Johannes Richard zur Megede
Von zarter Hand
Johannes Richard zur Megede

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Zwölftes Kapitel.

Berlin wird immer gemeiner! – Anständige Zivilisten kann man mit der Laterne suchen. Auf dem Asphalt der Friedrichstraße dröhnt unaufhörlich der Tritt staubbedeckter Kolonnen, die vom Tempelhofer Felde heimziehen. Der Mob, der johlend mitzieht, reißt einen mit seiner Begeisterung fast um. Von Königstreue oder Epaulettenverehrung steht in den scheußlich blassen Nachtgesichtern nichts geschrieben, und anständige Bürgermädchen thun wohl, in eine Seitengasse einzubiegen. Radau ist die Parole – und wenn die Ritter von der Straße mit Steinen schmeißen könnten, würden sie es nicht mehr als gern thun; nur die Furcht vor einem strammen: ›Seitengewehr pflanzt auf!‹ hält sie. Die Kavallerie trainiert sich in undurchdringlichen Sandwolken auf dem Tempelhofer Felde für die großen Manöverattacken – ihre Stabsoffiziere sehen im Traum beständig blaue Briefe – und falls man einen Bekannten trifft, heißt's sauersüß und unfehlbar: »Passen Sie mal auf, unser Alter wird noch vor der Herbstparade verrückt. – Dieser olle Kommiß ist eine gottverdammte Schinderei! . . . Sie haben's gut, Carén, können das Sündenbabel in aller Gemütsruhe genießen . . . Lassen Sie sich 286 mal in unserm Kasino sehen? Bis zum Fähnrich 'runter sind nämlich alle vom Paradewahn angesteckt. Scheußlich! . . . Na, adieu . . . Sie kommen doch nicht, Sie Glücklicher!«

Immer derselbe Blödsinn! Wenn man glücklich ist, müssen's einem erst die andern sagen – man selbst hat keine Ahnung davon.

An meinen Vetter habe ich heut geschrieben. Den Brief abzuschicken, scheue ich mich. Ich habe immer das dumme Gefühl, als würde doch nichts draus. Eigentlich ist es auch eine Kateridee: was kann mir diese Sommerfrische helfen? Da versimple ich wahrscheinlich noch mehr . . . Die Schildkröte sollte sich schleunigst empfehlen, – das wäre meine Rettung. Häßlicher Wunsch! Geschrieben, noch häßlicher . . . Ich beruhige mein Gewissen immer damit, daß sie mir den Gefallen doch nicht thut oder erst, wenn ich zeitlebens in einer Gummizelle interniert bin. Auf solch ungewissen Tod zu warten, ist noch dümmer als schlecht – was soll ich aber thun? Ich kann doch nicht englische oder französische Stunden geben. Und zur Geldheirat schreite ich erst, wenn ich ganz unter dem Schlitten bin.

Ich werde den Brief doch noch heut expedieren . . . und sei es bloß, der Gnädigen Charakter zu zeigen. Eigensinn ist bekanntlich der Charakter der Schwachen.

Bei Le Forts bin ich zuweilen. Serner schläft, glaube ich, in der Händelstraße. Ich ahne nicht, ob sie einig sind. Jedenfalls ist Karlchen guten Mutes und von distinguiertem Zartgefühl. Hat er noch nicht das »Ja« und den ersten Kuß, so ist mir dieser Fabius Cunctator unverständlich. Wahrscheinlich druckst er und druckst – und wenn er endlich das Wort auf der Zunge hat, bekommt er das Stottern . . . Ja, Grünäugige, hilf dir selbst! . . . Das Herz ist doch bei der Affaire nicht engagiert, wenn du mich auch 287 manchmal melancholisch ansiehst. Du bist ja die rechte Tochter deiner Mutter! – Was du vielleicht erwartest, daß er dich wortlos umarmt und abknutscht – das thut dein Karlchen aus übertriebener Rücksicht und Anständigkeit niemals. Also nimm ihn ruhig in eine Ecke und sag: »Sie lieben mich – und ich liebe Sie auch. Wann wollen wir heiraten?« Gebt mir einen Wink, Kinder – und ich bestelle euch die Verlobungsanzeigen aus Tausendmarkscheinen, damit es nach was aussieht! . . . Die Alte sagt ja nie nein. Das ist alles Komödie! . . . Karlchen ist eben zu anständig für diese Welt! Er gewinnt wirklich von Tag zu Tag. Kein Geistesriese – vielleicht ein bißchen dumm – die ehrlichen Menschen sind viel rarer als die klugen . . . Wenn ich vor der Thatsache dieser Verlobung stehe, bin ich doch baff!

Ich kann eben nicht über meinen Schatten springen. Ich werde nie begreifen, daß der kluge, hübsche, vornehme, reiche Graf Carén, dem die Weiber nachliefen, nicht mehr existiert . . . Denke ja auch nicht im Traum daran, mit Karlchen Serner zu konkurrieren. Aber ich bin so ein Narr, daß ich früher von jedem Mädel geglaubt habe, wenn ich sie mit dem Fuße stieße und das frühreife Karlchen kröche liebeglühend auf dem Teppich vor ihr 'rum, – daß ich doch der Auserwählte sein müsse . . . Aus Kindern werden eben Leute, aus Thoren Weise. Serner wächst zum Riesen empor, und ich schrumpfe zum Zwerge zusammen. Das ist die Realität, mit der ich mich abfinden muß. Und ich finde mich schon mit ihr ab. Ich sehe Serner vollkommen unparteiisch an – vielleicht noch mehr: seine Tugenden erscheinen mir rosiger, seine Fehler verschwommener . . . Laster? – Dazu langt es bei ihm so wenig wie bei mir.

Ist das nun wirklich wohlwollende Neutralität, 288 die friedliche Milde des Greisenalters, zu der sich mein Stumpfsinn langsam abklärt? Ein junger, eitler Mensch – den Jahren nach habe ich ein Recht auf beides – würde nie zugeben, daß ein so schönes Geschöpf über ihn hinwegsieht! Die Liebe hat damit nichts zu schaffen, wohl aber die Selbstvergötterung des Mannes. Und die sollte das nicht so ruhig ertragen! . . .

Auf- und niedergehende Sterne – in dieser Beziehung ist Le Forts Haus überhaupt ein sehr lehrreicher Himmel.

Bomulunder kommt mit leuchtendem Gesicht, geht mit leuchtenderem. Wenn er nicht eine so mißvergnügte Nase hätte, er sähe wunschlos glücklich aus. Hat ja auch allen Grund . . . Die Blonde behandelt ihn genau nach meinem Rezept: gut – besser – am besten. Zurzeit ist sie schon beim Superlativ. In noch nicht vierzehn Tagen eine ganz anerkennenswerte Gefühlssteigerung! – Ist sie echt? Kinder und Hunde sind bekanntlich vorzügliche Komödianten. Und manchmal flimmert's so spitzbübisch in den Unschuldsaugen, daß ich immer an halbwüchsige Backfische denken muß, die wie Heilige bei ganz gefährlichen Gesprächen Erwachsener sitzen – die süßen Dinger sind so unverdorben, verstehen nichts! – und dann urplötzlich der falkenscharfe, alles wissende Blick. Darin geht wohl der Mißtrauische von Beruf manchmal zu weit. – Siebzehnjährige sind wie die Wetterfahnen. Ethel braucht ja nicht ihr Herz, sondern nur die Abstammung von ihrer Mutter entdeckt zu haben. Warum soll der Goldregen nicht auch bei ihr die Wirkung thun und der bei allem Uniformwahn ausgesprochene Geschäftsverstand des Zukünftigen?

