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Fortsetzung 80

Es war ein schöner Tag geworden, und Herr Hieronymus Aurelius Schneffke benutzte gleich den Vormittag, um zu Fuße nach Schloß Malineau zu wandern. Da er sich Zeit nahm, kam er erst um die Mittagszeit dort an.

Er war sich einer Art von diplomatischer Sendung bewußt, und da Diplomaten schweigsame Leute sein sollen, so ließ er sich, als er in der Schänke sein Mahl einnahm, mit dem Wirthe in kein Gespräch ein, obgleich dieser sich Mühe gab, sich über die Naturgeschichte des dicken Männchens Aufklärung zu verschaffen.

Nach Tische nahm er Mappe und Feldstuhl und spazierte nach dem Schlosse. Es fiel ihm gar nicht ein, dasselbe zu betreten und seine Erkundigungen zu beginnen. Nach seiner Ansicht mußte man mit ihm selbst anfangen und damit hatte er Recht.

Er suchte sich also einen passenden Punkt, plazirte sich dort auf den Feldstuhl, öffnete die Mappe und begann, zu zeichnen.

Es dauerte nicht lange, so kam ein junger Mann gegangen. Er näherte sich, grüßte und trat nach rückwärts, um einen Blick auf das beginnende Conterfei zu werfen.

»Ah, Sie sind Maler, Monsieur?« fragte er.

»Ja,« nickte Schneffke.

»Darf ich fragen, welches Genre? Landschaft?«

»Alles!«

»Sind Sie Franzose?«

Sollte er sagen, daß er ein Deutscher sei? Nein, das fiel ihm gar nicht ein.

»Pole.«

»Ihr Name?«

»Schneffka.«

»Nehmen Sie das Schloß in irgend einem Auftrage auf?«

»Nein. Ich male nur zum Vergnügen.«

»Verzeihen Sie, daß ich so zudringlich frage. Mein Vater ist gestern beerdigt worden und hat uns einige kleine Gemälde hinterlassen, deren Werth wir nicht kennen. Ein wirklicher Künstler hat sich hier noch niemals sehen lassen. Darum wäre es mir lieb, wenn Sie mir erlaubten, Ihnen die Bilder einmal zu zeigen.«

»Wo befinden sie sich?«

»Im Arbeitszimmer meines Vaters. Mein Name ist Berteu. Würden Sie sich vielleicht einmal in meine Wohnung bemühen?«

»Gern.«

Er klappte seine Mappe zu, griff zum Feldstuhle und folgte dem Voranschreitenden nach der Verwalterswohnung. Er that, als sei ihm an der Incommodation gar nicht viel gelegen, freute sich aber doch im Stillen über dieselbe.

Charles Berteu führte ihn in das Zimmer, in welchem er gestern über den Rechnungsbüchern gesessen, dann die Schwestern empfangen und endlich auch die Unterredung mit dem Kutscher gehabt hatte.

Es hingen da drei kleine Landschaften, von Anfängern gemalt. Sie waren fast gar nichts werth, aber Hieronymus nahm doch eine Miene an, als ob es sich um nichts Unbedeutendes handle. Es war ihm darum zu thun, einen Tag oder einige Tage hier verweilen zu dürfen.

»Nun?« fragte Berteu.

»Schade! Sehr schade.«

»Wieso?«

»Ich taxire das Stück auf durchschnittlich fünfhundert Franks.«

»Alle Wetter! Wirklich?«

»Das haben sie jedenfalls gekostet, vielleicht noch mehr.

Man hat es aber nicht verstanden, sie zu behandeln. Sie haben sehr gelitten.«

»O weh!«

»Ja, leider! Jetzt sind sie zusammen kaum zehn Franken werth, könnten aber leicht auf ihren früheren Werth und auch höher kommen, wenn sie gereinigt und renovirt würden. Das muß aber von einem guten Meister geschehen.«

»Ist das theuer?«

»Gewiß. Doch giebt es Maler, welche eine gewisse Leidenschaft für dergleichen Arbeiten haben. Sie arbeiten dann oft ohne Honorar.«

»Ah, so Einer sollte sich hier einfinden!«

Schneffke nickte leise vor sich hin, that aber, als ob er die Andeutung gar nicht verstanden habe, sondern beschäftigte sich noch weiter mit den Bildern.

»Renoviren Sie auch?« fragte Berteu.

»Nur aus Liebhaberei, und dann auch nur Landschaften.«

»Das hier sind ja Landschaften.«

»Allerdings.«

»Sagen Sie, Monsieur, ob Sie diese Gegend vielleicht bald wieder verlassen!«

»Ich bin Herr meiner Zeit; ich kann kommen und gehen ganz wie es mir gefällt und beliebt.«

»So würde ich wünschen, daß es Ihnen hier bei uns gefallen möchte. Vielleicht würden Sie sich entschließen, sich ein Wenig mit diesen drei Landschaften zu beschäftigen.«

»Das wäre möglich. Nur glaube ich nicht, daß ich länger als einen Tag hier bleibe.«

»Darf ich den Grund wissen?«

»Sagen Sie selbst, ob ein Künstler in Ihrer Schänke Wohnung nehmen kann!«

»O, wenn es das ist, so wäre ja ganz leicht geholfen. Ich würde Ihnen hier bei mir ein helles, freundliches Zimmer anbieten. Und wenn Sie mich mit dem Honorar nicht zu sehr anstrengen, so – ich gehöre nämlich nicht zu den reichen Leuten!«

»Na, wollen einmal sehen! Zeigen Sie mir das Zimmer!«

Berteu führte ihn nach dem besten Raume, der ihm zur Verfügung stand, und worin es dem guten Hieronymus ganz gut gefiel.

»Nun, Monsieur, wie werden Sie sich entscheiden?«

»Ich will Ihnen sagen, Monsieur, eigentlich macht man so Etwas nicht; man vergeudet seine Zeit und seine Kraft; aber Sie selbst gefallen mir, und Ihre drei Bildchen sind wirklich nicht übel; ich werde hier bleiben und sie Ihnen renoviren, ohne Bezahlung von Ihnen zu nehmen, vorausgesetzt, daß Sie mich nicht geradezu verhungern oder verdursten lassen.«

»Topp, Monsieur! Das soll ein Wort sein!«

Sie schlugen ein. Charles Berteu freute sich bei dem Gedanken, werthvolle Bilder zu erhalten. Er nahm sich natürlich vor, sie sofort zu verkaufen. Der dicke Maler hatte mit einem Schlage seine ganze Zuneigung gewonnen. Er mußte gleich da bleiben.

Schneffke begann auch bereits an diesem ersten Tage, an den Bildern zu arbeiten; doch nahm er sich vor, sich nicht etwa zu beeilen. Er wollte hier so viel wie möglich für seinen alten Herrn Untersberg erfahren, der ihm ja ein so reichliches Reisegeld gezahlt hatte. Uebrigens hatte sich seine Gouvernante ganz plötzlich in eine Engländerin verwandelt. Das mußte verschmerzt werden, und das vergißt sich ja bekanntlich am Leichtesten und Schnellsten entweder bei fleißiger Arbeit oder regem gesellschaftlichen Verkehr.

Am andern Morgen saß er an der Staffelei, welche er sich improvisirt hatte, als Frau Berteu bei ihm eintrat um ihm das Frühstück zu bringen. Er hatte eins ihrer drei Bilder vorliegen, und da er gerade darüber war, das Gras noch grüner, den Himmel noch blauer und die Sonne noch gelber zu machen, so war sie ganz entzückt von der prächtigen Aquisition, die ihr in diesem großen Künstler geradezu in das Haus gelaufen war.

Er hatte das Fenster offen, und vor seinem Auge lag die wunderbar entworfene Seitenfaçade des Schlosses.

