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Graf Carén.«
»Bomulunder.«
Die drei Monate, die ich in Berlin bin, ist es mindestens das sechste Mal, daß diese gegenseitige Vorstellung stattfindet – ein ganz leichtes Kopfnicken von mir, eine ganz steife Verbeugung von ihm. Und wenn wir uns auch tausendmal noch träfen, die Farce würde immer dieselbe bleiben. Es ist lächerlich, aber markant, und die Kohlenstaubbrenner stoßen sich hüstelnd an, sobald ich wieder in ihrem Kreis erscheine. Was kann ich dafür, daß mich der Schnapsbaron nicht zu kennen wünscht!
Heute feiern sie ein Fest in ihrem Fünfzehn-Pfennig-Bierausschank. Der erste Patentverkauf ins Ausland!
»Hunderttausend . . . zweihunderttausend . . . dreihunderttausend,« – der Doppeldoktor, der mich hierher verschleppt hat, hält gerade eine Rede. Die Zahlen schwanken dabei auf merkwürdige Weise. Ob's Berechnung oder Illusion – wer kann das diesem Filou ansehen? Bei jeder Zahl murmeln beifällige Stimmen, glänzen gierige Augen. Ein goldener Apfel scheint thatsächlich unter diese 234 Spekulantengesellschaft gefallen zu sein – ob klein, groß, echt, plattiert – das wissen die Götter.
Es ist zwei Uhr nachmittags. Draußen gießt's. Ein wütender Landregen klatscht auf den Asphalt, und der gequetschte Pfiff der Fernzüge winselt durch die regenschwere Luft. Drinnen ist's schwül – die verdorbene Luft, das ungesunde Halbdunkel der großen Berliner Bierlokale drücken den riesigen Raum. Um unsre Nische herum das Tellerklirren des bürgerlichen Mittagtisches; abgearbeitete Comptoirgesichter, die neugierig zu uns herüberstarren, minderwertige Studenten mit Schmissen, denen der Monatswechsel gerade bis zum fünften gelangt hat. Eßmarken klappern, Messer werden rechts und links durch den Mund gezogen wie gänzlich unparierte Quarten. Der Bierpalast stickt in dem Eßdunst. Daß sich die Kohlenstaubbrenner auch gerade diesen Festplatz wählten! Um den Eichentisch sitzen wir geschachtelt. Die gescheuerte Holzplatte stöhnt unter den Pommeryflaschen, den Kaviarbergen, den Importenkisten. Weil's auf gemeinsame Kosten geht, greift jeder nach den teuersten, um nur ja nicht zu kurz zu kommen.
»Herr Baron . . . Herr Lieutenant . . . Herr Legationsrat . . . Herr Rittmeister!« Die Kellner sind ganz Devotion. Die Antwort veraltetes Gardegenäsel, trunkenes Gekrächz, wieherndes Gebrüll! Die Herren sind eben sehr unter sich. Ich bin selbstverständlich nicht von den Festgenossen, so dringend man mich auch einlud. Fünfzehn-Pfennig-Bier und eine Sechs-Pfennig-Zigarre, voilà – ich würde in dieser Gesellschaft keinen Sekt trinken, nicht um eine Million. Wünschen sie die Schranken noch schärfer markiert, die mich auf ewig von ihnen trennen? Man sage mir, was man wolle, diese Gesellschaft ist schlecht, trotz Namen und Stand, und ich suche sie von Zeit zu Zeit nur auf, um mich in noch 235 schlechterer als meiner eignen zu befinden. Ich scheine übrigens diese Ansicht nicht allein zu haben. Der Schnapsbaron, der nach mir kam, trinkt Bier auf eigne Rechnung – die direkt unhöfliche Handbewegung, mit der er den Festtrunk ablehnte, giebt zu denken; und Jaromir, den ich seit Monaten zum erstenmal wiedersehe, antwortet sogar feindselig: »Ich trinke überhaupt keinen Sekt mehr.« Die andern Leute riechen mal wieder Geld, und das macht sie toll.
Wir sitzen in einer Rauchwoge, aus der nur die Zigarren glühen, die Augen trunken-feucht glänzen. »Mille . . . Mille . . .« Die Goldwellen überfluten nur so den klebrigen Tisch mit seinen halbgeleerten Kelchen, seinen aufgestemmten Armen, seinen übervollen Aschbechern. Dieser Dunst von Wein, Liqueur und schwarzem Kaffee ist so ekel, viel mehr Destille als Kasino, obgleich hier selbst der schwerst niedergebrochene Fähnrich, der zweifelhafteste Adel hervorgeholt werden. Und zuletzt genügen auch die Goldwellen nicht mehr. »Millionen . . . Millionen,« das rollt heran wie schwere Sturzseen.
»Aber diese dreimalhunderttausend sind doch ein ganz netter Anfangsimbiß . . . Belgien zahlt's allein . . . Ich bitte Sie, wenn ein so kleines Land mit solchen Summen draufgeht, während doch die Fabriken bei uns noch gar nicht fertig sind!«
»Viel zu wenig, viel zu wenig! Sie werden sehen, meine Herren, wie das noch kommt. Rußland bietet schon heut drei Millionen – aber nicht in die kalte la main – unter fünf wird jetzt nichts mehr gewinselt! . . . Uebrigens das ganz unter uns, meine Herren, wir sind Ehrenmänner, Diskretion selbstverständlich.« Dabei rollt der Doppelte nur so seine altmärkischen Rs, daß das ganze Lokal vom Glück der Kohlenstaubbrenner Notiz nehmen muß. »Und wenn nun erst England kommt . . .«
236 Ich vermag diesen Phantasien nicht mehr zu folgen. Das ist der Wahnsinn der Uebertreibung, der harmlos erscheinen könnte, weil er so durchsichtig ist. Harmlos ist er aber keineswegs. Diese Uebertreibung gehört zum Geschäft, zum Kundenfang, und wenn man sich dabei in so gemütlichen Bramarbasiaden bewegt, so ist's vielleicht für einen Gimpel berechnet, der, mir unbekannt, unter uns weilt, oder für einen ganz schweren Weißbierphilister, der atemlos hinter der Friesdecke horcht, oder für den Herbergsvater selbst, der mit bewunderndem Kopfschütteln von ferne steht – oder gar für mich, dessen erhoffte Millionen sich doch eines Tages verwirklichen könnten . . .