Das Nilpferd kargt nämlich gar nicht mehr mit seiner Gesellschaft, Schwiegervater und Schwiegersohn heizen täglich die ganze deutsche Handelsmarine mit 289 Kohlenstaub. Ob die Heizkraft thatsächlich so sans pareil ist – keine Idee! Aber die Spekulationsphantasie heizt sich damit vortrefflich. Und es will mir scheinen, die Kornblumenfee heizt bewußt oder unbewußt mit. – Mich hält sie für ein Haustier, einen alt gewordenen Mops. Für den fällt auch hie und da ein freundliches Kß, kß! ab. Sie weiß, daß der mürrische alte Herr nicht mehr beißen kann – und deswegen hetzt sie.

»Ich glaube wirklich, daß Asta den Serner gern hat . . .«

»Ich habe das ja immer gesagt, gnädiges Fräulein.«

»Wenn die Herren nur recht behalten können! . . . Sie denken wohl, Sie haben immer recht, Herr Graf? O, bitte sehr!«

»Ich prophezeie ja auch nicht mehr.«

Solche Gespräche werden gewöhnlich im Boudoir gepflogen. Die Nippsachen stehen jetzt tadellos ordentlich in rechts und links abmarschierten Sektionskolonnen; der Puff ist unverknüllt – auf der Staffelei ein zahmes Stillleben, das dem sittsam gewordenen Gefühl entsprechend langweilig und korrekt weiter gedeiht. Sie weiß, was sie will! – In diesem erschrecklich nüchtern gewordenen Jungfernzimmer gedeihen auch die Bomulundergefühle.

»Wie gefällt Ihnen jetzt Herr Bomulunder?«

Ein sehr verständiges: »Sie sehen ja!« – Und weiter auch mit ganz scheinheiligem Gesicht: »Nicht wahr, bei näherer Bekanntschaft gewinnt er sehr, Herr Graf?«

»Sogar die mißvergnügte Nase!« Ich kann das Hetzen nicht lassen.

Sie erwidert höchst ernsthaft: »Ja, auch die Nase . . .«

Auf Empfindlichkeit läßt sich Ethel grundsätzlich nicht mehr ein. Als ich einmal Jaromir 290 hineinmenge, sucht sie erst Ewigkeiten in dem klugen kleinen Köpfchen, das so leicht nichts vergißt.

»Ja, ja!« Das klingt, als wenn sie die Erinnerung hätte vom Sirius herunterholen müssen. »Man lernt so furchtbar viele fremde Menschen kennen in Berlin . . .«

Damit endigt's.

Bomulunder hat das Feld. Und er behauptet's bei diesem feinfühligen, nervösen Dinge, allen seinen Unglaublichkeiten zum Trotz – vielleicht gerade deshalb . . . Da ist schon dieser ewig nagelneue Anzug – distinguierte Toilette darf nie nagelneu aussehen! – Dann dieser glänzende, durchgezogene Scheitel mit dem Friseurduft – von seinem Friseur soll man beinah so herausgehen, wie man hineingegangen ist. Vom Lackschuh bis zum Plätthemd diese knisternde, aufdringliche Neuheit! – Lieber Freund, auch dein Rubinring ist so kostbar, daß er auffällt, und von dem Brillanten im Plastron kann sich ja keine Konfektioneuse losreißen. Distinguiert sein heißt nämlich: nicht auffallen! – Diese Finessen lernt man freilich nicht beim Schnapsverkauf . . . Serner sieht natürlich nur seine Asta, hat überhaupt keinen Blick, aber selbst das extravaganteste Dandytum würde ihn vielleicht wohl zu einer Mißgestalt, niemals aber zu einem Affen à la Bomulunder machen . . . Und daß die Mädels den geschniegelten Commis vertragen können! Diese Ethel, die manchmal dreimal täglich die Robe wechselt und nie ausstaffiert aussieht – von der Grünäugigen gar nicht zu reden, die aus Hochmut keinen Schmuck trägt und in ihrem unvermeidlichen Schwarz die äußerliche Distinktion selbst ist! . . .

Aber sie beide ertragen ihre Kerls!

Als die Kornblumenfee erst beim Komparativ der Bomulunderbehandlung angelangt war und der 291 Schnapsbaron sich vorsichtig aus der Verteidigungsstellung zum kecken Vorstoß zu entwickeln begann, passierte folgendes:

*

Erster Akt.

Ort der Handlung: das Zimmer der Grünäugigen. Personen: die beiden Mädels, Bomulunder und ich.

Der Schnapsbaron hält diesen poesielosen, kalten, neuen Raum, in dem Asta immer vornehm wie ihr eigner Gast sitzt, für etwas Außerordentliches. Sie wünscht eben diesem Raum nichts von ihrer Eigenart zu geben – und das verstehe ich . . . Der Herr Graf Carén erzählen etwas zum Weinen Geistloses. Bis zum Tennis langte es, glaube ich, damals noch. Die Herren sind im weißen Flanell und versuchen Esprit aus einer eiskalten Mischung von Selterswasser und Cognac zu saugen.

Bomulunder gelingt es. »Schmeckt wunderbar! . . . Nicht war, riesig aufregendes Turnier vorhin, gnädiges Fräulein?«

»Riesig . . .«

»Gnädiges Fräulein kennen aber noch nicht Manöverdurst – fabelhaft!«

»Glaube ich wohl: fabelhaft . . .«

Der etwas einseitige Dialog entwickelt sich weiter bis zum Manöverhuhn – den kupfernen Paradepauken seines Regiments – dem Zukunftskrieg (er hätte nicht übel Lust, dann aktiv zu werden, worum ihn sein Kommandeur schon unterschiedliche Male angefleht habe, – was aber seine sonst tadellosen Husaren nicht so ohne weiteres gestatten dürften). Ethel wiederholt immer liebenswürdig und gedankenlos das Stichwort.

Die Grünäugige, die ihre Schwester erst verwundert, dann kopfschüttelnd angesehen hat, bemerkt gouvernantenhaft: »Hörst du überhaupt zu, Ethel?«

292 Die Blonde wacht auf. »Wie meinst du, Asta . . . Natürlich höre ich zu; es ist sehr interessant! – Das letzte war doch . . .« Sie hat keine Ahnung.

Bomulunder, der Spitzen und Ungezogenheiten von der Braut seiner Wahl als schreckliche Spezialität früherer Tage kennt, findet gerade diese urteilslose Unterwerfung reizend. Warum auch nicht? Der Loreleifelsen kann kein so poetisches Echo sein wie dieser Rosenmund! . . . Wenn auch der Wiederhall für den Argwöhnischen eine verzweifelte Aehnlichkeit hat mit dem berühmten Echo, das alle Felsen wiederhallen: ›Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? – Esel!‹ . . . Vielleicht dämmert dem Schnapsbaron ein flüchtiges Erinnern. Er schweigt, besieht die Nägel und spielt mit einem abgenutzten Bleistiftstummel, der sich auf dem Tisch als scheinbar herrenloses Gut herumtreibt. Endlich findet sich der Husar in einem witzelnden: »Wem gehört eigentlich der reizende Blei?« – Seine mißvergnügte Nase hat wohl die Blonde als Besitzerin gewittert.

»Meiner Klavierlehrerin,« erwidert Ethel hastig.

