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Es ist etwas ganz Eigentümliches, ein Boot, das man soeben einherbrausen gesehen, getragen und gestoßen von den nimmermüden Händen des echten »Geistes« unserer Zeit – des Dampfes – vor Kurzem noch erfüllt von Leben und Kraft, jetzt still, öde und verlassen vor Anker liegen zu sehen, die letzten Züge verhauchend wie ein aufgegebener Toter.
Erbangend aber und herzerschütternd ist dieser Eindruck, wenn man, wie heute zu Riva, von der Landungs-Terrasse aus die Flammen von Castelnuovo gen Himmel emporlohen sieht, und das Wimmern der Sturmglocken längs den Gestaden des Gardasees hört! Schleunige Hilfe jetzt!
Doch der »Gonzaga«, der, soeben noch eine muntere Möwe über den blauen Spiegel des Sees hinschoss, lässt die matten Flügel hängen, und nur ein feiner, gekräuselter Rauchstreifen, der langsam dem schlanken Kamine entsteigt, zeugt von seiner gebrochenen, verendenden Kraft.
»Su, su! Orvia Capitano!« brüllt es rings herum von der Terrasse herab dem Kapitän des »Gonzaga« entgegen; und die schmale Schlagbrücke zwischen dem Plateau und dem Dampfer kracht und erbebt unter dem Gedränge der Darübersetzenden.
Bald ist der ganze Bordraum mit den dunklen Gestalten der Freischärler besät, die in verschiedenen Idiomen, aber alle mit gleichem Ungestüm das Ankerlichten und Abstoßen des Bootes verlangen.
»Capitano! Condottiere! Wo sind die Schurken!« schrie ein junger Mann, sich durch den Menschenknäuel windend. Er trug eine Schärpe in Ponceau und Blau, den Farben der Gräfin. Und hinter ihm tauchte die hagere Gestalt Marcos auf, die Gräfin an seinem Arme.
Ehrfurchtsvoll wich das Volk zurück, und der Ruf: »Ah! La Contessa eroica!« begrüßte die Dame, die bleich und erschöpft der Kajütenstiege zuwankte, als auf derselben der Kapitän des Bootes erschien und mit angstbleicher Miene die Ankommenden salutierte.
»Avanti Capitano! Lassen Sie das Zeichen geben, wir sind ihrer bereits genug zum Succeurs, da anzunehmen ist, dass die Garden von Sermione und Lacise schon längst aufgebrochen sind!« sagte Creppi mit dem entschiedenen Tone eines Mannes, der zu befehlen hat. Doch sein Antlitz wurde feuerrot vor Wut und Entrüstung, als der Kapitän ihm darauf die, wenn auch höfliche, aber bestimmte Antwort gab: das Boot sei nicht geheizt.
»Was? Nicht geheizt? Es muss geheizt sein, bei allen Teufeln, Kapitän!« schrie Creppi auf und fuhr mit Hast nach dem Degen, ohne die Gräfin zu beachten, die bei Vernehmen jener Antwort mit einem leisen Schrei neben ihm niedersank: »Mein Sohn, mein armes Kind!«
»Wenn ich sage, nicht geheizt«, entgegnete der Kapitän trotzig auf die Rede Creppis, »so will ich damit bloß sagen, dass das Boot nicht augenblicklich abgehen könne; ich habe bereits wieder neue Feuerung verfügt, und mich trifft keine Schuld, dass die Signoria hier aufgehalten wird, es wäre denn, der General Allemandi wolle mich verurteilen, ohne Rast auf dem Garda zu kreuzen wie der fliegende Holländer auf dem Mittelmeer!
