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Es dürfte nun an der Zeit sein, einen Blick auf die Lage der Dinge in der Lombardei zu werfen, die seit dem Rückzuge Radetzkys nach Verona unter dem vielarmigen Zepter einer provisorischen Regierung stand.
Als Karl Albert das Gebiet der Lombardei betrat, erließ er eine feierliche Proklamation, worin er sich gegen jeden ehrgeizigen Gedanken verwahrte und damit begnügte, sich bloß »das Schwert Italiens« zu nennen.
Diese Erklärung ward von den beiden Elementen, aus denen die provisorische Regierung bestand, mit ungeheurem Beifall aufgenommen; die royalistische Partei betrachtete und goutierte sie als den Ausdruck einer lobenswerten Überspannung, während die republikanische sie laut als eine Manifestation der Hochherzigkeit des Königs rühmte.
Dieser Eindruck aber wurde, wenn nicht gänzlich verwischt, so doch ziemlich paralysiert, durch, durch das Erscheinen Mazzinis, der am 10. April in Mailand eintraf, von der Regierung empfangen wie ein Triumphator.
Von da ab wurde dieser Mann der Gegenstand des Eifers beider Parteien, die unbedingt annahmen, dass jene die siegende sein müsse, die er mit der Macht seines Namens und seiner Beredsamkeit unterstützen werde.
Der pfiffige Agitator aber begnügte sich damit, beide politische Nuancen seiner Huld zu versichern und vor der Hand durch sein Organ, das Journal »l'Italila des Popolo« zu verkünden: er fordere für jetzt nichts, als die Erfüllung des königlichen Versprechens und für das lombardische Volk das Recht, vor Beendigung des Krieges nichts über sein eigenes Geschick zu entscheiden, sich aber nach Eroberung seiner Unabhängigkeit zu versammeln und sich nach reiflicher Erwägung über die zur Begründung der Einheit und Freiheit Italiens geeignetste Regierungsform zu beraten und zu erklären.
Es handelte sich demnach vor allem darum, die »Barbaren« von dem klassischen Boden Italiens zu verjagen oder lieber zu »vertilgen«.
Demgemäß begab sich die Spada d' Italia mit ihren Paladinen an den Mincio und pochte an die Tore Peschiaras.
Es ward nicht aufgetan. –
Nach Mantua! Dort ist die Garnison schwach und unzuverlässig, es braucht nichts, als einer Kavalkade dahin, so steht die Festung offen! Also nach Mantua!
Auch umsonst! Dort hält der eiserne Gorzkowsky treue Wacht!
Aber dazwischen liegt Goito! –
Goito! Wer gedächte bei diesem Namen nicht des 5. April, jenes Tages, an dem die Piemontesen zum ersten Mal im Feuer debütierten auf lombardischem Boden, ach, mit demselben Fiasco, mit dem ihre Gastrollen schlossen.
Goito! Was sagten Deine »freien Bürger« an diesem Tage der »ersten und glänzenden Waffentat«, wie Bava dies Stücklein zu nennen beliebt?
Ich will es erzählen.
Es mochte gegen sieben Uhr früh sein, als man auf der Straße von Mantua her eine ungeheure Staubwolke sich Marcaria zu wälzen sah.
Diese Straße läuft von Curtatone bis Ospitaletto auf einem hohen Damme hin, der links gegen den, bis an den See reichenden Sumpf, rechts gegen den Mincio abdacht.
Auf dem Rideau dieses Dammes steht ein einsames Casino Casini heißen die einschichtigen Höfe der Bauern ungefähr den halben Weg zwischen Marcaria und Ospitaletto markierend. Dieses Haus hatten die Piemontesen nachts zuvor auf die einfachste Weise von der Welt eingenommen; nämlich indem sie den Eigentümer auf die Straße hinauswarfen, was man »delogieren« nennt und ihn durch ein freundliches »va via subito!« bewogen, ihnen die Casa auf eine Zeitlang zum Behufe umfassender Rekognoszierungen und anderer taktischer Übungen freiwillig abzutreten.
Als dieses Übereinkommen zwischen den »ersehnten Rettern« und dem »befreiten Sklaven« gegenseitig ratifiziert war, wurde die Sache also arrangiert, dass der rückwärtige Teil des Hauses, längs dem sich ein langer, offener Dachflügel hinstreckte, zwanzig Dragoner mit ebenso vielen Pferden, das Vorhaus und die obere Etage aber ein Infanterie-Biquet, bestehend aus vierzig Mann dem Regimente Aosta, das hier seine ersten Lorbeeren holen sollte, zur Garnison erhielt.