»Madame,« fragte er, »wem gehört eigentlich dieses Schloß?«

»Dem Herrn General Graf von Latreau.«

»Das muß ein sehr reicher Herr sein!«

»Steinreich.«

»Wo wohnt er?«

»In Paris.«

»Solche reiche Herren von Adel pflegen sehr oft Freunde der Kunst zu sein. Befinden sich hier im Schlosse Gemälde?«

»Einige.«

»Ah, die möchte ich mir einmal ansehen! Würden Sie nicht die Gewogenheit haben, mir die Erlaubniß dazu zu ertheilen?«

Ihr Gesicht nahm sofort einen ganz anderen, abstoßenden Ausdruck an.

»Dazu habe ich nicht das Recht,« sagte sie.

»Wer sonst?«

»Der Beschließer.«

»Es giebt also außer dem Verwalter hier noch extra einen Beschließer, selbst wenn die Herrschaft sich nicht hier befindet?«

»Ja.«

»Wo wohnt der Mann?«

»Drüben im Parterre des rechten Flügels.«

»Und wie heißt er?«

»Melac.«

»Pfui Teufel!«

Sie blickte ihn erstaunt an.

»Was war Ihnen da?« fragte sie.

»Ich kann diesen Namen nicht leiden.«

»Und ich die Personen nicht.«

»Die Person des Beschließers?«

»Ja, die seinige und auch die andern.«

»So hat er Familie?«

»Ja; aber bitte, wir hier sprechen niemals von diesen Leuten!«

»Aber ich müßte doch zu ihnen gehen, wenn ich die Bilder einmal sehen wollte!«

»Allerdings; aber ich rathe Ihnen, es doch lieber zu unterlassen; Sie würden die Erlaubniß dazu doch nicht bekommen. Wir wohnen hier auf dieser Seite, und die Leute bleiben stets drüben auf der andern. Wir haben nichts, gar nichts mit einander zu thun.«

Damit ging sie fort. Sie hatte zuletzt in einem beinahe rücksichtslosen, ja groben Tone gesprochen; doch kümmerte ihn das nicht. Was gingen ihm solche Familienzwistigkeiten an!

Nach Tische steckte er sein Skizzenbuch zu sich und ging in den Park, welcher zu dem Schlosse gehörte, spazieren. Er war, wie jeder echte Künstler, ein Freund und Kenner der Natur. Er konnte bei einem Baum, einem Strauche stehen bleiben, um seine Eigenart, seine Individualität zu studiren. Daher kam es, daß er gar nicht auf die Richtung achtete, welcher er zuletzt folgte, bis er plötzlich, aus einem Buschwerk tretend, überrascht stehen blieb.

Ihm gegenüber, am andern Saume der kleinen Lichtung stand eine Bank, und auf derselben saß ein Greis, wie so schön der Maler noch keinen gesehen hatte. Diese hohe Stirn, dieser ideale Schnitt des Gesichtes, dieser prachtvolle, schneeweiße Bart, welcher ihm weit über die Brust herabfloß!

Im Nu saß Schneffke hinter einem verbergenden Strauchwerk, im Nu war das Skizzenbuch geöffnet, und der Stift arbeitete an dem Porträt dieses edlen Greisenangesichtes.

Und als dann des Tages Arbeit vollbracht war, saß er am Abende noch wach, die angefangene Skizze zu vollenden. Er sagte sich selbst, daß sie zum Besten gehöre, was er je gezeichnet hatte.

Am frühen Morgen des andern Tages zog es ihn wieder hinaus in den Park, und ganz unwillkürlich suchte er den Ort, an welchem er gestern den Greis bemerkt hatte. Die Bank war leer, und er setzte sich darauf. Nicht lange aber war das geschehen, so hörte er eine volle, frische Mädchenstimme singen:

»Der Mensch soll nicht stolz sein
    Auf Gut und auf Geld;
Es lenkt halt verschieden
    Das Schicksal die Welt.
Dem Einen sind die Gaben,
    Die gold'nen, bescheert;
Der Andre muß sie graben
    Tief unter der Erd'!«

Ein Lied in deutscher Sprache, hier in Frankreich, mitten unter einer französischen Bevölkerung. Das war seltsam. Er mußte die Sängerin sehen. Er stand also von der Bank auf und schritt der Gegend zu, aus welcher das Lied erschollen war.

Dort gab es auch eine Bank, und auf derselben saß die Sängerin, ein Mädchen im Alter von Etwas über zwanzig Jahren vielleicht. Sie war sehr einfach gekleidet – weißen Rock und weißes Jäckchen. Sie war nicht hoch und schlank, sondern von kleiner Statur, aber ihre Formen waren voll und versprachen, mit der Zeit noch an Fülle zuzunehmen. Sie hatte blondes Haar und ein allerliebstes rundes, herziges Gesichtchen, blaue Augen, ein kleines Näschen und einen Mund, der wie zum Küssen gemacht war. Ihr Schooß lag voller Blumen, aus welchen sie bemüht war, ein Bouquet zu formen. Dazu sang sie jetzt:

»Auf d' Alma geh i aufi;
    Es brummelt scho die Kuh.
Und wann der Bu zum Dirndl geht,
    Da singt er au dazu.

Auf d' Alma is ka Polizei,
    Da is die schönste Ruh.
Nur wann der Bu zum Dirndl geht,
    Da singt er au dazu!«

Und nun trillerte sie einen Jodler hinaus so hell, so goldrein, daß sie von einer Lerche hätte beneidet werden können.

»Bravo! Bravissimo!«

So mußte Schneffke rufen; er konnte seinen Enthusiasmus nicht zurückhalten und schritt auf das Mädchen zu.

Sie erröthete, zeigte aber keine Verlegenheit, sondern sah mit hellen Augen seinem Kommen entgegen.

»Verzeihung, Mademoiselle, daß ich Sie störe!« bat er. »Aber wenn ich so fröhlich singen höre, so geht mir das Herz auf, und ich möchte auch gern mit fröhlich sein.«

Er hatte, jetzt an das Französische gewöhnt, ganz unwillkürlich auch diese Worte in derselben Sprache gesprochen. Sie antwortete ebenso:

»Und Sie kommen herbei, weil Sie meinen, daß man zu Zweien fröhlicher sein kann als allein?«

»Ja, so scheint es mir. Sie wenigstens, Mademoiselle, haben ganz das Aussehen, als ob man in Ihrer Nähe niemals traurig sein könne.«

Sie strich mit den kleinen, quatschigen Händchen die Blumen, welche sich zerstreuen wollten, zusammen, lachte, daß ihre perlenweißen Zähne erglänzten, und antwortete:

»Sie mögen Recht haben; es ist das eine Gottesgabe. Der Eine ist glücklich, wenn er weint, und der Andere, wenn er lacht. Gehören Sie zu den Ersteren oder zu den Letzteren?«

»Zu den Letzteren, also zu Ihnen, Mademoiselle!«

»Wirklich? So setzen Sie sich her. Hier, ich mache Platz!«

Sie rückte zu, daß auch für ihn noch Platz wurde. Das geschah so ungesucht, so einfach, so selbstverständlich, so ohne Absicht und Coquetterie, daß ihr der gute Hieronymus am Liebsten gleich einen Kuß gegeben hätte.

»Danke!« sagte er. »Nun sollte ich Ihnen helfen können; aber ich habe wohl gar kein Geschick dazu.«

»Das brauchts gar nicht, denn ich werde sogleich fertig sein. Es ist das eigentlich kein Geburtstagsstrauß; aber Großvater liebt die Feld- und Waldblumen mehr als alle anderen.«

»Heute ist der Geburtstag Ihres Großvaters?«

»Ja, heut!« nickte sie.

