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Der Morgen des dritten Tages zog prächtig und frisch herauf. Der einsame Mann der Nacht wurde noch einmal oben am Vordermast von zahlreichen Tagesposten unterstützt, die an jedem Mast und fast auf jeder Spiere hockten.
»Seht ihr ihn?« rief Ahab. Aber der Wal war noch nicht zu sehen.
»Ihr müßt aber sein unfehlbares Kielwasser sehen, folgt nur dem Kielwasser mit den Augen! Das ist die Hauptsache. Du, das Steuerruder so ruhig halten wie jetzt und wie du es sonst getan hast! Was ist das wieder mal für ein schöner Tag! Los denn! Ihr da oben! was seht ihr?«
»Nichts, Kapitän!«
»Nichts! Und dabei ist es bald Mittag! Die Dublone geht ja betteln. Seht nach der Sonne! Ja, wirklich, es muß ja so sein. Ich bin schneller gefahren als er. Ja, er jagt mich jetzt – nicht ich ihn! Das ist übel. Ich hätte es wissen können. Ich Narr! Er zieht ja an den Leinen und an den Harpunen! Ich bin gestern abend an ihm vorbeigefahren. Los! los! Alle sollen herunterkommen, bis auf die gewöhnlichen Posten! Die Brassen bemannen!« Der Wind hatte ungefähr in der Richtung des ›Pequod‹ geweht, und als nun die umgekehrte Richtung eingeschlagen wurde, segelte das gebraßte Schiff gerade auf die Brise los; in dem eigenen weißen Kielwasser wurde der Schaum noch einmal aufgerührt.
»Jetzt steuert er gegen den Wind und gerade in den Schlund seines Verderbens hinein«, murmelte Starbuck vor sich hin, als er die neu eingeholte Brasse des Hauptmastes an der Reling festmachte. »Gott bewahre uns, aber schon kommen mir die Knochen feucht und das Fleisch inwendig naß vor. Ich fürchte, daß ich meinem Gott ungehorsam bin, wenn ich ihm gehorche!«
»Sei mir behilflich und zieh mich hoch!« rief Ahab und ging auf den Korb aus Hanf zu. »Wir müßten ihn doch bald sehen!«
»Ja, ja, Kapitän.« Und unverzüglich erfüllte Starbuck die Aufforderung Ahabs, und noch einmal schwebte der Kapitän in die Höhe.
So verging denn eine ganze Stunde, die Zeit selbst hielt vor lauter Spannung den Atem an. Aber schließlich meldete Ahab drei Striche seitwärts vom Wetterwinkel wieder die Fontäne, und sogleich erfolgten von den drei Mastspitzen drei Schreie, als ob sie von feurigen Zungen ausgestoßen würden.
»Stirn an Stirn treffe ich dich das drittemal, Moby-Dick! Ihr an Deck, fester brassen! Alle Segel beisetzen, nach der Windseite! Er ist noch zu weit weg, als daß man die Boote 'runterlassen könnte. Starbuck! Die Segel klatschen! Geh mal mit einem Schiffshammer an die Stelle über dem Steuermann. So, so! Er hat's eilig, und ich muß hinunter. Aber ich will hier oben doch noch einmal einen Rundblick auf die See tun, dafür langt's noch! So etwas habe ich oft erlebt, und doch kommt's mir wie neu vor. Ja, es hat sich nichts geändert, seitdem ich das als Junge von den Dünen von Nantucket zum erstenmal sah! Genau so! Und genau so hat es auch wohl zu Noahs Zeiten ausgesehen wie jetzt! An der Leeseite ist ein mildes Schauer, wie das lieblich ist! Das muß wohl nach einem nicht ungewöhnlichen Lande gehen, wo es noch etwas Lieblicheres als Palmen gibt!
