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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Wäre man dem Kapitän Ahab unten in die Kabine gefolgt – es kam ein Sturm in der Nacht nach der schrecklichen Rechtfertigung seines Planes vor der Mannschaft –, so hätte man bemerken können, wie er sich an den Kasten am Heckbalken begab und eine große zerdrückte Rolle mit verschiedenen Seekarten zutage förderte und sie auf seinem niedergeschraubten Tisch ausbreitete. Als er dann Platz nahm, studierte er mit großer Sorgfalt die verschiedenen Linien und Schatten, die sich da seinen Augen darboten. Und mit langsamen und festen Strichen zog er Verbindungslinien, die vorher weiß gewesen waren. Von Zeit zu Zeit schlug er in alten Logbüchern nach, die auf einem Haufen vor ihm lagen und in denen die Zeiten und Stellen bezeichnet waren, wo bei den früheren Fahrten der verschiedenen Schiffe Pottwale gefangen oder gesichtet waren.

Die schwere Zinnlampe hing in Ketten über seinem Kopf und baumelte mit der Bewegung des Schiffes hin und her und warf fortwährend Licht und Schatten in feinen Linien über die gefurchte Stirn. Während er Linien und Kurse in die vergilbten Karten eintrug, schien es, als ob ein unsichtbarer Stift auch Linien und Kurse auf der tiefgefurchten Karte seiner Stirn einzeichnete.

Aber nicht nur in dieser Nacht allein saß Ahab in seiner einsamen Kabine über seinen Karten. Fast in jeder Nacht nahm er sie heraus, wischte er Bleistifteintragungen aus und setzte neue dafür an die Stelle. Mit den Karten von vier Ozeanen, die er vor sich ausgebreitet hielt, arbeitete er sich durch ein Labyrinth von Strömungen und Untiefen hindurch, nur, um in seiner Monomanie dem einen Gedanken nachgehen zu können.

Wer nicht mit den Wegen der großen Leviathane gut vertraut ist, dem könnte es als ein aussichtsloses Unternehmen erscheinen, wenn einer auf diese Weise ein einziges Geschöpf auf den unendlichen Ozeanen unseres Planeten aufstöbern will. Aber Ahab erschien das nicht als aussichtslos. Er kannte die Richtungen von allen Gezeiten und Strömungen, die ihm einen Anhaltspunkt dafür gaben, die Treibrichtung der Nahrung für den Pottwal zu berechnen. Er dachte an die regelmäßigen, festliegenden Zeiten, wo man ihn in besonderen Breiten jagen konnte. Er gelangte dadurch zu beachtenswerten Mutmaßungen, die der sicheren Wahrscheinlichkeit nahe kamen, an welchem Tage man wohl aus dem einen oder anderen Grunde der Beute gewiß sein konnte.

Die Tatsache, daß der Pottwal in regelmäßiger Wiederkehr sich bestimmten Gewässern zuwendet, ist so verbürgt, daß viele Walfischjäger der Meinung sind: würde er auf der ganzen Welt genau beobachtet und würden die Logbücher einer Reise von der ganzen Walfischflotte genau geführt, so würde man feststellen, daß die Wanderungen des Pottwals mit ihrer Regelmäßigkeit den Heringszügen oder den Schwalbenflügen entsprechen. Auf dieser Grundlage sind Versuche gemacht worden, um sorgfältige Wanderkarten des Pottwals herzustellen. Seitdem das oben Angeführte niedergeschrieben wurde, ist diese Idee mit glücklichem Erfolg in einem amtlichen Zirkular, das vom Leutnant Maury vom National Observatory, Washington, vom 16. April 1851 herausgegeben ist, ausgeführt worden. Nach diesem Zirkular scheint es, als ob eine solche Karte beinahe fertiggestellt ist. Ansätze dazu werden in dem Zirkular übermittelt. Diese Karte teilt den Ozean in Bezirke von je fünf Grade geographischer Breite und je fünf Grade geographischer Länge ein. In senkrechter Richtung laufen durch jeden Bezirk zwölf Räume für die zwölf Monate und in horizontaler Richtung drei Räume, wovon die eine die Zahl der Tage angibt, die in jedem Monat in jedem Bezirk vergangen sind und die beiden andern die Zahl der Tage bezeichnen, wo Wale gesichtet worden sind.

Wenn die Wale von einem Weideplatz zum andern schwimmen, bewegen sie sich, von einem unfehlbaren Instinkt geleitet, – sagen wir lieber, mit der von der Gottheit verliehenen Einsicht –, meist in sogenannten »Adern« und setzen ihren Weg auf einer bestimmten Linie im Ozean mit solch einer unfaßbaren Exaktheit fort, das kein Schiff mit keiner Karte ein Zehntel einer solch wunderbaren Genauigkeit erreicht hat.

Obwohl die vom Wal eingeschlagene Richtung schnurgerade wie die Linie eines Geometers und die Marschrichtung an das eigene unvermeidliche schnurgerade Kielwasser gebunden ist, so umfaßt die mutmaßliche »Ader«, in der er zu bestimmten Zeiten schwimmen soll, im allgemeinen eine Breite von einigen Seemeilen (mehr oder weniger, da die »Ader«, wie man annimmt, sich erweitert oder zusammenzieht). Aber niemals geht die Sichtlinie über die Maste der Walschiffe hinaus, wenn man umsichtig durch die eigentümliche Zone hindurchfährt. Daraus folgt, daß zu besonderen Zeiten wandernde Wale in jener Breite und auf jenem Wege mit großer Bestimmtheit gesichtet werden können.