Marco, der der ohnmächtigen Frau beigesprungen war, achtete der Rede des Kapitäns nicht, bis dieser den Namen des Generals erwähnte; da aber erhob er sich plötzlich wieder zur vollen Länge und donnerte dem Kapitän, der scheu und erbleichend zurückwich, zu: »Ist Allemandi in Riva?« Der Kapitän verneinte. »Nun, Du würdiger Knecht Deiner würdigen Kompagnie, willst Du nicht warten, bis er kommt oder seine Ordre, und Dir gnädig erlaubt, den bedrängten Kindern Italiens Hilfe zu bringen? Oder willst Du Dich nicht lieber gar beim Governo in Mailand anfragen, ob es tunlich sei, das Boot hier abgehen zu lassen, wenn das da um Hilfe ruft bloß im Namen Gottes und des Volkes? Mach fort, Mann und lass schüren! Sieh zu, dass aus diesem faulen, schläfrigen Schlingel von »Gonzaga« ein »fa presto« wird in Baldem, wenn du nicht willst, dass ich –«
Der Kapitän unterbrach ihn mit den Worten: »Herr! Sie tun mir Unrecht, gewaltiges! Denn von Monte Baldo ab ist's unmöglich, Castelnuovo im Auge zu behalten der Erdzunge bei Torri wegen, und das Sturmläuten begann erst, als ich bereits in der Riva cala einlief. Aber in einer Stunde bin ich gewiss –«
»Was – einer Stunde! Dass deine Zunge verdorre, du elender Schuft!« schrie Marco braunrot im Gesichte: »Eine Stunde! Dort sengt und brennt und mordet der Feind, und hier lechzen hundert kräftige Arme nach einem guten Schlag und Schuss für Italien! Eine Stunde! Und abermals eine, ehe der Kahn da hinüber flaniert, um gerade recht zu kommen zu dem Amen für die Erschlagenen!«
Creppi hatte unter der Hitze dieses Rencontre die Gräfin ganz vergessen und den Kapitän am Arme gepackt, als ihn ihre wimmernde Stimme wieder an die Seite der Dame rief, die in die Knie gesunken und laut weinend nichts hervorbrachte als immer das eine: »Mein Sohn! Mein armes Kind!«
»Hollah! Ihr Schlingel! Hat keiner von Euch einen Arm für die Contessa?« schrie er über das Verdeck hin und hob die Frau mit kummervoller Miene auf: »Auf, meine Gnädige! Ihr habt versprochen, die Mutterangst außer Bord zu lassen! Ergebt Euch drein zu warten, und vertrauet mir; was Menschenkräfte vermögen, will ich versuchen, solange eine Muskel noch sich spannt in diesem Arme!«
Die Gräfin überließ sich willenlos der Leitung ihrer herbeigeeilten Kavaliere, ehe sie jedoch zur Kajüte niederstieg, erhob sie ihr verweintes Antlitz noch einmal mit banger Angst zu dem erglühten Gesichte des Mannes, der scharf in dem Kreise der Freischärler, die sein Ruf um die Gräfin geschart, herumblickte, bis sein Falkenauge an einer athletischen, verwitterten Gestalt hängen blieb, zu der er plötzlich mit der Frage trat: »Bist du nicht aus Locarno?«
»Alleweil, Herr!« war die Antwort.
»Bei wem stehst du jetzt?«
»Wie's kommt; wo man mich braucht!« sagte mit gleichmütigem Tone und an den Degen schlagend der Mann aus dem Tessin.