Auch der weiße Wal geht nach der Seite hin. Man soll nach der Windseite sehen. Diese Richtung ist unangenehmer, aber in diesem Fall besser. Doch leb' wohl, leb' wohl, alter Mast! Was ist das denn, grün? wahrhaftig, es ist feines Moos in den Rissen! An Ahabs Kopf ist solch eine grüne Stelle nicht vorhanden! Das ist der Unterschied zwischen dem Alter eines Menschen und dem eines Dinges!! Aber alter Mast, wir beide werden miteinander alt. Aber trotzdem ist unser Rumpf gesund, nicht wahr, Schiff? Ja, wenn man das Bein abrechnet, stimmt das. Dieses tote Holz ist besser dran als mein lebendiges Fleisch! Ich kann mich damit nicht vergleichen, und ich habe Schiffe gekannt, die aus verdorrten Bäumen gemacht waren und das Leben von Menschen überdauerten, die von den allerkräftigsten Vätern gezeugt waren.
Was hat er doch gesagt? Er sollte als mein Lotse vor mir hergehen – und er würde nochmal zum Vorschein kommen? Wo das nur sein kann? Habe ich denn Augen, daß ich auf den Grund des Meeres sehen kann? Vorausgesetzt, daß ich diese endlosen Stufen hinabsteigen kann? Und die ganze Nacht bin ich von der Stelle fortgesegelt, wo er gesunken ist. Ja, wie in vielen Fällen sagtest du über dich selbst eine furchtbare Wahrheit, Parse! Aber bei Ahab hast du danebengehauen! Lebe wohl, Mastspitze, pass' auf den Wal gut auf, während ich fort bin. Wir wollen morgen weiterreden, nein, heute abend noch, wenn der weiße Wal, an Kopf und Schwanz gefesselt, tot daliegt.«
Er gab ein Zeichen, und indem er immer noch um sich in die Runde blickte, wurde er durch die aufgeklaffte blaue Luft auf das Deck niedergelassen.
In entsprechender Zeit wurden die Boote herabgelassen, aber als Ahab im Heck seiner Schaluppe stand und vor dem Hinabsteigen etwas zögerte, winkte er dem Maaten, der eins von den Rollenseilen an Deck hielt, und bat ihn, einen Augenblick einzuhalten.
»Starbuck!«
»Zum drittenmal tritt das Schiff meiner Seele diese Reise an, Starbuck.«
»Ja, Kapitän, du willst es so haben.«
»Einige Schiffe segeln aus ihren Häfen ab und immer fehlen sie später, Starbuck.«
»Das ist Wahrheit, Kapitän, furchtbare Wahrheit.«
»Einige sterben zur Ebbezeit, einige im niedrigen Wasser und einige mitten in der Flut. Ich komme mir jetzt wie eine Welle vor, die nur ein riesiger einziger weißer Kamm ist, Starbuck. Ich bin alt, gib mir die Hand, Mann!«
Ihre Hände begegneten sich, ihre Blicke lagen fest ineinander, und aus Starbucks Augen leuchtete eine Träne.
»Ach, Kapitän, du edler Mensch, geh nicht fort. Sieh, es ist ein tapferer Mensch, der weint. Wie groß muß da der Schmerz seines Glaubens sein!«
»Niederlassen!« schrie Ahab. Und er stieß den Arm des Maaten von sich. »Sei der Mannschaft behilflich!«
Im Augenblick ruderte das Boot dicht an der Heckseite.
»Die Haifische! die Haifische!« schrie eine Stimme aus dem unteren Kabinenfenster. »Herr, mein Herr, komm doch zurück!«
Aber Ahab hörte es nicht, denn seine eigene Stimme wurde hoch in die Luft geworfen; dann tanzte das Boot weiter.
Doch die Stimme hatte die Wahrheit gesagt; denn kaum war er aus dem Bereich des Schiffes heraus, da schnappten viele Haifische, die sich anscheinend unterhalb des Schiffskörpers aus dem dunklen Wasser erhoben, in teuflischer Weise jedesmal, wenn sie in das Wasser tauchten, nach den Rudern. Und so begleiteten sie das Boot mit ihren Bissen. Es ist dies nichts Ungewöhnliches: den Walbooten in diesen Meeren, wo es von Tieren wimmelt, begegnet das häufig. Die Haie folgen ihnen manchmal in derselben vorbedeutungsvollen Art, wie die Geier über die Fahnen der marschierenden Regimenter im Osten schweben. Aber seitdem der weiße Wal zum erstenmal von dem ›Pequod‹ gesichtet war, waren dies die ersten Haie. Ob nun die Mannschaft von Ahab solche tigergelben Barbaren und ihr Fleisch für den Geschmack der Haie angenehmer war; genug, sie folgten dem einen Boot, ohne die anderen zu belästigen.
