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»Ei, mit liebes Herrchen, tut doch nicht so närrisch! Wenn der Bub, na, der Geier von Albian, wie ihn die Wildschützen heißen, so lange nicht kommt, so wird er seine guten Gründe dafür haben! Er ist gar vorsichtig und klug – o klug! Und ihr müsst wissen, dass gar viel, grimmig viel auf ihm liegt; denn er trägt alle Briefschaften und Befehle von Ala bis weit über Trient hinauf, weil's mit der Post nicht allweil sicher ist. Geduldet Euch nur ein Weilchen und macht Euch kommod, ich stell' derweil die Pfann' ans Feuer, eine Polenta wird Euch gut tun auf dem Weg, denn der Wind bläst droben in den Bergen viel gröber als da drunten, wo es alles schon blüht wie im Mitten Maien!«
Also sprach mit grinsender Freundlichkeit ein altes, grauköpfiges Weib, das in dem Flurstübchen eines ebenerdigen Häuschens in der Minoritengasse zu Riva auf der Ofenbank hockte und Maiszapfen abrieb zu einem jungen Bürschlein, das seit ungefähr drei Stunden hier eines Rendezvous mit dem Geier von Albian harrte – Chiarina. Statt der festgesetzten eine Stunde, binnen welcher der Geier, oder der »Bub«, wie ihn die Alte, vermutlich seine Mutter, nannte, zu kommen versprochen hatte, begann die Schwarzwälder Uhr, die neben der Bettstelle tickte, bereits die vierte zu schnurren, als Chiarina endlich missmutig und des Wartens müde aufsprang und die Tischecke, in die sie sich in schweigendem Nachdenken geflüchtet hatte, verließ: »Es wird Abend, und ich warte nicht mehr!« sprach sie unmutig, »wenn ich nicht heute noch aus Riva komme, so ist mir nicht gedient. Ich hoffe um guten Lohn wohl einen anderen Führer zu finden!« damit setzte sie den breiten Hut auf den glänzenden Lockenkopf und wollte der Türe zu; da war aber auch die Alte schon an ihrer Seite und zerrte sie mit widrigem Gelächter zu dem Ofen hin: »Ei, hi! Mein Söhnlein! Wie seid Ihr doch gar so rasch und eilig! Da käm' ich schön an bei dem Buben, wenn ich Euch so mutterseelenallein hinausließe in die Nacht, zu einer Zeit wie jetzt, wo alle Täler voller Vagabunden sind und alle Wälder voll welscher Gurgelabschneider. Da müsst' ich gar kein Christenherz in mir tragen, wenn ich das zuließe! Geht, geht; aber Ihr sollt am Längsten gewartet haben: ich gehe ein wenig ausschau'n nach dem Buben, bleibt die Weile da beim Feuer und seht mir nach der Pfanne, ich bin im Nu wieder da!«
Die widerstrebende Chiarina fühlte sich neben dem Herde niedergedrückt, und ehe sie etwas erwidern konnte, war die Alte weg und sie allein.
Nein, nicht allein! Denn in dem Augenblicke, als die Türe ins Schloss fiel, fing es sich leise zu regen an oben auf den Kienspänen hinter dem hohen Ofen und den verwunderten und erschreckten Blicken Chiarinas zeigte sich ein grauenhaft fahler Kopf, der, obgleich tief durchfurcht und halb erstorben, doch auf dem Leibe eines Kindes zu sitzen schien, das zusammengekauert hinter den Kacheln hervorkroch und, die fleischlosen Händchen wie warnend erhebend, mit heiserer Stimme zu wiederholten Malen herabrief: »Hüt' Dich, der Geier ist ein Dieb – er wird Dich schlagen – er schlägt mich auch immer! Hüt' Dich!«
Das Überraschende und Grauenhafte dieser Erscheinung mehr als die unheimliche Warnung vor dem Geier machte Chiarinas Herz erstarren: »Mein Gott!« rief sie beklommen aus und sprang gegen die Türe. Flucht war ihr Gedanke, nur noch einen Blick des Dankes warf sie nach dem armen Wesen, das sie gewarnt – es war nicht mehr zu sehen und mochte sich wohl bereits wieder unter dem Haufen Lumpen, die sein Lager bildeten, verkrochen haben.