»Wohlan! Hier tut das mehr Not als anderswo! Du übernimmst hier das Kommando über die Melange auf dem Boote, rangiere die Leute und mache deinen Plan im Falle der Landung, wie es einem alten Soldaten mit dem Gesichte zukommt! In einer Glockenstunde muss das Boot um Pregasena herum sein – oder der Kapitän hängt an dem Schornsteine seines »Gonzaga«. Bei diesen Worten wandte sich Marco wieder gegen die Menge, zog ein Papier aus seiner Brusttasche, entfaltete es und führ dann mit eindringlicher Gemessenheit fort: »dass ich das Recht habe, hier also aufzutreten, beweist Euch dies Anstellungsdekret des Kriegsministers Collegno: ich bin als Kommissar des Defensions-Komitees für die Gindicaria bestellt!«
Niemand wagte es, die mit so viel Aplomb vorgebrachte Selbstpräsentation zu bezweifeln, und der Tessiner ließ ein ganz vergnügliches Knurren hören, das vermutlich den Dank für sein vom Himmel gefallenes Hauptmannspatent ausdrücken sollte. Darauf schritt Marco, ohne sich weiter aufzuhalten, dem Verbindungsstege des Bootes zu, von wo aus er mit dem hallenden Rufe: »Schiffer ahoi, eine Barke!« die längs der Terrasse herumlungernden Burschen weckte, die plötzlich und gleichzeitig ihre Barken abkippten, die Ruder ergriffen und eine Miniatur-Regatta nach der Landungstreppe aufführten.
Der Kapitän des Dampfers, der wie dessen übrige Besatzung mit scheuer Ehrfurcht das Gebaren des energischen Herrn »Kommissars« mit verwunderten Mienen verfolgt hatte, trat in dem Augenblick, als die erstangekommenen Barken an der Treppe anlegten, zu Marco, der soeben den Steg verlassen wollte, und hielt ihn mit ehrerbietiger Gebärde und den Worten zurück: »Wie, Herr! Ihr wollt es wagen, auf einer Barke den See zu übersetzen?«
»Ja nun, und was wäre dabei gewagt?«
»Das Leben, und zwar gewagt an eine Unmöglichkeit! Seht Ihr die Wölklein dort, die so rasch an dem grauen Himmel hingleiten? Das sind die Sturmvögel des Gardasees: in einer Stunde haben wir Sturm! Und ich wette, dass es keiner dieser Burschen da unternimmt, Euch bis Pregasena zu bringen mit heiler Haut!«
»Hoho! Capitano! Bis Sermione, wenn's beliebt, und mit Euch und Eurem Gonzaga um die Wette!« rief hier der vorderste der Schiffer mit keckem Tone hinauf zu dem Schiffsstege und sah sich dabei lächelnd nach seinem Gefährten um, der in dem Hinterteile der Barke, auf sein Ruder gelehnt, durch ein stolzes Kopfnicken seinen Konsens zu der Fahrt erteilte.
Marco warf einen raschen Blick auf den See, dessen Wellen wirklich bereits anfingen, sich leise zu kräuseln. Aber ein zweiter fiel auf die beiden Schiffer, die instinktmäßig sein Schwanken begriffen und durch einen Knalleffekt das Zünglein der Waage auf ihre Seite lenkten.
Auf den leisen Ruf des einen: »Su fratello!« waren nämlich beide aufgesprungen, hatten ihre Ruder ergriffen und im Nu eines jener bestechenden Manöver ausgeführt, wie sie mit gleichem Aufwande von Kraft und Geschick sonst nur jene kecken Gondolieri exerzieren, die an dem Porto di Lido und Malomocco von Venedig halten. Sie hatten die Barke gewendet und sie, ohne auszustoßen, durch die ganze Reihe der nachgefolgten Nachen und Kähne hin und zurück mit so seltener Präzision von Schnelligkeit geführt, dass Marco trotz aller Warnungen des Kapitäns den Steg verließ und mit den Worten in die Barke trat: »Jedem hundert Lire, wenn ich vor dem Dampfer in Gargnano bin; dort biete ich den Landsturm auf!«
Die beiden braunen, halbnackten Burschen erhoben ein lautes Hurrah, und eine Minute darauf tanzte die Barke bereits längs des hohen Felsenufers dem schäumenden Katarakte zu, über den des wilden Ponals Gewässer an dem Ausgange des Ledrotales dem Amethyst der Wogen tanzten. –
Die Barke war noch nicht um das zerklüftete Promontorium vor Pregasena herum, als sich plötzlich von Ufer her eine Stimme mit dem lauten Rufe nach Marco Creppi erhob und zugleich ein Mann mit glühenden Wangen und barscher Hast durch die Gaffer auf der Terrasse durchdrängte. Ihm folgte die dicke, unbeholfene Figur des Sonnenwirtes von Riva, der, die Mütze in der Hand und die hellen Schweiß- und Angsttropfen auf der Stirne, sich mühsam durch die enge Gasse drängte, die sein Vorgänger ihm gebrochen. »Marco, Signore Creppi!« rief dieser abermals, als er zu dem Boote kam, und betrat den Steg, als ihn die raue Stimme des neugebackenen Capitano, jenes Tessiners, aufhielt: »Wenn Ihr den Herrn meint, den, glaub' ich, den langen Hageren, so kommt Ihr schon zu spät; der ist in einem Halbstündchen in Pregasena – wenn ihn derweil der Fön nicht begräbt samt seiner Nussschale in der blauen Tiefe!« rief dieser dem Cavaliere zu und wies mit erhobener Hand nach der Barke, deren Mastspitze und lustig flatterndes Fähnlein eben noch auf der Höhe des Sees zu erblicken war.
