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7.
Goito

Piff, paff und bum! Wie das knattert und blitzt und prasselnd anschlägt an die alten Mauern von Goito und todbringend niederfährt von ihren Kämmen!

Unten stehen die piemontesichen Versaglieri – »les braves aux braves« der des Königs, oben die Kaiserjäger, leider nur eine Kompagnie, aber dafür Schützen, die ihr Handwerk können aus dem Fundament!

Es war der 8. April und um die dritte Stunde nachmittags.

Goito hielt Wohlgemuth mit einer Kompagnie des vierten Bataillons Kaiserjäger besetzt.

Ein Bataillon Grenzer stand in Pozzolo, das andere – Oguliner – nebst zwei Kompagnien der Jäger, zwei Eskadron Radetzky Husaren und vier Kanonen standen an dem linken Ufer des Mincio.

Dieser Handvoll Menschen standen gegenüber zwei piemontesische Brigaden, die von Regina und Aosta, die Bersaglieri unter La Marmora, ihrem Errichter, und sechzehn Geschütze, diese, selbst abgerechnet von ihrer Überzahl, unseren Sechspfündern überlegen, da sie acht Pfund Eisen schossen. –

Dieser Übermacht gegenüber konnte Wohlgemuth unmöglich an ein Halten Goitos denken, das zwar mit einer altertümlich festen Mauer umgeben ist, die beim Angriffe der Vorposten gute Dienste tat, aber einem Artilleriechor nicht widerstehen konnte.

Wohlgemuth gab sogleich, als er die beiden Brigaden in Masse anrücken sah, Befehl zum Rückzug; aber die Jäger waren mit den Bersaglieris bereits so im Kampfe verbissen, dass an ein sofortiges Auflassen des Kampfes nicht zu denken war.

Dreimal rückten die Piemontesen zum Sturme gegen Goito an, dreimal wurden sie zurückgetrieben, und die Bürger von Goito, die vor zwei Tagen eine Brigade italienischer Heroen flüchtig vor einer Patrouille ihren schützenden Mauern zurennen gesehen, sahen heute im schreiendsten Gegensatze eine Jägerkompagnie sich hartnäckig und ruhmvoll durch volle vier Stundenhalten gegen eine Übermacht von mehr als fünftausend Mann.

Als endlich der Feind seine ganze Artillerie entwickelte, vor deren überlegenem Feuer natürlich die armen vier Sechspfünder bald verstummen mussten – der eine ward bei der Verteidigung der Minciofurt demontiert – wurde der Kampf, den eigentlich bloß der Feuereifer unserer Jäger engagiert hatte, aufgegeben.

Der moralische Gewinn, den Feinden durch eine fast fabelhafte Tapferkeit imponiert zu haben, ward aber bei Weitem aufgewogen durch den schmerzlichen Verlust, den unsere Truppen erlitten. – Unter den Toten waren zwei Enkel des Mannes aus dem »alten Land Tirol«, der einige Miglien weiter hinab den Martyrtod für Österreich starb – in Mantua vor achtunddreißig Jahren! –

Und unter den Toten, jenem Häuflein Tapferer angehörig, die den Übergang der Truppen über den Mincio verteidigt, bis die Brücke in die Luft flog, lag ganz vorne an der zertrümmerten Parapetmauer des Brückenkopfes mit zerrissener, blutender Brust ein Mann mit echt welschen Zügen, aber echt österreichischem Herzen – Cesare Sala, nach jenem Auftritte in Mantua seinem Wunsche gemäß als Volontär der Armee eingereiht. – Er konnte nicht mit hinüber mehr, der Arme, mit den Kolonnen, den glänzenden Tagen von S. Lucia, Curtatone, Vicenza und Novara entgegen; ehe die Brücke aufflog, hatte ihn das mörderische Blei eines Scharfschützen niedergestreckt auf die grüne Erde seines Heimatlandes. –

Die Nacht brach an – trüb, kalt und regnerisch; die Vorposten der Piemontesen waren gegen Mantua zu bis Sacca vorgeschoben, und alles ruhig um Goito her.

Leise fiel der Regen nieder auf das öde Leichenfeld und wusch mit linder Hand das dunkle Blut aus den klaffenden Todeswunden und von den bleichen Stirnen der Erschlagenen. –

Da tönte langsamer, schwerer Fußtritt herauf aus dem Fonde des Tales von Monzambano her, wo die Brigade Strassoldo stand – es war das von dort abgesandte Biquet, beordert, das Schlachtfeld zu räumen, die Verwundeten ins Lazarett zu schaffen und die Toten zu begraben.

Pioniere voran mit Krampen und Schaufeln, dann Jäger vom elften Bataillon und Fußeliere von »Hohenlohe« mit einigen Bahren. –

Sind es die letzten, zähesten Lebenskräfte, die noch einmal die fast verronnenen Blutwellen belebend zudrängen dem stumm gewordenen Herzen jenes blutbedeckten Mannes an der Brücke? Ist es des Regens kühlender Balsam, der ihn geweckt, oder sind es die wehmütig ernsten Töne des uralten Schlachtliedes, die aus dem Tale herauf klingen und die zu hören es ihn noch drängt, ehe der letzte Lebenston um ihn verhallt?

Es ist Cesare.