Daher konnte Ahab nicht nur zu beglaubigten Zeiten auf bekannten, getrennt liegenden Weideplätzen damit rechnen, seine Beute anzutreffen. Aber wenn er die großen Wasserstrecken zwischen diesen Plätzen erfahrungsgemäß durchkreuzte, konnte er sich so aufstellen und die Zeit so wählen, daß eine Begegnung nicht ganz aussichtslos war.

Ein Umstand schien beim ersten Anblick seinen wahnsinnigen, aber doch methodischen Plan zu stören. Aber vielleicht war das in Wirklichkeit nicht so. Wenn schon die in Herden auftretenden Walfische in regelmäßigen Zeiten auf besonderen Gründen auftreten, so kann man daraus im allgemeinen nicht den Schluß ziehen, daß dieselben Wale, die in dem einen Jahre auf einer bestimmten Länge und Breite gehaust haben, genau dort wieder im anderen Jahre anzutreffen sind. Dasselbe trifft mit einer gewissen Einschränkung im allgemeinen bei den Einsiedlern und Eigenbrötlern unter den erfahrenen und älteren Pottwalen zu. Wenn Moby-Dick etwa im Jahre zuvor an den Weidegründen von den Seychellen im Indischen Ozean gesichtet war oder an der Vulkanbucht an der japanischen Küste, so folgte daraus noch nicht, daß der »Pequod« in diesen Gegenden zu den entsprechenden Zeiten unfehlbar Moby-Dick antreffen würde. So verhielt es sich auch mit einigen anderen Weidegründen, wo er sich zu gewissen Zeiten gezeigt hatte. Alles dies schienen nur die zufälligen Rastplätze und Herbergen im Ozean zu sein und waren keineswegs die Plätze eines längeren Aufenthaltes. Wenn eine bestimmte Zeit und ein bestimmter Ort festlagen, dann konnten einem Ahabs Absichten auf den Wal nicht mehr so verdreht vorkommen. Dann kam er auch der Wahrscheinlichkeit, seiner habhaft zu werden, einen Schritt näher.

Die bestimmte Zeit und der bestimmte Ort lagen vereint in der technischen Bezeichnung »Walfischzeitlinie« vor.

Manchmal war Moby-Dick in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren regelmäßig aufgestöbert worden, wie er in diesen Gewässern eine Zeitlang auf der Lauer lag, genau so, wie die Sonne bei ihrer Jahresreise einen vorher bestimmten Zeitraum im Zeichen des Tierkreises in Ruhe liegt. Da hatten auch die meisten Treffen mit tödlichem Ausgang mit dem weißen Wal stattgefunden, und dort hätten auch die Wellen von seinen Taten erzählen können. Dort war auch die tragische Stelle, wo der alte Monomane den Anlaß seiner furchtbaren Rache erlebt hatte. Aber bei aller unbegreiflichen Verschlagenheit und ständigen Wachsamkeit, mit der Ahab sich mit ganzer Seele der unermüdlichen Jagd hingab, konnte er es sich nicht gestatten, alle seine Hoffnungen auf die einzige, obenerwähnte wichtige Tatsache zu setzen. Auch ließ ihn sein Schwur nicht zur Ruhe kommen, als daß er die Jagd hätte aufschieben können.

Nun war der »Pequod« zu Beginn der günstigen Jahreszeit, zur Zeit der »Walfischzeitlinie«, von Nantucket in See gegangen. Mit keinem Mittel hätte es der Kapitän zuwege gebracht, südwärts um das Kap Horn herumzufahren und auf dem sechzigsten Grade geographischer Breite im äquatorialen Teile des Stillen Ozeans noch rechtzeitig anzukommen. Er mußte daher die nächste folgende Jahreszeit abwarten. Aber der »Pequod« war vielleicht absichtlich auf Anordnung Ahabs so vorzeitig abgefahren, weil es Gründe dafür gab. Es lag nämlich ein Zwischenraum von dreihundertfünfundsechzig Tagen und Nächten vor ihm, eine Zeit, die er lieber mit der Jagd auf die verschiedensten Dinge, als mit ungeduldigem Nichtstun an der Küste zubringen wollte. Vielleicht würde auch der weiße Wal in Gewässern, die weitab von seinen regelmäßigen Weidegründen lagen, seine Ferien zubringen. Vielleicht würde er mit seinem entstellten Unterkiefer bis zum Persischen Golf, bis zum Bengalischen Meerbusen, bis zum Chinesischen Meer oder in andere Gewässer vorstoßen. Vielleicht würden Winde wie der Monsun, der Pampas, der Nordwester, der Harmattan wehen, und diese würden dann, wenn nicht unverhofft der Wind von der Levante oder der Simoon kommen sollten, unseren Moby-Dick in die teuflische Zickzacklinie des dünenden Kielwassers des »Pequod« treiben.


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