Der Kavalier – es war der Freischaren-Kapitän, den Creppi Mauro genannt, stand wie angedonnert bei diesem Berichte; sein Blick flog mit unschlüssigem, bekümmertem Ausdrucke den See hinüber, die weite Fläche messend, dann entschloss er sich schnell und rief unter den Gruppen der Schiffer abermals ein Wettjagen hervor durch die Aufforderung, ob einer davon sich getraue, die Barke einzuholen.
Zehn, zwanzig Stimmen antworteten und ebenso viele schlanke Nachen schossen mit Pfeilesschnelle aus dem Gewimmel hervor, obwohl der See bereits viel unruhiger wogte und brauste und die früher zerstreut am Himmel gleitenden Wolken sich nun immer länger und länger dehnten, den Horizont wie wallende Schleier umziehend.
Mauro bezeichnete, ohne sich viel zu besinnen, einen der Barcajuolos, der sofort anlegte; ehe er jedoch in den Nachen trat, wandte er sich mit drohender Gebärde zu dem Wirte, der noch immer, die Mütze in der Hand, hinter ihm stand, und raunte ihm keuchend zu: »Sieh zu, Hund, dass Du Anstalten triffst, die Signora aufzufinden! Sie kann nicht weit sein zu Fuß, und hat sie ein Pferd oder Maultier genommen, so kann ihre Spur nicht verfehlt werden und auch nicht verloren gehen! Die Pest über Dich, wenn Du –«
»Ach, gnädiger Herr!« fiel der Wirt jammernd ein, »es ist ja meine Schuld nicht – und Madamigella hatte ja mein Haus bereits verlassen, als der Signore –«
»Schweig' und mach' Dich auf die Socken«! herrschte ihm Mauro zu, »das netteste tugurio Gebirgswirtschaft, Hütte im Sarcatale dem, der sie entdeckt und bringt!
Der Sonnenwirt verneigte sich bis zur Erde aus Dankbarkeit für dies gnädige Adieu und sputete sich, aus dem Bereiche des Kapitäns zu kommen, der sich mit missmutiger Resignation an Bord der Barke begab.
Diese verschwand mit derselben Schnelligkeit wie jene, die vor Kurzem Marco Creppi von dannen trug, aus dem Gesichtskreise des bereits ungeduldig gewordenen Publikums am Verdecke des »Gonzaga«.
Die Ruderer arbeiteten sich, anscheinend ohne alle Beunruhigung, von dem terrassierten Damme in die Ebene des Sees hinaus, obwohl es Mauro nicht entging, dass sie die Warnung der Möwen, die mit lautem Geschrei am Ufer hin und dem treuen Eckart der Sage gleich, förmlich hinter der Barke herliefen, nicht unberücksichtigt ließen: denn, war die Fahrt schon vom Landungsplatze aus eine bedenkliche gewesen, so begann sie, nun die Bergwände erreicht waren, an denen sich die empörten Wogen natürlich mit verzehnfachter Kraft brachen, eine gefährliche zu werden. Die Wellen schlugen häufig über Bord, und das Schiffchen schwankte von einer Seite zur anderen; war eine Woge geborsten, so wälzte sich schon wieder eine andere mit schaumbedecktem Kamme nach.