»Sie wohnen wohl nicht weit von hier?«

»Nein, gar nicht weit.«

»Vielleicht sehen wir uns da noch einmal wieder, ehe ich wieder fortgehe.«

»Fortgehen? Sind Sie nicht von hier?«

»Nein.«

»Und doch sprechen Sie so gut den Dialect dieser Gegend!«

»Und Sie sind Französin und singen deutsche Lieder.«

»Großvater hat die Deutschen gern.«

»So ist er wohl ein Deutscher?«

»Nein. Das sagt bereits unser Name.«

»Ah, wenn ich den doch hören dürfte!«

»Warum nicht? Wir heißen Melac.«

»Pfui Teufel!« entfuhr es ihm, gerade so wie gestern.

Und wunderbar, sie nahm ihm das nicht übel; sie zuckte mit keiner Wimper, sondern sie sah ihm offen in das Angesicht und fragte:

»Nicht wahr, Sie denken an den Pfalzverwüster?«

»Ja. Nach ihm nennt man sogar die bissigsten Bluthunde Melac.«

»Wir stammen von ihm ab; er ist unser Ahne und gerade darum hält Großvater so viel auf die Deutschen. Er denkt, er soll wenigstens mit dem Herzen die Sünden des Ahnen gut machen, da er sie anders doch nicht sühnen kann.«

»Dann ist Ihr Großpapa ein sehr braver Mann.«

»Ja, das ist er. Ich habe ihn sehr lieb und bin ganz stolz auf ihn. Der gnädige Herr General ist ihm auch gewogen.«

»So ist Ihr Großpapa Beschließer des Schlosses?«

»Ja.«

»Und Ihr Vater?«

»Ich habe nicht Vater und Mutter, darum bin ich bei den Großeltern.«

»Ich wohne bei dem Verwalter Berteu.«

»Der ist todt.«

»Sind Sie mit der Familie befreundet?«

»Sie fliehen uns, und doch haben wir ihnen nichts gethan. Ich habe Großvater nach der Ursache gefragt, doch der wußte es mir auch nicht zu sagen.«

Das war ein gutes Zeugniß für die Familie Melac und ein schlechtes für die Familie Berteu. Die Melac's waren nicht gewöhnt, ihren Nebenmenschen Böses nachzusagen.

»Von wem haben Sie Ihre deutschen Lieder gelernt?« fragte Schneffke.

»Von den Großeltern. Beide sprechen deutsch. Wie lange werden Sie hier wohnen bleiben?«

»Nur einige Tage.«

»Wie schade! Wenn ich mit Ihnen spreche, so ist es als rede ich mit mir selbst.«

»Wahrhaftig, so ist es!« stimmte der Maler ein. »Wenn ich hier wohnen bliebe, würde ich um die Erlaubniß bitten, Ihre Großeltern kennen zu lernen.«

»Das können Sie ohnedem. Großvater spricht gern mit Leuten, welche über Andere gerecht und billig denken. Haben Sie ihn noch nicht gesehen?«

»Ich bin heute erst zum zweiten Male hier.«

»Nun, wenn Sie einen alten Herrn sehen mit langem, weißen Barte, der ist es. Sie können getrost eine Unterhaltung mit ihm beginnen; er liebt es sehr, seine Gedanken gegen andere umzutauschen. Leider fehlt ihm hier die Gelegenheit dazu. Er schläft des Morgens länger als Großmama und ich. Nun aber wird er bald erwachen, und da muß ich mit den Blumen bei ihm sein.«

Sie erhob sich, um zu gehen. Man bemerkte, daß sie nicht recht wußte, in welcher Weise sie sich verabschieden sollte. Er war auch aufgestanden und sagte:

»Ich hätte Ihnen gern einige Blüthen mit gepflückt für den guten Papa; dazu bin ich jedoch zu spät gekommen. Eins aber könnte ich zu diesem Strauße fügen, wenn ich wußte, daß es ihm Freude bereitete.«

Sie blickte ihn erwartungsvoll an. Eine directe Bitte oder Frage wollte sie nicht aussprechen. .

»Ich bin nämlich gestern ein Dieb gewesen. Ich sah gestern einen alten, ehrwürdigen Herrn, welcher nach Ihrer Beschreibung Ihr Großpapa war. Ihm habe ich etwas geraubt. Hier ist es. Geben Sie es ihm heute zu seinem Geburtstage zurück, und bitten Sie ihn, es mir zu verzeihen!«

Er öffnete das Skizzenbuch und übergab ihr die gestern begonnene und auch vollendete Zeichnung. Als ihr Auge auf dieselbe fiel, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus.

»Sein Bild! Sein Bild! Wie ähnlich! Welch eine Ueberraschung! Sind Sie denn Künstler, Maler, Monsieur?«

»Ich male, ja.«

»Das ist ein Meisterstück, ein großes Meisterstück! Ich bitte Sie dringend, Großpapa zu besuchen, damit auch er dieses Portrait einmal zu sehen bekomme!«

»Ich habe Sie bereits gebeten, es ihm zu überreichen.«

»Es ihm zu zeigen, wollen Sie sagen!«

»Nein; es soll sein Eigenthum sein, ein Geburtstagsgeschenk von seiner guten, liebenswürdigen Enkeltochter.«

Er sah es ihr an, daß es ihr schwer wurde, an die Wahrheit einer so großen Gabe zu glauben.

»Wirklich, Monsieur?« fragte sie. »Sie sprechen im Ernste?«

»Gewiß. Das Bild gehört Ihnen.«

Da ging ein Strahl unendlichen, kindlichen Glückes über ihr vor Freude und Entzücken geröthetes Angesicht.

»Monsieur, Monsieur, so Etwas hätte ich nicht für möglich gehalten. Die Freude, welche Ihr Geschenk bereitet, wird eine unbeschreibliche sein! Wie soll ich Ihnen danken!«

»Wenn ich dürfte, wollte ich Ihnen sagen, wie Sie mir am besten danken können.«

»O, bitte, sagen Sie es! Sagen Sie es!«

Sie hatte eine einfache Federnelke an ihre Brust befestigt. Er deutete auf dieselbe und sagte:

»Gewähren Sie mir diese Blume, Mademoiselle! Ich werde sie als Erinnerungszeichen dieser Stunde so lange ich lebe treu bewahren.«

Sie erglühte; aber sie nahm die Nelke und reichte sie ihm hin.

»Es ist so wenig, so sehr wenig,« sagte sie. »Ich wollte ich könnte Ihnen noch besser dankbar sein! Aber, bitte, erlauben Sie auch Großpapa, Ihnen Dank zu sagen! Darf er hoffen, Sie heut bei sich zu sehen?«

»Falls mir der Zutritt gestattet ist, ja.«

»Sie werden sehr willkommen sein! Adieu, Monsieur!«

Sie ging, und er blickte ihr nach, so lange er sie sehen konnte.

»Welch ein Mädchen!« sagte er zu sich selbst. »Das ist so eine Sorte – unverdorben, gesund, gemüthvoll und lieber ein Bischen dicker als zu dürr. Ich glaube, die wird einmal ganz meine Figur bekommen. Alle Wetter, was für ein respectables Paar würde das geben! Ich mag wirklich von keiner Gouvernante Etwas wissen. Sie halten nicht Stich; sie verändern sich zu oft; sie werden zu schnell englisch und bekommen andere Namen. Dann läuft man ihnen nach und versäumt da Eisenbahnzüge. So ein Naturkind aber wie dieses Mädchen hier, ist etwas ganz Anderes. Das hat Kern und Leben; da drin steckt Saft und Kraft! Diese Parkblume von Schloß Malineau muß meine Frau werden, sonst bleibe ich ledig!«

Nachmittags, zur üblichen Visitenzeit, begab er sich in das Parterre des rechten Schloßflügels. Er sah den Namen Melac an einer der Thüren stehen und klopfte. Es wurde ihm von der »Parkblume« geöffnet, welche ihn bat, einzutreten. Sie verrieth eine große Freude über seinen Besuch und führte ihn in das Nebenzimmer. Dort saß der alte, ehrwürdige Herr, dessen Portrait er aufgenommen hatte, neben ihm eine Dame wohl desselben Alters und von einer mehr als glücklichen Wohlbeleibtheit. Sie besaß eine große Aehnlichkeit mit ihrer Tochter, und es stand zu erwarten, daß diese Letztere einst ganz denselben Körperumfang wie ihre Mutter erreichen werde.

