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Achtundfünfzigstes Kapitel

Wie der Polarstern in den ewigen arktischen Nächten, die sechs Monate lang dauern, nicht untergeht, und durch seinen unwandelbaren Glanz alles überstrahlt, so leuchtete nun das Ziel Ahabs durch die ewige Mitternacht der melancholischen Stimmung der Schiffsmannschaft. Dies Ziel beherrschte sie in solchem Maße, daß alle Vorahnungen, Zweifel, Befürchtungen usw. sich unter ihren Seelen versteckten, und nicht eine einzige Nadel oder ein Blatt daraus zum Vorschein kam.

In dieser Zwischenzeit, wo die Schatten des Ereignisses schon vorausgeworfen wurden, hörte aller künstliche oder natürliche Humor auf. Stubb gab sich keine Mühe mehr, ein Lächeln zu erwecken, und Starbuck tat nichts, ein solches zu verhindern. So schien denn zu der Zeit alle Freude und alles Leid, alle Hoffnung und alle Furcht in dem Mörser der zu Eisen erstarrten Seele Ahabs zu dem feinsten Pulver zermahlen zu sein. Wie dumpfe Maschinen schlichen sie über das Deck, und sie fühlten, daß das Despotenauge des Alten auf ihnen lag.

Wenn sie auf Deck gingen, mochte es zu einer Tageszeit sein, wie es wollte, befand sich Ahab vor ihnen. Er stand entweder in seinem bestimmten Standloch oder schritt zwischen den beiden unabänderlichen Grenzen auf den Planken, zwischen dem Haupt- und Kreuzmast, ordnungsgemäß auf und ab. Oder sie sahen ihn in der Kajütenluke stehen, und er setzte den gesunden Fuß auf Deck, als ob er hinaufwollte. Er hatte den Schlapphut tief ins Gesicht gezogen und stand bewegungslos da, wenn man die Zeit abrechnete, wo er sich in seine Hängematte geschwungen hatte. Unter dem Schlapphut war er so versteckt, daß man nie sagen konnte, ob seine Augen nicht manchmal wirklich geschlossen waren, oder ob sie in einem fort prüfend sahen. Es machte ihm nichts, wenn er auch eine ganze Stunde in der Luke dastand und die nächtliche Feuchtigkeit sich in Tautropfen auf dem steinharten Rock und Hut sammelte. Wenn die Kleider in der Nacht naß geworden waren, so wurden sie von der Sonne am nächsten Tage wieder getrocknet. Und so ging er denn Tag für Tag und Nacht für Nacht nicht mehr unter die Planken. Was er aus der Kabine brauchte, ließ er sich von dort holen.

Er aß in derselben offenen Luft; er nahm nur zwei Mahlzeiten. Frühstück und Mittag. Das Abendessen rührte er nie an. Er schnitt sich auch nicht den Bart, der dunkel und ganz knorrig geworden war, so wie nicht in der Erde steckende Baumwurzeln, die fortgeweht sind, an einer freien Stelle weiterwachsen, aber im grünen Gebüsch umkommen.

Obwohl sein ganzes Leben nun eine Wache an Deck geworden war, und obwohl die geheimnisvolle Wache des Parsen ebensowenig unterbrochen wurde, schienen die beiden niemals miteinander zu reden, wenn nicht in langen Unterbrechungen eine vorübergehende Sache es erforderte; und obwohl die zwei durch einen mächtigen Zauber insgeheim verbunden zu sein schienen, so machten sie vor der angsterfüllten Mannschaft den Eindruck, als ob sie jeder einen Pol darstellten. Wenn sie bei Tage durch Zufall ein Wort miteinander sprachen, so waren sie in der Nacht so gut wie taub, soweit der leiseste Austausch eines Wortes in Frage kam. Manchmal standen sie lange Stunden, weit voneinander getrennt, im Sternenlicht, ohne sich etwas zuzurufen; Ahab in seiner Luke und der Parse an dem Hauptmast. Aber ihre Blicke waren starr aufeinander gerichtet, als ob Ahab in dem Parsen seinen vorangeworfenen Schatten, und der Parse in Ahab seine aufgegebene Substanz erblickte.

