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Siebenunddreißigstes Kapitel

Da liegen nun zwei große Walfische mit ihren Köpfen nebeneinander. Wir wollen uns zu ihnen begeben und unsere Köpfe danebenlegen.

Von der erhabenen Klasse der Wale in Folioformat sind der Pottwal und der gewöhnliche Wal am bemerkenswertesten. Das sind die einzigen Wale, die regelmäßig von Menschen gejagt werden. Dem Nantucketer erscheinen sie als die beiden Extreme aller bekannten Spielarten des Wales.

Zunächst fällt einem der allgemeine Unterschied der Köpfe auf. Beide sind schon kolossal, aber der Kopf des Pottwales hat eine gewisse mathematische Symmetrie, die dem gewöhnlichen Wal leider fehlt. Der Pottwalkopf hat mehr Charakter. Wenn man ihn betrachtet, so wird man sich unwillkürlich der überwältigenden Würde, die er ausdrückt, bewußt. Im gegenwärtigen Falle wird diese Würde durch die gesprenkelte Farbe des Kopfes an der höchsten Stelle verstärkt, was ein Zeichen von vorgerücktem Alter und großer Erfahrung ist. Er ist, wie die Schiffer es in ihrer Sprache ausdrücken, ein »grauköpfiger Wal«.

Lassen Sie uns feststellen, was bei den beiden Köpfen nicht so sehr verschieden ist; das sind die beiden wichtigsten Organe, das Auge und das Ohr. Ganz unten an der Seite des Kopfes und ziemlich tief, fast an der Ecke des Kiefers der beiden Wale, wird man, wenn man genau hinsieht, schließlich ein Auge ohne Wimpern finden, das man für das Auge eines jungen Fohlens halten könnte; es steht zu der Größe des Kopfes in gar keinem Verhältnis. Bei der merkwürdigen seitlichen Lage der Walfischaugen ist es klar, daß er kein Objekt sehen kann, was gerade über ihm ist, und ebensowenig kann er ein Objekt erkennen, das genau hinter ihm liegt. Man sieht also, daß die Lage der Walfischaugen der Lage der menschlichen Ohren entspricht. Und man wird es sich nun denken können, wie einem zumute sein würde, wenn man die Gegenstände seitlich mit seinen Ohren sehen müßte. Man würde dann finden, daß man nur über dreißig Grad Sehfeld verfügt, seitlich der geraden Seitenlinie des Gesichts, und ungefähr dreißig Grad dahinter.

Wenn der größte Feind gerade hinter einem herginge und am hellichten Tage einen Dolch zückte, so würde man ihn nicht sehen können, gerade so, als ob er sich von hinten an einen heranschliche. Kurz ausgedrückt: man würde gleichermaßen zwei Rücken haben, aber zu gleicher Zeit auch zwei Vorderseiten (Seitenfronten); denn worin besteht denn die Front eines Menschen, wenn es nicht die Augen sind?

Während bei den meisten anderen Tieren die Augen so gerichtet sind, daß ihre beiderseitige Sehkraft miteinander verschmilzt, so daß im Hirn ein einziges Bild entsteht, ist es beim Wal anders. Bei der eigentümlichen Lage der Walaugen, die durch viele Kubikmeter des festen Kopfes getrennt sind, der gleichsam wie ein großer Berg zwei in einem Tal liegende Seen scheidet, so müssen die optischen Eindrücke, die jedes Auge unabhängig empfängt, natürlich getrennt bleiben. Der Wal muß daher auf der einen Seite ein deutliches Bild und auf der anderen Seite auch ein deutliches Bild haben. Und mitten dazwischen muß tiefe Dunkelheit und das reine Nichts liegen. Der Mensch sieht gleichsam aus einem Schilderhaus auf die Welt, das zwei miteinander verbundene Rahmen in einem Fenster hat. Aber bei dem Wal sind diese beiden Rahmen besonders eingesetzt und bilden zwei ganz auseinanderliegende Fenster, die nur eine schlechte Aussicht ermöglichen. Diese eigentümliche Beschaffenheit der Walfischaugen muß in der Fischerei wohl beachtet werden, und in den folgenden Szenen wird der Leser daran erinnert.

Nun könnte man eine merkwürdige und peinliche Frage aufwerfen, was es denn mit den Sehorganen bei dem Walfisch auf sich hat. Aber ich muß mich mit einem Hinweis begnügen. Solange die menschlichen Augen dem Licht ausgesetzt sind, ist der Akt des Sehens unfreiwillig, das heißt, er ist dem mechanischen Aufnehmen ausgesetzt, mag es sich nun um Objekte handeln, wie sie sein mögen. Trotzdem wird es sich bei einem Versuch herausstellen, daß, obwohl er verschiedene Dinge mit einem Blick aufnehmen kann, es ihm doch völlig unmöglich ist, zwei verschiedene Dinge, einen großen und einen kleinen Gegenstand, in demselben Moment aufmerksam und gründlich ins Auge zu fassen, auch wenn sie dicht nebeneinander liegen. Aber wenn man nun die beiden Objekte voneinander trennt und jedes mit einem tiefen, dunklen Kreis umgibt, so wird von den beiden Objekten das eine dem gegenwärtigen Bewußtsein nicht mehr faßbar sein, wenn man das andere so ins Auge faßt, daß man von ihm einen Eindruck haben will.