»Das ist der Herr, den ich heute früh im Parke traf,« sagte das Mädchen, »und welcher die Güte hatte, mir Dein Portrait zu schenken, lieber Vater.«

Die beiden ehrwürdigen Leute erhoben sich und begrüßten den Maler freundlich und herzlich wie einen alten Bekannten. Sie machten den besten Eindruck auf ihn. Er nannte seinen Namen, nämlich Schneffka, wie er sich ja auch Berteu gegenüber genannt hatte, und fühlte sich sehr bald in ein recht animirtes Gespräch gezogen.

Auf dem Tische stand Wein und eine bereits angeschnittene Torte, jedenfalls dem Geburtstage zu Ehren. Er erhielt ein Stück des Kuchens und ein Glas Wein, und die drei Leute schienen sich darüber zu freuen, daß er sich dies ohne alle Complimente gefallen ließ.

An der Wand hing ein ziemlich großes Bild, ein Portrait in Pastell. Es stellte einen jungen Mann vor, dessen Gesichtszüge den Südländer verriethen, hatte aber, obgleich es durch eine darüber gezogene Glastafel geschützt war, von seiner ursprünglichen Frische sehr viel verloren. Die Pastellgemälde sind die vergänglichsten, weil bei ihnen die Farben nur wie zarter Staub auf der Fläche kleben. Sie müssen besonders vor der Einwirkung der Luft und der Feuchtigkeit, sowie auch vor Staub und Erschütterungen bewahrt werden.

Das Auge des Malers kehrte während der Unterhaltung immer wieder nach diesem Portrait zurück. Er erkannte, daß es von einem Meister gefertigt sein müsse. Wie kam so ein Kunstwerk, so ein theures Stück in die Wohnung eines einfachen Beschließers? So fragte er sich im Stillen.

Melac bemerkte die Anziehungskraft, welche das Bild auf seinen Besuch ausübte, und fragte daher:

»Sie interessiren sich für dieses Portrait, Monsieur?«

»Allerdings. Es scheint ein Meisterwerk zu sein.«

»Wirklich? Ich verstehe nichts davon.«

»Wer hat es gemalt?«

»Das weiß ich leider nicht.«

»Ist nicht der Name des Künstlers, ein Facsimile, oder irgend ein Zeichen zu sehen?«

»Nein, auch das nicht.«

»Aber Sie wissen wenigstens, wer der Herr ist, welchen das Portrait vorstellt?«

»Auch das ist uns unbekannt. Das Bild ist nämlich ein Geschenk, oder vielleicht darf ich auch das nicht sagen, da ich noch unsicher bin, ob ich mich den Besitzer desselben nennen darf.«

»Das klingt ja recht geheimnißvoll!«

»Ist es wohl auch.«

»Ah, das liebe ich. Dem Maler ist nichts so interessant wie ein Bild, mit welchem irgend ein Geheimniß verknüpft ist.«

»Leider bin ich aber nicht im Stande, dieses Geheimniß zu durchdringen. Ich erhielt das Bild von einer Sterbenden, oder doch wenigstens von einer Kranken, welche am nächsten Tage starb.«

»Und Sie wissen nicht, auf welche Weise sie in den Besitz desselben gekommen war?«

»Nein. Die Dame wohnte hier. Sie hieß Charbonnier und hatte zwei Töchter – – –«

»Charbonnier?« unterbrach ihn der Maler.

Er mußte sofort an Madelon Köhler denken, Charbonnier heißt ja Köhler im Deutschen.

»Ja, Charbonnier,« antwortete der Gefragte. »Sie wohnte beim Verwalter und schien bessere Tage gesehen zu haben. Sie sprach niemals von ihrer Vergangenheit, obgleich sie täglich hier bei uns war. Sie schloß sich nämlich mehr an uns an als an die Familie des Verwalters. Als sie dann krank wurde, ließ sie sich von einer Frau pflegen. Wir dachten keineswegs, daß die Krankheit zum Tode sei. Sie schickte mir durch eine Frau das Bild und ließ mir sagen, daß sie mit mir darüber zu sprechen habe. Am anderen Tage aber war sie todt.«

»Ohne Ihnen eine Aufklärung über das Bild gegeben zu haben?«

»Leider. Sie hat in ihren letzten Augenblicken davon sprechen wollen, aber doch nur stammeln können. Meine Frau ist nicht im Stande gewesen, ein Wort zu verstehen.«

»Hm! Sie wissen also ganz und gar nichts über die Vergangenheit der Dame?«

»Nein. Sie ist eines schönen Tages nach Schloß Malineau gekommen und hat sich beim Verwalter ein Stübchen gemiethet. Dann, als sie starb, hat dieser sich der Kinder angenommen. Die beiden Mädchen sind Erzieherinnen geworden.«

Schneffke konnte nicht verrathen, wie ganz außerordentlich er sich für diese Angelegenheit interessirte. Er sagte:

»Ein eigenthümlicher Fall. Ich habe eine gewisse Leidenschaft für dergleichen geheimnißvolle Geschichten. Vielleicht könnte der Verwalter Auskunft geben. Mit ihm ist die Dame jedenfalls offen gewesen.«

»Möglich, obgleich ich es nicht glaube. Uebrigens wird er keine Auskunft ertheilen können, denn er ist todt.«

»Vielleicht hat er seinen Sohn eingeweiht.«

»Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich glaube, daß der junge Berteu nicht das Mindeste weiß.«

Das war es ja, was Schneffke erfahren und erkundschaften sollte!

»Sie haben den todten Verwalter mit zu Grabe geleitet?« fragte er, damit das Gespräch nicht in's Stocken gerathe.

»Nein. Ich hätte das nicht wagen dürfen, da wir mit den Berteu's entzweit sind. Sie wohnen bei ihnen; haben Sie nichts davon bemerkt?«

»Ich habe es ahnen können.«

»Wir sind nicht schuld daran. Der junge Berteu ist ein roher, rücksichtsloser Patron. Er stellte unserer Tochter nach, und zwar in einer Weise, daß Marie um meinen Schutz bitten mußte. Ich wies den Menschen zurecht, und seit jener Zeit leben wir in Feindschaft. Der Haß wird von unserer Seite keineswegs gepflegt, obgleich uns sehr oft Gelegenheit geboten wird, ärgerlich zu werden. Die Berteus haben sogar gewagt, dieses Bild von uns zu fordern, natürlich aber ohne allen Erfolg.«

»Aber Berteu hat doch kein Recht daran!«

»Nicht das mindeste. Der verstorbene Verwalter ist ja zugegen gewesen, als Frau Charbonnier meine Frau gebeten hat, das Bild mitzunehmen; aber er hat auch stets behauptet, daß es uns nicht ausdrücklich geschenkt worden sei.«

»So hat er es wohl für die beiden Mädchen reclamirt?«

»Ja, scheinbar, in Wirklichkeit aber jedenfalls für sich.«

»Vielleicht hat er geahnt, daß es irgend eine Bewandtniß mit dem Bilde hat.«

»Es wird wohl so sein.«

»Würden Sie mir erlauben, es einmal zu betrachten?«

»Sehr gern! Marie, nimm es einmal herab!«

Das Mädchen stellte sich einen Stuhl an die Wand, konnte aber das Gemälde noch nicht gut erreichen; darum nahm Schneffke einen zweiten Stuhl, um ihr zu helfen. So standen sie neben einander auf den Stühlen, und gerade als es ihnen gelungen war, das Bild vom Nagel zu nehmen, wackelte Mariens Stuhl. Schneffke glaubte, sie würde fallen und bog sich zu ihr hinüber, um sie zu halten. Dadurch verlor er das Gleichgewicht und – – stürzte selbst herab. Er hielt selbst im Fallen das Bild noch fest. Marie ließ auch nicht los, da sie das Glas nicht zerbrechen lassen wollte, und so kam es, daß auch sie die Balance verlor und im nächsten Augenblicke auf den dicken Maler fiel.

