Dmitrij Mereschkowskij
Der vierzehnte Dezember
Dmitrij Mereschkowskij

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Zweites Kapitel

In der Schlacht bei Kulm wurden zwei Kompanien ohne eine einzige Patrone in den Taschen kommandiert, mit blanker Waffe die Franzosen zu verjagen, die vom Waldrande her schossen. Der Kompaniechef Fürst Ssergej Petrowitsch Trubezkoi ging, seinen Säbel schwingend, so ruhig und lustig vor den Soldaten her, daß sie ihm wie ein Mann folgten und die Franzosen mit Bajonetten aus dem Walde jagten.

Und bei Lützen, als Prinz Eugen die Garderegimenter aus vierzig Geschützen bombardierte, erlaubte sich Trubezkoi einen Scherz mit dem Leutnant von Bock, der im ganzen Regiment wegen seiner Feigheit berühmt war: Er ging von hinten auf ihn zu und warf ihm einen Erdklumpen in den Rücken, und jener fiel wie tot um.

So war auch Trubezkoi selbst am Vierzehnten umgefallen.

Kaum war er am Morgen erwacht, als er sich sofort der gestrigen Worte Puschtschins erinnerte: »Sie werden doch immerhin auf dem Platze sein?« Und er fühlte sich wieder wie gestern schwach und matt, als wäre er plötzlich weich und flüssig geworden.

Er fürchtete, daß man ihn holen würde; er verließ das Haus, nahm eine Droschke und fuhr auf die Kanzlei des Generalstabs, um zu erfragen, wann die Vereidigung stattfinden solle: Er wollte sofort dem neuen Kaiser den Eid leisten, in der Hoffnung, daß, wenn etwas passierte, dieser Eifer ihm irgendwie angerechnet werden würde. Er erfuhr, daß die Vereidigung am nächsten Morgen um elf Uhr stattfinden sollte. Aus dem Generalstab ging er zu Fuß zu seiner Schwester in die Große Millionaja. Von ihr zu seinem Freund, dem Obersten und Flügeladjutanten Bibikow, der an der Ecke der Fontanka und des Newskij wohnte. Er traf diesen nicht zu Hause, blieb aber einige Zeit mit dessen Frau und Bruder und frühstückte mit ihnen. Als er sah, daß es schon ein Uhr geworden war, faßte er Mut, denn er glaubte, daß die Truppen schon vereidigt worden seien und alles ruhig abgelaufen sei. Er begab sich nach Hause, um sich umzukleiden und zum Gottesdienst ins Palais zu fahren.

Als er aus dem Newskij auf den Admiralitätsplatz kam, sah er die Menge und hörte die Schreie: »Hurra, Konstantin!« Er ließ seinen Wagen halten und fragte, was los sei. Als er hörte, daß es ein Aufstand sei, wurde er beinahe auf der Stelle ohnmächtig.

Was später kam, wußte er kaum. Er ging, er wußte selbst nicht warum, wieder in den Hof des Generalstabsgebäudes. Er stand nachdenklich da und wußte nicht, wo hinzugehen; schließlich stieg er die Treppe zur Kanzlei hinauf. Hier rannten irgendwelche Menschen mit erschrockenen Gesichtern herum.

Jemand sagte: »Die Herren in Uniformen möchten auf den Platz gehen. Dort befindet sich Seine Majestät der Kaiser.«

Alle gingen hinaus, und er ging mit. Unterwegs trennte er sich aber unbemerkt von den andern und ging durch den Hof des Generalstabsgebäudes in die Millionaja. Er wußte nicht, wo er hin sollte, und warf sich ratlos hin und her wie ein gehetzter Hase.

Vor dem Tor des Generalstabs sah er einen ihm bekannten Beamten. Jener rief ihn wieder auf die Kanzlei.

»Ach, dieses Unglück!« jammerte der Beamte.

»Man hat den Miloradowitsch ermordet!« rief jemand dicht am Ohre Trubezkois. Seine Beine knickten ein.

»Ist Ihnen nicht wohl, Fürst?«

Jemand hielt ihm Riechsalz vor die Nase. Und plötzlich befand er sich wieder auf der Straße mit irgendwelchen unbekannten Menschen. Er merkte, daß man ihn auf den Senatsplatz führte.

»Mir ist nicht wohl, meine Herren, ich bin ganz krank!« Er weinte beinahe.

Und wieder sah er sich in der Kanzlei. ›O Gott, das wievieltemal schon!‹ dachte er sich voller Verzweiflung. Er ging ganz zurück in das Botenzimmer. Hier war niemand da, alle waren weggelaufen. Lange saß er hier und freute sich, daß man ihn endlich in Ruhe ließ.

