Dmitrij Mereschkowskij
Der vierzehnte Dezember
Dmitrij Mereschkowskij

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Fünftes Kapitel

Die Festungsbehörde hatte den Befehl, alles aufzubieten, daß keiner der Eingekerkerten vor Beendigung des Prozesses sterbe. Golizyn wurde deshalb eine bessere Behandlung zuteil: Man gab ihm ein weiches Bett; bessere Nahrung und Bücher, nach den Fußfesseln nahm man ihm auch die Handschellen ab, und zuletzt kam er in eine andere, trockenere Zelle. Aber er sehnte sich nach seiner alten, engen, dunklen Zelle zurück, nach den im Ziegelboden ausgetretenen Vertiefungen, der befreundeten Spinne und den feuchten Flecken an den Wänden, die für ihn keine Flecken waren, sondern Gesichter und Gestalten.

Anfang April ging es ihm schon besser. Als er fühlte, daß er nicht sterben würde, wollte er sich betrüben und konnte es nicht. Mag er noch Monate, Jahre, Jahrzehnte eingekerkert bleiben, mögen ihm neue, noch unbekannte Qualen bevorstehen – nur leben!

Das Fenster seiner neuen Zelle ging nach Süden. Unten war ein Graben, und die Mauern der Bastion traten so weit zurück, daß er ein größeres Stück Himmel sehen konnte und die Sonne, obwohl das Fenster fast zwei Ellen tief in der Mauer lag, Anfang April zu ihm hereinblickte und auf der weißen Wand einen hellen spitzen Winkel und den schwarzen Schatten des Gitters zeichnete.

Er pflegte in diesem Winkel zu sitzen und mit zusammengekniffenen Augen gerade in die Sonne zu blicken. Er dachte an nichts und sog nur wie eine Pflanze Licht und Wärme ein. Die Sonne und er – sonst brauchte er niemand und nichts. Und Marinjka? Marinjka ist das, was die Sonne auf die Erde scheinen läßt. Es war ihm, als hätte er erst hier im Gefängnis erfahren, was Freiheit und Glück sind. Anfangs erschrak er und schämte sich dessen, daß er so einfach glücklich sei, aber dann begriff er, daß wieder ›alles gut ist‹. »Wie gut, mein Gott!« Er wollte beten, konnte aber keine Worte finden, es war nur ein Seufzen zu Gott, die Frage und die Antwort: ›Hier?‹ ›Hier!‹ Und seine ganze Seele wurde von der letzten Stille erfüllt.

Mit P. Pjotr versöhnte er sich endgültig. Er begriff, daß der Geistliche zwar ein ›Gauner‹ war, daß aber die Gaunerei sich bei ihm wie bei den meisten Russen mit Güte paarte. Anfangs hatte er vielleicht geschwindelt und beiden Parteien gedient; allmählich war er aber den Kerkermeistern untreu geworden und auf die Seite des Eingekerkerten übergegangen. Er ahnte, nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen, daß diese ›Verbrecher‹ vielleicht die besten Menschen in Rußland waren. Er gewann sie lieb wie ein richtiger geistlicher Vater seine Kinder.

»Sie gehören doch zu uns, P. Pjotr«, sagte ihm einmal Golizyn.

»Endlich haben Sie es verstanden«, antwortete P. Pjotr freudestrahlend. »Ich bin euer, meine Freunde! Mit solchen Menschen will ich leben und sterben!«

Am Palmsonntag, den 12. April, kam Myslowskij zu Golizyn in die Zelle im Ornat, mit dem Kelch in der Hand und sagte, daß er den Gefangenen das Abendmahl reiche.

»Wollen Sie nicht kommunizieren, Fürst?« fragte er wie bei seinem ersten Besuch vor drei Monaten, und Golizyn gab ihm die gleiche Antwort: »Nein, ich will nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Weil ich Christus nicht mit dem Tier vermischen möchte.«

Und er erklärte ihm seinen alten Gedanken von der gotteslästerlichen Vermengung dessen, was des Kaisers ist, mit dem, was Gottes ist, der Zarengewalt mit der Kirche.