»Mein Gott!« rief der Beschließer. »Welch ein Unglück!«

Er kam herbei geeilt.

»Es ist doch nichts zerbrochen?« fragte die Beschließerin voller Angst.

»Nein,« antwortete Schneffke, am Boden liegend. »Das Glas ist noch ganz, es ist nicht zerbrochen.«

»Das meine ich nicht; aber Sie, Monsieur; sind Sie noch ganz?«

»Ich werde nachsehen.«

Marie hatte sich schnell aufgerafft. Ihr hübsches Gesichtchen glühte vor Verlegenheit. Schneffke stand langsam auf, betastete sich, streckte die Arme aus, hob ein Bein nach dem andern in die Höhe und sagte dann lachend:

»Unbeschädigt! Ich bin auch nicht entzwei.«

»Welch ein Glück!« meinte die Frau. »Das sah wirklich ganz gefährlich aus!«

Der Maler schüttelte den Kopf, strich sich mit beiden Händen denjenigen Theil seines Körpers, auf welchem er damals in Tharandts heiligen Hallen die Schlittenparthie gemacht hatte, und antwortete gutmüthig:

»Es war nicht so schlimm, wie Sie gedacht hatten, Madame: Ich falle sehr weich.«

»Das scheint wahr zu sein,« lachte der Beschließer. »Ich glaube, Marie ist schuld gewesen.«

»Nein,« meinte Schneffke. »Die Schuld liegt an mir. Nur gut, daß wir nicht das Bild zerbrochen haben. Lassen Sie es mich betrachten.«

Er trug es in die Nähe des Fensters und untersuchte das Gemälde.

»Sehen Sie,« sagte er nach einiger Zeit. »Hier unten in der Ecke steht ein M mit einem Strich hindurch. Es ist allerdings kaum noch zu erkennen. Das ist das Facsimile des berühmten Porzellanmalers Merlin in Marseille, der allerdings seit längerer Zeit todt ist. Das Portrait ist ein Meisterstück, hat aber sehr gelitten, da es weit transportirt worden ist. Die Farbe ist ausgestaubt.«

»Geht das nicht auszubessern?«

»O doch! Soll ich es machen?«

»Ah, wären Sie bereit dazu?«

»Gewiß! Sie brauchen mich das Gemälde mitnehmen zu lassen. In zwei Tagen bin ich fertig.«

»Mit hinüber zu Berteu? Das möchte ich unter allen Verhältnissen nicht wagen.«

»Warum nicht?«

»Wer weiß, ob ich es wieder bekäme.«

»Sapperlot! Mißtrauen Sie mir?«

»O nein. Aber Berteu ist gewaltthätig. Er würde Sie vielleicht hindern, mir das Bild zurück zu geben.«

»Hm! Was ist da zu machen?«

»Vielleicht könnten Sie sich entschließen, die Reparatur hier bei uns vorzunehmen.«

Das war dem guten Schneffke sehr willkommen. Auf diese Weise fand er ja Veranlassung, in der Nähe der hübschen Marie zu verweilen.

»Ich bin gern bereit dazu,« sagte er, »fürchte aber, Ihnen lästig zu fallen.«

»Keineswegs! Sie sind uns herzlich willkommen. Aber einen Punkt müßten wir vorher besprechen – –!«

»Ah! Sie meinen das Honorar?«

»Ja.«

»Sorgen Sie sich nicht. Ich unternehme diese Arbeit zu meinem Vergnügen. Ich lerne dabei; ich übe mich. Meinen Sie, daß ich mich dafür auch noch bezahlen lassen soll?«

»Sie sind sehr nachsichtig, Monsieur. Wann dürfen wir Sie da erwarten?«

»Kann ich morgen Vormittag beginnen?«

»Zu jeder Zeit, und ganz nach Ihrem Belieben! Aber Monsieur, weiß Berteu von Ihrem gegenwärtigen Besuche?«

»Nein.«

»Er wird erfahren, daß Sie zu uns gehen?«

»Jedenfalls.«

»Sie werden dadurch in Ungelegenheiten kommen.«

»Das schadet nichts. Ich bin nämlich ein großer Freund von Ungelegenheiten, zumal von solchen. Jetzt aber erlauben Sie mir, mich Ihnen zu empfehlen.«

Er reichte Marien die Hand. Sie befand sich noch immer in Verlegenheit. Er lachte fröhlich auf und sagte:

»Thut es Ihnen leid, daß wir mit einander gefallen sind, Mademoiselle?«

»Es war ungeschickt von mir!« antwortete sie.

»Nein; es war im Gegentheile sehr geschickt. Sie glauben gar nicht, wie gern ich falle, zumal mit Ihnen. Und wissen Sie vielleicht warum?«

»Nein.«

»Nun, es giebt einen alten Glauben. Wenn ein Herr und eine Dame, welche Beide unverheirathet sind, gemeinschaftlich fallen; so – so – hm, so giebt es bald eine fröhliche Hochzeit!«

»Monsieur!« Sie sprach dieses Wort in einem Tone aus, der allerdings einigermaßen verwahrend genannt werden konnte, aber doch nicht im Mindesten zornig klang. Ein liebliches Roth lag auf ihren Wangen, und ihre Augen blickten keineswegs grimmig auf den Sprecher.

»Na,« meinte ihr Vater, »der Herr macht ja nur einen Scherz! Ah, man klopft! Wer mag kommen?«

Der Maler wollte sich schnell empfehlen, aber der Beschließer winkte ihm, zu bleiben, und sagte:

»Bitte, Sie stören gar nicht. Es ist jedenfalls eine ganz unbedeutende Angelegenheit.«

Er ging, um zu öffnen. Ein elegant gekleideter junger Mann trat ein. Er grüßte höflich und sagte:

»Entschuldigung, meine Herrschaften! Ich heiße Martin und bin aus Roussillon. Ich reise für ein bedeutendes Weinhaus. Darf ich vielleicht fragen, ob Sie Bedarf haben?«

»Ah! Sapperment!« erklang es da von der Seite her, auf welcher Schneffke stand.

Er hielt die Augen wie in starrer Verwunderung auf den Eingetretenen gerichtet. Dieser drehte sich zu ihm, und auch sein Blick glänzte eigenthümlich auf, zeigte aber bereits im nächsten Augenblicke keine Spur mehr davon.

»Danke!« sagte Melac. »Ich bin nur Beschließer dieses Schlosses. Meine Mittel erlauben mir nicht, Wein in den Keller zu legen.«

»Aber der Besitzer? Vielleicht –?«

»Er ist nicht anwesend.«

»Wohl verreist?«

»Nein. Er lebt in Paris. Es ist Seine Excellenz, der Herr General Graf von Latreau.«

»General Graf von Latreau?« fragte der Weinreisende im Tone großer Verwunderung. »Ah, bei diesem Herrn bin ich in den letzten Tagen oft gewesen, bei ihm und Comtesse Ella, seiner Enkelin.«

»Wie, Sie kennen den gnädigen Herrn?«

»Ja. Haben Sie nicht gehört, was sich mit dem gnädigen Fräulein ereignet hat?«

»O doch! Es stand ja in allen Zeitungen. Heute Vormittage las ich, daß sie errettet worden ist. Ich bin fürchterlich erschrocken gewesen und danke mit den Meinen Gott, daß dieser fürchterliche Anschlag zu nichte wurde. Es soll ein Weinreisender gewesen sein, welcher –«

Er hielt inne, blickte den Fremden betroffen an und fuhr dann fort:

»Ah, Sie sagten, daß Sie in den letzten Tagen bei dem General gewesen seien?«

»Ja.«

»Und Sie sind Weinreisender! Monsieur, Sie sind doch nicht etwa ganz derselbe?«

»Wer?« fragte der Andere lächelnd.

