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3.
Ein treuer Diener seines Herrn.

Es gibt wohl unter all den Ländern und Reichen, über welche die Zivilisation ihr leuchtendes Zepter hält, keines, das dem uralt ehrwürdigen Prinzip der Gastfreundschaft so abhold wäre als Italien. Möge man immer dagegen einwenden, es sei dies eine Folge des Abganges nationaler Souveränität, eine Äußerung kompakten Zusammenstehens dieser Völkerfamilie: immer bleibt es ein unabweislicher Vorwurf für diese Nation, nichts für ebenbürtig zu halten, was nicht auf demselben Isolierschemel mit ihnen steht.

Leichter mag diese Exklusion der gewerbetreibende Nichtitaliener ertragen; denn ihn mag und muss das Bewusstsein trösten und befriedigen, seinen Zweck im Materiellen erreicht und die Industrie getragen zu haben in dies Land, erfüllt nur mehr noch von den Ruinen traditioneller Klassizität.

Anders steht dies mit dem Offizier, der, dem Rufe seiner Pflicht folgend, mit seiner Familie Abschied nimmt von der lieben Heimat an der Donau und Traun, an der Elbe und Moldau, an der Theiß, der Weichsel und der Save und in das Land zieht, wo wohl »die Zitronen blüh'n« – aber nicht die Schwesterblümlein »Biederkeit und Vertrauen«, die doch droben im rauen Norden allüberall der ärmsten Scholle entsprießen.

Der Mann hat seinen Beruf, seine Kameraden seine Oberen und Untergebenen, die alle, auf sich selbst beschränkt, sich enger aneinander schließen. – Das Weib hat schon mehr zu missen; nachdem sie sich mühsam und widerstrebend durchgekämpft durch alle Klippen, die hier Klima und Nationalsitte ihr in Küche und Kinderstube entgegensetzen, sieht sie sich nie erquickt und entschädigt dafür durch die süßen Genüsse der Medisance; denn unnahbar, stumm und stolz, im dunklen Gewande und den Schleier über die ernste Domkirchenmiene schreitet die Signora an ihr vorüber, verschlossen wie die alten, verlassenen Paläste, die geisteröde in den langen Straßen ruhen; und die Kindlein erst, die armen! Wie mögen die oft heimlich weinen um den grünen Anger daheim, auf dem die Gespielen tollen und jubeln, während sie hier einsam und furchtsam an den schwarzäugigen, dunkellockigen Kleinen vorübergehen, die ihre Sprache nicht sprechen, ihre Spiele nicht spielen und ihre Brüderschaft nicht wollen.

Da zieht denn der »fremde Barbar«, nachdem er all' die Fühlhörner seiner Freundschaft und Liebe fruchtlos ausgestreckt nach diesen kalten, verriegelten Herzen, sich traurig zurück in sein Haus und facht an seinem einsamen Herde statt der Flamme der Freundschaft, zu der er den Zunder nicht gefunden, die der Erinnerung an zur hellen Lohe – der Erinnerung an die teure Heimat und die fernen Lieben.

An einem solchen still einsamen Herde finden wir an diesem Abend einen alten Mann allein mit einem jungen, blauäugigen, hübschen Mädchen.

Es ist der Feldzeugamtshauptmann und Pulverinspektor der Festung Legnago, Herr Georg Stark und seine Tochter Marie.

Es würde ein liebliches Bild gewesen sein, das die heimliche Flamme des Kamines so freundlich erhellte: der alte, rüstige Offizier, stramm und straff, wie Coloredo seinen Kanoniere liebte, das offene Gesicht voll ehrlicher Güte, und das Mädchen, eine aufbrechende Knospe voll duftig jungfräulicher Schöne; – aber es lag über ihnen wie tiefe Trauer und herbes Leid; sie sprachen nicht, der Vater stierte brütend in das Feuer, und die Tochter hatte den blonden Lockenkopf tief gesenkt auf die Brust und die wie schmerzlich darüber gefalteten Hände.