Mauro saß schweigend, sinnend, von den verschiedenartigsten Gefühlen bewegt, auf der Querbank der schaukelnden Barke, und sein Blick heftete sich des Öfteren auf die zerklüfteten Felsenwände, an denen er immer langsamer hinglitt. Es mochte wohl die Situation der Augenblicks aus der Tiefe seines Herzens – eines ehrlich glühenden für sein Vaterland – vergleichende Bilder wachgerufen haben, die es – nur mit Trauer erfüllen konnte. –
So brauste der Volkssturm durch die Lande all' vom Kap Passaro bis an das Joch des Tonale – so brachen sich aber auch jetzt schon dessen empörte Wagen an den tapfer verteidigten Wällen Peschieras, Mantuas, Veronas und an den urewigen des deutschen Tirols – und wie lange das Schifflein, an dessen Steuerruder die Spada d' Italia funkelte, gegen die Brandung anzukämpfen im Stande sein würde, war nicht abzusehen. Wenigstens waren die bisherigen Erfolge nicht geeignet, sanguinische Forderungen an das Feldherrntalent des Sardenkönigs zu rechtfertigen oder solchen Hoffnungen überhaupt Raum zu geben, wenn man parteilos in Erwägung zog, was Karl Albert bis nun versäumt – Radetzky hingegen, ans Wunderbare reichend, getan hatte, besonders wenn man den ungeheuren Feuereifer und die Opferfreudigkeit der Italiener beim Beginne des Kampfes gegen die beiden einzigen Faktoren in die Waagschale legte, mit deren Hilfe der Marschall die glänzendsten Sukzesse errang – die Treue und den Heldenmut seiner Armee. –
Immer finsterer schweifte der Blick Mauros über das unwirtbare Ufer hin. Bis zu dem Ponalfalle stürzen hier hohe Felsen steil ab in die Flut, überall grau und nackt, nur wo der Wellengischt empor spritzt, hängt aus den Steinritzen duftiger Quendel nieder, oder die zarte, weiße Blüte der Digitalis. Die Felsen strecken ihre Gigantenglieder hier häufig so tief in den blauen See hinein, dass es, bei dem immer heftiger werdenden Winde aller Kraft und Vorsicht der beiden sehnigen Ruderer bedurfte, um nicht zu scheitern.
Plötzlich ergriff ein kurzer, pfeifender Windstoß die Barke und warf sie mit solcher Gewalt an die zerklüftete Felsenwand, dass die langen Stangen, mit denen die Barcajuolos das Schiff bisher glücklich von den Klippen abgestoßen, wie Rohr zersplitterten; der Mast schlug dröhnend an den Fels, und die Planken zitterten, knarrten und ächzten, als ob sie die Gefahr erkennten und nach Hilfe riefen.
»Non tu hai ancora intenzione d'approdare?« Willst Du nicht hier landen? fragte der Ruderer am Kiele, als die Barke festgerannt am Ufer stand, seinen Gefährten, indem er das unersteigliche, felsige Gestade mit naiver Ironie betrachtete.
»Chi ne ha colpa?« Wer kann dafür? gab der andere gleichmütig zur Antwort und wandte sich zu Mauro, um ihm ehrerbietigst zu melden, dass ohne Stangen an ein Weiterkommen – bis Ponale nicht einmal – nicht zu denken und es am Geratensten sei, vor Einbruch der Nacht wieder Riva zu erreichen zu suchen.
Mauro biss die Lippen übereinander, nickte zum Zeichen seiner Einwilligung mürrisch mit dem Kopfe, wickelte sich fester in sein Bavero und sah schweigend und brütend den Anstrengungen der beiden Kerle zu, die Barke wieder flott zu machen.