»Du Mann aus Schmiedestahl!« murmelte Starbuck, als er über die Reling sah und mit seinen Augen das fallende Boot verfolgte. »Kannst du immer noch kühnen Mutes diesen Anblick ertragen? Kannst du unter raubgierigen Haien deinen Kiel herunterlassen und dich von ihnen mit ihren offenen Mäulern auf die Jagd begleiten lassen? Bedenk', daß dies der kritische dritte Tag ist! Wenn man drei Tage mit einer dauernden scharfen Verfolgung verbracht hat, so ist der erste sicherlich der Morgen, der zweite der Mittag und der dritte der Abend – und auch das Ende! Mag es nun ausfallen, wie es will! Ach Gott! Was durchzuckt mich mit einemmal und macht mich so totenstill und doch so erwartungsvoll, gerade, wo ich einem furchtbaren Schauder ausgesetzt bin?!
Dinge der Zukunft schwimmen vor mir her, so wie unausgefüllte Umrisse und Skelette, und die ganze Vergangenheit ist trübe und dunkel geworden. Mary, mein Mädchen! Du vergehst in bleichem Glorienschein hinter mir. Mein Junge!! Es kommt mir so vor, als ob deine Augen wunderbar blau geworden wären. Die merkwürdigsten Fragen des Lebens scheinen klar zu werden, aber die Wolken fegen dazwischen. Ist das Ende meiner Reise nahe? Meine Beine kommen mir so schwach vor, wie bei einem, der den ganzen Tag auf den Füßen gestanden hat. Schlägt mein Herz noch? Raff' dich zusammen, Starbuck! Bewegung, Bewegung, sprich laut! Ihr da, an den Masten oben! Seht ihr die Hand meines Jungen auf der Düne? Verdammt noch mal, ihr dort oben! Habt die Boote scharf im Auge! Gebt gut acht auf den Wal! Ach, schon wieder! Treibt den Seefalken weg! Seht, er zerreißt die Wetterfahne!« Und er wies auf die rote Flagge, die am Hauptmast flatterte. »Ach, er schwebt damit davon! Wo ist der Alte jetzt? Kannst du das sehen? Ach, Ahab, es ist schaurig! Schaurig!«
Die Boote waren noch nicht weit, da erfuhr Ahab von einem Signal von den Mastspitzen, durch einen nach unten zeigenden Arm, daß der Wal untergetaucht wäre. Da er aber beim nächsten Hochgehen in der Nähe desselben sein wollte, hielt er sich ein wenig seitwärts vom Schiff. Die wie von einem Zauber gebannte Mannschaft beobachtete das allergrößte Stillschweigen, als die bis zu den Köpfen schlagenden Wellen gegen den widerstrebenden Schiffsbug hämmerten.
»Versucht nur eure Nägel einzutreiben! Treibt sie bis zu den äußersten Nagelköpfen ein! Ihr schlagt doch nur gegen ein Ding, das keinen Deckel hat! Kein Sarg und keine Totenbahre ist für mich bestimmt, und nur der Hanf kann mich töten! Ha, ha!«
Plötzlich schwollen die Wassermassen um ihn herum langsam zu großen Kreisen an. Dann türmten sie sich schnell auf, als ob sie vor einem eingesunkenen Eisberg seitwärts glitten, der sich eiligst bis zur Meeresoberfläche erhob. Man hörte einen langsamen, krachenden Laut und ein unterirdisches Brummen. Da hielten alle den Atem an. Wie von Schlepptauen und von Harpunen und Lanzen geschleift, kam eine riesige Gestalt schräg aus dem Meer in ihrer ganzen Länge hervorgeschossen. Von einem dünnen herabfallenden Nebelschleier bedeckt, hockte sie einen Augenblick in der regenbogenfarbigen Luft und plumpste dann wieder zurück in die Tiefe. Das Wasser schoß vierzig Fuß hoch wie ein Haufen von Fontänen und zerfiel dann in einen Schauer von Flocken, die die Oberfläche des Wassers ringsum mit neuem Milchschaum bedeckten, so weit sich der marmorfarbene Rumpf des Wales befand.