Nichts regte sich in dem kleinen Gemache, als der Pendel der Uhr, der nimmermüde auf und ab sprang und von Viertelstunde zu Viertelstunde die Schelle tippte, damit sie nicht vergesse, durch die düstere Stille zu klingen und zu künden, es komme die Nacht – und ein alter, graugefleckter Pudel, der zu seines Herrn Füßen lag, von Zeit zu Zeit die klugen Augen erhob und mit weicher Pfote ihn tupfend zu fragen schien, warum er denn so still und traurig sei. –

Endlich unterbrach das Mädchen das unheimliche Schweigen und sagte leise: »Vater, mir ist recht bange um Bernard! Er ist noch sehr schwach und bleibt so lange außen in der Kühle –«

Der Hauptmann erhob ein wenig den grauen Kopf, aber bloß ein tiefer Seufzer entrang sich seinen Lippen – dann erhob er plötzlich die Hand, wie mahnend und abwehrend, und fragte leise: »Horch! Hörst Du nicht die Türen geh'n?«

Den alten Soldaten hatte sein feines Ohr nicht getäuscht, denn es kam langsam und schwerfällig über die Treppe herauf. –

»Es ist nur einer – Bernard ist's!« rief mit fliegendem Atem das Mädchen und sprang auf, der Türe zu.

Diese ging auf, und die Flamme des Kamines warf ihre Helle auf die Gestalt und das erdfahle Gesicht des jungen Kadetten von der Brigadidastraße – der auf der Schwelle stand, wie unschlüssig, ob er eintreten und die Herzen der Seinen mit dem Leide erfüllen sollte, welches das seine zu erdrücken drohte.

Die Hauptmann sank tiefer zurück in den Lehnsessel, und seine Hände glitten kraftlos zur Seite hinab, als er den trostlosen Ausdruck auf dem Antlitze seines Sohne gewahrte; aber er ermannte sich sogleich und fragte mit fester, wenngleich tonloser Stimme: »Wo ist Rudolf?«

Der junge Soldat antwortet langsam vortretend: »Vater – ich fürchte – Rudolf –«

»Ich verstehe Dich! – also doch wahr!« – sprach mit tiefer Trauer der alte Herr und drängte sanft das Mädchen von dem Arme des Sohnes, an den sie sich mit einem Schreckensrufe angeklammert hatte: »Sei ruhig, Marie! – Erzähle, mein Kind! Erzähle und verhehle mir nichts!«

Der junge Mann stellte sich seufzend an die Seite des Vaters und schlug mit dem Instinkte der Liebe den Arm um den Hals des alten Mannes, während Marie sich zu seinen Füßen niederließ, seine Hände fasste und küsste und ihr leuchtendes Engelsgesicht in seinen Schoß legte, wie um ihn nicht vergessen zu lassen, dass, was er auch hören mochte, zwei Herzen bereit und offen seien, treu mit ihm zu tragen. Und der junge Mann begann: »Ich war kaum eine halbe Stunde in der Gasse und der Gegend des bezeichneten Hauses, als ich nach Rudolf fünf bis sechs junge Leute in den Laden eintreten und da verschwinden sah. Der letzte, der ankam, war offenbar ein Fremder; aber auch er kam nicht mehr aus dem Gewölbe, das sich kurz nach seinem Eintreten schloss. – Ich wartete, auf und abgehend, mehr als zwei Stunden da, ohne dass einer von der Gesellschaft auf die Gasse kam – mittlerweile war es Nacht geworden« –

»Sprach Dich niemand an?« fragte der Hauptmann dazwischen.

»Es nahm niemand eine Notiz von meinem Auf- und Abgehen, obwohl es auffällig genug und jenes Haus besonders markierend war!« war die Antwort.