Als es dunkel geworden war, ertönten Kanonenschüsse, so laut, daß die Fensterscheiben klirrten. Er sprang auf und wollte hinauslaufen, fiel aber in den Stuhl und hörte wie erstarrt einen Schuß nach dem andern krachen.

Neben dem Botenzimmer befand sich eine dunkle Kammer, in der man die amtlichen Pakete zuzunähen und zu versiegeln pflegte; es roch hier nach Siegellack, Bast und Segeltuch; an der Wand brannte trüb ein Öllämpchen; auf dem Tische lagen Bindfadenknäuel, und in der Decke steckte ein großer Haken, der für eine andere Lampe bestimmt war. Er sah diesen Haken wie gedankenlos an und erinnerte sich erst später, daß er sich dabei gedacht hatte: ›Es wäre gut, sich zu erhängen!‹

Die Schießerei hörte auf. Ins Zimmer kamen Boten, Diener, Kuriere; sie verbeugten sich vor ihm tief und sahen ihn erstaunt an. Er stand auf und ging hinaus.

Er wußte noch immer nicht, wo er hin sollte. Endlich entschloß er sich, bei seinem Schwager, dem österreichischen Botschafter Lebzeltern, zu übernachten. Er wußte zwar, daß man ihn auch dort verhaften würde; aber er benahm sich wie ein Schuljunge, der etwas angestellt hat und weiß, daß er der Rute nicht entgehen wird, sich aber dennoch unter den Tisch versteckt.

Bei den Lebzelterns befand sich Katascha. Erst als er sie erblickte, begriff er, wie sehr er sich nach ihr die ganze Zeit, ohne es selbst zu wissen, gesehnt hatte; am meisten quälte ihn, daß sie noch nichts wußte. Er wollte es ihr sofort sagen, zog aber vor, es noch hinauszuschieben; er schob es auch später noch einigemal hinaus. So hatte er es ihr bis zuletzt nicht gesagt, obwohl er wußte, daß es die größte Gemeinheit war.

Da er müde war, ging er früh zu Bett und schlief fest ein. Er hatte ungewöhnlich angenehme Träume: Er sah Berge, die keine Berge, Wellen, die keine Wellen waren, dunkellila, durchsichtig wie Amethyste, und er flog über ihnen, schwebte wie in einer Schaukel und war plötzlich glücklich, daß er erwachte.

Lange lag er im Dunkeln mit offenen Augen, lächelte und fühlte sein Herz noch immer vor Freude schlagen. Er wollte sich auf den Traum besinnen und konnte es nicht – es war gar zu ungewöhnlich; jedenfalls wußte er sicher, daß es mehr als ein Traum war. Er erinnerte sich plötzlich seiner Angst von vorhin und fühlte, daß sie schon verschwunden war und nie wiederkehren würde; er schämte sich sogar nicht, sondern wunderte sich nur: Es war ihm, als sei es früher gar nicht er, sondern jemand anderer gewesen. Er besann sich auch auf seinen Lieblingspsalm; er pflegte ihn immer lateinisch zu rezitieren, wie er ihn als Kind in der Jesuitenpension vom alten polnischen Pater Aloisius gelernt hatte:

»Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf Dich. Ich will Gottes Wort rühmen, auf Gott will ich hoffen und mich nicht fürchten; was sollte mir das Fleisch tun? Meine Feinde werden sich müssen zurückkehren, wenn ich rufe. So werde ich inne, daß Du mein Gott bist. Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was können mir die Menschen tun?«

Er schloß wieder die Augen. – »So schlafen alle Verurteilten . . . Nun, mag sein«, ging es ihm durch den Sinn, und schon schlief er wieder, noch süßer, noch tiefer, aber schon ohne Träume.

Er erwachte plötzlich, wie es so oft im Schlaf vorkommt, nicht weil geklopft wurde, sondern weil er wußte, daß gleich geklopft werden würde. Und nach einer Minute wurde wirklich an die Tür geklopft.

»Durchlaucht, Durchlaucht!« rief der Kammerdiener erschrocken.

»Was ist denn?«

»Man ist aus dem Schlosse gekommen.«

Er begriff, daß man ihn verhaften kam.

Vier Soldaten mit bloßen Säbeln führten den Arrestanten in das kaiserliche Empfangszimmer. Nach ihm traten die Generaladjutanten Ljewaschow, Toll und Benkendorf, der Schloßkommandant Baschuzkij und der Ober-Polizeimeister Schulgin ins Zimmer.