Da wirft der Bengel den Stift mit gut gespieltem Abscheu auf die Platte zurück. »Aeh . . . äh! Klaviermamsell!«

Asta richtet sich wie eine Schlange auf, die grünen Augen werden dunkel und riesengroß; sie bläst verächtlich die Luft durch die klassischen Nüstern. Angesichts solcher Geschmacklosigkeit empfinden wir beide ganz gleich.

Und Ethel – ich hätte es dir nie zugetraut – lächelt liebenswürdig, einverstanden, aus ganz blauen leeren Augen und wiederholt: »Klaviermamsell . . .« Das ist Asta zu viel des Guten, sie erhebt sich: »Verzeihung, Herr Graf.« Wenn sie es nicht wäre, würde ich ihr in das Rauchzimmer folgen. Wie sie so hinausgeht – Aristokratin vom Scheitel bis 293 zur Sohle –, verstehe ich mich und meine Abneigung nicht. Dieser königliche Nacken könnte einem Prinzen von Geblüt die Frage aufgeben: »Wo ist eigentlich die wahre Ebenbürtigkeit zu suchen? . . . Und gerade diesen königlichen Nacken hasse ich!

Und das Pärchen ist froh, daß es die Gouvernante los ist. Bomulunder wird kühn. »Gnädiges Fräulein haben mich übrigens noch nie Ihr Zimmer sehen lassen . . .« Die bessere Behandlung hat nämlich erst seit einigen Tagen begonnen.

»Daran ist gar nichts zu sehen – wirklich gar nichts!« Sie schüttelt das blonde Haupt: halb ja, halb nein. Es sind die Manieren einer Kokette.

»Aber wenn ich gnädiges Fräulein sehr darum bitten würde?« Ich glaube, ihm schwebt so etwas von noch neueren Möbeln und noch dickeren Teppichen vor – denn neu müssen bei ihm selbst die Antiquitäten sein! Wie das Boudoir jetzt ausschaut, wird er keine Enttäuschung erleben.

»O, wenn Sie wünschen, Herr Bomulunder – sofort!« – Mich sieht sie lauernd von der Seite an. »Wollen Sie mitgehen, Herr Graf?«

»Ihr Fräulein Schwester wird gleich wiederkommen – und dann beschuldigt die mich der Fahnenflucht.«

»Gott, wie rücksichtsvoll Sie sind! . . . Kommen Sie, Herr Bomulunder, ich fürchte mich mit Ihnen allein auch nicht.« – Die ausgesprochene Avance also! Blonde, wenn du mit derangierter Haarfrisur zurückkommst, erkläre ich dich für ein Scheusal.

Das Paar geht durch die Mitte ab.

*

Zweiter Akt.

Spielt hinter den Kulissen – kurz, aber wichtig für die Entwicklung, wie ich glaube.

Dem Grafen Carén, der gar nicht daran denkt, 294 auf Asta zu warten (außerdem weiß er genau, daß sie zu ihm allein doch nicht zurückkehrt), wird die Zeit schließlich lang. Und dann ist er neugierig! – Ich wandere also gemächlich durch einen Musiksalon im Empirestil – das gotische Eßzimmer – die Rokokoposse und weiter. Bomulunder kommt an mir vorübergeschossen, rosig, aufgeregt; entweder hat sie ihn gehauen, was ich ihr schon zutraue, oder er rast nach einem geheimnisvollen Paket, das er im Korridor liegen gelassen – vielleicht eine Ueberraschung, die er erst jetzt, nach vorsichtiger Rekognoscierung, zu überreichen wagt.

*

Dritter Akt.

Zwei Sekunden darauf schlägt Graf Louis Carén die blaue Plüschportiere zu Ethels Boudoir vorsichtig zurück – dieselbe Portiere, die der Schnapsbaron auch eben passiert haben muß. Und die gräfliche Nasenspitze ist kaum drin, da fliegt ihm ein mit aller Kraft geschleuderter Terracottapuff ins Gesicht – das Monocle klirrt auf der Schwelle – und unglaublich, aber wahr! – mitten im Zimmer steht die Kornblumenfee mit verzerrtem Gesicht, die rosigste aller Zungenspitzen ist weithin sichtbar. »Aeh!«

Ich habe in diesem Hause nun schon manche Hunderolle gespielt: russischer Windhund – mürrischer Mops – jetzt bin ich endlich zum begossenen Pudel gelangt. »Galt das wirklich mir, gnädiges Fräulein?« frage ich noch mit angeborener Selbstbeherrschung.

»Ja, ja, ja, Ihnen!« und das so ungezogen wie möglich. Wie der Wind ist drauf die kleine Furie durch die andre Thür 'raus – und ward nicht mehr gesehen.

Gegen die Wahrhaftigkeit dieses befremdlichen »Ja, ja, ja« spricht verschiedenes. Erstens dürfte sie mein Kommen nicht bemerkt haben – ich verfüge 295 über einen Katzenschritt, der nicht dröhnender dadurch geworden sein kann, daß ich an dem Vormittag Gummisohlen trug. Zweitens war der Puff eher geschleudert, als ich hineinlugte. Drittens schien mir die Pose mit der Zungenspitze viel zu leidenschaftlich gegen mich geduldiges Haustier.

Die diplomatischen Erklärungen dieserhalb, die erst vierundzwanzig Stunden später abgegeben wurden, waren durchaus ungenügend. Ethel behauptete frech, sie würfe gewohnheitsmäßig Puffs nach Portieren, und im übrigen habe sie gegähnt, was in ihrem Zimmer allein ihre Sache sei. – »Wie hätte ich auf den Gedanken kommen sollen, nach Ihnen zu werfen, Herr Graf? . . . Sie sind immer so nett zu mir! Nein, nett sind Sie gar nicht – aber leid thut mir's doch . . . Und nicht wahr, Sie glauben mir auch?«

»Selbstverständlich! Aber warum sagten Sie eigentlich auf meine sehr begreifliche Frage dreimal ja?«

Ethel überlegt. »Das schoß mir nur so 'raus . . . Und schlecht sind Sie doch!«

»Danke.«

»Sagen Sie aber um Gottes willen meiner Mutter nichts, Herr Graf!«

»Fällt mir nicht ein. Ich reise ja auch so bald . . .!«

»Ja, warum reisen Sie eigentlich?«

»Ich muß in eine Sommerfrische.«

»Wollen wir wetten, daß ich früher in eine Sommerfrische gehe als Sie?«

»Bon. Es gilt eine Flasche . . .«

»Nein, nein!« unterbricht sie mich ganz nervös. »Ich weiß, was Sie sagen wollen.«

»Eau de Cologne, gnädiges Fräulein.«

»Wer's glaubt! – Doch wollen wir lieber nicht 296 scherzen. Die Sommerfrische, die mir vielleicht blüht, suche ich mir nicht aus – sondern dahin werde ich per Schub expediert.«

*

Vierter und letzter Akt. – Vakat vorläufig.

Bomulunder, der lang Mißkannte, verbrennt unter der unheimlichen Sonne von Ethels Gunst – und auch er beißt nicht an! Darin sind übrigens die Le Fortschen Schwiegersöhne merkwürdig ähnlich: nur kein Ueberfall! – Bei Karlchen ist es das ewig unsichere Gefühl, ähnlich der Wahnidee eines verprügelten Hundes, dem sein menschlicher Tyrann wohlwollend den köstlichsten Schinken vorsetzen kann – das Tier aber weicht ängstlich wedelnd vor diesem Schinken wie vor einer höllischen Versuchung zurück. Der Schnapsbaron, der nicht umsonst seine mißvergnügte Nase schnüffelnd nach allen Windrichtungen hebt, hat wohl die Pfirsichwitterung und wird und will unbedingt hineinbeißen – in dem Augenblicke, wo der letzte Mißtrauensschatten gegen Ethel geschwunden ist. Das ist eben der Unterschied: der eine mißtraut sich, der andre den andern. Ich, als Unparteiischer, weiß selbst nicht mal, wozu ich Bomulunder raten sollte.