Chiarina ermannte sich und drückte an der Klinke – die Tür widerstand – sie war gesperrt. »Gott! Gott, was hat man vor mit mir!« stammelte das arme Mädchen erbebend und stürzte an das Fenster; da ist zu entkommen!
O nein, Du armes Kind! Draußen unter dem Fenster huscht eine dunkle Gestalt vorüber; es ist die Alte – und über die Gasse her mit weit ausgreifenden Schritten kommt ein großer, starker Bursche dem Häuschen zu – der Geier von Albian.
Entsetzt und mit vergehenden Sinnen flüchtete Chiarina wieder in die Tischecke und sank, nach Atem ringend, auf die harte Platte, die zitternden Hände vor die heißen Augen gedrückt.
Der Türriegel ward leise zurückgeschoben, und die Alte trat ein, gleich hinter ihr der »Bub«.
»Ach, Herrjes!« rief die Alte mit gelindem Vorwurfe, »Ihr wäret mir der rechte Koch! Durchs ganze Haus riecht man das verbrannte Mehl – und Ihr sitzt da und träumt! Herrlein! Wacht auf, da ist er ja schon, mein Bub!«
Chiarina erhob das blasse Antlitz langsam und zagend: der »Geier« stand lächelnd wie die Unschuld vor ihr und sagte nichts als: »Ihr seid schon böse über mein langes Ausbleiben?«
Chiarina bezwang ihre Aufregung gewaltsam und erwiderte: »Böse nicht – aber ich setze einige Zweifel in Eure ehrliche Absicht, mir zu helfen!«
Ehe der »Geier« antwortete, drehte er den Kopf mit einer ganz eigenen Gebärde dem Ofen zu, dann aber ließ er den stechenden Blick einen Moment auf dem lauernden Gesicht der Alten ruhen und sagte ebenso lakonisch wie vorher: »Hoho? Possen lasst das – esst etwas, das tut not, wenn wir die Nacht hindurch wandern wollen – dann brechen wir auf!«
Chiarina brachte mühsam und stammelnd die Entgegnung hervor: »Wie nun, wenn ich mit Euch nicht gehen wollte?«
Der »Geier« blickte sie überrascht an.
»Wie, wenn Ihr diese Zeit her benützt hättet, mich zu verraten?« fuhr Chiarina mutiger werdend fort.
»Hm, seid kein Kind!« sagte der Bursche nach kurzem Besinnen, »Ihr haltet mich für feil? Gut; hätte mir indes jemand mehr geboten, als Ihr – Ihr zahlt gut, wie ich weiß – so wäret Ihr richtig, wie Ihr zu sagen beliebt, verraten, das heißt, wenn ich richtig feil wäre. Dem ist aber nicht so. Ich führe Euch über das Gebirge, wie ich's versprach, und ich werde mich dafür bezahlt machen!« Er legte auf die letzten Worte einen so absonderlichen Akzent, dass Chiarina abermals in ahnendem Schreck die Hände über das tobende Herz legte.
Und der Geier fuhr gleichmütig fort: »Mutter, macht, dass die Polenta kommt!« dann wandte er sich wieder zu dem Mädchen: »Ihr wisst natürlich von dem Trubel nichts, der heut' ganz Riva in Alarm gesetzt: über dem See muss es irgendwo Spektakel geben, um Peschiera herum, drum hielt ich mich auf; es ist eine Masse von Freischärlern zu Schiff gegangen, um drüben zu helfen, sogar die großen Herren alle, die im Albergo al Sole logieren – es müssen guter Leute Kinder sein, die drüben in Bedrängnis sind!« Er sagte dies anscheinend ganz ohne Absicht und zog dabei seine kurze Pfeife hervor, die er stopfte und in Glut setzte, ohne jedoch dabei Chiarina aus dem Auge zu verlieren, die unwillkürlich den Kopf erhoben hatte und seiner Erzählung mit hochwogender Brust zuhörte.
