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Tage und Wochen vergingen. Da hatte unter leichten Segeln der elfenbeinerne »Pequod« langsam vier verschiedene Kreuzungsgebiete durchquert: das bei den Azoren, das bei Kap Verde, das an der Mündung des Rio de la Plata und das Carrol-Gebiet, ein nicht in den Karten bezeichnetes Wassergebiet südlich von St. Helena.
Während wir durch das letztere Gebiet fuhren, – es war eine heitere, helle Mondscheinnacht, als die Wellen wie Silberstreifen vorüberklatschten, und man die Einsamkeit wegen des sanften flüssigen Silbers, das von den Wellen ausgesät wurde, als silbernes Schweigen empfand, – in solcher Nacht erblickten wir vor den weißen Wasserblasen, die am Bug aufstiegen, eine Silberfontäne in der Ferne. Wie sie bei Mondenschein aufstieg, sah sie himmlisch aus, und ein glitzernder Gott schien in seinem Federschmuck aus dem Meere aufzustehen. Fedellah sah zuerst diese Fontäne; denn er pflegte in den Mondscheinnächten oben auf den Hauptmast zu steigen und dort mit derselben Wachsamkeit wie am Tage Ausschau zu halten. Obwohl Scharen von Walfischen bei Nacht gesehen werden, so würde doch kein einziger Walfischjäger unter hunderten wagen, bei Nacht die Boote herabzulassen. Man kann sich vorstellen, mit welcher Erregung die Matrosen den alten Orientalen, der da ganz oben zu solch ungewöhnlicher Stunde hockte, betrachteten. Es schien, als ob sein Turban mit dem Mond am Himmel in einer Ebene läge. Er hatte mehrere Nächte nacheinander dort oben in der einförmigen Stille zugebracht, ohne einen Laut von sich zu geben. Da meldete er mit seiner geisterhaften Stimme die silberartige Mondscheinfontäne, so daß jeder angelehnte Matrose aufsprang, als ob ein Geist in der Takelage sichtbar geworden wäre und die sterbliche Mannschaft begrüßt hätte: »Dort bläst sie!«
Wäre die Posaune des Jüngsten Gerichtes erklungen, so würden sie nicht so gezittert haben, und doch empfanden sie keinen Schrecken, sondern mehr ein Lustgefühl. Obwohl es zu einer ungewöhnlichen Stunde war, so war der Ruf so eindrucksvoll und so berauschend, daß fast jeder Mann an Bord instinktiv das Herablassen der Boote wünschte.
Ahab ging mit schnellen, nach der Seite weit ausholenden Schritten über Deck und befahl, daß man die Oberbramsegel aufsetzte und jedes Leesegel.
Der beste Mann mußte das Ruder in die Hand nehmen. Dann trieb, als jeder Mast bemannt war, das hochaufgetakelte Fahrzeug vor dem Winde dahin. Die das Schiff überkommende Brise blähte die vielen Segel auf, so daß man sich auf dem unruhig hin- und herschwankenden Deck vorkam, als ob man Luft unter den Füßen hätte. Dabei rauschte das Schiff davon, als ob zwei gegeneinandergerichtete Kräfte um die Herrschaft kämpften, eine, die oben nach dem Himmel strebte und eine andere, die nach einem mehr horizontal gerichteten Ziele hintrieb. Und wenn man Ahab in dieser Nacht ins Gesicht gesehen hätte, so wäre es einem vorgekommen, als ob auch in ihm zwei verschiedene Dinge kämpften. Während das lebendige Bein auch lebendige Echos an Deck verbreitete, klang das tote Bein bei jedem Gang wie ein Sargdeckel. Der alte Mann marschierte auf Tod und Leben. Aber obwohl das Schiff mit großer Geschwindigkeit fuhr, und obwohl aus jedem Auge Blicke wie Pfeile schossen, so bekam man doch in jener Nacht die Silberfontäne nicht mehr zu sehen. Jeder Matrose schwor, daß er sie einmal, aber nicht ein zweites Mal gesehen hätte. –
Man hatte die mitternächtliche Fontäne beinahe vergessen, als sie einige Tage später zur selbigen stillen Stunde wieder gemeldet wurde. Wieder wurde sie von allen entdeckt, aber als man die Segel aufsetzte und die Fontäne einholen wollte, da war sie wieder verschwunden, als ob sie niemals dagewesen wäre. – Und so kam sie eine Nacht nach der anderen, bis keiner sie betrachtete, ohne sich darüber zu wundern. Sie stieg bei hellem Mondlicht oder Sternenlicht auf. Sie verschwand dann einen, zwei oder drei Tage. Dann tauchte sie jedesmal in einer immer weiteren Entfernung vor uns auf, so daß wir den Eindruck hatten, die einsame Fontäne wolle uns auf den Leim locken.