In der übermäßig langen Pause bis zum nächsten Akt brauche ich mich nicht tot zu langweilen.

Neulich die Tante gesehen. Sie ließ sich von ihren schweren, wolligen Braunen langsam im Triumphe durch den Tiergarten ziehen; natürlich hermetisch geschlossenes Coupé des vorigen Jahrhunderts – und sie selbst dick und neugierig am Fenster. Sie glotzt – ich glotze. Denke auch: ›Grüß sie, Louis, es ist nur Klugheit.‹ Aber ich kriege die Hand nicht hoch – dumme Hand! – Hättest es ja doch nicht gethan, Louis, schon weil es ein Erfolg der Le Fort-Politik wäre . . . Anständige alte 297 Jungfern rührte in solchen Brutöfen rettungslos der Schlag, die Schildkröte fühlt sich da erst recht mollig. Stirbt selbstverständlich nie! – Ich möchte sie an ein Aquarium verkaufen, da wäre sie in ihrem Element. Schildkröten und Kolkraben sollen ja bei verständiger Pflege viele hundert Jahre alt werden . . . Louis, du willst dir bloß die Geschichte verreden. – Wenn sie jetzt zu ihrem Justizrat fährt und ein neues Testament macht? . . . Denn als ich einige zwanzig Wagenlängen später mich umdrehte, war ein Coupéfenster niedergelassen, und die Tante verhandelte armfächelnd mit dem Kutscher, einem alten, biedern Kerl, der vorhin einen schüchternen Versuch machte, nach dem Kokardenhut zu greifen; der einzige Anständige unter dieser Gesellschaft, der seine ehrliche Pferdestallabneigung gegen das Hausmeistertum der andern Dienstboten in der Tiergartenvilla hat. Der »Dicke« hätte ihn schon lange gestürzt, weil die Kutscherstube allen Hochmutsanwandlungen des Haushofmeisters sofort mit einem Stallbesen zu Leibe geht, aber die vis inertiae ist bei Comtesse Carén das allmächtige. Und auf diese konservative Gesinnung baue ich auch.

Gestern erzählte mir Ethel ganz nebenbei, daß Tante Jeannette am Magen litte. (Der Gnädigen bin ich nämlich jetzt ein toter Mann, und die Reise ist eine Thatsache, von der man nicht spricht. Die Hitze bekommt der Dame mit der charakterlosen Linie auch nicht. Sie sieht aus wie jemand, der seine ganze Energie auf einen einzigen Punkt konzentriert hat, darüber alles andre vergißt und außerdem fühlt, daß selbst seine Energie knapp ausreicht. Darum sieht die Gnädige matt aus. Zwei Töchter zu gleicher Zeit unter die Haube zu bringen, ist auch nicht von Pappe.) – Mit dem Magenkatarrh meiner Tante, der alten Leuten in der Hitze so 298 gefährlich werden kann, ist es sicher Essig. Die Liebe macht die Kornblumenfee zur Phantastin; wer selbst glücklich ist, möchte auch andern etwas Aufmunterndes sagen. – Comtesse Jeannette Carén: magenkrank?! Ich muß es mir immer wiederholen und immer wieder hell auflachen . . . Keiner der vielen Todesfälle in unsrer Familie ist ihr auf den Magen geschlagen. Am Tage nach dem Begräbnis meines Vaters überraschte ich sie bei einer Hummermayonnaise. Den Tod meiner Mutter und meiner kleinen Schwester feierte sie jedenfalls noch lukullischer. Und am Tage, wo ich ihr meinen Ruin beichtete, lud sie mich zu in Sekt gedämpften Trüffeln ein. Sie aß drei Stück – ich eine halbe und fürchtete schon, das Magendrücken hinterher nie loszuwerden! . . . Alles kann bei meiner Tante kontrakt sein – nur dieser klassische Magen nicht! . . . Und wenn er es doch wäre? Dann hätten wir einmal die ausgleichende Gerechtigkeit des Schicksals. Aber das ist nicht und kann nicht sein . . .

Die Gnädige, die sehr empört that, daß Ethel geschwatzt habe, benahm mir auch sofort alle ausschweifenden Hoffnungen. »Das sind tempi passati, Graf Carén . . . Ich hielt es gleich für eine hypochondrische Anwandlung; der Arzt gab Ihrer Tante allerdings recht, bloß um ihr zu schmeicheln. Er ist ein sehr alter Arzt . . .«

Heute ein Brief von meinem Vetter. Ein reizender Brief!

Ist eilig nach Livadia berufen gewesen, mein Schreiben in Petersburg liegen geblieben. – Dann heißt es weiter: »Ich habe sofort alles telegraphisch angeordnet, Louis. Ein Juckergespann geht noch heute aus Böhmen dorthin ab – ich schicke die Galizierschecken. Sollte ich mich irren – Du hattest bei Deinem Besuch vor zwei Jahren gerade für 299 diese Kracken etwas übrig, weil sie enge in der Ganasche und schwierig zu behandeln sind? Parat ist alles. Unser schönes Mähren wird für den hohen Besuch natürlich große Gala anlegen. Aber der Teufel traue dem Wetter! . . . In Südrußland fährt man durch total versengte Steppen. Einmal muß doch Regen kommen! – Und nun, mein freundwilliger Vetter, was die Hauptsache ist: schenk mir reinen Wein über Deine Verhältnisse ein. Mündlich sind Leute wie wir gegenseitig immer etwas geniert. Vielleicht ist Dir das schwarz auf weiß versichert lieber: Bist Du nicht unglaublich in der Tinte, so kann und will ich alles regeln! – Denn wir stammen doch nun einmal von den Großeltern her aus demselben Nest. Vergessen wir das nie, mein Junge!

Ich habe den Diener, der die Dummheit mit dem Brief auf dem Kerbholz hat, gleich fortgeschickt – so ärgerlich war ich.

Ich bedaure nur, in meinem Blockhaus Dir nicht selbst die Honneurs machen zu können.

In Treuen

Dein Vetter Lasis.«

So was gehört im Tagebuch festgenagelt: selbst unter den Grafen giebt es noch anständige Menschen! – Wenn ich das Geschreibsel von der Schildkröte damit vergleiche! . . . Ich freue mich doch, daß ich sie nicht gegrüßt habe.

Heute ist Montag. Donnerstag dampfen wir ab. Le Forts werde ich in der letzten Minute ein unendlich eiliges: p. p. c. schicken, auf die Gefahr hin, von der Gnädigen für einen Exdiplomaten mit den Manieren eines Hausknechts gehalten zu werden . . . Ich gedenke eben zu verschwinden wie die alten Helden, in plötzlich aufsteigendem Gewölk.

Wir schreiben Mittwoch. Ethel will mich nicht im unklaren über den Komödienschluß ziehen lassen. 300

*

Vierter und letzter Akt.