»Vorwärts!« rief Ahab den Ruderleuten zu, und die Boote schossen zum Angriff vorwärts. Aber von den brennenden Eisen des gestrigen Tages toll geworden, schien Moby-Dick von den gesamten abtrünnigen Engeln des Himmels besessen zu sein. Lange Reihen von verwickelten Seilen gingen über seine breite weiße Stirn unter der durchleuchtenden Haut, als ob sie zusammengestrickt wären. Mit dem Kopf nach vorn wühlte er mit seinem Schwanz das Wasser bei den Booten auf und fuhr wie mit einem Dreschflegel dazwischen. Die Harpunen und Lanzen wurden aus den Booten der beiden Maate geschleudert, und eine Seite des oberen Randes der Schiffsbuge wurde eingeschlagen, aber Ahab kam fast mit heiler Haut davon. Während Daggoo und Queequeg die beschädigten Schiffsplanken verstopften und der Wal von ihnen fortschwamm, eine Wendung machte und eine ganze Flanke zeigte. Als er wieder an ihnen vorbeischoß, ertönte ein kurzer Schrei. Ganz und gar an den Rücken des Wales festgebunden und von den Leinen mehrfach gefesselt, die dieser während der vergangenen Nacht um ihn gewickelt hatte, wurde nun mit einem Male der halbzerrissene Körper des Parsen sichtbar!! Seine schwarzen Kleider waren in Fetzen zerrissen, und seine starren weiten Augen sahen den alten Ahab an.
Als er das sah, fiel ihm die Harpune aus der Hand.
»Ich werde verrückt, verrückt!« Und er atmete lang auf. »Ja, Parse! ich sehe dich wieder. Ja, und du gehst vor mir! und das – ist also die Totenbahre, die du versprochen hast, aber ich halte dich an den genauen Wortlaut deiner Rede. Wo ist die zweite Totenbahre? Fort, Maate, nach dem Schiff! Diese Boote sind jetzt nutzlos! Repariert sie rechtzeitig, wenn es möglich ist – und kehrt zu mir zurück. Wenn nicht, so genügt es, wenn Ahab hier allein stirbt. – Los, Leute, wer zuerst den Versuch macht, aus dem Boot zu springen, in dem ich stehe, den harpuniere ich! Ihr seid nicht etwas anderes! Ihr seid nur meine Arme und meine Beine, und so müßt ihr mir denn gehorchen. Wo ist der Wal? Ist er wieder untergegangen?«
Als ob Moby-Dick entschlossen wäre, mit dem Leichnam zu verschwinden und der Ort des letzten Treffens nur eine Stufe auf seiner Reise an der Leeseite gewesen wäre, schwamm er nun in einem fort wieder vorwärts. Er war beinah an dem Schiff vorbeigekommen, das bisher in der entgegengesetzten Richtung von ihm gesegelt war, obwohl es im gegenwärtigen Augenblick gestoppt hatte. Er schien mit der allergrößten Geschwindigkeit zu schwimmen und nur darauf aus zu sein, geradeswegs in das Meer zu kommen.
»Ach Ahab,« rief Starbuck, »es ist auch jetzt am dritten Tage noch nicht zu spät! Gib es auf! Sieh, Moby-Dick sucht dich nicht! Nur du allein suchst ihn in deinem Wahnsinn!«
Als es in der Richtung des aufkommenden Windes die Segel setzte, wurde das einsame Boot durch seine Ruder und Segel geschwind leewärts getrieben. Als schließlich Ahab neben dem Schiffe herglitt, war er so nahe daran, daß er das Gesicht Starbucks erkennen konnte, der sich über die Reling legte. Er rief ihm zu, er sollte das Schiff beidrehen und nicht so schnell, aber in angemessener Zeit nachkommen.