Bei dem zu allen Zeiten dagewesenen Aberglauben ihres Berufes und im Einklang mit der Übernatürlichkeit, die, wie es schien, manchmal beim »Pequod« vorgekommen war, schworen einige Matrosen, mochte es nun sein, wo es wollte, und mochte es sich noch um so weit auseinanderliegende Längen und Breiten handeln, daß die unnahbare Fontäne immer von demselben Walfisch aufgeworfen würde und daß dieser Walfisch nur »Moby-Dick« sein könnte. Manchmal herrschte auch eine merkwürdige Furcht, wenn die Erscheinung eintrat. Man hatte gleichsam das Gefühl, als ob man hinterlistig immer weiter gelockt würde und das Ungeheuer sich in einem Bogen um uns drehte und uns schließlich in den entferntesten und wildesten Gewässern vernichten wollte.
Diese zeitweiligen Befürchtungen, die so unbestimmt und daher so entsetzlich waren, zogen einen guten Teil ihrer Kraft aus der blauen Heiterkeit des Himmels, zu der sie im Gegensatz standen. Der blaue Glanz, so nahmen einige an, müsse ein teuflisches Lockmittel bedeuten. Da wir Tag für Tag durch so milde und einsame Meere mit erschlaffendem Klima fuhren, so schien der Raum als Protest gegen unsere rachgierige Absicht sich allen Lebens vor unserem urnenhaften Bug zu entäußern.
Aber endlich stürmten die Winde vom Kap auf uns los, als wir östlichen Kurs nahmen, so daß wir auf den langen unruhigen Wellen, die für das Kap so charakteristisch sind, auf- und niederschaukelten. Da beugte sich der walfischbeingepanzerte »Pequod« vor dem Sturm und brach die dunklen Wellen in ihrem Ungestüm, so daß der Wellenschaum wie flüssiges Silber über den Schiffskörper flog. Da schwand auch alle niederdrückende Leere des Lebens dahin, aber noch schrecklichere Seufzer als vorher traten dafür an die Stelle.
Dicht vorm Bug schossen hier und da seltsame Gestalten im Wasser vor uns her, während hinter dem Schiff die unergründlichen Kormorane flogen. Alle Morgen sahen wir auf unseren Stags ganze Reihen von solchen Vögeln sitzen. Trotzdem wir sie anschrien, machten sie sich lange Zeit hartnäckig an dem Hanf zu schaffen, als ob sie unser Schiff für ein abtreibendes Fahrzeug ohne Bemannung hielten, für ein Ding, das zur Zerstörung bestimmt und daher für Heimatlose ein geeigneter Rastort wäre.
Man nennt es das Kap der guten Hoffnung. Der Ausdruck »Kap Tormentoto«, wie es früher genannt wurde, wäre besser. Wenn wir durch die trügerische Stille so lange verführt waren, so wurden wir jetzt in das gequälte Meer hinausgestoßen, wo in Vögel und Fische verwandelte schuldige Wesen dazu verurteilt zu sein schienen, auf ewig, ohne einen Hafen in Sicht, umherzuschwimmen, oder die schwarze Luft mit den Flügeln zu schlagen, ohne einen Horizont erblicken zu können. Der schneeweiße, ruhig und unveränderlich zum Himmel aufschießende Strahl der gebüschelten Fontäne hielt uns wieder zum Narren wie ehedem.
Sie wurde nun manchmal wieder gemeldet. Gegenüber den finsteren Elementen legte Ahab, obwohl er unaufhörlich auf dem durchnäßten und gefahrvollen Deck das Kommando hatte, die düsterste Zurückhaltung an den Tag. Mehr als sonst wandte er sich an seine Maate. Bei solchen gefährlichen Zeiten kann man, wenn alles hoch oben und in der Takelage in Ordnung gebracht ist, nichts tun, als ergeben den Ausgang des Sturmes abwarten. Dann wurden Kapitän und Matrosen zu reinen Fatalisten. Ahab steckte das künstliche Bein in das gewohnte Loch auf Deck und faßte mit der einen Hand fest an eine Schotte. Stundenlang stand er so da und sah starren Blickes windwärts, während eine Sturmbö mit Schlackerschnee seine beiden Augenbrauen zusammenfrieren ließ.
Inzwischen stand die Mannschaft, die von dem vorderen Teil des Schiffes durch die schwere See vertrieben war, die in einem fort über den Bug hinwegstürzte, in einer Reihe am Schiffskörper auf dem Mitteldeck. Um sich gegen die Springflut besser schützen zu können, hatte sich jeder ein Bugtau, das an der Reling befestigt war, um den Leib gebunden, so daß er wie in einem weiten Gürtel hin- und herschwang. Es wurde wenig oder gar nichts gesprochen. Und das stumme Schiff fuhr, als ob es von Matrosen aus Wachs bemannt wäre, durch die dämonisch wilden und übermütigen Wogen. –