Der Vorhang geht eben auf. Serner und ich haben uns vor Bomulunder gerettet – und zwar in Ethels Boudoir. Wir anerkannte Hausfreunde bewegen uns in dem Le Fort-Palazzo völlig frei und ohne Gene. Asta ist nicht zu Haus; das Nilpferd, die Gnädige und der Doppeldoktor verhandeln im Rauchzimmer Geschäftliches. Die ahnungslose Blonde haben wir dem Schnapsbaron direkt in die Arme geschickt, den wir bereits vom Fenster aus im Schmuck der Waffen gewahrt hatten, das heißt mit Cylinder und Regenschirm einer Droschke entsteigend. Er schnüffelte an der Hausthür so festlich, daß mir Unheil schwante. Der eigentliche Fahnenflüchtige bin also ich, und Karlchen unterlag nicht mehr als gern der Verführung. Denn ich habe ihn fürchterlich eingegrault! Mein drittes Wort ist immer: »Denken Sie an mich, Serner; Bomulunder läßt sich nobilitieren und bekommt eine achteckige Schnapsflasche ins Wappenfeld.«

Karlchen, der diesen furchtbaren Schwager ahnt, hüpft bei meinen höchst ernsthaften Erklärungen von einem Bein auf das andre, als wenn er Leibschmerzen hätte. »Aber Carén, das ist ja unmöglich! . . . Eine Schnapsflasche im Wappen? – Sie haben merkwürdige Phantasien!«

»Warum? Friedrich Wilhelm IV. hätte sich den Scherz unbedingt gemacht und Bomulunder noch zum Ueberfluß, wie einem edeln Pferde, einen Stammbaum verliehen: v. d. Destillateur a. d. Destille . . . Möchten Sie so 'nen Schwager haben?«

Darauf wird Serner regelmäßig kühl: »Schwager? . . . Ich verstehe Sie nicht.« Er ist also noch immer mißtrauisch und trägt sein Glück wohlverwahrt im Herzensschrein.

Heute habe ich ihn bereits wieder so weit. Da – horch, horch – Schritte!

301 »Um Gottes willen, Carén, sie kommen hier herein!«

Ich boxe Karlchen, der weiterfliehen will, in seinen niedrigen Fauteuil zurück. Durch den Ritz der Portiere sehe ich zwei Schatten ins Nebenzimmer wallen. Es ist ein sehr schmaler Raum mit hellgrünen Bambusmöbeln, diskret, lauschig. Nichts köstlicher als solch japanische Maskerade mit Palmenwedeln und schlitzäugigen Goldstickereien, wenn man ein kleines Mädchen ungestört fünf Minuten küssen und lieben will! Draußen sprüht warmer Sommerregen an die Fenster – drinnen ist es schwül, abgestandene Verandaluft; ein ganz leiser Duft von neuem Lack schwebt durchs Zimmer.

»Wollen wir hier bleiben, Herr Bomulunder?« Zwei Stühle knarren leise. – Heiße Stille. –

Serner, der sein Geschick kommen sieht, will wieder aufbrechen. Als anständiger Mensch haßt er jede Indiskretion – ich nicht. Ein durch die Zähne geknirschtes: »Donnerwetter, bleiben Sie sitzen!« hält ihn. Ich horche. Der Portierenschlitz gönnt mir gerade noch eine Fußspitze von der Kornblumenfee – sie sitzt mit übergeschlagenen Beinen. Graziös ist sie, das weiß der Teufel!

Jetzt kommt's. »Verzeihen gnädiges Fräulein, sind wir auch ganz allein?«

»Soweit ich weiß, ja.«

»Mir war's, als wenn ich Herrenhüte im Entree gesehen hätte . . .«

»Das ist wohl möglich, Herr Bomulunder – die beiden Grafen waren noch vor zwei Minuten im Salon; dann waren sie auf einmal weg, als wenn sie die Erde verschlungen hätte . . . Wahrscheinlich sind sie mit meinen Eltern im Rauchzimmer . . .«

»Ah, die beiden Grafen!« Er spricht heiser. Es ist also so weit. »Könnten wir nicht nach Ihrem 302 Zimmer gehen, gnädiges Fräulein?« Natürlich schielt er dabei gierig nach dem Portierenschlitz.

»Warum?«

»Ich würde es als besondere Gunst betrachten, gnädiges Fräulein . . .«

Daraus Ethel kühl: »Nein.«

»Wie gnädiges Fräulein befehlen. Gnädiges Fräulein sehen etwas blasser aus als sonst . . .«

»Finden Sie?«

»Gnädiges Fräulein befinden sich doch wohl?«

»Warum nicht, Herr Bomulunder?!«

»Es kam mir im Moment so vor . . . Gnädiges Fräulein haben heute wieder die entzückende Haarfrisur . . .« (Der Serner wird unruhig, und ich muß ihn von neuem in seinen Fauteuil zurückknuffen.)

»Gefällt sie Ihnen?«

»Welche Frage, gnädiges Fräulein!« Der Bengel schnüffelt selbstverständlich nach dem Duft dieses Goldhaars. »Ich habe nämlich eine kleine Schwäche für den Schönheitsfleck – gnädiges Fräulein verzeihen –, für diesen entzückenden Fleck an dem entzückenden Ohr . . .«

»Sprechen wir doch lieber von etwas anderm, Herr Bomulunder.« Sehr liebenswürdig gesagt. Das Herz pocht nicht.

»Gnädiges Fräulein sind grausam.«

»Sie können sich doch nicht über mich beklagen, Herr Bomulunder?«

»Niemand ist davon entfernter als ich! . . . Ich bin sogar glücklich über die Art und Weise, wie gnädiges Fräulein in den letzten vierzehn Tagen . . . Gnädiges Fräulein waren nicht immer so . . .« Er druckst. Vorsicht und Sinnlichkeit kämpfen. Ich sehe auch den Fuß von der Blonden nicht mehr; wahrscheinlich hat sie ihn unter die Kleider versteckt, 303 weil Bomulunder ihn zu schamlos beäugt. Aber übelnehmen ist nicht.

»Bin ich wirklich jemals anders gegen Sie gewesen, Herr Bomulunder? Denken Sie, ich wußte das gar nicht . . .« So weit ist diese seit drei Tagen achtzehnjährige Komödiantin!

»Gnädiges Fräulein . . .« O, diese bange Pause! – Ich höre durch die Portiere das schwere, kurze Atmen des Verliebten. Er kriecht eilig aus dem Schneckenhaus seiner Vorsicht, die feinen Fühler müssen der blonden Ethel schon recht nahe sein. – Der Schnapsbaron hat sich völlig vergessen, vergessen das kaufmännische Mißtrauen, die Dandykühle, ja selbst den wohleinstudierten Antrag – statt dessen das Lampenfieber, das selbst die größten Schauspieler in ihren Lehrjahren überkommt und sie feige flehend nach dem Souffleurkasten starren läßt. Wenn ich nur Bomulunders mißvergnügte Nase in dem Augenblick sehen dürfte! . . . Aber niemand sieht sie – nicht mal der goldblonde Souffleur, der mit einer einzigen Handbewegung den wundervollsten Komödienschluß herbeiführen könnte. Ich aber sehe den Souffleur durch den schmalen Portierenschlitz, der, von irgend einer Schicksalstücke bewegt, sich weitet; ich sehe die blonde Ethel auf dem grünlackierten Bambusstuhl mit seinen schimmernden Nickelknöpfen an den Seitenlehnen, die zwischen den weißen Händen förmlich hervorquellen, so krampfhaft haben die das Rohr umspannt. Die Kleine hat den Kopf niedergebeugt auf den Schoß, und aus dem blasser und blasser werdenden Gesicht scheint das Blut den weichen, vollen Hals hinunter zu rinnen. Sie will nicht aufsehen!