Er schien aber mit seinem Berichte zu Ende zu sein; denn er drehte sich plötzlich mit zufriedenem Lächeln auf dem Absatze herum und schritt zu dem Herde, um die Polenta von ihrem endlosen Schmoren zu erlösen. »Haltet mit, Herr! Ich rate Euch nicht, mit leerem Magen aufzubrechen, denn wir halten vor Vezzano nicht an!«
Chiarina lehnte die Einladung stumm ab und blieb schweigend und in zaghaftem Schwanken in der Ecke sitzen.
Obwohl die Warnung jenes rätselhaften Wesens und ein gewisses Etwas in ihrer Brust sie mit Misstrauen und Zweifeln erfüllte, konnte sie doch nicht umhin, ihren Blick tief in die Augen des ihr gegenüber Sitzenden, im harmlosen Befriedigen seines Hungers begriffenen Burschen zu versenken, die, wenn auch klug, doch offen den ihren begegneten, sooft sie sich von der rauchenden Pfanne erhoben. »Seid nicht kindisch, Herr!« sagte er, als die Pfanne leer war und er sich ranzend aufstand, als ob sie ihm während dieser stummen Pause alle ihre Zweifel mitgeteilt hätte und er jetzt darauf antwortete: »Ihr habt mich zu dem Ritt gedungen – ich werde Euch führen und Ihr mich bezahlen; damit Basta!« Er pfiff der Alten, die während des Essens ein Ränzel mit Käse und Brot vollgepackt hatte und es jetzt samt einer strohumflochtenen Reiseflasche dem »Buben« umhing. »Es ist echter alter Matarello drinn, der wird Euch wärmen!« sagte sie mit einer gewissen Zärtlichkeit.
»Schon gut; gehabt Euch wohl, auf Wiedersehen übermorgen!« war die Antwort und das Adieu des Burschen, der sich hierauf zu Chiarina wandte: »Nun denn, so lasst uns aufbrechen!«
Das Mädchen erhob sich instinktmäßig und – folgte dem Geier von Albian auf der Straße gegen Arco. –
Es war spät in der Nacht, der Sturm hatte sich gelegt und der Mond es endlich mit eiserner Konsequenz doch durchgesetzt, den beiden nächtlichen Wanderern leuchten zu dürfen, die bislang in düsterem Schweigen unter den dunklen, langgliedrigen Wetterwolken dahin gepilgert waren.
Jetzt war der Himmel klar geworden und hatte alle seine Sternenäuglein aufgetan, um sich das absonderliche Treiben recht anzusehen, das sich drunten im gründen Sarcatale und auf den Höhen längs des rauschenden Baches entfaltete.
Chiarina und ihr Begleiter waren eben auf einem Plateau am Fuße des Monte Tenero oberhalb Postoede angelangt, als der klare Mondschein durch das zerrissene Gewölke brach und die lange Felsenkette von Dro bis zur eisstarrenden Kuppe des Tenero in magischem Lichte gewähren ließ, während unten im Tale und auf den Leiten des Mittelgebirges immer mehr und mehr feurige Punkte empor lohten – die Wachtfeuer der Freischärler, die alle Wege und Stege von hier bis an den Sulzberg besetzt und bewacht hielten.
Es war ein eigener, fesselnder Anblick, dieses kriegerische Nachtstück voll Leben und Lust, hätte nur der Südwind nicht störend von unten her das Trauerlied heraufgetragen, dass die Sturmglocken der Ortschaften um den See noch immer sangen – um Castelnuovo und seine jugendlichen Toten.
Chiarina hielt tief aufatmend an, als sie an der Seite des Begleiters die Höhe des Plateaus erreicht hatte, sie hatte den langen Weg bis hierher noch kein Wort mit dem Geier gewechselt, der seinerseits ihr Schweigen auch durch nichts unterbrochen hatte, als durch das leise, feine Pfeifen abgebrochener Stanzen, wie sie des Nachts um die Terrassen des Gardasees zu erklingen pflegen.