Da der folgende Tag, der glorieuse 5. April nämlich, allen Kombinationen nach ein grimmig heißer und blutiger werden und in den Annalen der Zukunft als der Anfang des heiligen Kampfes gegen die Barbaren prangen sollte, fand es der Kommandant des Biquets ganz in der Ordnung, dass sich die ihm anvertraute Parzelle »des Stolzes und der Blüte einer tapferen Nation«, meist blutjunge, frischenrollierte Burschen, die viel mehr Kokarden als Strapazen ertrugen, von den Mühen des Marsches von Cadestesani her erhole und durch einige Stunden Schlafes zu dem morgen beginnenden Vernichtungswerke stärke.
Zwei Vedetten hatten die Pflicht, diesen Schlummer zu bewachen und zugleicht die Diskretion, dies in einer solchen Entfernung vom Hause zu tun, dass auch nicht einmal ihr Geflüster das Ohr der Schläfer traf, in deren Träumen möglicherweise außerordentliche Heldentaten zur Produktion kamen.
Auf diese Weise ging die Nacht vorüber, ruhig und still wie sonst, wo sich der verdrängte Bauer noch ranzte auf seiner Maisstrohmatratze, mit dem einzigen Unterschiede vielleicht, dass sie eine schlaflose war sowohl für den zurückgebliebenen Hofhund als für den Maulesel des Suddito, welche beide unverzeihlicher Weise bis jetzt über die großartigen Ereignisse im Lande in völliger Unwissenheit geblieben waren.
Als der Morgen kam, wurden die Vedetten abgelöst, und diese brachten die Nachricht von der oben erwähnten Staubwolke nach dem Hause.
Der Hauptmann von Aosta, der das Biquet kommandierte, nahm diese Nachricht mit der Gelassenheit eines Mannes hin, über dessen Lebensweg sich schon so manche Staubwolke hin gewälzt, ohne ihm die Fassung zu rauben oder den Mut zu erschüttern.
Aber da es unter den tausenderlei Ursachen einer Staubwolke, und zwar einer ungeheuren, auch die geben kann, welche die Vedetten ahnungsweise angegeben: eine feindliche Kolonne im Anmarsche – so ließ der vorsichtige Kommandant die Vedetten verdoppeln und überdies noch beiderseits der Straße Infanterieposten aufstellen, worauf er mit beruhigtem Gemüte das Nähern der besagten Staubwolke erwartete.
Der Infanterieposten, der zur rechten Seite der Straße an dem Sumpfe aufgestellt war, bestand aus zwei hübschen, jungen Burschen, Rekruten, wie fast das ganze Regiment Aosta.
Sie standen lange ruhig, ohne ein Wort zu wechseln da, und schauten neugierig auf die Straßenhöhe hin, endlich sagte der eine von ihnen: »Meinst Du, dass es zu etwas kommen wird heute?«
Der Angeredete zuckte die Achseln und sah schweigend auf die Straße.
»Ich weiß nicht«, begann der eine wieder, »mir ist so bange, so ganz eigen zu Mute, als sollte mir Böses zustoßen –«
Der andere sah ihn mit vorwurfsvollem Blicke an und sagte nichts, als überaus bitter: »Kanonenfieber«!
»O nein Kamerad, ich bin nicht feige, aber mir träumte heut' Nacht von Luisa –«
Ein tiefer Seufzer des anderen antwortete darauf, vielleicht waren auch seine Träume hinüber geschweift über den Ticino und die Sesia an die grünen Gestade der Riva Dora zu dem fernen Liebchen.
»Es muss doch recht traurig sein, in der Fremde zu sterben!« begann der eine wieder mit melancholischem Tone.
Der andere gab abermals keine Antwort und blickte finster auf seine Muskete hinab.
»Das Sterben nicht so – ist's doch für Ehre und Vaterland, aber das Scheiden ohne Gruß und Kuss von seinen Lieben – auf immer –«
Der andere erhob den Kopf und sagte langsam: »Sprich nicht so, Ambrogio! Die Madonna wird nicht zugeben, dass uns beiden das dunkle Todeslos falle; will aber der Himmel, dass einer von uns sein junges Leben hingebe für das Vaterland, so übernehme der andere sein Lebewohl an die Fernen – grüße mir Marietta!«
»Und Du Luisa – sag' ihr – doch horch, hörst Du nichts? Es rasselt im Schilfe!«
»Ich höre nichts, es wird ein Sumpfvogel sein!«
»Sage Louisa, dass – o Madonna!« rief plötzlich der Soldat wankend, sinkend – und ein kurzer, leiser Wehruf entrang sich den Lippen des andern, der sein Gewehr fallen ließ und nach dem Eisen griff, das in seinen Rücken gefahren war.