Glücklicher Bomulunder!

»Fräulein Ethel! . . .« Die Liebe schnürt ihm die Kehle. Aus Ethels Gesicht beginnt das Blut rascher 304 zu fließen . . . »Ethel! . . .« Er vermag sich nicht mehr zu beherrschen, er muß dicht neben ihr sein, sie muß seinen Atem auf der Schulter fühlen. Spielt sie für sich oder für ihn die Komödie der Unbeweglichkeit? . . .

Jetzt hebt sie die Augen – das Gesicht ist blutlos – die harten, leeren Augen der Mutter. Sie sieht gerade durch den Schlitz, mir fast ins Gesicht – und sieht mich nicht! . . . Sie ist doch eine herzlose Canaille . . . Und jetzt erblicke ich den Schatten einer Männerhand, ein roter Reflex gleißt. Ethel rührt sich nicht, nur die Lippen kommen in Bewegung, ein Automat spricht: »Es regnet . . . es ist auch die höchste Zeit . . .« Die Männerhand greift herüber, hastig zitternd, ich sehe den Rubin . . . die Hand greift zu . . .

Unwillkürlich hält auch Serner, der nicht sehen kann, den Atem an; selbst diese stumpfen Nüstern wittern die Entscheidung.

Die Blonde hat sich doch überschätzt.

Die Männerhand hat sie elektrisiert. In dem Moment der Berührung ist sie aufgesprungen, hat die Hand abgeschüttelt mit einem dumpfen Laut. Das Gesicht ist plötzlich blutrot, die Augen glühen. Sie hat doch Rasse! . . . Sie verabscheut, sie haßt den andern. Und der toll gewordene Destillateur begreift das nicht, »Ethel . . . angebetete Ethel . . . Ihnen . . . dir . . . ich habe nach dem Augenblick gelechzt . . .« das würgt sich nur so heraus, stoßweise, ohne Klang.

Ethel ist hinter den Stuhl geflüchtet, er will ihr nach, eine Etagere stürzt. Er ist wohl rasend vor Liebe.

Serner möchte auf, ins Nebenzimmer, den häßlichen Kampf endigen – der Instinkt des anständigen Menschen. Und ich stoße ihn mit einem Fluch 305 zurück. Er soll sich nicht in Le Fortsche Familienangelegenheiten mischen! Keinem Mädchen passiert etwas, wenn es nicht will – und ich bin kein Gefühlsnarr. Nein, heut bin ich's wirklich nicht! Wozu auch die Komödie unterbrechen, gerade jetzt, wo die beiden eben wieder die Sprache gefunden haben? Es scheint eine Pause in der wilden Jagd eingetreten zu sein – das Aeußerste wagt der Schnapsbaron denn doch nicht. Sie müssen sich hart gegenüberstehen, der schwere Atem mischt sich.

»Was wollen Sie eigentlich von mir . . . Sie . . . Sie . . .«

»Gnädiges Fräulein, konnte ich denn ahnen . . .« Es ist genau so, als wenn sich ein schrecklich durchnäßter Pudel schüttelt. Jetzt könnte eigentlich Bomulunder seinen Hut aufsetzen wie ein Präsident, der eine tumultuarische Sitzung aufhebt. – Die Spitzbübin darf mit ihrem Debüt zufrieden sein. Scheint aber nicht der Fall. Aus schönen Augen beginnt's zu tröpfeln: erst sänftiglich – sie schluckt tapfer (dazu kann ich nur verächtlich lächeln. Frauenthränen hatten nie Macht über mich) – und plötzlich gießt's. Sie gluckst wahrhaftig wie die Duse als Magda! Serner äugt mich ratlos an. Wie lange muß die Arme an dem Thränenstrom gespart haben! (Das frühreife Karlchen zerfließt unter ihm mit.) Rührend!

Und neben mir scheint der Schnapsbaron ähnlichen Regungen zu unterliegen.

Ethel bekommt die Sprache wieder. »Ja, ja, Sie können ja auch nichts dafür! . . . Aber geben Sie sich, bitte, keine Mühe, Herr Bomulunder, mich zu trösten . . . ich will gar nicht getröstet sein!«

»Gnädiges Fräulein, niemand ist die Scene peinlicher als mir.« Wenn ich nur die mißvergnügte Nase jetzt sehen könnte!

306 »Aber Sie hätten es doch merken können! (Intermittierende Wasserfluten) . . . Ich konnte Sie ja nie ausstehen! . . . Warum haben Sie nur meiner Mutter geglaubt? . . . Wen ein Mädchen so behandelt hat, dem kann sie doch nicht . . . In der Nacht habe ich immer in mein Taschentuch geweint, weil es Asta nicht hören sollte . . . Ach, ich bin so unglücklich!« – Und nun eine ganze lange, winselnde Beichte für diesen vorsichtigen Esel, den sie so vortrefflich an der Nase herumgeführt hat. Selbst der große Unbekannte taucht aus der Versenkung. »Ich wäre ja nie auf den Gedanken gekommen . . . Jemand hat mir gesagt, dies sei das einzige Mittel . . . Jemand . . .« Der Schluß wird von Thränen davongewirbelt.

Dieser Jemand ist fraglos ein Scheusal, das lese ich in Serners Augen. Wenn die Blonde den Jemand verrät, wozu sie große Neigung zu haben scheint, stürzen beide Schwiegersöhne auf mich mit Gebrüll. Doch der Jemand wird nicht verraten – bei Gemeinheiten hat Louis Carén immer seinen Dusel. – Es ist doch wahrhaftig wie eine Scene aus dem Hundecirkus. Wenn ich irgend eine Narrenmütze zur Hand hätte, ich stülpte sie dem frühreifen Karlchen aufs Haupt und ließe ihn als dummen August ins Nebenzimmer springen, damit das Gewinsel endlich aufhört.

Und es hört auf! Bomulunder scheint in Romanen gelesen zu haben, daß thränenüberströmten Weibern der nächste beste auch der gefährlichste sei . . .

. . . »Was fällt Ihnen ein? . . Lassen Sie mich! . . . Haben Sie denn noch nicht begriffen? . . .«

Die Portiere schwankt – eine weiße Hand – ein rotgeweintes Gesicht – die dazu gehörige Gestalt stürzt nach . . . »O Gott, o Gott!« –

Serner ist ganz aufgesprungen, ich halb. Die Gestalt schwankt auf mich zu, hastig, ohne Besinnen 307 – mir direkt in die Arme. »Retten Sie mich. retten Sie mich vor dem Schnapsbaron!«

Danach Totenstille. Auf der Schwelle steht Bomulunder, von der Portiere umwallt – im Zimmer glotzt Serner sprachlos.

Der Vorhang fällt langsam.

Den »Schnapsbaron« vergiebt er ihr nie – mir den »Jemand« nie. – Das arme Ding hat sicher von diesem Wort keine Ahnung gehabt, das ihr unverantwortliche Angst eingab. Es klang reizend, komisch mit dem Ausländeraccent: Schnapsbaron!

Und ich fürchte die dreiundzwanzigsten Husaren nicht!