Chiarina war nicht beruhigt, aber resigniert geworden; es schien ihr nach und nach immer unwahrscheinlicher, dass der Geier irgendetwas Böses gegen sie im Schilde führen sollte, und es begann sie bereits zu reuen, ihn auf die wahnsinnige Anklage eines Cretins hin – dafür hielt sie den Kleinen in Riva unten – so abstoßend behandelt zu haben. Sie begann demnach mit leiser, schüchterner Stimme den Verkehr mit dem Burschen: »Was muss das sein und wo? Die Notsignale hören nicht auf.«
Der Geier wandte sich lächelnd zu ihr, und ein boshafter Zug spielte um seinen nicht unschönen Mund, als er zur Antwort gab: »Das kann ich Euch ganz genau sagen: Castelnuovo brennt, und man schlägt sich dort – Euer Vater ist auch dabei!«
»Wie sagt Ihr, wer?«
»Euer Vater, Signora!«
Chiarina sprang mit einem dumpfen Schrei von dem Manne zurück, der nach diesen Worten in ein leichtes, kicherndes Lächeln ausbrach und die Arme übereinander geschlagen, sich mit offenbarem Stolze an der Verlegenheit des Mädchens weidete, das mit einem schweren Seufzer an einem Baumstamme niedersank, hilflos, trostlos, und in ein lautes Weinen ausbrach.
»Ei, Madonna! Was ist da zu weinen und was zu wundern?« fuhr der Geier höhnisch fort und machte sich's, dem Mädchen gegenüber, auf einem Baumstrunke bequem: »Welch' eine Schande wäre es für meiner Mutter Sohn, wenn ich nicht in dem ersten Augenblicke, als Ihr zu mir tratet, gewusst hätte, der Wams berge ein verzaubertes Weib – und wie ich sah – ein schönes Weib!«
Chiarina rang stumm die Hände, und ihre Blicke flogen von dem kalten, schlauen Gesichte des Mannes ebenso trostlos wieder hinaus in die tiefe Nacht.
»Ja, ja! Signora! Ich bin ein armer Bursche und muss mich durchschlagen, wie's eben kommt; so eine Gelegenheit kommt vielleicht in Jahren nicht wieder, und wenn Ihr billig sein wollt, müsst Ihr zugeben, dass Ihr selbst den Teufel heraufbeschworen habt in mir, als Ihr mit das Armband botet –«
Da rief Chiarina, plötzlich vom Weinen zu jubelnder Freude übergehend: »O Mann! Sorgt nicht, Ihr sollt reichlich belohnt werden – hier, hier! Nehmt alles und lasst uns wieder weiter ziehen!«
Sie riss unter diesen Worten die Bluse über der Brust mit so hastiger Gebärde auseinander, dass das kurze Westchen aufging und die Wunderformen einer antik schönen Büste sehen ließ. Ohne dies zu beachten, stand sie auf und reichte dem Geier einen ziemlich schweren Beutel, den sie aus der Brusttasche hervorgezogen hatte: »Hier, mein Freund!«
Der Mann aber hatte jede Bewegung des Mädchens mit blitzenden Augen verfolgt, und als es sich ihm näherte, den langen, starken Arm ausgestreckt, Chiarina ergriffen und an sich gezogen: »Ihr ließt mich nicht ausreden, Madonna und seid in einem gewaltigen Irrtume befangen«, sagte er flüsternd und mit hochfliegender Brust, indem er die Widerstrebende enger an sich presste: »Ich sagte, dass Ihr selbst den Teufel heraufbeschworen in mir, als Ihr mit das Armband botet – mit jener kleinen, wunderbaren, zitternden Hand – aber den Teufel der Habsucht nicht – den der Begier nach Eurem Besitze –«
»Ha, mein Gott! Hilfe! Hilfe!« schrie Chiarina plötzlich gellend auf und stieß den Geier mit der Kraft der Verzweiflung so heftig von sich, dass er rückwärts schwankte und seine Beute fahren ließ.
»Hilfe, Hilfe!« stieß Chiarina nochmals mit den letzten Tönen ihrer ersterbenden Stimme aus, während sie die Plateauwand hinabrannte.
Ihr Hilferuf war noch nicht verschollen, als von der entgegengesetzten Talseite her ein lautes Hurrah antwortete; sie hielt unwillkürlich mit Laufen ein und sah, dass auch der Geier lauschend stille stand, denn abermals tönte ein kräftiges Hurrah hinan und an dem Kogel des Tenero brach sich der Schall flüchtiger, in kurzen Sätzen herannahender, auf den Granitplatten des Felssteiges aufschlagender Tritte.