Vielleicht würde ich diese Millionen auch geben – nicht aus Gewinnsucht oder Leichtsinn, sondern aus dem Edelmannsgefühle heraus, daß ich diesen Le Forts etwas schuldig bin und nicht zusehen darf, wie sie verkommen . . . Aber ach! wo sind die Millionen? Die berühmte innere Stimme sagt mir sogar: »Es wäre gut, Louis, du bekämst sie nie!« Und als die Kohlenstaubbrenner endlich der Aufschneiderei müde sind, der Bomulunder nur mit einem verächtlichen Lächeln folgte, als der Zigarrenrauch diskreter wallt, da sehe ich mir die Leute noch einmal scharf an. Was sind sie überhaupt bei der ganzen Spekulation? Treibende oder Getriebene?
Ich brauche dazu den Mentor Leßmann nicht mehr. Dieser wirkliche Legationsrat – klein, jung, fahl – ein Jongleur in Miene und Bewegung, der immer das häßliche Wort von dem Neide der besitzlosen Klassen im Munde führt und doch in der ewigen Angst lebt, vom Auswärtigen Amt ohne Pension geschaßt zu werden – ist weiter nichts als ein Spekulant gewöhnlichster Sorte, einer von den rettungslos Verlorenen, die die Krankheit des 237 Reichwerdenwollens mit dem Moment erfaßt, wo sie Berliner Luft atmen – diese unersättliche Gier, der sie erst das eigne Vermögen opferten, und die alles andre in den Abgrund nachzieht: die Ehre, die Moral, zuletzt den ganzen Mann. Und wenn schon der Kopf im Sumpf versunken ist, werden sie noch flehend die Arme emporrecken nach dem Moloch des Reichtums, den sie nicht mal mehr sehen können. Der Mann soll übrigens unverbesserlicher Morphinist sein. Gehen wir also über ihn hinweg! Neben ihm sitzt ein Neuer: »Fritzchen mit der Zuckerbüchse«, selbstverständlich auch Edelmann, kassierter Fähnrich mit Glotzaugen und einem verwüsteten Gesicht, dessen harmlos klingender Spitzname eine sehr dunkle Geschichte hat. Der Brave kommt direkt aus London, wo er der Mär nach die Macht der Hypnose im Dienste der Kohlenstaubverbrennung gebraucht haben soll. Was mag das für eine Hypnose sein? Vielleicht die Hypnose der Gemeinheit überhaupt oder des völlig entarteten Blutes, denn er stammt auch aus einer, seiner Ansicht nach, uralten Familie. Lassen wir ihn darum passieren! Ich will sie alle passieren lassen, selbst den früheren Königlich belgischen Küchenchef – ein hübsches, weibisches Gesicht –, der mit rollenden Augen erzählt, wie er einstmals zweihundert Köche kommandiert habe, immer den Revolver in der Faust, und den der gutmütige Doppeldoktor gerade jetzt als chef de cuisine einer fliegenden Wurstküche in der Hasenheide sehen möchte. Auch den kurzgeschorenen Ingenieur, der überlegen von seinen russischen Erlebnissen spricht, und der seiner konfiscierten Visage nach diese Erlebnisse in den Kupferbergwerken von Sachalin erlebt haben könnte. Den langen Laban mit dem schönen, dummen Gesichte, der in seiner australischen Sommerfrische jahrelang Schafe hütete, den eine 238 unerwartete Erbschaft zurückrief, und der eine Equipage besitzt oder auch keine, je nachdem sie ihm sein Freund, der Hoftraiteur, pfänden läßt oder nicht, während der Herr Baron im Restaurant mit seiner Pariser Freundin tafelt und draußen die funkelnden Carrossiers mit den Kinnketten klirren, das Siegel des Gerichtsvollziehers am Kummetgeschirr. Dieser Tisch in der Nische ist groß, seine chronique scandaleuse jedenfalls größer. Und vielleicht können alle diese Leute nichts dafür, die Klugen und die Dummen, die Treiber und Getriebenen, Berlin und sein Gift sind vielleicht weit schuldiger als sie. Es sind ja auch tadellose Leute unter uns – Amaranth, die Blume der Unschuld, der alte Oberst, ein paar junge Offiziere in Zivil, die ihr Geld zu dem großen Coup um so bereitwilliger gaben, als sie von der Kohlenstaubverbrennung absolut nichts verstanden. Aber ich vermisse doch die eigentlichen Kapitalisten, die ruhigen Leute mit dem Verständnis des Ingenieurs oder dem sicheren Blick des gewiegten Geldmannes, auf die dieser glückverheißende Patentverkauf wie ein festlicher Böllerschuß gewirkt haben müßte. Wo sind sie? . . . Wenn diese ganze Aktiengesellschaft kein Schwindel ist, und wenn nicht die meisten Aktionäre fehlen – so muß ich über die horrende Summe von Unverstand, Leichtsinn, falscher Vorspiegelung staunen, die solche Aktionäre zu einer Gesellschaft zusammenflickte.
Und da trifft mein Blick zufällig auf Bomulunder, den Hauptaktionär, – der einzige, dessen kühler Geschäftsverstand die Lage durchschaut. Jetzt verstehe ich, warum er die Gesellschaft mit den andern zurückweist, und warum seine Augen so eisig glänzten. An dem Patent ist etwas dran – an der Gesellschaft nichts.