*

Fünf Minuten später schieben in starken Sektionsabständen ein Schnapsbaron und ein Graf die Händelstraße entlang. Der warme, eindringliche Regen muß wohl Bomulunders neuem Cylinder sehr wohl thun, denn sonst schwenkte der vorsichtige Mann doch nicht den krampfhaft geschlossenen Schirm in der Hand. Karlchen trabt aus Taktgefühl nach; solche Scenen sind ihm fürchterlich. Ob ihr euch in diesem Leben noch jemals erreicht, ihr Le Fortschen Schwiegersöhne?

Ich bleibe gezwungenermaßen. Ethel hat mich um meinen einst standesherrlichen Schutz angefleht. Armes Ding! Nun verstehe ich, was du mit der unfreiwilligen Sommerfrische meintest . . . Ich schlage ihr das einzig Vernünftige vor: sofort der Schwester Asta alles zu beichten und der und dem Himmel die Besänftigung der Gnädigen zu überlassen. Ja, ich selbst will die Verhandlung führen, so wenig gern ich auch meine Beziehungen zu dieser Tochter vertiefen möchte.

Aber die Blonde wehrt sich verzweifelt. »Nein, nein, nein! . . . Dann lieber direkt meiner Mutter. Asta ist auch nicht glücklich, Asta kämpft auch – 308 und sie sagt mir doch nie etwas! . . . So lieb ich sie habe, da hört es auf. Wer mir nichts giebt, dem gebe ich auch nichts . . .«

Soll ich zu der Alten gehen? – Wieder die verdammte Feigheit! Bei der bestehe ich natürlich wie der dumme Junge von Meißen. Die Gefühlslogik verschmäht sie kaltlächelnd, wünscht den Kern, das heißt mich selbst zum Schuldigen zu stempeln. Gleichviel, ich werde es sofort thun.

Leicht gesagt, schwer gethan.

Schon im Eßzimmer muß ich stoppen, weil ich nebenan die rollenden Rs des Doppeldoktors höre.

»Ihr Herr Gemahl hat vollkommen recht, gnädige Frau: bei jedem Riesengeschäft handelt es sich nicht darum, wieviel die Sache wirklich wert ist, sondern wie hoch sie vom Publikum taxiert wird. – Wenn Le Fort sein Taschentuch auf den Markt wirft und dabei sagt: ›Das ist 6000 Mille wert – ich mache eine Aktiengesellschaft daraus. Wieviel zeichnen Sie . . . Sie . . . Sie?‹ – ich versichere Sie, gnädige Frau, es wird zehnfach überzeichnet, weil es das Le Fortsche Taschentuch ist und darum zweifellos ein ›Esel streck dich!‹ sein muß.«

Ich merke, wie Madame durch ruhige Glätte, gedämpften Ton diesen Bramarbas erziehen will. »Sie phantasieren etwas laut, Herr Doktor! . . . Von dem Geschäft verstehe ich nichts; mir macht nur Bedenken, daß es gewöhnlicher Kohlenstaub nicht thut, sondern daß er erst kostspielig präpariert werden muß. Hat sich das Marineministerium nach den letzten Versuchen schon definitiv geäußert?«

»Nein, die Kerls warten immer unvorschriftsmäßig lange.«

»Sehen Sie, Herr Doktor! Man überschätzt die Ausbeutung von Patenten leicht. Technische Schwierigkeiten . . . das natürliche Mißtrauen des 309 Großkapitals gegenüber offenbaren Umwälzungen. Denken Sie daran, wie schlimm die Accumulatorengeschichte verkrachte. – Das nahm sich so selbstverständlich aus: jeden Morgen die Elektricität vors Haus gefahren, wie die Milch von Bolle . . . Wundervolle Idee! Nur schade, daß ein Fundamentalfehler vorlag: die Sache ging eben nicht. Freilich war der Gründer ein alter Zuchthäusler, dem selbst große Banken rückhaltlos vertrauten . . . Ihnen haben seine Diners auch sehr gut geschmeckt, Herr Doktor?«

»Vorzüglich, gnädige Frau!«

»Und die Nutzanwendung daraus?«

»Drücken Sie den Kurs Ihrer eignen Aktien nicht, gnädige Frau. Eine Sache, in die der vorsichtige Bomulunder mit solchen Milles hineinspringt, ist eine Primasache . . . Er ist ganz plattgeschlagen, nicht wahr?«

Darauf die Gnädige sehr kühl: »Gewöhnen Sie sich, bitte, diese Ausdrücke ab, Herr Doktor! – Mein Mann hätte die Sache am liebsten allein gemacht, wenn er nicht gerade jetzt zu stark in Diamanten an der Londoner Börse engagiert wäre. Wir haben auf Herrn Bomulunder auch nicht den Schatten eines Zwanges ausgeübt, er überzeugte sich selbst von der wahrscheinlichen Prosperität. Wozu also Ihre Redensarten? Im übrigen haben Sie neulich schon in wenig taktvoller Weise den Grafen Carén für das Unternehmen zu erwärmen gesucht. Ob Sie nun mein Mann dazu autorisiert hat oder nicht – ich wünsche es nicht! Graf Carén hat mit der Geschichte nichts zu thun; überdies verreist er gerade jetzt auf unbestimmte Zeit nach Mähren. Wer weiß, ob wir ihn je wiedersehen.«

Der Doktor erwidert ungerührt: »Sie sind mal wieder sehr ungerecht gegen Ihre ergebensten Diener, gnädige Frau!«

310 »Wollen wir uns Komödie vorspielen? . . . Adieu, Herr Doktor.«

»Servus, gnädige Frau.«

Madame scheint in einer Stimmung, die für Unterhändler nicht aussichtsvoll ist. Aber sprechen wir mit Hauffs Mann aus dem Monde: ›Was würden seine tapferen Ulanen gesagt haben, wenn sich der Graf zurückgezogen hätte!‹

Ich erwische die Gnädige gerade in dem Moment, wo sie auf die Schwelle des Eßzimmers tritt. »Ah, Sie sind noch da, Graf Carén? Heute mal ausnahmsweise nicht mit polnischem Abschied davongeflogen . . .«

»Nein, gnädige Frau, ich möchte Sie sogar in einer besonderen Angelegenheit sprechen.«

Die Gnädige lächelt gezwungen, tritt in den Salon zurück, ladet mich aber nicht zum Sitzen ein. »Ahne, Graf Carén! Sie wollen morgen oder übermorgen abreisen?«

»Das allerdings auch,« gebe ich der Wahrheit gemäß zurück. »Augenblicklich handelt es sich um etwas andres.«

Dieses Andre wünscht Madame merkwürdigerweise nicht zu wissen. Sie winkt graziös ab. »Nein, nein, erst Ihre Abreise! Sie reisen also wirklich? Ich wußte es ganz genau! Auf der einen Seite thut es mir sehr leid, andrerseits freut es mich. Zeichen wiedererwachender Energie!«

Ich verbeuge mich gemessen.

Sie nickt freundlich. »Ja, die Wahrheit ist immer etwas bitter, Graf Carén, das hilft nichts! . . . Treten Sie ganz aus Ihrer Carriere aus?«

»Nein, ich will nur Zeit gewinnen.«

»Das ist recht. – Ach, ich beneide Sie um diesen Landaufenthalt, Berlin ist schrecklich. Aber ich kann nicht weg! . . . Sie haben vielleicht die 311 Verhandlungen mit dem sogenannten Doppeldoktor vom Nebenzimmer aus gehört. Sie sehen, mit welchen Leuten man es zu thun hat. Ist die Sache im Gang, fliegt der gute Mann natürlich.« Das kommt alles so glatt, selbstverständlich heraus. Was sie sagt, hat, wie immer, Hand und Fuß, ist schärfste Geistesgegenwart – dennoch verfolgt mich die lächerliche Vorstellung, sie habe sich alles vorher aufgeschrieben und lese nur von dem Konzept ab.