Nikolai stand auf, ging auf Trubezkoi zu und musterte ihn lange und stumm: Er ist pockennarbig und rothaarig; hat einen zerzausten dünnen Backenbart, abstehende Ohren, eine große Hakennase, dicke Lippen und zwei schmerzvolle Falten an den Mundwinkeln.

›So sieht also ihr Diktator aus! Er zittert, ist vor Angst ganz verjudet!‹ dachte sich der Kaiser, wieder vom Durste gequält, verachten zu können.

Er kam näher und führte seinen Zeigefinger an Trubezkois Stirne.

»Was war in Ihrem Kopfe, als Sie, mit Ihrem Namen, mit Ihrer Familie sich auf so eine Sache einließen? Gardeoberst Fürst Trubezkoi, wie? Schämten Sie sich nicht, mit jenem Gesindel zu sein?«

Er kam sich in diesem Augenblick selbst als Apollo von Belvedere vor, der den Python besiegt. Aber diese Maske fiel, und an ihre Stelle trat eine andere: an Stelle der drohenden – eine empfindsame, dieselbe, die er früher vor Toll anprobiert hatte.

»Sie haben eine so liebe Frau! Haben Sie Kinder?«

»Nein, Majestät.«

»Ein Glück für Sie, daß Sie keine Kinder haben. Ihr Los wird schrecklich sein, schrecklich!«

Trotz des scheinbaren Zorns war er ruhig: Alles war schon im voraus überlegt.

»Warum zittern Sie?«

»Ich bin erfroren, Majestät. Bin eben im bloßen Waffenrock gefahren.«

»Warum im bloßen Waffenrock?«

»Man hat mir meinen Pelz gestohlen.«

»Wer?«

»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich im Gedränge, als man mich verhaftete; es waren viele Leute dabei«, antwortete Trubezkoi mit einem Lächeln: In diesen großen grauen, einfachen, traurigen und guten Augen war nicht die geringste Angst. Er stand ungelenk und gebückt da, die Hände im Rücken.

»Wollen Sie stehen, wie es sich gehört! Die Hände an die Hosennaht!«

»Sire . . .«

»Wenn Ihr Kaiser zu Ihnen russisch spricht, so dürfen Sie ihm nicht in einer andern Sprache antworten!«

»Verzeihen, Majestät, meine Hände sind gebunden . . .«

»Aufbinden!«

Schulgin ging auf ihn zu und fing an, ihm die Hände aufzubinden. Der Kaiser wandte sich weg. Er sah in den Händen Tolls ein Papier und befahl ihm: »Lies!«

Toll las die Aussage eines der Verhafteten, dessen Namen er nicht nannte; die Vorgänge vom Vierzehnten seien das Werk der Geheimen Gesellschaft, die außer den Mitgliedern in Petersburg auch viele im 4. Armeekorps habe; Fürst Trubezkoi, der diensthabende Stabs-Offizier des Armeekorps, könne darüber jede Auskunft geben.

Trubezkoi hörte es und freute sich: Er sah, daß der Aussagende die Untersuchung auf eine falsche Spur geleitet hatte, um die Existenz der Südlichen Gesellschaft zu verheimlichen.

»Ist es die Aussage Puschtschins?«

»Ja, Majestät«, antwortete Toll.

Trubezkoi merkte, daß sie sich dabei zublinzelten.

»Nun, was sagen Sie dazu?« wandte sich der Kaiser wieder an ihn.

»Puschtschin irrt sich, Majestät«, antwortete Trubezkoi, seinen ganzen Verstand anspannend, um zu erraten, was dieses Blinzeln wohl bedeuten könne.

»Aha, Sie meinen, es ist Puschtschin?« fiel Toll über ihn her.

Trubezkoi ließ sich aber nicht beirren – er hatte es schon verstanden: Man wollte durch ihn Puschtschin einfangen.

»Euer Exzellenz haben doch selbst gesagt, es sei die Aussage Puschtschins.«

»Wo wohnt Puschtschin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vielleicht bei seinem Vater?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich habe immer gesagt, daß das 4. Armeekorps das Nest der Verschwörer ist«, sagte Toll.

»Exzellenz sind durchaus falsch unterrichtet. Im 4. Armeekorps gibt es keine Geheime Gesellschaft, ich verbürge es!« sagte Trubezkoi und sah ihn mit einem beinahe unverhohlenen Triumph an.

Jener verstummte mit dem Gefühl eines Jägers, dem das Wild unter der Nase entwischt. Auch der Kaiser machte ein finsteres Gesicht: Auch er sah, daß die Sache verdorben war.