Sobald der erste Schimmer der kommenden Dämmerung sichtbar wurde, hörte man seine eisenharte Stimme vom Achterdeck: »Die Mastspitzen bemannen!« So ging es den ganzen Tag bis nach Sonnenuntergang, und nach dem Dunkelwerden hörte man alle Stunden, wenn die Glocke des Steuermanns ertönt: »Was seht ihr? Scharf aufpassen! Scharf aufpassen!«

Als aber drei oder vier Tage vorüber waren, seitdem man die »kindersuchende ›Rachel‹« getroffen hatte und man keine Fontäne gesichtet hatte, schien der monomanische Alte zu der Ergebenheit seiner Mannschaft kein Vertrauen zu haben. Es war so, als ob er fast allen, bis auf die heidnischen Harpuniere, mißtraute. Er schien anzunehmen, daß Stubb und Flask nur mit Widerwillen aufpaßten, aber er behielt seinen Verdacht für sich und hütete sich wohlweislich, ihm in Worten Ausdruck zu geben, wenn er auch in seinen Handlungen darauf hinzudeuten schien.

»Ich werde den Wal wohl selbst zuerst zu sehen kriegen«, sagte er. »Ja, Ahab muß sich selbst die Dublone verdienen!« Und dann wickelte er mit seinen eigenen Händen ein Bündel Bugleinen, die an einen Korb gebunden waren, los und schickte jemand mit einem einrolligen Flaschenzug hinauf, um sie oben an der Hauptmastspitze festzubinden. Er selbst nahm dann die beiden Enden des nach unten gehenden Seiles in Empfang. Er band das eine Seilende an den Korb und das andere Ende an einen Pflock, um es an der Reling zu befestigen. Als das geschehen war, hatte er das eine Ende noch in der Hand und stand so neben dem Pflock, wobei er nach der Mannschaft sah, die von einem Ende zum anderen sauste. Er betrachtete Daggoo, Queequeg und Tashtego sehr lange, wich aber Fedallah aus. Als er dann einen festen, vertrauensvollen Blick auf den Obermaaten richtete, sagte er: »Nimm das Seil, ich übergebe es dir, Starbuck.«

Als er sich dann mit seiner Person in den Korb verfügt hatte, gab er den Befehl, daß sie ihn zu seinem Sitz hinaufziehen sollten. Starbuck gab dann schließlich auf das Seil acht und stellte sich später daneben. Und indem Ahab sich so mit der einen Hand an der Oberbramstange festhielt, hielt er meilenweit in der Runde auf die See Umschau, nach vorn, nach hinten und nach der Seite und nach dem weiten, ausgedehnten Horizont, der von einer so außerordentlichen Höhe beherrscht wird.

Ahabs Verfahren war daher nicht ungewöhnlich. Es schien nur recht merkwürdig zu sein, daß Starbuck, der ja der einzige war, der es gewagt hatte, ihm in der schonendsten Weise entgegenzutreten, als er seinen Entschluß faßte, – und er war noch einer von denen, deren Zuverlässigkeit auf dem Ausguckposten er etwas in Zweifel gezogen hatte – es war recht merkwürdig, sage ich, daß er gerade diesen Mann gewählt hatte, und er so sein Leben den Händen eines Menschen aus freien Stücken anvertraute, dem er sonst nicht ganz traute.

Als Ahab zum erstenmal dort oben hockte, – und es waren kaum zehn Minuten vergangen, kam einer von den wilden Seefalken mit den roten Schnäbeln, die so oft dicht um die bemannten Mäste der Walfischer in jenen Breiten kreisen, flog mit großem Geschrei in einem Wirrwarr von geschwind gezogenen Kreisen, deren Spur man nicht feststellen konnte, um seinen Kopf, schoß dann tausend Fuß hoch in die Luft, ließ sich spiralförmig herunter, und wirbelte dann wieder um seinen Kopf herum.

Aber Ahab hielt den Blick starr auf den trüben und fernen Horizont gerichtet und bemerkte den wilden Vogel einscheinend nicht.

»Achten Sie auf Ihren Hut, Kapitän«, schrie plötzlich der Matrose von Sizilien, der auf dem Besanmast postiert war und unmittelbar hinter Ahab stand, wenn es auch etwas tiefer war.

Aber schon war die düstere Schwinge vor den Augen des Alten und der lange hakenförmige Schnabel an seinem Kopf. Und mit einem kreischenden Schrei schoß der schwarze Falke mit seiner Beute fort.

Ein Adler flog dreimal um den Kopf des Tarquinius, nahm ihm die Mütze ab und ersetzte sie ihm durch eine andere, worauf Tanaquil, seine Gemahlin, erklärte, daß er König von Rom werden würde. Aber nur dadurch, daß die Mütze durch eine andere ersetzt wurde, wurde das Omen für gut befunden. Ahab bekam seinen Hut nicht wieder. Der wilde Falke flog damit immer weiter und immer weiter ab vom Schiffsbug. Schließlich verschwand er, während von der Stelle aus, wo er mit dem Hut verschwunden war, ein ganz kleiner schwarzer Fleck undeutlich erkennbar wurde, der von gewaltiger Höhe in das Meer fiel.


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