Da sank Chiarina in die Knie und unter heißen Tränen rang sich ein brünstiges »Hilf Gott« aus ihrer Brust hervor – und einen Augenblick darauf stand zwischen ihr und ihrem Verfolger die stämmige Gestalt eines Bauern in der Tracht des Fleimsertales.
»Wo fehlt's, und wer ist da in Not!« rief der Mann und näherte sich, die Büchse von der Schulter reißend der knienden Gestalt Chiarinas, die ihrer Stellung nach die Hilfsbedürftige schien. »Was ist's, Bursch, so rede!«
Aber das Mädchen war nicht im Stande, ein Wort hervor zu stammeln, mit einem unartikulierten Schrei, wies es, die bebende Hand ausgestreckt, auf ihren Verfolger hin, der im vollen Mondlichte starr auf der Platte oben stand, das Falkenauge trotzig und herausfordernd auf den Bauern gerichtet.
Dieser aber war nicht so bald des Burschen ansichtig geworden, als er mit einem wütenden Satze näher an die Platte sprang und schrie: »Ho! Der Geier von Albian! Endlich einmal der Vergelststag gekommen! Wehr Dich, ehrloser Dieb und Spion!« Zugleich legte er an, der Schuss blitzte auf und flog knatternd mit zehnfach hallendem Echo hinan zu dem Stande des Geiers. –
Als der Rauch sich verzog – war die Platte leer, – gegen Dro zu verhallten die Tritte des flüchtigen Geiers.
»Verflucht! Ich hab' ihn gefehlt!« rief der Bauer missmutig und stieß die Büchse gegen den harten Boden. »Nun, er kommt mir wohl noch einmal schussgerecht und beim Tage! So ein dummer Mond ist rein zu nichts mit seinem Leuchten! – Doch auf Bürschchen und lass hören, was Du um Mitternacht mit dem Gesellen da zu schaffen hattest auf dem Joche!« sagte er, sich zu der niedergesunkenen Chiarina herabbeugend.
Sie antwortete nicht –
Der Bauer kniete nieder neben ihr und hob den bleichen Kopf in die Höhe: »Herrgott! Es ist ein Mädel!« rief er erstaunt. »He, Kind! Du wirst mir doch nicht sterben wollen? Wach auf, der böse Geier ist auf und davon geflogen, und solange der Leithenbauer von Grumes um Dich, wird er seine Krallen gar fromm einziehen! Na endlich! Sie erwacht – nur getrost und frischauf, Kind!«
Chiarina schlug die Augen auf; ihr erster Blick fiel mit dem Ausdrucke des brünstigsten Dankes auf das treuherzige Antlitz ihres Erretters.
Sie reichte ihm still weinend die Hand und richtete sich auf.
Das Edle ihres Wesens machte auf den Bauern einen so eigentümlichen Eindruck, dass er, den Hut ziehend, aufstand und sich seines derben Wesens wegen zu entschuldigen begann.
»Oh, mein Freund!« sprach Chiarina endlich mit mildem Lächeln und zog seine schwielige Hand an ihre bleichen Lippen: »Wie soll ich Euch danken?«
Der Bauer kraulte sich verlegen den Kopf und sagte endlich nach langem Besinnen: »Seid nur nicht bös, dass ich fehl schoss – sonst ist's nichts, doch wo wollt Ihr hin? Und getraut Ihr Euch weiter?«
»Oh ja, mit Euch, wohin Ihr geht!«
»Hm! Auch nach Trient? Ihr seid eine Welsche! Fürchtet Ihr die Kaiserlichen nicht?«
»Nein! Gehen wir nach Trient!« erwiderte Chiarina nach kurzem Besinnen.
»Gut, gebt mir Euren Arm und erzählt mir, wie Ihr zu dem Geier kommt!« –
Sie gingen – und das Plateau lag wieder still, öde und jedes Lebenstones bar da – nur von Zeit zu Zeit trug der Wind den Grabgesang der Glocken vom See durchs Tal herauf. –