Nach einem Augenblicke Nachdenkens flüsterte der alte Herr: »Es ist die höchste Zeit – sie sind toll, die Leute! Doch fahre fort!«

»Endlich ging die Ladentüre wieder auf«, berichtete Bernard weiter, »ich glaube zehn verhüllte Männergestalten gezählt zu haben, unter deren vordersten Rudolf – ich erkannte ihn sogleich!« –

Das junge Mädchen sprang erschreckt auf und an den Hals ihres Vaters, der plötzlich zu stöhnen und zu röcheln anfing, wie von einer ungeheuren Last erdrückt – aber er drängte sie von sich und sprach leise: »Nur zu – ich muss alles wissen!«

»Hinter der Brigidakirche holte ich ihn ein – er schien mehr erstaunt als erschreckt bei meinen Anblicke: – >Was soll das? Du spionierst mir nach?< sprach er mit zornbebender Stimme und fasste mich am Arme, dass ich aufschreien zu müssen glaubte; ich unterdrückte aber den Schmerz und sagte so freundlich, als es mir möglich war: >Der Vater und Marie sind so besorgt um Dich – Du hängst Dich an die Welschen und hältst Dich auffallend von Deinen Kollegen und Landsleuten fern – es wird Dir im Amte schaden<, – mehr konnte ich nicht sagen, denn er fuhr mich trotzig an: >Sie mögen sich um anderes bekümmern – und Du, Bursche, hüte Deine Zunge, wenn Du heimkommst!< – >Komm mit, Rudolf!< rief ich flehend, >ich geh' nicht heim ohne Dich< – aber er hörte mich nicht an und ging mit schnellen Schritten, immer rechts, der Porta nuova zu –«

»Wieder zu dem fremden Weibe?« unterbrach ihn abermals der alte Mann.

»Ja, Vater! Als ich die Fenster im Hause der Signora hell erleuchtet sah, verdoppelte ich mein Bitten und Drängen – er stieß mich rau zurück; aber als wir dem Hause näher kamen und ich an dem offenen Fenster die stolze Gestalt der schönen Dame sah, als ich gewahrte, dass sie sich niederbeugte, als sie Schritte hörte und einen blendend weißen Arm grüßend herauslegte – da sprang ich noch einmal an seine Seite und mit aller Kraft, die Angst und Liebe mir verlieh, beschwor ich ihn, das Haus der Signora nicht zu betreten – er gab mir als Antwort einen heftigen Stoß, der mich zurückschleuderte bis an die Einfassung des Kanals, klopfte an die Türe, und nur das eine hörte ich noch, dass eine Stimme von innen fragte: >Das Wort?< und Rudolf mit fester Stimme antwortete: >Dio lo vuole!< worauf er in der Türe verschwand. – Ich stand noch lange unter dem Fenster, aber es war bereits geschlossen, und aus der Abnahme der Helle oben musste ich schließen, man habe sich in die inneren Gemächer des Hauses zurückgezogen!« –

»Dio lo vuole!« sprach, als der Kadett geendet, sein Vater, der sich mühsam von dem Stuhle erhob, mit zitternder Stimme: »Gott will es – so sei es denn!« – Das Gesicht des Alten war grauenhaft anzusehen in seiner Totenblässe neben dem ebenso fahlen seines kranken Sohnes, der ihn immer noch umschlungen hielt. In bangem Schweigen stand die Gruppe lange da, bis es endlich ein dumpfer, schluchzender Ton unheimlich unterbrach, ein Ton, wie ihn nur der bitterste Schmerz zu entreißen vermag dem Menschenherzen: die beiden Kinder fuhren erzitternd auf und schlangen sich fester an den Vater – der alte Mann weinte. »Mein Sohn! Mein Sohn, ein Verräter!« rief er durch Tränen, »ein Verräter an Ehre, Kaiser und Vaterland! Mein Gott, mein Gott, womit habe ich das verschuldet?« Und das Haupt des unglücklichen Vaters sank nieder auf die Schulter seines Sohnes, der selbst sich nur mühsam hielt an dem Arme Mariens, erliegend fast dem Grame und der Schwäche.

Nach einer kurzen, nur von Schluchzen unterbrochenen Pause rang der alte Mann sich endlich empor, richtete sich zu seiner voller Größe auf und entzog sich den umschlingenden Armen seiner Kinder: »Hole mir den Mantel, Marie!« sprach er leise.