»Der das gnädige Fräulein gerettet hat?«

»Nein; das war mein Herr, nämlich Monsieur Belmonte, aber ich war dabei und habe mit geholfen.«

»Wirklich? Wirklich? Welch ein Zufall, daß Sie nun nach Malineau kommen. Monsieur, bitte, gehen Sie noch nicht fort! Haben Sie die Güte, uns von diesem Ereignisse zu erzählen!«

»Gern, wenn Sie sich so dafür interessiren, obgleich ich eigentlich meine Zeit dem Geschäfte zu widmen habe.«

»Das werden Sie nachholen. Haben Sie diese Gegend bereits einmal bereist?«

»Nein.«

»Nun, so werde ich Ihnen die Namen Aller nennen, welche Wein kaufen; auf diese Weise kann ich Ihnen erkenntlich sein, und Sie holen das Versäumte nach. Monsieur Schneffka, auch Sie dürfen jetzt nicht gehen. Sie müssen die Erzählung dieses merkwürdigen Ereignisses mit anhören. Bitte, setzen Sie sich, meine Herren!«

Man nahm am Tische Platz; die Gläser wurden gefüllt und der Reisende begann zu erzählen.

Eine Stunde später war die sehr angeregte Unterhaltung zu Ende, und er empfahl sich, von dem Danke des Beschließers begleitet. Auch der Maler ging, mit ihm zu gleicher Zeit. Als sie sich im Freien befanden und sich unbeobachtet wußten, fuhr es dem Maler heraus:

»Donnerwetter! Ich dachte, nicht recht zu sehen!«

»Und ich traute meinen Augen nicht!«

»Du hier in Malineau!«

»Und Du auch!«

»Du ein Weinreisender aus Roussillon, Namens Martin!«

»Martin ist mein Vorname! Aber Du als Monsieur Schneffka, als ein Pole! Was soll das heißen?«

»Hm! Was soll Dein Weinreisender heißen. Ein Berliner Telegraphist als Weinreisender!«

»Ja, ja! Es kommen wunderbare Dinge vor in der Welt, mein lieber Hieronymus Aurelius Schneffke. Ich glaube, zu errathen, weshalb Du hier bist.«

»Nun, weshalb?«

»Um Thierstudien zu machen, jedenfalls nicht!«

»Nein.«

»Also anthropologische Angelegenheiten: Menschenstudien?«

»Ja.«

»Diese kleine, allerliebste, dicke Marie Melac?«

»Hm! Ja!«

»Wird sie anbeißen?«

»Ich denke es!«

»Ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich Dein berühmtes Pech kenne!«

»Unsinn! Ich lernte kürzlich sogar eine Gouvernante kennen, mit welcher ich nach Frankreich fuhr.«

»Du warst natürlich sofort Feuer und Flamme!«

»Ja, es wurde mir allerdings ein Bischen heiß; aber – –«

»Na, was für ein Aber ist es?«

»Als wir nach Thionville kamen, war aus der Gouvernante die Tochter eines englischen Lords geworden.«

»Allerdings verteufeltes Pech. Die Sache ist also, daß Du eine vornehme Engländerin für eine Gouvernante gehalten hast, nicht wahr?«

»So ungefähr!«

»Das kann Herrn Hieronymus Schneffke leicht passiren. Und nun bist Du bereits wieder getröstet, wie ich sehe!«

»Ganz und gar. Ich habe schon das Glück gehabt, mit dieser allerliebsten Marie in die Stube zu purzeln.«

»Hahahaha. Ein gutes Omen!«

»Welches auf Hochzeit deutet!«

»Hoffentlich! Aber, nun einmal ernsthaft! Was thust Du hier in Frankreich?«

»Es war eine Studienreise, während welcher ich zufälliger Weise nach hier kam. Und Du? Du warst also in Paris?«

»Ja.«

»Und die Geschichte, welche Du erzähltest, ist wirklich passirt?«

»Ganz genau so.«

»Wer aber ist denn dieser Belmonte?«

»Der Rittmeister von Hohenthal.«

»Donnerwetter! Sollte ich das Richtige ahnen?«

»Nun, was ahnst Du?«

»Hm. Ich bin doch auch Soldat.«

»Landwehrmann!«

»Landwehrunteroffizier, willst Du wohl sagen.«

»Gut! Also weiter!«

Der dicke Maler machte ein sehr gescheidtes Gesicht und fuhr fort:

»Man munkelt von Krieg!«

»Man munkelt das sogar sehr deutlich.«

»Zwischen Preußen und Frankreich!«

»Natürlich nicht zwischen Preußen und Honolulu!«

»Da werden sogenannte Eclaireurs geschickt!«

»Vermuthlich.«

»So einer ist Dein Rittmeister!«

»Vielleicht.«

»Und Du auch?«

»Ich bestreite es Dir gegenüber nicht, da ich Dich als einen verschwiegenen Jungen kenne.«

»Keine Sorge! Denkt Ihr wirklich, daß es losgeht?«

»Ja, und zwar bald.«

»Sapperment! Da kann ich machen, daß ich nach Hause komme!«

»Ja, trolle Dich heim! Man wird Dich brauchen.«

»Einige Tage muß ich noch hier bleiben, wenigstens zwei.«

»Wegen der Marie?«

»Wegen eines Bildes, welches ich auszubessern habe.«

»Ach so! Dann ist Deine Studienreise zu Ende, und Du fährst direct nach Berlin?«

»Nicht direct. Ich nehme unterwegs Absteigequartier.«

»Wo?«

»Bei Thionville. Es giebt da ein Schloß, welches Ortry heißt.«

Martin Tannert wurde aufmerksam.

»Ortry?« fragte er. »Ah! Was willst Du dort?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Wie? Das ist doch unmöglich!«

»Ich werde Jemand dort treffen.«

»Wohl auch eine Dame, he?«

»Natürlich!«

»Unverbesserlicher Mädchenjäger! Aber Du, nimm Dich dort in Acht, damit Du keinen Fehler begehst!«

»Wieso?«

»Es sind dort zwei Eclaireurs. Solltest Du zufällig Einen erkennen, so verrathe Dich nicht.«

»Wer sind sie?«

»Der Ulanenrittmeister Königsau.«

»Sapperment! Ein tüchtiger Officier!«

»Und sein Wachtmeister Schneeberg.«

»Kenne ihn nicht. Woher weißt Du das?«

»Wir haben es erst gestern erfahren.«

»Wo ist Herr von Hohenthal?«

»In Metz. Wir müssen uns diesen Waffenplatz ein Wenig genau betrachten.«

»Aber warum kamst Du da nach Malineau?«

»Hm! Die Umgegend von Metz ist doch auch von einiger Wichtigkeit. Wo wohnst Du hier?«

»Da drüben beim Verwalter, dessen Bilder ich reparire. Willst Du mit?«

»Danke!«

»Oder trinken wir ein Glas Wein in der Schänke?«

»Meinetwegen! Aber nimm Dich in Acht, daß kein Mensch einen Verdacht faßt!«

»Pah! Ich bin kein Esel. Komm!«

Am andern Morgen befand Schneffke sich wieder bei dem Beschließer Melac. Er hatte Pastellstifte mitgenommen und erhielt einen schönen Platz am Fenster. Er mußte natürlich das Glas entfernen und das Bild aus dem Rahmen nehmen. Als er das that, sahen Marie und ihre Eltern zu.