Ich sehe den Krach, der kommen muß, auf den 239 der Schnapsbaron ruhig wartet – und wenn ich in seinem Gesichte recht lese, so ist das schmähliche Ende sehr nahe, trotz des verkauften Patentes. Wenn ich die Millionen meiner Tante doch hier hätte! Dann würde ich sagen: »Verzeihen Sie, Herr Bomulunder, welche Summe hatte doch Herr Le Fort gezeichnet? Ich bin nämlich beauftragt, sie einzuzahlen, und vergaß die Ziffer.« Und wenn mich dann dieser Spinathusar anglotzte, unklar, ob er oder ich verrückt geworden – und wenn die andern auch sprachlos glotzten, während ich kalt lächelnd zahlte. Es könnten die zwei Millionen ganz sein, die Tiergartenvilla noch dazu, und alles könnte verloren sein, aber der Name Le Fort würde rein aus dem Schmutze hervorgehen. Die Familie schert mich nichts, nur die eine. Wer ihren Vater beschmutzen darf, der beschmutzt auch sie, und das soll nicht sein. Ich liebe sie, und sie liebt mich nicht, wir sind ewig Getrennte. Sei es! Ich werd' es ertragen, aber wie das Weib in meinem Herzen lebt, rein und keusch, so soll sie auch bleiben vor aller Welt. Das ist nicht etwa Mitleid! Das, was kleine Herzen sonst zusammenführt, das ist kein Band für uns, auch nicht für mich. Aber der Adlige hätte doch einmal das Recht, adlig dort zu handeln, wo er auch ein einziges Mal adlig empfunden hatte.
Und auf einmal gehen die Wogen der Begeisterung wieder ganz hoch.
»Meine Herren, dieser Erfolg soll nicht an uns vorübergehen, ohne daß wir des Mannes gedenken, dessen Findigkeit, Thatkraft und Ausdauer wir alles verdanken. Denn es gab Zeiten, wo das mit der Kohlenstaubverbrennung etwas düster aussah, und es gab auch Leute« – dabei streift ein unauffälliger Blick des Doppelten, der auch diese Rede hält, den Schnapsbaron –, »es gab auch Leute, die bis auf 240 den heutigen Tag nie an einen Erfolg glauben wollten. Jetzt haben wir diesen Erfolg, Gott sei Dank, beim Kanthaken erwischt. Wie's gemacht wird, das ist uns allen doch zu guter Letzt gleichgültig, wenn nur die gehörigen Milles herausspringen; jetzt springen die ja auch 'raus. Das Pulver haben wir sämtlich nicht erfunden, nicht mal das rauchschwache, und das hatten wir auch nicht nötig, denn es war ja leider schon erfunden. An dieser Thatsache wollen wir festhalten und uns keinen überflüssigen Gedanken hingeben. Jetzt aber die Kalabassen hoch! Nicht der Mann, der das Pulver erfunden hat, auch nicht der vom rauchschwachen, soll leben, sondern der Mann des präparierten Kohlenstaubes, des Pulvers der Gegenwart, Herr Le Fort, der einzig ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht, er lebe hoch! Hurra, hurra, hurra!«
Dieser Schakal der finanziellen Transaktionen hat seine Löwen-Rs gut gerollt. Der Wiederhall findet sich in aller Herzen, nur in dem des Herrn Bomulunder nicht, der es nicht einmal für nötig hält, aufzustehen, während selbst ich mich zögernd erhebe. Ueber diesen Widerwilligen heult aber die Woge der Begeisterung hinweg wie über einen kleinen Stein. Nur Jaromir ist blaß geworden, und seine stark geschnürte Stimme sagt leise: »Herr Bomulunder, haben Sie vielleicht gegen die Ehrenhaftigkeit von Herrn Le Fort etwas einzuwenden?«
»Deute ich etwas derart an, Herr von Jaromir? Ich erinnere mich jedenfalls nicht.«
»Aber Sie standen doch nicht auf, wie es eine Pflicht der Höflichkeit gewesen wäre.«
Der Schnapsbaron preßt die habsüchtigen Lippen aufeinander. »Habe ich nötig, aufzustehen, wenn eine Gesellschaft, zu der ich nicht gerechnet werden möchte, auf das Wohl eines nicht anwesenden Herrn trinkt?«
241 »Das allerdings nicht. Dennoch muß ich Sie um eine Erklärung bitten.«
Die beiden Herren behandeln sich mit der gemessenen Höflichkeit, die einem Rencontre vorangeht. Heute wünsche ich die Rencontre nicht. Bomulunder, der nicht übel Lust hat, die Sache spitz auslaufen zu lassen, zögert einen Augenblick mit der Antwort. Da mische ich mich ein – kurz, fast unhöflich. »Ich wünsche gleichfalls eine Erklärung.«
»Welches Interesse hätten Sie daran, Herr Graf?«
»Ich verkehre in der Familie Le Fort, wie Sie auch in der Familie verkehrten. Also bitte!«
Der Schnapsbaron und ich tauschen den gewissen kaltschillernden Blick; in meinem mag wohl noch etwas von der stechenden Schärfe gelegen haben, die Serner den Kopf kostete, und die der hier sicher nicht liebt.