»Aber wie steht es mit Ihnen, mit Ihnen? Sprechen Sie von sich. Haben Sie der Geheimen Gesellschaft angehört?«

»Ich habe ihr angehört, Majestät«, antwortete Trubezkoi ruhig: Er wußte, daß er nicht mehr aus dem Konzept kommen würde.

»Waren Sie Diktator?«

»Zu Befehl, ja.«

»Der ist gut! Er versteht nicht, eine Abteilung zu kommandieren, wollte aber die Schicksale der Völker leiten! Warum waren Sie nicht auf dem Platz?«

»Als ich sah, daß sie nur meinen Namen brauchten, verließ ich sie. Übrigens hoffte ich bis zum letzten Augenblick, daß, wenn ich mit ihnen als ihr Anführer in Verbindung bleibe, es mir gelingen würde, sie von dem unsinnigen Vorhaben abzubringen.«

»Von was für einem Vorhaben? Vom Zarenmord?« fiel Toll erfreut wieder über ihn her.

›An den Zarenmord dachte niemand‹, wollte Trubezkoi antworten. Aber es fiel ihm ein, daß es nicht wahr sei, darum antwortete er:

»Der Zarenmord gehörte nicht zu den politischen Absichten der Gesellschaft. Ich wollte sie von der Aufwiegelung der Truppen und vom unnötigen Blutvergießen abbringen.«

»Wußten Sie von der Verschwörung?«

»Ja.«

»Und erstatteten keine Anzeige?«

»Es konnte mir gar nicht einfallen, Majestät, jemand das Recht zu geben, mich einen Schuft zu nennen.«

»Und wie wird man Sie jetzt nennen?« Trubezkoi antwortete nichts, blickte aber den Kaiser so an, daß jener sich verlegen fühlte.

»Lassen Sie die Finten, Herr! Wollen Sie alles sagen, was Sie wissen!« schrie ihn Nikolai streng an. Er fing an, böse zu werden.

»Sonst weiß ich nichts.«

»Sie wissen nichts? Und was ist das?«

Er trat schnell an den Tisch und nahm das Blatt mit dem Entwurf der Konstitution. Auf dem Blatt lag die Kugel: Er hatte sie mit Absicht daraufgelegt, um das Papier gleich finden zu können.

»Das wissen Sie auch nicht? Wer hat das geschrieben? Wessen Hand ist das?«

»Meine Hand.«

»Wissen Sie, daß ich Sie deswegen gleich auf der Stelle erschießen lassen kann?«

»Lassen Sie mich erschießen, Majestät, Sie haben das Recht dazu«, erwiderte Trubezkoi und hob wieder die Augen. Ihm fielen die Worte ein: ›Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht, was können mir die Menschen tun?‹

›Ich darf mich nicht ärgern! Ich soll es nicht!‹ sagte sich der Kaiser, aber es war schon zu spät: Die ihm bekannte Lust der Raserei lief ihm wieder durch die Adern.

»Ach so, Sie glauben, man wird Sie erschießen, und Sie werden deswegen interessant werden?« flüsterte er keuchend, sein Gesicht dem seinen nähernd und gegen ihn vorgehend, so daß jener zurückwich. »Aber gefehlt: Ich werde Sie nicht erschießen, ich werde Sie in der Festung verfaulen lassen! In Ketten! Eine Elle unter der Erde! Ihr Los wird schrecklich sein, schrecklich, schrecklich!«

Je öfter er dieses Wort wiederholte, um so mehr fühlte er seine Ohnmacht: Da steht jener vor ihm und fürchtet nichts. Er kann ihn einsperren, in Ketten schlagen, foltern und töten und kann ihm doch nichts tun!

»Schurke!« schrie Nikolai, sich auf Trubezkoi stürzend und ihn am Kragen packend. »Hast deine Uniform beschmutzt! Herunter mit den Achselstücken! Herunter mit den Achselstücken! So! So! So! So!« Er stieß, schüttelte und zerrte ihn und zwang ihn schließlich zu Boden.

»Majestät«, sagte Trubezkoi leise, auf den Knien liegend und ihm in die Augen blickend. Der Kaiser verstand den Blick: ›Schämen Sie sich denn nicht?‹ Er kam zu sich, ließ von ihm ab, setzte sich in den Sessel und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Alle erwarteten schweigend, womit das wohl enden würde. Trubezkoi stand auf und sah Nikolai mit dem stillen Lächeln von vorhin an. Hätte jener es gesehen, so würde er verstanden haben, daß in diesem Lächeln Mitleid war.