Wie verhält es sich da bei dem Wal? Allerdings müssen beide Augen bei ihm gleichzeitig in Tätigkeit sein. Aber nimmt sein Hirn besser auf, kombiniert es besser und ist es schlauer, als das des Menschen, so daß er in demselben Moment zwei voneinander geschiedene Objekte, die einander grade entgegengesetzt gerichtet sind, genau erkennen kann? Wenn es das wirklich kann, so ist das ebenso wunderbar, als wenn ein Mensch zwei verschiedene Beweise bei Euklid gleichzeitig vorführen könnte!

Vielleicht ist es nur ein Einfall der Laune, aber es ist mir immer so vorgekommen, als ob die ungewöhnliche Raserei, die die Wale, wenn sie von drei oder vier Booten angegriffen werden, befällt, die Furchtsamkeit und Empfänglichkeit für bloßen Schrecken, die dem Wal so eigentümlich ist und die hilflose Verlegenheit des Willens den geteilten und diametral entgegengesetzten Sehkräften zuzuschreiben ist.

Aber das Ohr des Wales ist ebenso merkwürdig wie das Auge. Wenn man ihn nicht kennt, so könnte man die beiden Köpfe stundenlang absuchen, und man würde dies Organ doch nicht finden. Das Ohr hat keine äußere Ohrmuschel oder etwas ähnliches. Und man kann kaum mit einer Gänsefeder in das Ohr hinein, so wunderbar klein ist es. Es liegt etwas hinter dem Auge. Wenn man die Ohren betrachtet, so muß man auf einen wichtigen Unterschied zwischen dem Pottwal und dem gewöhnlichen Wal achten. Während das Ohr des ersteren eine äußere Öffnung hat, ist die des letzteren völlig mit einer Membrane bedeckt, so daß es von außen her kaum gesehen werden kann.

Ist es nicht merkwürdig, daß ein so ungeheuer großes Geschöpf, wie der Wal, die Welt durch ein so kleines Auge sehen und den Donner durch ein Ohr hören muß, das kleiner ist, als das eines Hasen? Aber wenn seine Augen so groß wären, wie die Linse von dem großen Teleskop Herschels, und die Ohren so geräumig wären, wie die Säulenhallen der Kathedralen, würde er dann besser sehen oder schärfer hören können? Doch wohl kaum! Warum wollt ihr denn euren Geist erweitern? Sucht ihn zu verfeinern!

Aber wir wollen nun den schrecklichen Unterkiefer betrachten, der wie der schmale Deckel einer ungeheuer großen Schnupftabaksdose aussieht, mit einem Scharnier am Ende statt an der Seite. Wenn man nach oben sieht und die Reihen von Zähnen betrachtet, so kommt er einem wie ein schreckliches Fallgitter vor. Leider Gottes ist er das schon für manchen armen Teufel in der Fischerei geworden! Mit furchtbarer Macht ist dieses Gitter auf ihn niedergefallen. Aber es ist noch furchtbarer, wenn man tief in der See einen griesgrämigen Walfisch zu sehen bekommt, der mit seinem unglaublich großen Kiefer in einer Höhe von fünfzehn Fuß im rechten Winkel zum übrigen Körper dahängt, und der Welt wie ein Klüverbaum vom Schiff vorkommt; der Wal ist nicht tot, er ist nur geistesabwesend und eigensinnig; wie ein alter Hypochonder. Dabei so träge, daß die Scharniere seines Kiefers auseinanderhängen.

In den meisten Fällen kann dieser Unterkiefer durch einen geübten Künstler leicht aufgemacht werden. Man macht ihn los und zieht ihn an Deck, um die Fischbeinzähne herauszuziehen, die als Material für so viele merkwürdige Dinge dienen: Spazierstöcke, Stöcke von Regenschirmen und Griffe von Reitpeitschen.

Nach langwieriger Arbeit wird der Kiefer an Bord gezogen, als ob es ein Anker wäre. Und wenn die Zeit dafür gekommen ist, einige Tage nach der übrigen Arbeit, begeben sich Queequeg, Daggoo und Tashtego, die alle tüchtige Zahnärzte sind, ans Werk, um die Zähne auszuziehen. Mit einem scharfen Spaten spaltet Queequeg die Gaumen auf. Dann wird der Kiefer in Ringbolzen eingeklemmt, und mit Hilfe eines Flaschenzuges werden dann die Zähne ausgezogen, genau so, wie die Ochsen in Michigan die Baumstümpfe von alten Eichen aus brachliegendem Waldland herausziehen. Es sind im allgemeinen im ganzen 42 Zähne vorhanden; bei alten Walen sind sie wohl reichlich abgeschliffen, aber immerhin noch unzerstört; sie werden nicht nach unserer künstlichen Mode plombiert. Der Kiefer wird darauf in Platten zersägt und wie Querbalken, die man zum Häuserbau verwendet, aufgestapelt. – –


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