Er faltet sehr indigniert die Stirn, dennoch ist bei ihm der Kaufmann stärker als der Offizier. »Ich habe keinen Grund, vor Ihnen Verstecken zu spielen, Herr Graf. Gegen die Ehrenhaftigkeit dieses Herrn Le Fort weiß ich nichts Positives – das liegt mehr im Gefühl; aber gegen die geschäftliche Unpünktlichkeit, um es milde auszudrücken, habe ich allerdings das Unterschiedlichste einzuwenden. Wünschen Sie Belege dafür? Ich habe sie in meiner Brieftasche. Die Gesellschaft hier geht mich übrigens verwünscht wenig an – mehr als drei Viertel haben nicht einen roten Dreier zu dem Unternehmen beigesteuert, sie haben eben ihre Anteilscheine für vor meiner Zeit geleistete Dienste; die andern sind, bis auf einen, mit kaum nennenswertem Kapital beteiligt. Oder glauben Sie, zehn- bis zwanzigtausend Mark, ja noch weniger, seien da Summen, während die Fabrikgrundstücke allein Millionen kosten? Einige auswärtige Kapitalisten und ich sind die Hauptleidtragenden. Verstehen Sie mich, 242 bitte, nicht falsch, Herr Graf. Herr Le Fort hat das Patent billig genug gekauft, sich jedoch über die finanzielle Verwertung unsinnigen Hoffnungen hingegeben. Ich lasse in meinem technischen Laboratorium an einem Zusatzpatent arbeiten, und wir sind jetzt, Gott sei Dank, so weit, daß die schlimmste Schwierigkeit, die umständliche Präparation des Staubes nämlich, ungefähr gehoben ist. Das bedeutet aber nur, daß das Geschäft sehr viel später einmal lukrativ werden kann, aber niemals annähernd so lukrativ, wie Herr Le Fort sich und uns weismacht. Das alles möchte aber hingehen, wenn Herr Le Fort seine Verbindlichkeiten unsrer Gesellschaft gegenüber einhielte; dagegen hält er sie nicht ein, in ganz unqualifizierbarer Weise nicht ein. Was mir aber der Hauptgrund ist, bei diesem Feste nicht mitzumachen: Ich glaube nämlich nicht an den Patentverkauf. Hunderttausend Mark dafür? Die Leute in Belgien müßten verrückt sein, denn ohne die Verbesserung können sie das Patent gar nicht brauchen. Das Geld ist ja allerdings da – ich halte es aber für nichts mehr und nichts weniger als einen Trick, dem ich sehr fern stehe, eine Art Weckschuß für Kauflustige. Ein großer Teil der Leute, die hier sitzen, weiß so gut wie ich, was dieser Patentverkauf wert ist, und soweit sie nicht schon ihre Anteilscheine verkümmelten oder sich von den Banken beleihen ließen, werden sie das morgen thun, wegen der paar Thaler, die sie mehr bekommen, wenn die Glücksnachricht in alle Welt hinausposaunt ist . . .«
»Sie sprechen von einem Trick, Herr Bomulunder?« frage ich kühl zurück. »Meinen Sie damit einen Trick Herrn Le Forts?«
»Das weiß ich nicht, Herr Graf.«
»Das klingt allerdings sonderbar.«
243 »Verzeihung. Herr Graf, welches Vertrauen bringen Sie zum Beispiel einem Herrn entgegen, der für eine Unternehmung eine runde Million gezeichnet hat und auch nicht ein Viertel davon zahlte?«
»Selbstverständlich keins.«
»Nun, dann sprechen Sie Herrn Le Fort selbst den Spruch. Denn seit mehr als einem Jahr werden wir hingehalten mit faulen Versprechungen, obgleich das Geld sehr nötig gebraucht wird. Begreifen Sie jetzt, warum ich nicht auf Herrn Le Forts Wohl trank?«
Jaromir und ich begreifen das vollkommen. Wir müssen kuschen diesmal, weil uns der Schnapsbaron geschlagen hat, und zwar in ganz ehrlicher Schlacht.
Diese Unterhaltung, die im Dreivierteltone geführt wurde, hatte wohl einige eifrige Zuhörer; denn ich sah einmal die Glotzaugen »Fritzchens mit der Zuckerbüchse« wild irrlichterieren und beim Doppeldoktor die Unterlippe schlaff herabhängen, ein sicheres Zeichen, daß ihm etwas sehr unangenehm ist. Aber sie sprechen unentwegt weiter, renommieren, lügen, betäuben sich, wie's zu ihrem Beruf gehört. Dieser Beruf ist ihnen wirklich Bedürfnis.
Es wird immer dämmeriger, obgleich es noch früh am Tage ist. Das graue Gesicht Berlins zieht sich zum mürrischen – in unsrer Nische liegt der Importenrauch wie dicker Schwaden über dem Tisch. Bomulunder hat sich gedrückt. Auch für mich und Jaromir wär's Zeit. Aber wir kommen nicht los. Das Wogen der Millionen, diese schweren, glänzenden Wellen, die heranrollen, zusammenbrechen in eine unendliche Goldflut, sie kommen auch zu uns. Es ist ein seltsamer Zauber. Man weiß, daß alles nicht wahr ist, trotzdem horcht man hin. Das ist Berlin! Man kennt die Sirene, man verlacht den Sang – und er umstrickt einen doch.
244 Dann sprechen die Kohlenstaubbrenner auch von der Liebe, wie Herren um vier Uhr nachmittags nach einem vielstündigen Diner von der Liebe sprechen. Da steht der Agent auf. Wenn man erst den häßlichen Schuppenschwanz der Sirene sieht, ist der Bann gebrochen. Ich sehe noch den kleinen, schwarzen, hübschen Mann, wie er langsam den Ueberzieher anzieht und über die Gesellschaft hinschaut mit der ruhigen Verachtung des ehrlichen Arbeiters. In dem Blick liegt eine ganze Geschichte. Der Riß, der unsre ganze Weltstadtgesellschaft trennt, hier klafft er für mich breiter als je. Hie Arbeit – hie Genuß! Wer wird da nicht Sozialist? . . . Und eigentlich sind das doch meine Brüder, die Schar, die sich jetzt um den Tisch drängt und auch zum Banner der Tradition schwört. Mit den Kämpen die Barrikaden stürmen? Ich möchte es wahrlich nicht versuchen. Diese Gesellschaft ist ja vaterlandsloser als jede andre, verrotteter, entnervter! Die vertrauensseligen Schafe, die sich unter sie mischen, die wird sie schon ratzekahl scheren, und die Schafe werden das ruhig zulassen und erst blöken, wenn auch nicht ein Wollfetzen mehr vom Fell da ist.