Die Tür aus dem Schlaf- und Arbeitszimmer ging auf. Der Großfürst Michail Pawlowitsch steckte vorsichtig den Kopf hinein, zog ihn dann ebenso vorsichtig zurück und schloß die Tür.

Das Schweigen dauerte lange. Der Kaiser nahm endlich die Hände vom Gesicht. Es war unbeweglich und undurchdringlich.

Er stand auf und wies Trubezkoi auf den Sessel vor dem Tisch.

»Setzen Sie sich und schreiben Sie an Ihre Frau«, sagte er, ohne ihn anzusehen.

Trubezkoi setzte sich, nahm die Feder und sah den Kaiser an.

»Was befehlen Majestät zu schreiben?«

»Was Sie wollen.«

Nikolai blickte über seine Schulter und las:

»Liebe Freundin, sei unbesorgt und bete zu Gott . . .«

»Was ist da viel zu schreiben. Schreiben Sie nur: Ich werde leben und gesund sein«, sagte der Kaiser.

Trubezkoi schrieb:

»Der Kaiser steht neben mir und befiehlt mir zu schreiben, daß ich lebe und gesund bin.«

»Daß ich leben und gesund sein werde. Schreiben Sie ›sein werde‹ darüber.«

Trubezkoi korrigierte. Der Kaiser nahm den Brief und gab ihn Schulgin:

»Wollen Sie ihn an die Fürstin Trubezkoi bestellen.«

Schulgin ging hinaus. Trubezkoi stand auf. Wieder trat Schweigen ein. Der Kaiser stand vor ihm, sah ihn noch immer nicht an und hielt die Augen gesenkt, als wagte er nicht, sie zu heben.

Er setzte sich an den Tisch und schrieb an den Kommandanten Ssukin:

»Trubezkoi kommt in den Alexej-Ravelin, auf Numero 7.«

Den Zettel gab er Toll.

»Nun, gehen Sie«, sagte er und hob den Blick auf Trubezkoi. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Fürst. Meine Lage ist wenig beneidenswert, wie Sie es selbst zu sehen belieben.« Er lächelte schief und errötete wieder. Er fühlte, daß daraus wieder nichts wurde, und runzelte die Stirn. »Gehen Sie, gehen Sie alle!« Und er winkte mit der Hand.

Als alle gegangen waren, setzte er sich wieder auf den früheren Platz auf dem Sofa. Er saß unbeweglich, wie erstarrt da, duselte aber nicht mehr, sondern blickte mit weit aufgerissenen Augen gerade vor sich hin, auf den Spiegel. An der Wand über dem Sofa hing ein lebensgroßes Bildnis des Kaisers Paul I. Die Flammen der heruntergebrannten Kerzen auf dem Jaspistischchen in der Ecke zitterten, und in diesem flackernden Schein wurde das Bildnis im Spiegel wie lebendig; das kleine Männchen mit der Stutznase, mit den Augen eines Verrückten und dem Lächeln eines Totenkopfes, im Habit des Großmeisters des Malteserordens, in purpurnem Mantel, der an ein Bischofsornat erinnerte, schien lebendig zu werden und sich zu bewegen: Gleich tritt er aus dem Rahmen.

Der Sohn sah den Vater an, und der Vater den Sohn, als wollten Sie einander etwas sagen.

Elfter März – Vierzehnter Dezember. Damals hatte es angefangen, nun ging es weiter. ›Man wird mich erwürgen, wie man den Vater erwürgt hat‹ – diese Worte Konstantins kamen dem Kaiser in den Sinn. Er konnte sich selbst dasselbe sagen, was er vorhin zu Trubezkoi gesagt hatte: »Dein Los wird schrecklich sein, schrecklich!«

Er stand auf und trat vor den Spiegel. Unten, zu Füßen des Vaters erschien das Gesicht des Sohnes. Bleich, mit entzündeten roten Lidern, aufgeworfenen Lippen, wie bei einem Schuljungen, den man in eine Ecke gestellt hat, mit zerzausten, zu Berge stehenden Haaren. Es war, als sei es nicht er, sondern ein anderer, sein Doppelgänger, der ›Usurpator‹, der ›Emporkömmling von einem Kaiser‹.

Er näherte das Gesicht dem Spiegelglas. Die Lippen verzerrten sich zu einem Lächeln und flüsterten lautlos:

»Stabshauptmann Romanow, du bist aber ein . . .«

Er taumelte entsetzt zurück: Es schien ihm, als sei es nicht er, sondern jener andere, der im Spiegel lachte und flüsterte:

»Stabshauptmann Romanow, du bist aber ein . . .«

 


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