»Um Gott, Vater! Wo willst Du hin?« rief das Mädchen, dessen Augen voll Angst an den starren Zügen des Vaters hingen, »was willst Du tun?«

»Was ich muss – als treuer Diener meines Herrn! Geh' –«

Marie gehorchte, und Bernard trat scheu zurück vor dem Vater, der ihm so fremd schien in seiner plötzlichen Ruhe; ach! unter den versteinten Zügen, in der pochenden Brust tobte und stürmte der gewaltige Kampf zwischen Pflichttreue und Vaterliebe – jene ebenso tief eingerankt in dem ehrlichen Soldatenherzen als diese in dem liebenden des Vaters.

Er sprach kein Wort mehr, als Marie ihm den Mantel reichte, hüllte sich hastig darein, heftete einen langen Blick voll Trauer und doch voll Liebe auf seine beiden angstbleichen Kinder und schritt zur Türe hinaus.

Er ging rasch, quer über den Platz dem Fort und der Wohnung des Festungskommandanten zu – um anzuklagen unerlaubter Verbindung und des Hochverratsversuches den Fourier der Garnison Legnago Rudolf Stark – seinen Sohn! –

Die Kinder standen noch lange wie angewurzelt an derselben Stelle, von der sie mit schauderndem Herzen den Vater seinen schwersten Gang antreten gesehen, bis endlich der Schmerz die jungen Herzen übermannte und sie unter heißen Tränen sich einander erschlossen.

»Mein Gott! Was wird's mit Rudolf werden!« rief Marie mit angstvollem Tone aus.

Der junge Soldat zuckte mit einem schweren Seufzer die Achseln und erwiderte dann: »Gott weiß es! Der Vater kennt von Alters her die Gefährlichkeit dieser Verbindungen, die erst vor einigen Jahren wieder so viele Familien ins Verderben rissen – und auch unserer armen Mutter den Tod brachten – der Vater kennt dies Italien zu gut; er weiß, dass durch dies schöne Land ein ruheloser Dämon schreitet, eine bluttriefende Spur hinter sich, immer bereit, die verhüllte Fackel des Aufruhrs wieder zu erheben in rotglühender Flamme, sobald er ein neues Gefolge wahnsinniger Opfer um sich geschart sieht – er weiß, dass dies Volk den Segen des Friedens nicht will mit einem Maße der Freiheit: es will die vollste Ungebundenheit, um sich eine Weile in wahnwitzigen Orgien zu berauschen und sich dann, das Taumels müde und erschlafft, jedwedem zu Füßen zu werfen, der es unternehmen will, sie zu beherrschen – das erzählt zu ihrer Schande jedes blutige Blatt ihrer Geschichte…«

Der bleiche Jüngling hatte sich erhoben mit glühenden Augen und verächtlichem Zucken um die Lippen, als er von Italien sprach, aber sein Blick senkte sich traurig nieder, und seine Stimme zitterte, als er fortfuhr: »Der Vater wusste mehr, als er sagte, von dem Treiben des Bruders; und jetzt erst begreife ich, was mich so erschütterte in seiner traurigen Antwort, als ich herkam und um Rudolf fragte: >Mein Kind!< sagte der Vater, >ich fürchte, der ist und hier – gestorben!<«

»Horch, horch!« rief plötzlich Marie – »es kommt jemand!« –

Bernard lauschte atemlos hin – »es ist Rudolf – er geht vorüber!« –

»Ich hole ihn – wir müssen ihn warnen!« rief aufspringend die besorgte Schwester und wollte hinaus –

Bernard aber ergriff ihre zitternde Hand und sprach ernst: »Lass ihn – es ist zu spät! Er gehe seinen Weg – wie das Schicksal!« Er zog mit sanfter Gewalt seine Schwester nieder zu sich an den Kamin, dessen verflackernde Flamme eine ernste, männliche Veränderung in seinem Gesichte beleuchtete: das Leid, der Ernst des Lebens hatten heute zum ersten Male angepocht an dies junge Herz mit ehernem Finger – er war Mann geworden.

Die Geschwister saßen stumm Hand in Hand an dem verlöschenden Kamine und harrten der Rückkunft des Vaters – es war nahe um Mitternacht! –


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