»Und wenn es sich auch wirklich so verhält, warum sollen Sie zugrunde gehen? Ißt der Hungrige nicht auch in einer Räuberhöhle Brot?«

Golizyn verstummte, völlig entwaffnet: So gerührt und entsetzt war er von dieser Demut, die vielleicht nicht nur P. Pjotr, sondern auch allen, die hinter ihm standen, eigen war.

»Sie wissen doch, P. Pjotr, daß ich unter die Übeltäter gerechnet werde, und Sie wissen auch, daß ich nichts bereue. Würden Sie denn auch einem Unbußfertigen das Abendmahl reichen?«

»Ja.«

»Auch einem Mörder?«

»Was sagen Sie bloß, Fürst, wen haben Sie ermordet?«

»Es ist ganz gleich: Ich wollte morden; ich wollte das Tier im Namen Christi töten. Darf man im Namen Christi töten, was glauben Sie, P. Pjotr?«

P. Pjotr stand am Fenster. Ein Sonnenstrahl fiel auf den goldenen Kelch in seiner Hand, und dieser leuchtete wie die Sonne. Seine Hände zitterten so, daß man glaubte, er würde gleich den Kelch fallen lassen. Seine Lippen bewegten sich lautlos: Er wollte etwas sagen und konnte nicht.

»Ich weiß nicht«, sagte er endlich. »Ich kann Sie nicht richten. Gott wird Sie richten . . .«

Golizyn sank in die Knie.

»Verzeihen Sie, P. Pjotr! Wenn Sie es auch könnten, ich kann es nicht . . .« flüsterte er, ihm die Hand küssend, und fiel vor dem Kelche nieder.

P. Pjotr erteilte ihm stumm den Priestersegen und ging.

Am 18. April, in der Osternacht, schlief Golizyn nicht: Er wartete immer auf etwas und lauschte. Aber durch die dicken Mauern der Kasematte drang kein Ton, es war still wie im Grabe. Er stieg auf das Fensterbrett und blickte durch das Loch des Ventilators hinaus; auch in seiner neuen Zelle hatte er die Blechflügel des Ventilators herausgebrochen. Er sah nur eine Finsternis, schwarz wie Tinte. Er drückte sein Ohr an das Loch und hörte das dumpfe Dröhnen der Osterglocken: Es klang wie das ferne Summen eines Bienenkorbes.

Es war ihm, als hätte er noch niemals so deutlich, wie hier in dieser Kasematte lebendig begraben, gefühlt, daß Christus erstanden ist.

Im Mai fing man an, die Gefangenen ins Gärtchen innerhalb des Alexej-Ravelins herauszulassen. So kam auch Golizyn an die Luft.

Als er über die Schwelle der Außentüre trat, blendete ihn das Sonnenlicht so, daß er die Augen mit der Hand schützte. In der frischen Luft stockte ihm der Atem, und es kam ihm wie einem, der nach langer Seefahrt ans Land gekommen ist, vor, als schwanke der Boden unter seinen Füßen. Der Feuerwerker Schibajew stützte ihn am Arm und führte ihn ins Gärtchen.

Das Gärtchen war dreieckig, ganz von hohen Mauern eingeschlossen, wie der Grund eines Brunnens; die Mauern waren aus Granit, glatt, nackt, fensterlos, unten wie ein wilder Fels mit grünem Moos und gelbgrauen Flechten bewachsen; es war in ihnen nur eine einzige eisenbeschlagene und vergitterte Tür.

Ein wenig Gras, einige Büsche Flieder, Hollunder und Faulbaum, zwei oder drei kleine Birken; zwischen ihnen eine halbzerbrochene hölzerne Bank, an einer der Mauern ein Rasenhügel mit einem alten, schiefen Kreuz, wie Schibajew erklärte, das Grab einer während einer Überschwemmung ertrunkenen Gefangenen, der Fürstin Tarakanowa.Tarakanowa, Fürstin, eine Abenteurerin, die sich für die Tochter der Kaiserin Elisabeth und Rasumowskijs ausgab; starb 1775 in der Peter-Pauls-Festung an der Schwindsucht; eine Legende behauptet, sie sei in ihrer Zelle bei einer Überschwemmung ertrunken. Anm. d. Übers.

