schäfte meiner Aufschlagstiefel ganz herauf, legte sie oben doppelt um, so daß eine Art Tasche entstand, und steckte in jeden Schaft eine der kleinen Feuerwaffen. Dann ging ich nach dem Außenhof hinab, wo die Pferde bereit standen.

Die Kavalleristen saßen bereits auf. Das konnte nicht auffallen, weil sie ihren Offizier begleiten mußten. Aber es fehlte einer von ihnen. Leider legte ich auf diesen wichtigen Umstand keinen Wert. Später stellte es sich heraus, daß dieser Mann abgesandt worden war, um uns das Netz zu legen, in welches wir geraten sollten.

Wir brachen auf. Voran ritten der Yerbatero, der Lieutenant und ich, hinter uns die Soldaten. Jetzt bekam ich Gelegenheit, den Herdenreichtum der beiden Brüder zu bewundern. Die Herden befanden sich teils in großen, durch Hecken voneinander getrennten Weideplätzen, teils tummelten sie sich unter der Aufsicht von Gauchos und Peons im Freien herum.


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