Er trennte zunächst die Rückwand los. Kaum war dies geschehen, so fiel sein Auge auf ein großformatiges Briefcouvert, welches zwischen der Wand und dem Bilde steckte.

»Ein Brief,« sagte er erstaunt. »An wen?«

Er las die Adresse: »Herrn Beschließer Melac.«

»An mich?« fragte der Genannte. »Mein Gott, sollte es sich um das Geheimniß handeln, von welchem wir gestern gesprochen haben, Monsieur?«

»Vielleicht. Hier, nehmen Sie!«

Die vier Personen befanden sich natürlich in allergrößter Spannung. Melac öffnete das Couvert. Es enthielt mehrere Papiere, welche er auseinander schlug.

»Das Geburtszeugniß eines Kindes, eines Mädchens, Namens Nanon de Bas-Montagne.«

»Himmel!« sagte seine Frau. »Das gilt unserer Nanon!«

»Und hier ein zweites auf den Namen Madelon de Bas-Montagne. Ja, es gilt den beiden Schwestern! Und hier ist der Trauschein der Eltern: Baron Guston de Bas-Montagne und Amély, geborene Rénard.«

Die Beschließerin schlug die Hände zusammen und rief:

»Das ist es, wovon die Sterbende mit Dir sprechen wollte!«

»Ja. Hier ist eine Quittung über 15000 Franks, welche sie dem Verwalter Berteu geborgt hat. Ah, ich habe mir gedacht, daß die beiden Mädchen nicht ohne Geld sein würden. Ihre Mutter mußte doch von Etwas leben. Das Geld ist nicht zurückgezahlt worden, denn hier ist die Schuldverschreibung. Das werde ich zu ordnen haben.«

»Fünfzehntausend Franks!« sagte seine Frau. »Der Berteu kann nicht fünfzehnhundert zurückgeben.«

»Wir werden sehen! Und hier zuletzt ein Brief, welcher an mich adressirt ist.«

Dieser Brief, welchen er erst für sich durchflog und dann laut vorlas, hatte folgenden Inhalt:

»Mein guter Herr Melac.

»Wenn diese Zeilen in Ihre Hand gelangen, bin ich nicht mehr. Ich habe dann dieses Land verlassen, in welchem ich zuerst so große Liebe und dann so bittere Täuschung fand. Ich übergebe Ihnen meine beiden Töchter. Seien Sie ihnen Vormund, Freund und Vater. Beide wissen nicht, wer ihre Eltern eigentlich sind. Ob sie es einst erfahren sollen, stelle ich ganz Ihrer Klugheit und Einsicht anheim.

»Die documentalen Unterlagen erhalten Sie hiermit; aber vielleicht ist es besser, sie erfahren nie, daß ihr Vater ein Baron ist. Lassen Sie sich von dem Verwalter das Geld geben, damit es die Kinder bekommen. Von den Zinsen habe ich bisher leben müssen.

»Was soll ich noch sagen! Sie sind ein Ehrenmann und mein Freund. Sie werden thun und beschließen, was zum Besten meiner Kinder ist, deren Vater und Großvater verschollen und nicht mehr vorhanden sind.

»Ich segne Nanon und Madelon. Mein letzter Gedanke wird ihnen gelten, und dann, wenn ich bei Gott bin, der die Liebe ist, werde ich ohne Aufhören für sie beten und auch für Sie, dem ich ja anders nicht mehr zu danken vermag.

Amély de Bas-Montagne.«

Als diese Zeilen vorgelesen waren, entstand eine minutenlange Pause. Die vier Personen waren tief ergriffen. Endlich nahm der Schließer das Wort:

»Also Vormund sollte ich sein, ich, aber nicht der Verwalter. Warum blieb ihr nicht Zeit, uns zu sagen, wohin Sie diese Documente gesteckt hatte!«

»Ja, nun ist Alles so ganz anders gekommen,« meinte seine Frau, welcher die Thränen in den Augen standen. »Wirst Du den beiden Mädchen sagen, was sie eigentlich sind?«

»Das muß man überlegen.«

»Und hier,« sagte da der Maler, welcher die Rückseite des Bildes betrachtet hatte, »hier steht der Name »Baron Guston de Bas-Montagne.« Sollte er es sein?«

»Natürlich ist es das Bild des Vaters der beiden Mädchen,« meinte der Beschließer. »Ihre Mutter hat es mit sich genommen. Warum aber ist sie von ihm fortgegangen?«

»Ihr Schwiegervater hat sie gezwungen.«

Da blickte der Beschließer den Maler erstaunt an.

»Der Schwiegervater?« fragte er. »Gezwungen?«

»Ja.«

»Woher wollen Sie denn das wissen? Sie sind ja hier fremd. Sie haben die arme Dame nie gekannt und gesehen.«

»Das ist wahr. Aber ich habe diesen Schwiegervater gesehen.«

»Ah! Das wäre!«

»Und ich kenne ihn vielleicht heute noch.«

»Dann glaube ich noch an Wunder.«

»Ja, der liebe Gott hat die Schicksale seiner Menschenkinder in seiner Hand. Ich will Ihnen sagen, daß ich dieser Angelegenheit wegen nach Malineau gekommen bin.«

Dieses Geständniß brachte eine große Wirkung hervor.

»Dieser Angelegenheit wegen?« fragte Melac. »So war sie Ihnen bekannt?«

»Nein, sondern im Gegentheile sehr unbekannt.«

»Sie widersprechen sich.«

»Auch das nicht. Nach dem, was ich über Sie weiß, bin ich überzeugt, daß ich mich Ihnen anvertrauen kann. In Berlin lebt ein alter, reicher Sonderling, welcher sich Untersberg nennt. Sie sprechen und verstehen Deutsch. Wie würden Sie diesen Namen in das Französische übersetzen?«

»Ich würde sagen – Unters – – Bas-Montagne; ah, was ist das? Sollte zwischen diesem Untersberg und der Familie Bas-Montagne irgend eine Beziehung obwalten?«

»Ganz gewiß. Ich kenne diesen Herrn. Der junge Berteu hat ihm telegraphirt, daß sein Vater gestorben sei.«

»So stand er mit Berteu in Verkehr?«

»Wie es scheint. Er ist alt und schwach; er kann also nicht selbst reisen. Ich bin der Einzige, mit dem er verkehrt und er gab mir den Auftrag, nach Malineau zu gehen.«

»Um beim Begräbnisse zu sein!«

»Nein, sondern um auszukundschaften, ob der alte Berteu vor seinem Tode seinem Sohne ein Geheimniß mitgetheilt habe.«

»Welches Geheimniß?«

»Das wußte ich nicht; nun aber haben wir es ja erfahren. Das Geheimniß, wer die beiden Mädchen sind.«

»Ich begreife immer noch nicht –«

»Nun, dieser Untersberg ist der Großvater der Mädchen.«

»Ah! Mag er denn nichts von ihnen wissen?«

»Nein. Sie sollen nie erfahren, wer sie sind. Ihre Mutter war eine Deutsche, eine Bürgerliche, keine Katholikin. Sein Sohn sollte sie nicht heirathen und als er dies trotzdem that, wußte der Alte es so weit zu bringen, daß sie ihre Kinder nahm und verschwand.«

»Mein Gott. Das ist ja ein ganzer Roman!«

»Aber ein sehr trauriger.«

»Sie hat also ihren Mann verlassen und ist hier zu uns gekommen!«

»So ist es!«

»Aber dieser, ihr Mann, hat er das geduldet?«

»Sie ging heimlich, als er verreist war. Als er zurückkehrte, war sie verschwunden.«

»Hat er denn nicht gesucht?«

»O ja! Aber sein Vater hat ihn belogen, ihm gesagt, daß sie untreu geworden und mit einem Andern davongegangen sei.«

»Welch eine Schlechtigkeit!«

»Er hat dann nach ihr gesucht und ist ebenso verschwunden, wie sie. Sein Vater hat Frankreich verlassen und seinen Namen verändert. Weshalb, das kann ich nicht sagen.«

»Aber woher wissen Sie das Alles?«

»Ich vermuthe das Meiste; Einiges aber weiß ich ganz genau.«

Er glaubte, das von den Kolibribildern und was damit zusammenhing, noch verschweigen zu müssen.