Er dreht leise und mühsam den Kopf empor, die Liebe zum Leben hebt noch einmal mit gewaltiger Kraft die schlaffen, todesbleichen Lider von den brechenden Augen – die Nacht ist finster, aber er hört – er hört:

»Kein schön'rer Tod ist auf der Welt,
Als wer vor'm Feind erschlagen,
Auf grüner Heid' im freien Feld;
Darf nicht hören groß' Wehklagen,
Im engen Bett nur ein' allein
Muss an den Todesreihen:
Hier findet er Gesellschaft sein
Fall'n mit wie Kräuter im Maien!«

Ein schmerzliches, kurzes Röcheln entringt sich seiner Brust, in deren tiefe Wunde die tausend Lebensadern ihre letzten Pulse versickernd ergießen.

Und auch neben ihm fängt es an, sich leise und stöhnend zu regen – ein Kampf- und Todesgefährte: »Sterben!« flüstert es wie ein Todeshauch neben dem vergehenden Cesare – Sterben! flüstert es nach in seiner Seele!« –

Die Schritte des Biquets kommen näher; näher und kräftiger und feierlicher hebt abermals der Schlachtgesang an:

»Manch' frommer Held mit Freudigkeit
Hat zugesetzt Leib und Blute,
Starb sel'gen Tod auf grüner Heid'
Dem Vaterland zu gute.
Kein schön'rer Tod ist auf der Welt,
Als wer vor'm Feind erschlagen
Auf grüner Haid' im freien Feld,
Darf nicht hör'n groß' Wehklagen.«

Und das Biquet begann seine Arbeit.

Die Augen Cesares schlossen sich wieder – für immer; der Kopf sank matt zur Seite, nur die bleichen Lippen bebten und bewegten sich, als sängen sie, wenn auch stumm, den Refrain des Liedes voll ehrlicher, frommer Soldateneinfalt mit – als die Pioniere an ihm kamen, war er starr und kalt – tot.

»Hollah, da ist einer noch warm – mein Seel', er lebt, ein blutjunger Offizier!« rief einer der Jäger, der den Nachbar Cesares aufgehoben hatte.

»Sterben!« flüsterte dieser abermals »mein Lieb, mein Lieb!«

»Puh, was flennt der Herr«, sagte der derbe Jäger, der indes den Rock über die Wunde des Offiziers aufgerissen und diese untersucht hatte: »Da ist's so übel noch nicht – ein hübsches Loch, aber nicht tödlich, mein' ich, zwischen Hals und Schulter!«

Der Offizier war schaudernd und ohnmächtig wieder zur Erde niedergeglitten aus dem Arme des Jägers, als dessen raue Hand seine dunkle Wunde berührte.

»Ei, sieh mal nach den Aufschlägen, Franz, wohin er gehört!« rief der Führer des Biquets.

»Ja, Aufschläge! Der ganze Rock ist eingetunkt in Blut und Kot.« –

»Ist er geplündert worden? Oder hat er was bei sich – der Meldung wegen?«

»Bei sich – wart? Ja, eine Briefschaft, da! Uhr und Ring, alles noch in Ordnung bei'nand'!«

Der Führer nahm die Brieftasche und öffnete sie beim Scheine einer Laterne. »Briefe«, sagte er, »ohne Adresse, nur innen, »lieber Franz«, am Ende »Gustav«, aber hier Karten, fein gestochen: »Franz Ernst, k. k. Leutnant.« Gut, wir nehmen ihn mit. Eine Bahre her und geht fein säuberlich um mit ihm beim Tragen; vielleicht ist er doch noch zusammenzuflicken!« –

Der Regen hatte aufgehört, und der Mond war hervorgekommen aus dem trüben Gewölke, um neugierig hinabzuschauen auf das öde Leichenfeld vor Goito. Seine bleichen Strahlen beschienen ein großes, dunkles Grab – und in der Ferne, gegen Pozzolo zu erklang noch immer der melancholische Totengesang:

»Kein schön'rer Tod ist auf der Welt
Als wer vorm Feind erschlagen
Auf grüner Heid', im freien Feld,
Darf nicht hörn' groß' Wehklagen…«

Dieses Vorpostengefecht nannten die Bulletins des Königs Karl Albert »die Schlacht von Goito«. Bava untersteht sich, es als ein »combattimento, uno dé pice brillanti della stroria militare« (eines der glänzendsten Gefechte der Kriegsgeschichte!) zu bezeichnen, während sein Ausgang für unser Heer nicht einmal ein ungünstiger zu nennen war, da das außerordentlich tapfere Benehmen der Jäger-Kompagnie des Hauptmannes Knezich – der leider hier den Heldentod starb – einen Geist der Nacheiferung und heldenmütiger Aufopferung unter den Truppen hervorrief, der auf dem Friedhofe von S. Lucia zuerst seine mächtigen Schwingen entfaltet, um darauf erst den Siegeszug zu beginnen, weit über den Ticino bis in das Herz des verräterischen Nachbarstaates.

Was aber die damaligen Redakteure der feindlichen Bulletins im Lügen leisteten, wird am schlagendsten das nach dem obigen Scharmützel ausgegebene zeigen, dessen Anfang wörtlich also lautete:

»Die österreichische Armee hat aufgehört zu sein. Vierzigtausend Gefangene« (es waren gottlob nur 68 mit Inbegriff der Vermissten) »haben sich vor dem großen Schwerte Italiens niedergeworfen. Radetzky, dem beide Beine zerschmettert wurden, ist unter dem Beifallsgeschrei der Armee am Schweife seines Pferdes fortgeschleift worden. Verona hat sich ergeben, man hat sich aller Fahnen, Kanonen, aller Bagagen des Feindes bemächtigt. Die Zahl der Toten ist unberechenbar –« – es waren siebzehn.

Bei Gott! So zu lügen verlohnt sich der Mühe, und wer es glaubte und darüber jubilierte und deswegen illuminierte – das waren »i prodi Lombardi! Cela!« –


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