Das elende Gärtchen erschien Golizyn wie das Paradies Gottes. Wie der erste Mensch im Paradies oder wie ein aus dem Grabe auferstandener Toter blickte er mit unstillbarer Gier auf die gelben Löwenzahnblüten, auf die klebrigen Birkenknospen, auf den blauen Himmel und die wie lichter Dampf schmelzenden Wolken.

Das Glockenspiel ertönte dicht über seinem Kopf! Er blickte hinauf.

»Kommen Sie doch her, Euer Wohlgeboren, von hier können Sie besser sehen«, sagte ihm Schibajew und zeigte in eine der Ecken des Dreiecks. Golizyn ging hin, stieg auf den Vorsprung der Regenrinne, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und erblickte die in der Sonne wie ein Feuerschwert leuchtende goldene Nadel der Peter-Pauls-Festung mit dem posaunenden Erzengel, der ihm wie ein Zeichen erschien, daß die Gefangenen aus diesem Grabe erst bei der Auferstehung aller Toten in die Freiheit kommen würden.

Er ging wieder in die Mitte des Gärtchens und setzte sich auf die Bank. Schibajew erzählte ihm etwas, aber er hörte ihn nicht. Der Soldat sah, daß Golizyn allein bleiben wollte, trat zur Seite und steckte sich sein Pfeifchen an.

Golizyn betrachtete lange den feinen weißen Stamm der Birke, dann umarmte er ihn plötzlich, schmiegte seine Wange an ihn und schloß die Augen. Er mußte an Marinjka denken: »Wenn ich ins Gehölz komme, stehen die jungen Birken wie dünne Wachskerzen da, ihre Haut ist so warm, weich, von der Sonne durchwärmt, ganz wie lebendig. Ich umarme sie, schmiege meine Wange an sie, liebkose sie: Mein liebes, trautes Schwesterchen!«

Als Golizyn in seine neue ›helle‹ Zelle zurückkehrte, erschien sie ihm wie ein enger, finsterer Sarg. Es war, als wäre er für einen Augenblick dem Grabe entstiegen und dann wieder ins Grab gestürzt: Dann lieber gar nicht auferstehen! Er entschloß sich, nie wieder ins Gärtchen zu gehen. Zweimal verzichtete er darauf, aber das drittemal hielt er es doch nicht aus und ging ins Gärtchen.

Die Birkenknospen waren schon aufgegangen, und der Duft des blühenden Flieders wehte ihm taufrisch ins Gesicht. Er setzte sich wieder auf die Bank, umarmte die Birke, schmiegte seine Wange an sie und schloß die Augen. Ein solcher Gram preßte ihm die Brust zusammen, daß er wie vor Schmerz schreien wollte.

Plötzlich hörte er Schritte. Er öffnete die Augen, sprang auf und streckte die Arme mit einem leisen Schrei des Entsetzens aus: Es war ihm, als sähe er das Gespenst Marinjkas.

»Valja, Liebster!« rief sie, ihn umarmend und sich mit dem ganzen Körper an ihn schmiegend – die lebendige, lebendige Marinjka.

Was später kam, wußten sie nicht mehr. Sie sprachen, überstürzten sich, unterbrachen einander, verstanden einander nicht, lachten und weinten. Er sah sie immer an, staunte und erkannte sie nicht wieder: So schmächtig und blaß war sie geworden und zugleich in einer neuen, ihm noch unbekannten Schönheit erblüht! Ein neunzehnjähriges Mädchen und zugleich ein erwachsenes Weib. Dieser ruhige Mut! Weder Angst noch Trauer in den großen, dunklen Augen, sondern nur die unendliche Macht der Liebe wie in den Augen der Allmächtigen auf dem Bilde Raffaels.