»Aber Sie wissen genau, daß jener alte Untersberg der Großvater der Mädchen ist?«

»Ich würde es beschwören.«

»So muß er sie anerkennen!«

»Das wird er nicht thun.«

»Ich zwinge ihn!«

»Wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich lege diese Documente vor.«

»Damit erreichen Sie doch nichts.«

»Beweisen Sie etwa nicht, daß er der Großvater von Nanon und Madelon ist?«

»Nein.«

»Sie behaupten das aber ja selbst.«

»Das Gericht verlangt Beweise; Behauptungen genügen nicht.«

»Nun, wird es denn nicht möglich sein, ihm zu beweisen, daß er der Baron de Bas-Montagne ist?«

»Vielleicht gelingt das mir.«

»Gut! So haben wir gewonnen.«

»Noch gar nichts! Beweisen Sie mir, daß diese Frau Charbonnier wirklich die Baronin de Bas-Montagne war.«

»Warum sollte sie es nicht sein?«

»Und daß Nanon und Madelon wirklich die Kinder des Baron Guston sind!«

»Aber ich begreife Sie nicht.«

»Und außerdem giebt es noch weitere Lücken, welche ausgefüllt werden müßten. Man darf da nicht so sehr sanguinisch sein!«

»So sagen Sie uns, was wir thun sollen.«

»Ueberzeugen wir uns zunächst, ob wir selbst Recht haben oder Unrecht! Sehen wir einmal, ob die Frau Charbonnier die Baronin de Bas-Montagne ist.«

»Wie wollen wir das anfangen?«

»Sehr einfach. Sie haben Madame Charbonnier gekannt?«

»Ja, natürlich!«

»Bitte, sie mir zu beschreiben.«

»Es war eine sehr schöne Dame, klein, schmächtig, mit Prachtaugen und herrlichem Haar.«

»Hm! Ich habe das Bildniß der Baronin gesehen. Wollen doch einmal vergleichen!«

Er hatte seine Mappe mit. Er nahm aus derselben ein Blatt Zeichenpapier und griff zum Bleistift. Er schloß die Augen, um sich die Züge jenes Portraits zu vergegenwärtigen, welches er hinter dem Colibribilde gefunden hatte, und als ihm dies gelungen war, warf er den Kopf mit bewundernswerther Leichtigkeit auf das Papier.

»So,« sagte er; »sehen Sie her! Ist sie es?«

Die beiden Alten stießen einen Ruf des Erstaunens aus.

»Das ist sie; ja das ist sie!« betheuerten sie.

»Gut, sehr gut! Ich bin meiner Sache nun schon gewiß. Diese Mädchen haben eine ungemeine Aehnlichkeit mit ihrer Mutter. Aber man muß dennoch bedächtig verfahren. Ich denke, Sie verschweigen ihnen zunächst noch, wer sie sind.«

»Aber Etwas muß man doch thun?«

»Gewiß! Ich gehe von hier nach Ortry.«

»Zu Nanon?«

»Ja, Madelon befindet sich bei ihr. Mit dieser kehre ich nach Berlin zurück. Wer weiß, was unterwegs sich findet und herausstellt. In Berlin gehe ich sofort zu dem Alten.«

»Um ihn zu zwingen, die Wahrheit zu bekennen?«

»Das kann ich noch nicht sagen. Ich werde Ihnen schreiben. Wir müssen Hand in Hand gehen.«

»Das versteht sich! Monsieur Schneffka, wie gut ist es, daß wir Sie kennen gelernt haben! Und wunderbar, Sie, ein Pole, kommen her zu uns und – – –«

Er stockte. Es kam ihm ein Gedanke. Dann fuhr er fort:

»Monsieur, seien Sie aufrichtig! Sie sind kein Pole!«

»Was soll ich sonst sein? Ein Buschneger?«

»Ein Deutscher.«

»Hm!«

»Gestehen Sie es!«

Da trat Marie näher, legte die Hand an seinen Arm und sagte:

»Wirklich? Sollten Sie ein Deutscher sein?«

»Mademoiselle, Sie hassen ja die Deutschen!«

»Was denken Sie! Ich habe Ihnen ja im Gegentheile gesagt, daß wir uns sehr für Deutschland interessiren!«

»Nun gut! So will ich es gestehen, daß ich ein Deutscher bin.«

Da streckten ihm alle drei die Hände entgegen, und Melac fragte:

»Warum haben Sie das verschwiegen?«

»Aus Vorsicht. Die hiesige Bevölkerung spricht von einem Kriege zwischen Frankreich und Deutschland.«

»Glauben Sie an dieses Gerücht?«

»So ziemlich!«

»So wünsche ich von ganzem Herzen Deutschland den Sieg. Möge Preußen kommen und Elsaß und Lothringen nehmen, damit das Unrecht früherer Zeiten gesühnt werde. Herr, nun sind Sie mir doppelt willkommen! Ihr Name wird nun wohl auch anders lauten?«

»Nicht viel anders: Schneffke anstatt Schneffka, Hieronymus Aurelius Schneffke; das ist so sicher wie Pudding!«

»Aber lassen Sie das Berteu ja nicht wissen!«

»Fällt mir ganz und gar nicht ein! Also Sie meinen, daß er von seinem Vater nichts erfahren hat?«

»Wenigstens kurz vor dem Tode nicht, da der Verwalter ganz plötzlich gestorben ist.«

»So könnte er von früher her wissen!«

»Ja, und das scheint mir sogar sehr wahrscheinlich zu sein.«

»Wieso?«

»Es hat sich am Begräbnißtage seines Vaters Etwas ereignet, was mir zu denken giebt.«

»Erzählen Sie es mir, damit ich mit denken kann.«

»Er hat die Schwestern Abends in die Pulvermühle gelockt, um Nanon in seine Gewalt zu bekommen.«

»Liebt er sie denn?«

»Wer weiß das?«

»Will er sie heirathen?«

»Man sagt es. Er weiß, daß das Mädchen wohl eine Zukunft hat. Er will an der Letzteren theilnehmen, indem er Nanon zu seiner Frau macht.«

»Aber sie will nicht?«

»Um keinen Preis. Daher hat er sie in die Falle gelockt.«

»Ein gottloser Mensch! Donnerwetter! Der sollte mir vor die Zündnadel kommen, wenn ich im Falle eines Krieges 'mal nach Malineau käme! Dann würde – – – Sapperment!«

Er bemerkte erst jetzt, daß er unvorsichtig gewesen sei. Melac aber beruhigte ihn, indem er sagte:

»Erschrecken Sie nicht! Sie sind nicht bei schlechten Menschen! Aber, wie ich höre, sind Sie also auch Soldat?«

»Landwehrsoldat.«

Da trat ein Lächeln auf die ernsten Züge des ehrwürdigen Mannes. Er sah den Maler vom Kopfe bis zum Fuße herab an und fragte dann:

»Sind die preußischen Landwehrleute alle so wohl gepflegt wie Sie, Monsieur?«

»Alle! Das Kommisbrod wirkt Wunder. Sie sehen ein: Kommt ein Bataillon solcher Kerls ins Laufen, so rennt es eine ganze französische Armee über den Haufen. Lassen Sie es also in Gottes Namen losgehen. Sie werden Ihr blaues Wunder sehen! Nun aber wollen wir das Porträt vornehmen, sonst wird es nicht fertig.«

*


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