Als er aufwärts sah, konnte er Tashtego, Queequeg und Daggoo erkennen, die mit großem Eifer nach den drei Mastspitzen kletterten. Zu gleicher Zeit schaukelten die Bootsleute in den angerammten Booten, die gerade an der Seite hochgezogen waren, und waren fleißig bei der Arbeit, sie auszubessern. Als er vorbeiflog, konnte er durch die Stückpforten auch Stubb und Flask flüchtig erkennen, die sich an Deck unter Bündeln von neuen Harpunen und Lanzen zu schaffen machten. Als er diese Dinge sah und die Hammerschläge in den zerbrochenen Booten hörte, kam es ihm vor, als ob in der Ferne andere Hämmer Nägel in sein Herz schlügen. Aber er faßte sich. Und als er jetzt bemerkte, daß die Wetterfahne von der Hauptmastspitze verschwunden war, rief er Tashtego zu, der gerade daran angelangt war, er solle nach unten steigen und eine andere Flagge holen, ebenso einen Hammer mit Nägeln mitbringen und so die Flagge an den Mast nageln.
Ob der weiße Wal von der dreitägigen heißen Jagd und von dem Widerstand ermattet war, den er seinem aus Tauen geflochtenen Korb entgegensetzte, oder ob es die Lust zu täuschen und reine Bosheit war, genug, er ließ nun in seinem geschwinden Tempo nach; wenigstens hatte man von dem Boot, das noch einmal dicht an ihn herankam, diesen Eindruck. Als Ahab über die Wellen glitt, waren noch immer die erbarmungslosen Haifische seine Begleiter; hartnäckig hielten sie sich an sein Boot; unaufhörlich bissen sie nach den ausgelegten Ruderstangen, daß die Ruderblätter ausgezackt und verstümmelt wurden, so daß fast bei jedem Eintauchen kleine Splitter in der See zurückblieben.
»Macht euch daraus nichts! Diese Zähne geben euren Ruderstangen nur neue Ruderlöcher, weiterrudern! Auf den Kiefern des Hais ruht es sich besser als auf dem nachgebenden Wasser.«
»Aber bei jedem Biß werden die dünnen Ruderblätter immer kleiner, Kapitän.«
»Sie werden lange genug halten! Weiterrudern! Aber wer kann sagen,« brummte er, »ob diese Haie zu dem Leichenschmaus des Wals oder zu meinem eigenen kommen, aber weiterrudern! Feste! Wir kommen in seine Nähe! Das Ruder! Fest das Steuer angefaßt!« Und als er das sagte, waren ihm zwei Ruderleute behilflich und brachten ihn vorn in den Bug des immer noch dahinfliegenden Bootes.
Als schließlich das Boot nach einer Seite geworfen wurde und längs der Flanke des weißen Wals trieb, schien es, als ob er merkwürdigerweise gar nicht an eine Vorwärtsbewegung dachte, wie es bei den Walen manchmal geschieht. Ahab befand sich mitten in dem Nebel des rauchenden Berges, der von der Fontäne des Wals ausgeworfen wurde und um seinen großen Höcker herumwirbelte. Er war ganz dicht bei ihm. Da hielt er sich mit gekrümmtem Rücken und mit beiden Armen im Gleichgewicht und schleuderte seine gewaltige Harpune und den bei weitem gewaltigeren Fluch in den Leib des verhaßten Wals.
Als das Eisen und der Fluch tief in seine Fetthülle eindrangen und wie in einem Morast untertauchten, krümmte sich Moby-Dick seitwärts, rollte seine Flanke schmerzverzerrt gegen den Bug und kippte in einem Nu das Boot über, ohne ein einziges Loch hineinzuschlagen. Das geschah so plötzlich, daß Ahab, wenn er sich nicht an dem erhöhten Teil des Dollbords festgehalten hätte, noch einmal in die See geworfen wäre. Aber drei von den Ruderleuten, die den genauen Augenblick des Abwurfs nicht vorhergesehen hatten und daher auf die Wirkungen desselben nicht vorbereitet waren, wurden in einem Bogen hinausgeworfen. Zwei von ihnen konnten sich noch einmal am Dollbord festhalten, und da sie gegen eine verstärkte Welle fielen, die ebenso hoch war, wurden sie wieder in das Boot zurückgeschleudert. Der dritte fiel hilflos an die Heckseite; er blieb aber oben und konnte sich durch Schwimmen halten.