Das Lokal ist zu dieser Nachmittagsstunde fast leer, die Kellner, die die Nische nicht beschäftigt, duseln in den Ecken, die Büffettdame schreibt einen eiligen Brief an ihren Schatz, der Küfer mit der Lederschürze steht am Schenktisch, die nackten Unterarme muskelbepackt, und pfeift durch die Zähne. Er hält den Holzschlegel in der Hand und schlägt auf ein leeres Faß, bum, bum! Es ist ein tiefer und hohler Ton zugleich, der durch den Bierpalast summt, ein drohender Ton, der mir an die Nerven geht. Das Faß ist so hohl, und in dem spielenden Schlag der haarigen Arbeiterarme liegt so viel schlummernde Kraft. Die duselnden Kellner zwinkern mit den 245 Augen, der Büffettdame zucken die Lider – sie fühlen alle etwas bei dem Ton. Das ist Zukunftsmusik. Wenn der spielende Holzschlegel sich erst bewußt zum dröhnenden Schlag hebt gegen das hohle Faß – einer – noch einer – bis die Eisenbänder stöhnen und krachen! Die Dauben sind stark, aber das Faß ist hohl, und wenn der Muskelarm das erst erkennt, an dem zitternd bebenden Holz die schlummernde Kraft prüft, dann ruht er auch nicht, bis das Holz zerschellt ist. Ich glaube, es bedarf nicht vieler Schläge, um das hohle Faß unsrer Gesellschaft zu sprengen. Und für die dieser warnende Ton eigentlich ertönt, die Leute in der Nische, die hören ihn nicht, die wollen ihn nicht hören. So spring denn, hohles Faß! Du verdienst es nicht besser.
Mein Abgang wird kaum bemerkt. Sie sind bei einer Weibergeschichte, die alle ihre Fibern in Anspruch nimmt. Nur der Doppeldoktor winkt mir gnädig nach. Um sechs Uhr erwartet mich Twesten im Monopol. Ich habe nicht weit zu gehen. Es ist zufällig derselbe Tisch, der uns vor mehr als Jahresfrist vereinigte, als Jaromir noch mein Poursuivant war und Serner noch am Leben . . . Damals – und heute. Damals bangte mir vor dem Augenblick, wo mich die Gesellschaft ausstoßen würde; heute weiß ich, daß das gar nicht mehr möglich ist. Tout Berlin – das hätten wir glücklich hinter uns.
Blitzende Gläser, endlose Gerichte, auf dickem Teppich die lautlosen Kellner, die angenehm verschwommene Musik aus der Ferne: es ist das Parfüm, das ich einst so liebte. Jetzt liebe ich es nicht mehr. Was kann ich dafür? Die Leute sind liebenswürdig zu mir, ich bin es auch; sie haspeln die alten lieben Gespräche ab, ich hasple mit. Aber keine Spur des Verstehens mehr. Berlin trennt 246 uns. Die Trennung von meinesgleichen sollte mir leicht sein, und sie wird mir schwer. Ein guter Reiter der eine, ein guter Lieutenant der andre und so weiter – sie alle vorzügliche Kameraden mit den anständigsten Gesinnungen, die sich nach ihrer Ansicht eben jetzt auch an mir, dem Niedergebrochenen, bewähren. Das Wort »Erbschaft« oder »Tante« wird peinlich vermieden aus Zartgefühl. Und was ich sonst an ihnen finde . . . Es wird sicher mehr gearbeitet als bei meinem Eintritt in die Armee, zielbewußter gestrebt; das Wappen, der Degen, die Feder geben ihr Bestes her. Man sage nicht, daß meinesgleichen nur auf Dummheit und Hochmut vertraue! Dazu ist der Wirbelstrom Berlins zu stark. Dennoch . . . sie sitzen mitten drin im Riesennest, ihre Interessen, ihre Wünsche, ihre Passionen sind in der Weltstadt verankert, ja verrammt; sie klammern sich mit allem, was sie haben, fest an das summende Riesenrad, das die Thoren im Schwunge wegschleudert, die Leichtsinnigen zerquetscht – aber sie thun's mit verbundenen Augen. Sie hören den dröhnenden Schlegel nicht, dessen unheimlicher Ton auch die dickste Portiere durchdringen muß. Sie sehen die stumme Revolution nicht, die rings um sie die Barrikaden ihres Geistes baut. Sie denken, wie es ist, so ist es gut – es kann höchstens noch besser werden. Daß man uns, den Bestehenden, aus Leben will: das ist Schwarzseherei; daß wir stürzen können: das ist Kinderangst. Man schimpft über die neuen Ideen, die selbst die Frauen anstecken. Man wird die Canaille niederknallen, ganz sicher niederknallen, wenn ihr hundertköpfiges Schlangenhaupt sich hebt. Man fürchtet, man lächelt, man zuckt gelassen die Achsel, je nach dem Temperament; aber daß der große Kampf unser Bestes verlangt, ja daß wir vielleicht trotzdem fallen müssen, das will keinem in 247 den Kopf. Ich habe gerade ihre Bundesgenossenschaft gesucht – aber, was sie den großen Zusammenschluß aller Ordnungsfreunde nennen, das ist eine Parteiphrase, die bei der kleinsten Dissonanz versagt. Bessere Offiziersgehälter und größere Armeen, ein weniger gebundenes Königstum . . . jeder hat seine Sonderwünsche – und die, nachdem der große Junker tot ist! Ich könnte über sie lachen. Sie schielen nach rechts und nach links, nach dem grauen Schloß und nach Friedrichsruh – und wenn man sie aufs Gewissen fragen wollte . . . Wir thun das aber aus Nützlichkeitsgründen nicht seit geraumer Zeit – Großdeutsche sind die noch lange nicht, aber auch nicht mehr Preußen; zu dem großen Preußengefühle der eisernen Entsagung, die der Mönch von Sanssouci mit seinem Krückstock so eindringlich predigte, langt's beim besten Willen nicht, höchstens zu dem kleinen, pedantischen Gefühl, wo der Gamaschenknopf urplötzlich selbst beim Generalstäbler hervorguckt. Dafür sind sie modern – nicht warm und nicht kalt, sondern nervös, mit einem gelinden Kitzel in der Nase, als wenn sie mal kolossal niesen müßten, und alsdann könnte die Welt ganz anders ausschauen. In der Zwischenzeit aber gründen sie Majorate, subventionieren die Kirchen, sind demütig vor Gott und hoffärtig vor sich selber und meinen fest, der alte Herr da droben dürfe sie nicht verlassen. Ach, du lieber Gott! Er wird wohl weniger auf die Wappen sehen als auf die Herzen, weniger auf das gebeugte Knie als auf den gebeugten Sinn. Ich hätte wirklich Lust, einige zu prügeln, die mit dummer Zuversicht in die Zukunft glotzen – die, die immer feig und vielsagend die Achseln zucken, möchte ich durchrütteln, bis sie endlich Farbe bekennten; wieder andre, die die Hände in den Schoß legen mit dem Blick nach oben, denen möchte ich 248 zurufen: heuchelt doch nicht so! Und wieder andern, die in der mittelalterlichen Vergangenheit leuchtenden Auges nach dem Glück graben, denen möchte ich freundlich an die niedrige Stirn klopfen: was wollt ihr in großen Zeit mit so kleinen Mitteln!