Noch verschiedene Phrasen. »Welches ist Ihre Bahnstation? . . . Wie weit ist es bis Wien? Werden Sie es lange aushalten, wenn die Kaiserstadt in drei Stunden zu erreichen ist?«

Darauf wieder Phrasen, Lügen – diesmal meinerseits.

Ihr fällt der Abschied leichter als mir, sie hat sich früher so sehr für mein Bleiben interessiert – mehr als schicklich und mir angenehm! Jetzt ist der Abschied fait accompli, und wir erledigen ihn kühl und stehend. So ist Frauenzimmermanier.

Und jetzt macht es mir ordentlich Freude, der Gnädigen noch zu guter Letzt eine große Unannehmlichkeit mitteilen zu können. Bei dem ersten Wort wird sie merklich blässer, die leeren Augen flackern unsicher. »Wollen wir nicht lieber Platz nehmen, Herr Graf?« Jetzt auf einmal hat sie den Fauteuil nötig. »Bitte, erzählen Sie genau!«

Ich leiere die Geschichte herunter, schone mich nicht.

Sie sieht immer an mir vorüber. Zuweilen ein kurzer Einwurf! »Sie trafen sich bei Josty? Ethel hatte Sie natürlich bestellt . . . Sehr selbständiges Mädchen, das muß man ihr lassen!«

»Suchen Sie nicht mehr dahinter, als dahinter ist, gnädige Frau!«

»Das ist ja kaum möglich . . . Und der Schluß spielte sich vor fünf Minuten ab?«

312 »Sagen wir, vor einer Viertelstunde.«

»O, an der peinlichen Zeitberechnung liegt mir nichts, Herr Graf . . . Bomulunder ist schon lange weg?«

»Es blieb ihm kaum etwas andres übrig, gnädige Frau . . .« Ich schließe als geistvoller Staatsmann und Kavalier sans phrase: »Wenn jemand schuldig ist, so bin ich es.«

»Es scheint so.« – Dann denkt sie zwei Minuten nach. Leicht wird der Scherz ihrer Mütterlichkeit kaum, das sieht man dem lang gewordenen Gesicht an. Aber sie vermag doch endlich nervös aufzulachen. »Ein guter Dienst war es freilich nicht, Herr Graf . . . aber darum keine Feindschaft nicht! – Das Ganze kommt mir sehr unerwartet. Daraus können Sie sehen, wie thöricht die Annahme wäre, daß ich die Angelegenheit poussiert hätte. Denn den will ich noch sehen, der mir sonst ein X fürs U macht – selbst meine kluge Tochter nicht!«

Das ist mir eben das Unbegreifliche an der Geschichte. Was kann die Gnädige in den letzten vierzehn Tagen so intensiv beschäftigt haben, daß sie blind war einer Komödie gegenüber, die selbst ich witterte? Es würde mich interessieren, aber sie verzichtet auf die Erklärung.

Trotz der Riesenenttäuschung, die auch die leicht zitternden Hände verraten, bleibt sie objektiv. »Machen wir einen dicken Strich durch die Angelegenheit, Graf Carén! Schuldig sind Sie und ich . . . Ich habe versucht, aus Freundschaft mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen, Sie mischen sich aus Freundschaft in meine. Wir lassen wohl in Zukunft beide die Hände davon . . . Was mir dabei so unangenehm ist, konnten Sie ja nicht ahnen: Bomulunder ist gestern abend mit sehr großem Kapital in das Patentunternehmen eingetreten – sagen Sie auch meinetwegen, er ist eingefangen worden. Wenn Sie 313 vorhin dem sogenannten Doppeldoktor genau zugehört haben, werden Sie dies ›Eingefangen‹ wohl auch mit herausgehört haben. Blague natürlich! . . . Und vielleicht wird Herr Bomulunder nachträglich selbst eine undelikate Beeinflussung mutmaßen. Peinlich bleibt, wie Sie sehen, die Sache unter allen Umständen. Obgleich mein Mann selbstverständlich dem Herrn sofort den Rücktritt in jeder Hinsicht freistellen wird, fürchte ich doch, daß Herr Bomulunder gerade dies besondere Taktgefühl besitzt, das Sie ihm indirekt absprechen, Herr Graf, – und nichts von Retraite wissen will.«

»Gnädige Frau, ich kann eben nur bedauern . . .«

»Ja, das können Sie in der That, Herr Graf . . . Man meint es leider manchmal besser mit Ihnen, als Sie's eigentlich verdienen.«

Darauf werde ich noch zum Frühstück eingeladen – Henkersmahlzeit, wie Madame lächelnd erklärt. Das improvisierte Festmahl ist excellent wie gewöhnlich. Wir sind zu dreien. Die Töchter haben es vorgezogen, für sich allein die Abschiedsthräne zu weinen: Ethel im Boudoir, Asta im Tattersall am Brandenburger Thor. Das Nilpferd schwelgt, wir beide würgen. Der Appetit war nie meine starke Seite, und die Gnädige faselt von nervösem Magenschmerz . . . Ist eigentlich bei diesem Frühstück etwas gesprochen worden? – Ich habe nur noch das Knacken im Ohr, wenn Le Fort die Hummerscheren brach. Was hätten wir auch sprechen sollen?

Die verheulte Blonde küßte mich fast zum Abschied, bei dem uns die Gnädige diskret allein ließ.

»Amüsieren Sie sich gut, Herr Graf! Und wenn Sie ein Viertelstündchen Zeit finden sollten zu einem Brief . . .«

»Aber das ist ja selbstverständlich, gnädige Frau!« Ich denke nicht im Traum daran.

314 Der Gruß an Asta lief so nebenher – vielleicht auch nicht. Die ganze Bekanntschaft mit der Familie war eine Badebekanntschaft, die gegenseitig zu nichts verpflichtet, der Abschied – ein Adieu sans adieu. Dabei sind in dem großen Berlin, das von Bekannten wimmelt, Le Forts die einzigen, von denen ich mich überhaupt verabschiede. – Und ich bildete mir früher immer ein, ich könnte ohne Menschen nicht existieren.

Der Anblick der Grünäugigen wurde mir noch in zwölfter Stunde beschert. Das Geschick begnadet mich doch über alles Verdienst. Es war ganz unten in der Potsdamerstraße, als ich auf Umwegen heimwärts nach meinem Stall zog. Sie ging auf der rechten, ich auf der linken Seite, genau, wie der jüngste Tag die weißen und schwarzen Schafe auch sondern wird. Wir sahen uns – und wir sahen uns nicht. Sie blieb vor einem Blumenladen stehen, der so ziemlich ausverkauft war, und freute sich an welkenden Rosen. Die Freude dauerte genau so lange, bis ich vorüber war. Wir thaten uns, glaube ich, damit beide einen Gefallen, denn wir haben uns nichts zu sagen. – Neben mir bummelten ein paar Lieutenants. Die spürten sofort das edle Wild und sahen ihr nach, als sie rasch, ja erleichtert weiterging. Ich schielte mit zurück, flüchtig, mechanisch; der Mensch stammt ja nicht umsonst vom Affen ab. Die Lieutenants aller Waffen haben dieselben Instinkte – und sie hat wirklich eine wundervolle Figur. 315

 


 


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