Fast gleichzeitig schoß der weiße Wal mit dem mächtigen Willen einer unabgestuften Geschwindigkeit durch die sich wälzende See. Aber als Ahab dem Steuermann zurief, er solle die Leine aufwickeln und sie festhalten, und der Mannschaft befahl, sie sollten sich auf ihren Sitzen umwenden und das Boot auftauen nach dem Ziel hin, in diesem Augenblick spürte die verräterische Leine die verdoppelte Anspannung und zerriß in der freien Luft!
»Was zerreißt in mir? Irgendeine Sehne ist zerrissen! Ruder her! Ruder!! Fest auf ihn los!«
Als der Wal das furchtbare Krachen im Boot hörte, drehte er sich herum und streckte seine weiße Stirn in Verteidigungsstellung aus. Aber bei dieser Bewegung erblickte er den herankommenden schwarzen Rumpf des Schiffes. Da er in ihm die Ursache seiner Verfolgungen vermutete und des Glaubens war, es wäre ein größerer und edlerer Gegner, ging er mit einemmal auf den vorrückenden Schiffsbug zu, wobei er mit seinen Kiefern gewaltige Massen von Meeresschaum aufwirbelte.
Ahab kam ins Wanken; mit der Hand schlug er sich gegen die Stirn. »Ich werde blind! Hände, streckt euch vor mich aus, daß ich meinen Weg tasten kann! Wird es Nacht?«
»Der Wal! Das Schiff!!« riefen die sich krümmenden Ruderleute.
»Ruder, geht tief ins Meer, daß Ahab, bevor es für immer zu spät ist, das letztemal auf sein Ziel losgleiten kann. Das Schiff, das Schiff, vorwärts, Leute! Wollt ihr mein Schiff nicht retten?«
Aber als die Ruderleute unter der größten Anstrengung das Boot durch die hämmernde See brachten, brachen die vom Wal getroffenen Enden des Bugs mittendurch, und in einem Augenblick lag das zur Zeit kampfunfähige Boot mit den Wellen in gleicher Höhe. Die halb ohnmächtige, im Wasser platschende Mannschaft machte die größte Anstrengung, das Leck zu verstopfen und das eindringende Wasser auszuschöpfen. Inzwischen hielt Tashtego an der Mastspitze den Hammer ununterbrochen in der Hand. Die rote Flagge, die sich wie ein Überwurf um ihn wickelte, flatterte geradeswegs von ihm fort wie das eigene überfließende Herz. Starbuck und Stubb, die auf dem Bugspriet unten standen, erblickten ebenso schnell das auf sie zukommende Ungeheuer.