Und als ich mich endlich trolle, noch unter dem Eindruck unsrer Gespräche von Dienst und Avancement, von Familie und Staat, und endlich inne geworden bin, daß ich, der ich auch nichts Besseres zu sagen weiß, dennoch nicht mehr zu ihnen gehöre, Gott weiß, warum, – da höre ich wieder den dumpf hohlen Schlag des Holzschlegels durch das feine Klirren des Krystalls, die anregende Musik, die schillernde Wolke von Eleganz und Reichtum hindurch – ich höre ihn hier fast noch drohender als in dem Bierpalast, das Faß dünkt mich noch hohler. Wann klopft dich der muskelbepackte Küferarm wirklich zusammen?
Dann trete ich auf die Straße. Die Fernzüge rasseln, der gequetschte Lokomotivenpfiff winselt, der Regen strömt. Auf dem geräuschlosen Holzpflaster glitschen die Droschken vorüber mit verschwommen blinkenden Laternen, die schweren Omnibuspferde stampfen, die roten und grünen Lichter blinzeln verschlafen; die Menschen wimmeln vorüber, vermummt, im Mantel, schweigend, eilig. Das ist Berlin . . . In der dicken Luft ballen sich die unzähligen Töne zu einem einzigen, dumpfen Tone zusammen, der von fernher zu kommen scheint – ein Ton, so schwer, so unbestimmt, so gewaltig! Die Berlin lieben, denen ist er das tägliche Brot, sie müssen ihn haben zu ihrem Wohlbefinden wie der Küstenbewohner das Branden des Meeres. Ich hasse und liebe ihn, ich möchte ihm entfliehen und möchte zu ihm fliehen. Vielleicht aus diesem inneren Zwiespalt heraus thue ich etwas, was ich nicht will – ich gehe zu Le Forts in der Händelstraße.
249 Ich möchte sie sehen!
Heute ist freilich dort kein Empfangstag. Madame jedoch bin ich, wie gesagt, zu jeder Zeit willkommen. In Italien macht man Galabesuche bis beinahe um Mitternacht – und Le Forts sind ja Ausländer.
Der Portier in seiner Loge nickt über dem Lokal-Anzeiger, ich stör' ihn nicht. Im Treppenhause summt das Gas, das pompejanische Rot leuchtet düster, auf den dicken Läufern verhallt der Tritt. Ich war so lange nicht in der Villa. Und was dazwischen liegt . . . es könnte ungeschehen sein . . . es könnte . . . Auf dem Etagenabsatz die feierliche Stille des hochherrschaftlichen Hauses. Schon will die Hand auf den elektrischen Knopf tippen, da bewegt sich die Thür; ein schmaler Lichtspalt, der unsicher zittert. Jemand, der kurz vor mir kam, muß die Thür nicht recht eingeklinkt haben. Es ist nicht gesellschaftlich, aber ich klingle nicht – ich möchte den schrillen Ton nicht in der schweren Stille. Der Diener wird mich auch schon zur Zeit hören. Ich schlüpfe hinein mit dem lautlosen Schritte des Diplomaten; die Thür knarrt ein wenig. Im halbdunkeln Entree kein Mensch – auf dem Spiegeltisch ein hingeworfenes Spitzentuch. Jemand muß es sehr eilig gehabt haben, denn auch die Thür zum Salon ist weit geöffnet; ich kann halb hineinsehen. Auf dem Kamin flackert ein einziges Licht. Man könnte an eine finstere That denken, wobei der Thäter das Licht zu löschen vergaß und die Thür zu schließen. Aber aus dem Spitzentuch strömt noch der feuchte Hauch der Straße, der Duft von Frauenhaar mischt sich dazu. Es ist eine peinliche Situation. Ich möchte mich diskret räuspern und bleibe doch ganz still auf dem Fleck stehen. Ich horche. Jetzt höre ich einen schweren Atemzug – darauf knistert ein Kleid.
250 »Vielleicht lügst du diesmal nicht! Es würde dir auch nichts nützen. Ich habe dich genau erkannt.«
»Das kannst du . . .«
»Wer war der andre?«
»Das ist meine Sache!«
»Nein, meine Sache! . . . Wie alt bist du eigentlich, wenn ich fragen darf?«
»Neunzehn. Das müßtest du doch eigentlich besser wissen als ich!«
»Das weiß ich auch, leider – leider! . . . Weißt du, wie du aussahst? Gemein! Genau wie das Dienstmädchen vom General nebenan, wenn sie abends mit ihrem Reitknecht im Tiergarten schäkern geht.«
»Und wenn's auch so ausgesehen hätte!«
»Pfui!«
»Pfui!«
»Bist du wahnsinnig geworden, Mädchen?«
»Ich war es nie weniger als jetzt.«
»Na, dann also Farbe bekannt! – Wer war's!«
»Du kennst ihn so lange wie ich.«
»Das glaube ich. Dennoch möchte ich den Namen von dir selbst hören!«
»Nein!«
»Mißratenes Geschöpf!«
»Das trifft mich nicht!«
»Hör mal, ich vergesse mich!«
»Thu's!«
». . . Geschöpf!«
»Danke, Mama.«
Jetzt wieder die schwere Stille. Ich stehe unbeweglich. Im Salon knistert das Licht, zwei riesige Schatten malen sich an der Wand: Madame Le Fort und ihre Tochter Ethel . . . Dann langt eine Hand nach dem knisternden Räuber hinüber – 251 die schlanke, weiße Hand Madames, sie zittert nicht. Der Kampf ruht, sie sammeln Kräfte. Ich habe genug vom Einleitungsgefecht. Aber hineingehen zu denen, da ich doch alles gehört haben muß – unmöglich; lautlos sich drücken in dieser schwülen Pause, wo das unhörbare Knacken des Holzes zum Laut wird und die kaum sichtbar wallende Portiere im Flur Geräusch macht – ebenso unmöglich.