»Marinjka, du . . . mein Gott! Wie kommst du her?« – »Du hast wohl geglaubt, daß ich nicht komme? Nun bin ich doch gekommen. Ankudinytsch hat mich hergebracht.« – »Was für ein Ankudinytsch?«

»Nitschiporenko. Kennst du ihn denn nicht? Da steht er.«

Golizyn bemerkte neben Schibajew den Gefreiten Nitschiporenko, denselben, der ihm einmal mit Ruten gedroht hatte.

»Ich komme ja jeden Tag in die Festung, ich tue so, als ginge ich zur Messe in die Kirche. Ich wußte nicht, daß du im Ravelin sitzt. Vom Boulevard neben der Kirche kann man die Fenster der Kasematten sehen, aber alle sind gleich, übertüncht, man kann nichts erkennen. Ich schaue immer hinüber und suche zu erraten, welches Fenster das deinige ist. Alle haben mich hier satt. Der Kommandant schimpft; einmal wollte er mich sogar aus der Kirche entfernen. Jetzt verkleide ich mich manchmal als Bauernmädchen, wenn ich herkomme. Poduschkin hat eine Tochter, Adelaida Jegorowna, eine herzensgute alte Jungfer. Sie hat sich in Kachowskij verliebt . . . Ach, mein Gott, ich muß dir so viel sagen, rede aber lauter Unsinn! Weißt du, als der Eisgang begann . . .«

Sie fing an, erzählte es aber nicht zu Ende: Sie hielt wohl auch das für Unsinn. Sie wollte erzählen, wie der Haushofmeister der Großmutter, Ananij, der auch oft in die Festung kam, sie einmal mit der Nachricht erschreckte, daß der Fürst im Sterben liege. Sie wollte sofort in die Festung, aber alle Brücken waren abgenommen, da der Eisgang eben begonnen hatte. Die Bootsleute wollten sie nicht hinüberfahren. Endlich überredete sie einen: Er übernahm es, sie für fünfundzwanzig Rubel hinüberzubringen. Er warf ihr das Strickende zu: Sie mußte es an den eisernen Ring im Ufergeländer befestigen, um die vereisten Stufen der Granittreppe hinunterzusteigen. Sie konnte es lange nicht fertig bringen: Der Strick war hart gefroren, der eiserne Ring schwer, die Granitstufen waren mit Eis überzogen und glatt, und ihre Hände schwach. Aber die schwachen Hände bewältigten alles – das Eis, das Eisen und den Granit. Sie stieg in das kleine Boot. Die Eisschollen türmten sich übereinander, barsten und krachten, trieben gegen das Boot und drohten es umzuwerfen. Der alte Bootsmann, ganz blaß vor Schreck, fluchte und betete abwechselnd. Als sie aber das andere Ufer erreichten, blickte er sie entzückt an und dachte sich wohl, wie alle, die sie ansahen: »Ach, ist das ein hübsches Mädel!« Es war schon spät, die Tore der Festung waren geschlossen, der Posten wollte sie nicht hereinlassen. Sie steckte ihm Geld zu, und er machte auf. Sie lief in die Wohnung Poduschkins. Adelaida Jegorowna beruhigte sie: Der Fürst sei wohl schwer krank gewesen, aber jetzt ging es ihm besser; der Arzt verspreche, daß er bald vollständig genesen werde. »Wie sehen Ihre Händchen aus, Durchlaucht?« schrie die alte Jungfer plötzlich entsetzt. Marinjka sah ihre Hände an: die Handschuhe zerfetzt, die Hände blutig: Sie hatte sich die Haut am vereisten Strick abgeschunden. Sie lächelte und dachte daran, wie er ihr einst die inneren Handflächen zu küssen pflegte.

»Warum trägst du Trauer?« fragte Golizyn, als sie endlich verstummten und einander schweigend in die Augen sahen, alles erratend, was sie nicht auszusprechen vermochten. Jetzt erst merkte er, daß sie ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Hut mit schwarzem Schleier trug.