»Der Wal, der Wal! Das Steuer hoch! Ach, ihr wilden Mächte der Luft, haltet euch dicht an mich! Daß Starbuck nicht stirbt, wenn er einmal sterben muß, wie ein Weib, das ohnmächtig wird. Das Steuer hoch, sage ich, ihr Narren! Seht den Kiefer des Wals da! Ist das das Ende meiner inbrünstigen Gebete? Ist das das Ende der treuen Handlungen meines Lebens? Sieh, Ahab, das ist dein Werk! Sei tapfer, Steuermann, tapfer! Nein, nein! Ich sage dir noch einmal, das Steuer hoch! Er macht eine Wendung, um auf uns loszugehen! Ach, mit seiner rasenden Stirn fährt er auf einen los, dessen Pflichtgefühl ihm sagen kann, daß er nicht ausreißt! Mein Gott, stehe mir nun bei! Ich grinse dich an, grinsender Wal! Wer hat denn Stubb geholfen, oder wer hat Stubb wach gehalten als das eigene Auge, das niemals versagt hat? Und nun soll Stubb auf einer Matratze schlafen gehen, die ein wenig zu weich ist! Ich wollte, sie bestände aus Reisigholz! Ich grinse dich an, grinsender Wal! Seht her, Sonne, Mond und Sterne! Ihr seid die Mörder eines Menschen, wie es nie einen besseren gegeben hat. Deswegen möchte ich mit dir anstoßen, wenn du nur das Glas herumreichen wolltest! Ach, du grinsender Wal, es wird bald sehr viel zu schlucken geben! Warum flieht Ihr nicht, Ahab! Was mich angeht, so heißt es jetzt, Schuhe und Jacke ausgezogen. Stubb will in seinen Hosen sterben! Es ist aber ein gewürzter und reichlich gesalzener Tod!! Kirschen her! Kirschen, Kirschen!! Ach, Flask, wenn wir doch eine einzige rote Kirsche hätten, bevor wir sterben!«
»Kirschen? Ich wollte, daß wir dort wären, wo sie wachsen. Ach, Stubb, ich hoffe, meine arme Mutter hat schon meinen Anteil abgehoben; wenn nicht, so werden jetzt wenige Pfennige für sie abfallen, denn die Reise ist nun vorbei.«
Von den Bugen des Schiffes hingen nun fast alle Matrosen schlaff herab. Hämmer, Plankenstücke, Lanzen und Harpunen wurden gedankenlos in ihren Händen gehalten, und es sah aus, als ob sie gerade ihre verschiedenen Beschäftigungen unterbrochen hätten. Ihre wie von einem Zauber erstarrten Augen ruhten auf dem Wal, der von einer Seite nach der anderen auf so seltsame Weise seinen alles vorher bestimmenden Kopf schwingen ließ und einen breiten Strom von alles überspritzenden Schaum vor sich herschickte. Vergeltung, eilige Rache, ewige Bosheit drückten sich in seinem ganzen Anblick aus, und unbekümmert von dem, was ihm sterbliche Menschen antun könnten, zerschellte er mit dem gewaltigen weißen Strebepfeiler seiner Stirn den Steuerbordbug des Schiffes, bis Menschen und Holzteile taumelten. Einige fielen direkt auf das Gesicht; wie lose Flaggenknöpfe wackelten die Köpfe der Harpuniere an ihrem Genick. Und durch die Brandung hörten sie, wie das Wasser eindrang, so wie Gebirgsströme in einen schmalen Wasserlauf hinunterstürzen.
»Das Schiff! Die Totenbahre! Die zweite Totenbahre!« rief Ahab vom Boot aus. »Das Holz konnte nur amerikanisches sein!« Der Wal tauchte unter das Schiff und schwamm mit zitternder Bewegung unter dem Kiel desselben entlang. Als er sich unter dem Wasser umgewandt hatte, schoß er geschwind wieder an die Meeresoberfläche in ziemlicher Entfernung von dem anderen Bug, aber immerhin noch in einiger Entfernung von einigen Yards von Ahabs Boot, wo er eine Zeitlang ruhig liegenblieb.