Madame findet zuerst die Sicherheit der Weltdame. »Ihr wollt euch heiraten – reell heiraten?«
»Allerdings.«
»Und ihr möchtet dazu unsre Einwilligung?«
»Weil wir sie haben müssen.«
»Weißt du übrigens, daß er Ehrenscheine gefälscht hat?«
»Das ist gelogen!«
»Dann hat er sie verfallen lassen, das bedeutet für den Offizier genau so viel . . .«
»Das ist wieder nicht wahr! Er hat einen einzigen verfallen lassen in der Verzweiflung, und weil ihm der Lieutenant von Testorff das Wort brach. Den verfolgen sie übrigens jetzt steckbrieflich wegen Fahnenflucht, und das Schweigen hat also keinen Sinn mehr. Aber Fritz hat damals geschwiegen, weil er zu vornehm war, einen Namen zu nennen. Das Ehrengericht glaubte ihm auch auf seine bloße Versicherung . . .«
»Und wenn ihr nun die Einwilligung doch nicht bekommt? Ich zum Beispiel gebe sie nie!«
»Dann . . .« Ethel sagt's tonlos.
»Dann . . .« unterbricht die Mutter.
Wieder die Stille – das leise Knistern des Lichtes. Die Schatten sind unbeweglich, die Silhouetten heben sich scharf ab. Die Hand der Mutter liegt auf der Seitenlehne des Rokokostuhles, lang, schmal, eine Hand ohne Nerven. Aber eine kleine, 252 warme Hand, die sich auf den Tisch preßt, zittert leicht.
»Dann . . .« In der tonlosen Stimme der Blonden liegt so viel schwerer Entschluß, so viel ehrlich gekämpfter Kampf. »Dann muß es eben auch ohne das gehen, Mama . . .«
Schweigen. Zittert das Licht nur oder zittern wirklich die Menschen, deren Schattenbilder allein ich sehe? Es ist nicht das Licht. Das brennt ganz ruhig und trübe.
»Ja, Mutter, willst du mich denn wirklich auf der Straße sehen? Kannst du es vor irgend einem Gott verantworten? . . . Ich liebe ihn nun einmal . . . Sieh mal, freier Wille wäre das Schlechtwerden nicht, auch nicht Anlage, mir graut vor solchem Schicksal, all die unseligen Geschöpfe thun mir so leid, Mutter . . .« Der junge Schatten hat sich langsam erhoben, geht auf den andern langsam zu, der unbeweglich in seinem Rokokostuhl sitzt. Jetzt fließen die Schatten ineinander.
Ein kurzer Aufschrei. »Laß mich! . . . Ich mag dich nicht . . . Ich habe dich nie leiden mögen . . . Ich wollte dich nicht, ich wollte dich nicht! Und als du doch kamst, da habe ich dich kaum angesehen, obgleich du hübsch warst. Ich wollte das zweite Kind nicht, aber er wollte es . . . er!«
»Mutter?«
»Gieb dir keine Mühe! Und wenn du ein Engel wärst, ich würde dich nicht lieben. Ich kann überhaupt nicht zwei lieben . . . ich kann nicht! . . . Gut, thu also, was du nicht lassen kannst, erlöse mich von deinem Anblick! Lauf weg mit ihm – ich würde dich nicht halten. Ja, es wäre mir sogar von Herzen lieb. Verkomme oder werde glücklich – mir egal! Aber verlange nicht das ›Ja‹. Wo du uns nutzen konntest, da sagtest du ›nein‹. 253 Jetzt sag' ich's . . . Geh jetzt, wie du bist, es ist besser . . . Verschwinde . . . Zu der Posse dieser Liebe gebe ich mich nie her . . . Aber geh, geh! . . .«
Die Schatten lösen sich – es ist so ein eisiges Lösen, ohne Qual in kaltem Haß. Und doch ist es dasselbe Blut, dieselbe unentwegte Energie, derselbe unerbittliche Entschluß. Mir ist's, als wenn ich auf einmal in die Tiefen der Natur schaute, den Zwiespalt der beiden begriffe. Madame haßt in ihrer Tochter sich selbst, und sie haßt diese Tochter um so mehr, weil in ihr sich all die ererbten Triebe zum Besseren wandten, während ein düsteres Schicksal die eignen zum Schlechten lenkte. Es klingt paradox, aber es ist! . . . Ich hoffte, es wäre vorüber und ich könnte weg.