»Die Großmutter ist gestorben.«

»Geht es Nina Ljwowna gut?«

»Nein, nicht besonders«, antwortete sie, die Augen senkend, und brachte die Rede auf andere Dinge.

Er begriff, daß sie ihn anflehte, nicht von der Mutter zu sprechen: Sie wollte diesen Schmerz allein tragen.

Nitschiporenko ging auf sie zu.

»Ich bitte, Durchlaucht.«

»Sofort, Ankudinytsch, noch einen Augenblick . . .«

»Es geht wirklich nicht. Wenn der Kommandant es sieht, gibt's ein Unglück.«

Marinjka holte aus der Tasche einen Pack Banknoten und drückte sie ihm in die Hand. Er sah das Geld unzufrieden an: Es war wohl zu wenig. Sie steckte die Hand wieder in die Tasche, aber es war nichts mehr darin. Nun nahm sie sich das goldene Kettchen mit dem Kreuz vom Halse und gab es ihm. Er trat zur Seite.

Sie kamen wieder ins Gespräch, aber schon ohne rechte Freude: Sie fühlten, daß der Augenblick der Trennung nahte.

»Was wollte ich noch . . . Ja«, rief sie erregt und flüsterte ihm auf französisch ins Ohr: »Man sagt, du könntest jetzt leicht fliehen. Auf der Newa in der Nähe der Festung liegen viele ausländische Schiffe. Foma Fomitsch hat schon mit einem Kapitän gesprochen und einen Paß verschafft. Der Platz-Adjutant Trussow will aber für zehntausend Rubel . . .«

»Trussow ist ein Schurke, nimm dich vor ihm in acht. Eine Flucht ist unmöglich. Und selbst wenn es ginge, will ich nicht.«

»Warum?« Er sah sie schweigend an, und sie begriff ihn.

»Nun, leb wohl, Liebster, ich verstehe ja nichts davon . . . Weißt du, P. Pjotr sagt, man werde euch alle begnadigen.«

»Nein, Marinjka, man wird uns nicht begnadigen. Wir wollen auch nicht ihre Gnade.«

»Nun, es ist gleich, wenn man dich auch ans Ende der Welt verschickt, wir bleiben doch zusammen! Und wenn . . .« Sie sprach nicht zu Ende, aber er verstand sie: Wenn du stirbst, sterbe ich mit dir.

»Durchlaucht!« sagte Nitschiporenko, auf sie wieder zugehend und ihre Hand ergreifend.

Sie stieß ihn zurück, fiel Golizyn um den Hals, umarmte ihn wie vorhin, schmiegte sich an ihn mit ihrem ganzen Körper, küßte und bekreuzigte ihn.

»Die Allerreinste Mutter schütze dich!«

Und auch in diesem letzten Blick war weder Angst noch Trauer, sondern nur die unendliche Macht der Liebe wie in den Augen jener Allmächtigen.

Als er zu sich kam, war sie schon verschwunden, und es war ihm wieder, als sei es nur eine Vision gewesen. Er setzte sich auf die Bank und saß lange unbeweglich mit geschlossenen Augen da. Plötzlich fühlte er auf seinem Gesicht kalte Tropfen und schlug die Augen auf. Eine Wolke stand am Himmel . . . goldene Regenfäden zitterten und tönten in der Sonne wie goldene Saiten. Große Tropfen fielen wie leuchtende Tränen herab, als weinte jemand vor Freude. Das Gras leuchtete noch grüner, die Birkenstämme schimmerten weißer, und der Flieder duftete süßer.

Er sah sich um: Im Gärtchen war niemand. Schibajew war hinter die Tür getreten: Er hatte wohl wie vorhin gemerkt, daß Golizyn allein sein wolle.

Golizyn kniete nieder, beugte sich, schob das feuchte Gras auseinander und drückte seine Lippen an die Erde. »Die Erde lieben ist Sünde, man muß das Himmlische lieben«, ging es ihm durch den Kopf, und er lachte und weinte vor Freude. Er küßte die Erde und flüsterte:

»Erde, Erde, Allerreinste Mutter!«

 


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