Endlich war dies gelungen, und das Schifflein tanzte und sprang wieder mit gewandtem Kiele auf dem schäumenden, empörten Gewässer Riva zu, als plötzlich der Ruf des Schiffers: »Hojo! Scialuppa!« den Kapitän aus seinen trüben Gedanken weckte.
Er fuhr auf und sah hin: in der Entfernung von einer Viertelmeile kämpfte eine Schaluppe mit dem Sturme; das musste die Barke mit Creppi sein! Aber sie war in dem kläglichsten Zustande: der Mast gebrochen und die Planken der rechten Wand der ganzen Länge nach zerfetzt. Die Schaluppe kam langsam und schwerfällig heran und ging tief im Wasser.
Mauro fragte bekümmert: »Sollte es Gefahr geben für den Herrn dort? Seht, er winkt mit dem Tuche!«
»Hm! Das Boot muss ein Leck bekommen haben – wenn's Euch gefällt, Herr, so lavieren wir entgegen und nehmen sie an Bord. Unser vier getrauen wir uns schon, Euch trotz des Unwetters nach Pregasena zu bringen!«
»Nein, nein! Sucht nur die Barke zu erreichen und dann, so schnell Ihr könnt, nach Riva zurück!« rief Mauro mit fiebernder Ungeduld.
Die Schiffer wandten und trieben das Boot mit dem Daransatze aller Kräfte in den See hinaus, der Schaluppe entgegen.
Bald konnte Mauro, trotz der bereits überhand nehmenden Dunkelheit die lange, dürre Gestalt Creppis erkennen, der an dem Kiele stand und mit allen Zeichen lebhafter Verwunderung der Barke entgegen starrte, deren Passagier er nicht zu erkennen schien, bis endlich, auf Schussweite genaht, Mauro ihn anrief und grüßte.
»Hoho, Mauro! Gott sei's gedankt! Ich dachte schon meine Rechnung mit der Welt abschließen zu müssen. Wie kommt Ihr her?« rief Creppi in der Freude über die unvermutete Rettung, während die Barke an das bereits merklich sinkende Boot anlegte und er hinübersprang. »Nun kommt nur mit herüber, Ihr Burschen! Ihr habt Eure Schuldigkeit getan und Euer Schifflein zahle ich!« rief er seinen Guiden zu, die mit fast komischer Trauer bis an die Knie im Wasser im Boote stehen geblieben waren, unschlüssig, ob sie ihre geliebte scialuppa aufgeben oder ihre letzten Kräfte an deren Rettung setzen sollten. Aber das Wasser drang mit unheimlichem Brodeln immer gewaltiger durch die klaffenden Plankenfugen ein – endlich entschlossen sie sich und sprangen, die Ruder in den Händen, laut seufzend und mit einem wehmütigen: »Oh mio schifo! Addio!« in die Barke herüber. –
Während sie da ihre Kräfte an Vorder- und Hinterteil mit ihren Kameraden gleichmäßig verteilten und sich in den barbarischen Jargon ihres Standes die Einzelheiten ihrer stürmischen Fahrt erzählten, ließ sich Mauro an der Seite des Kapitäns nieder und sagte fröhlich: »Bei meiner Seele! Euch sandte der Himmel! Ich glaube nicht, dass die Schaluppe sich mehr als zehn Minuten über Wasser gehalten hätte! Prr! Das wäre das Grässlichste, was mir begegnen könnte – ertrinken! Puh! Na Gott sei's gedankt; wir können nun wenigsten mit dem Dampfer, dem wir begegnen müssen, nach Sermione oder Cola hinab! – Doch, was Teufel! Ihr seht kurios aus, Mauro, was habt Ihr denn?«
Mauro antwortete nicht, aber er zog mit dem trübseligsten Ausdrucke ein offenes Blatt aus dem Wamse und reichte es Marco hin.