Da bricht bei der Jungen noch einmal die Flamme der Empörung, des Hasses hell funkelnd durch. »Du liebst bloß die eine, ich weiß es. Du willst nur ihr Glück, und ich weiß auch lange, welches Glück. Aber du irrst – sie stirbt an dir! . . . Ich wünsche es ihr nicht, nein, ich wünsch' es ihr bei Gott nicht, aber ich fühl' es, ich ahn' es, ich weiß es in dieser Stunde: sie stirbt an dir! . . . Du bist eine schlechte Mutter auch ihr! . . . Hier auf derselben Stelle wirst du mal sitzen, wo du mich weggestoßen hast, und wirst die Thränen nicht finden, so sehr du auch danach suchst. Es giebt einen Gott, wenn wir auch alle nicht an ihn glauben! Und der läßt uns lange sündigen in Gedanken und in Thaten, und der hebt uns sogar empor zu der einsamen Höhe, wo wir das Schicksal verlachen, weil wir das Schicksal selber zu sein wähnen, und gerade in dem Augenblick stürzt er uns ohne Erbarmen in alle Tiefen. Dich stößt er auch hinab! Der Reichtum wird vergehen, die ganze Herrlichkeit wird zusammenbrechen! . . . Hörst du, wie der Wurm hier im Holze 254 pickt und wie alles knackt? Der Wurm hat seine Arbeit schon fast vollendet, und niemand sieht es; aber der nächste, der sich auf diesen Stuhl setzt, der wird zusammenbrechen unter dem wurmzerfressenen Holz. Und dieser nächste wirst du sein! Und du wirst auch darüber kühl lächeln, weil du im Grunde deines Herzens den Schimmer doch verachten kannst, und weil dann deine Tochter glücklich ist. Ja, Asta wird glücklich sein – und du mit ihr! Aber wie lange? Du hast sie glücklich gemacht, und du wirst sie auch töten, vielleicht nicht am Körper, aber an der Seele. Dann wirst du die unglückliche Weggestoßene sein, wie ich jetzt, und ich hätte ein Recht, über euer Unglück zu lächeln, mich daran zu freuen. Ich werde nicht lächeln, ich werde weinen, aber die Thränen werden mir eine schmerzliche Erlösung sein; du jedoch wirst um eine Thräne flehen und wirst sie nicht finden, weil du sie nicht verdienst. Sieh mich nicht so an mit deinen leeren Augen, lächle nicht dein leeres Lächeln! . . . Oder sieh mich gerade an, lächle weiter! . . . Ich will in deinen Augen lesen, du sollst mich daran nicht hindern. Weißt du, was in deinen Augen zittert? Ein Verbrechen! Es kann noch weit sein, auch schon sehr nahe – ich weiß es nicht; vielleicht ist es auch nicht eins, vielleicht sind's ihrer mehr . . . Hab Mitleid mit dir selbst, schließe die Augen, damit dir nicht noch andre hineinsehen! . . . Mutter . . . Mutter . . . Ich glaube . . . du . . . bist . . . wahnsinnig!«
Das Licht flackert wild. Jetzt geht durch den Schatten der einen Gestalt ein Beben – ein Beben, das alle Fibern schüttelt. Mir draußen rinnt's eisig durch die Adern, ich möchte von der Stelle und kann es nicht. Ich höre wieder den dumpfhohlen Ton des Schlegels – weit, weit – und es ist doch ein schrecklicher Klang. Mir graut . . .
255 Die Tochter geht mit schnellen, unsicheren Schritten aus dem Zimmer. Jetzt ist sie an der Thür und sieht mich. »Graf Carén – Sie! . . .«
Ich muß wohl wie ein schwarzes Gespenst ausgeschaut haben, oder die Nerven der Kleinen waren sehr herunter, denn sie preßt im Augenblick die Hände vor die Augen, wankt – ein heller Schrei! Ich will zuspringen.
Da wird draußen die Thür aufgestoßen. Es ist die Grünäugige. »Um Gottes willen, was hast du, Ethel?«
Die blonde Schwester sinkt in die Arme der braunen, ich sehe die weiße Strähne glänzen. Auch Madame ist hinausgeeilt zu uns ins Entree, doch dem Munde fehlt heut zum erstenmal das glatte Wort an richtiger Stelle.
»Was hast du, Kind, Ethel? Sag doch.« Es liegt so viel leidenschaftliche Mütterlichkeit in dem angstvollen Ton der Statue. Mich sieht sie kaum, denn ihr Blick sucht sofort die Mutter, und da errät sie auch sofort. »Jaromir? Seid ihr endlich so weit! Aber warum weinst du dann, Kind?«
»Asta, du warst ja nicht dabei vorhin!« haucht Ethel.
Madame mischt sich ins Gespräch – spröde der Ton, aber der Verstand klar. »Laß dir erst alles erzählen, Asta . . . Ich kann und will und darf nicht. Du, die du mich immer verstehst, wirst mich auch hier verstehen. Gerade jetzt, wo's ein Skandal wäre und wir keinen Skandal brauchen können, weil alles schwankt . . .«
Asta wehrt hastig ab. »Wozu noch erzählen, Mama? Wenn sie nun einmal liebt! . . .« Dann zu der Schwester: »Komm doch zu dir, meine liebe Ethel! Du sollst ihn ja haben, ich verspreche es dir! Warum hast du nicht früher gesprochen? Eine unglücklich, das ist doch wohl genug. Komm, komm in mein Zimmer, Ethel! Es wäre ja Unsinn, dies 256 Nein! Mama hat uns beide viel zu lieb! Hast du sie nicht auch lieb, Mama? . . . Ach, Ethel, du bist doch ein rechtes Kind – und es wird alles gut werden – ja, es ist schon gut! . . . Komm mit, Mama! Du bist oft nicht nett gegen sie, heute wirst du es aber sein, ich will's!«
Die Gnädige macht eine verlegene Bewegung nach mir hinüber. Da erst sieht mich die Grünäugige. Sie will abwehrend die Hand heben, aber die Hand sinkt ihr. In den grünen, tiefen Augen flimmert es – Schwäche oder Grauen?
Ich gehe ohne weiteren Wink. Dies Gehen ist auch kein Losreißen; ich kann mich überhaupt nicht mehr von den grünen Augen losreißen, sie lassen mich nie. Und das ist mein Schicksal.
Die halbe Nacht bin ich durch Berlin gebummelt. Ich suche das verschleierte Weltstadttosen, den unbestimmten Laut, in dem so viel Kraft und so viel Weh liegt. Zuletzt ende ich in meiner Gegend an der Jannowitzbrücke. In Grau und Grau, in Regen und Dunst verschwimmt alles – nur das Tosen bleibt. Wenn ich doch aus dem Tosen den einen Ton heraushörte, den ich suche! Ich finde ihn nie. Aber wenn ich ihn fände, dann würde er für mich die Erlösung aus dem Riesennetz sein; das Land, meine Heimat hätte mich wieder. Das ist für unsereinen das Unwandelbare, das ist der ruhende Pol. Aber was mich Berlin gelehrt hat, das will ich da draußen nicht vergessen. Berlin heißt Kampf, und die Natur heißt auch Kampf. Ich möchte mich auf den Kampf freuen . . . 257