»Ich wende mich von der Sonne ab. Aber Tashtego, warum höre ich denn deinen Hammer nicht? Ach, ihr drei Schiffstürme, die ihr euch nie ergeben habt! Du Kiel, der du nie gekracht hast, und du Schiffsrumpf, dem nur ein Gott gefährlich werden konnte! Du festes Deck, und du hochgemutes Steuer! Du, wie ein Pol in die Gegend zeigender Bug! Du, wenn auch dem Tode geweihtes herrliches Schiff! Sollt ihr denn untergehen ohne mich? Hat man mir denn den letzten Stolz des gemeinsten schiffbrüchigen Kapitäns genommen? Welch einsamer Tod nach einem so einsamen Leben! Jetzt fühle ich, daß meine allergrößte Stärke in meinem größten Schmerz liegt. So strömt denn rein mit euren weitesten Sätzen, ihr kühnen Wellen meines ganzen vorangegangenen Lebens und türmt euch zu der letzten Sturzwelle meines Todes zusammen! Auf dich wälze ich mich zu, der du alles vernichten, aber nicht besiegen kannst! Bis zum letzten will ich mit dir ringen! Mit einem Herzen, das mit Höllengedanken erfüllt ist, steche ich nach dir! Weil ich dich hasse, speie ich dir meinen letzten Atem entgegen! Wenn auch alle Särge und alle Totenbahren in einem gemeinen Pfuhl versinken, und da diese nicht für mich bestimmt sind, so will ich denn, wenn ich dich jage, und wenn ich auch mit dir verbunden bin, dich verfluchten Wal, in Stücke reißen! Und so lasse ich denn meinen letzten Speer fallen!«
Die Harpune wurde geschleudert. Der getroffene Wal flog weiter. Die Leine sauste mit heißer Geschwindigkeit durch die Rinne und ging fehl. Ahab bückte sich, um sie klarzumachen, und es gelang ihm, aber das fliegende Ende verfing sich und ging ihm um den Hals. Und lautlos, so wie die türkischen Totenwärter ihr Opfer erdrosseln, wurde er aus dem Boot gerissen, bevor die Mannschaft begriff, daß er verloren war. Im nächsten Augenblick ging die schwere Schleife des Seilendes aus der stark abgewickelten Seiltrommel, schlug einen Bootsmann nieder, klatschte gegen die See und verschwand in der Tiefe.
Einen Augenblick lang stand die im Erstarrungszustand befindliche Mannschaft still, dann wandte sie sich um. »Wo ist das Schiff? Um's Himmels willen, wo ist das Schiff?« Bald sahen sie durch trübe, beunruhigende Luft hindurch ein seitlich dahinschwimmendes Phantom wie bei einer gasförmigen Fata Morgana. Nur die höchsten Enden der Mäste standen aus dem Wasser hervor. Erstarrt hielten die heidnischen Harpuniere aus Eitelkeit, aus Treue oder aus Schicksalsergebenheit auf ihren einstmals so hohen Sitzen aus, die nun in die See sanken. Nun faßten konzentrische Ringe das übriggebliebene Boot und die ganze Mannschaft; jede Ruderstange, jeder Lanzenschaft und jedes belebte und unbelebte Wesen wurde nun in einen Strudel gezogen, und langsam kam der kleinste Überrest vom »Pequod« außer Sicht.
Aber als die Flut allmählich über den gesunkenen Kopf des Indianers am Hauptmast zu schlagen drohte, blieben noch ein paar Zoll der emporgerichteten Spiere sichtbar, wie auch von den langen flackernden Yards der Flagge, die in aller Ruhe mit ironischer Begleitung über den verheerenden Wellen wogte, die sie fast berührten. In demselben Augenblick wurden ein roter Arm und ein Hammer an der Backbordseite in die offene Luft gehoben, der sich alle Mühe gab, die Flagge an der nachgebenden Spiere immer fester zu schlagen. Ein vom Himmel kommender Seefalke, der höhnischerweise dem Flaggenknopf am Hauptmast von seiner natürlichen Heimat unter den Sternen nach unten gefolgt war, hackte an der Flagge und belästigte dort Tashtego. Dieser Vogel schlug nun mit seiner breiten, flatternden Schwinge zwischen den Hammer und das Holz. Vielleicht fühlte der untergetauchte Wilde darunter zu gleicher Zeit den ätherischen Schauer, und so hielt er denn in der Umklammerung des Todes seinen Hammer mit eingefrorener Faust fest. Der Vogel des Himmels stieß mit erzengelhaften Rufen und seinem majestätischen Schnabel nach oben, wobei er mit seiner ganzen Gestalt in der Flagge Ahabs eingeschlossen und gefangen war. So ging er denn mit dem Schiff unter, das wie Satan nicht zur Hölle sinken wollte, ohne daß es ein lebendes Stück Himmel mit in die Tiefe gerissen und damit sein Haupt bedeckt hätte.
Nun flogen kleine Vögel schreiend über den Schlund, der sich noch immer weit auftat. Eine weiße Brandung schlug mürrisch gegen die steilen Ufer derselben. Dann krachte alles zusammen, und das große Leichentuch des Meeres rollte weiter, wie es schon vor fünftausend Jahren gerollt war.