»Was ist denn das? Das sind Chiarinas Züge!«
Und er las.
»Wenn Du diese Zeilen liest, Vater, bin ich ferne von Dir und – Dir gestorben. Der Weg, den du mich führtest, Vater, war der zum Heile nicht, er ging durch Blut und Kot – Wohin? – Suche mich nicht! Denn würdest Du mich auch finden, Du hättest doch kein Kind mehr. Ich klage nicht – Gott segne Dich und helfe Deinem Kinde!«
Dies war alles.
»Fluch! Was ist das?« schrie Marco aufspringend. »Mauro, was soll das? Chiarina –!«
»Ist entflohen!« war die monotone Antwort des Kapitäns, der ebenfalls erschreckt aufgesprungen war, als er die gewaltige Gestalt Creppis taumeln und zusammensinken sah.
Er fing sie auf mit starken Armen und ließ sie linde niedergleiten auf den schaumbedeckten Boden der Barke. –
Riva war bald erreicht – der Dampfer »Gonzaga« schoss eben vom Damme her hinaus in den brausenden See, in die dunkle, unheimliche Nacht, die kein Stern erhellte. Aber tief drunten über Peschiara her glühte durch das mächtige Dunkel ein riesiger Pharus – das brennende Castelnuove. –
Und andern Tages früh kam der »Gonzaga« wieder an in Riva, dessen sämtliche Bewohner in unruhiger, banger Angst die Nacht zugebracht hatten.
Die Sturmglocken hatten erst früh aufgehört, mit dem Fön um die Wette zu wimmern – es musste einen harten Kampf gegeben haben.
Wohl einen harten Kampf – den Todeskampf.
Aber der »Gonzaga« hatte keinen Teil daran genommen. – Wie das kam? Es mögen die nackten Tatsachen sprechen:
Von der Mitte des Sees konnten die Freiwilligen ganz deutlich das in Flammen stehende Castelnuovo ausnehmen, dessen Widerschein den Himmel rötete. Sie drängten, schrien, bestürmten den Capitano mit Drohen und Flehen – der »Gonzaga« wollte nicht zum »fa presto« werden!
Es verging eine Stunde – zwei Stunden, und man kam Castelnuovo immer näher. Man braucht gewöhnlich nur 40-50 Minuten, um von Riva über den See nach Castelnuovo zu fahren.
Einer der Freiwilligen, welcher früher in der österreichischen Marine gedient hatte, ahnte irgendeine List; er stieg zur Maschine hinab und fand – die Hähne geöffnet, sodass der Dampf entwich, statt auf die Räder zu wirken.
Tradimento! Schalt es über das wogende Verdeck hin! Der Ruf steigert sich zu Sturme, als der zur Rede gestellte Maschinist zitternd antwortet, dass der Capitano es befohlen habe. –
Der Tessiner lässt den Herrn binden, und der Maschinist erhält Befehl, die Maschine in Bewegung zu setzen: zu spät!
Als die Freiwilligen bei Tagesanbruch das Ufer erreichen, brannte das letzte Haus von Castelnuovo nieder; die Österreicher waren längst wieder gen Peschiera gezogen, das Dorf war verlassen, bis auf die Leichen der Guardia di Speranza, die um und zwischen den rauchenden Trümmern und verglühenden Gebälke lagen. –
Die Gräfin kam nicht mehr nach Riva zurück. – Der Kapitän des Dampfers wurde dem General Allemandi und dem Gerichte in Riva zur Untersuchung ausgeliefert; das war aber ganz unnütz, denn zwei Tage später wurde er wieder in Freiheit gesetzt und kommandiert den »Gonzaga« nach wie vor. –
Creppi und Mauro hatten Riva vor Tagesanbruch und vor der Ankunft des Dampfers verlassen; beide von erfahrenen, rüstigen Führern begleitet: Creppi schlug denWeg über Dro und Pietra-murata ein, Mauro zog über Torbole ins Adigetal. –