Ambrogio hatte recht geahnt!
Leise, wie auf Socken war der Tod heran gekrochen an sie – der bittere Tod in der Fremde, ohne Gruß und Kuss ihrer Lieben beim Scheiden für immer.
Leise, ohne ein Schilfrohr zu knicken, waren zwei Tiroler-Jäger während des kurzen Zwiegespräches der Soldaten durch den Sumpf heranschleichend, in ihren Rücken gekommen, mit einem Satze der behänden Füße – die so oft das feine Ohr der Gemsenwacht getäuscht daheim – waren sie aus dem Schilfe an den verlorenen Kindern von Aosta und ihre langen Bajonette tiefdrinn in deren sinkenden Leibern.
In demselben Augenblicke tauchten hinter ihnen noch drei, vier – sechs kecke Federbüsche aus dem Schilfe empor, und eine Stimme fragte leise: »Hojo! Michele! Was ist's?«
Der Angeredete, nach dem Akzente ein Pustertaler, zog langsam und schonend die blutige Waffe aus der breiten Wunde des Piemontesen und sagte mitleidig und mit rührender Naivität: »Sei nit harb, armer Kerl, es ischt schon so, wann's Krieg gibt!« dann wandte er sich um und rapportierte: »All's gut, Herr Oberjäger! Nur weiter, die tun kein' Mucker mehr!«
Die Jäger wateten durch das Schilf und umstanden nun mit gedrücktem Schweigen die Sterbenden. –
»Also das sind Piemontesen!« sagte der Oberjäger ernsthaft, »und die ersten Toten – wann werden die letzten ihr Herzblut verrinnen lassen in diesem unglückseligen Kriege! – Aber was nun?«
Da erhob der eine der Piemontesen noch einmal das todesbleiche Haupte empor und hielt es einen Augenblick starr, als suche er einen – den letzten Blick hinzusenden in die Gegend, wo die Riva Dora das Haus seiner Liebsten umspült: »Luisa!« flüsterte er und sank wieder zusammen.
»Der lebt noch«, rief einer der Kaiserjäger: »der kann uns Auskunft geben –«; er wollte sich niederbeugen zu dem Vergehenden – da hielt ihn Hand und Stimme des Oberjägers zurück, der feierlich sprach: »Lass ihn ruhig sterben, Freund, und Gott sei seiner armen Seele gnädig – auf, wir schleichen, so weit wir können, vor!«
Einen Augenblick darauf verbarg das bärtige Schilfrohr schon wieder gar getreulich die flinken Jäger, und als wolle jenes, das um die blutige Todesstätte der beiden Piemontesen schwankte, sein früheres Versäumnis wieder gut machen, senkte es seine zitternden Kronen tief nieder zu den Erschlagenen, als wolle es um ihre letzten Grüße fragen, um sie mitzugeben dem ersten Winde, der auf dem Wege zur Riva Dora über sein Bett hinfährt. –
Unbemerkt gelangte die kecke Schar bis in den Rücken des Rideaux, auf dem das Haus sich erhebt, das gegenwärtig von der Avantgarde des Rekognoszierungs-Korps besetzt war.
Einen Augenblick wurde Kriegsrat gehalten, dessen Beschluss, näher zu gehen, gutgeheißen und sogleich in Vollzug gesetzt.
Durch einige Luken der Hinterwand des Hausanbaus konnten die Jäger sich ganz bequem und ohne enfiliert zu werden, an dem ihnen ganz neuen Anblicke eines piemontesischen Bivonaks hier weiden.
Die Pferde standen angeschirrt noch immer unter dem offenen Dache des Hinterhauses, dessen Hofraum voll Dragoner und Infanteristen war. In der Mitte des Hofes hingen an einer starken Stange zwei dampfende Menagekessel, mit deren Inhalt sich der arme, vertriebene Kasinobesitzer wohl schwerlich einverstanden erklärt hätte.
Um eine Trommel herum saßen einige junge Burschen und spielten mezzo dueci mit einem Lärm und Gezank, als stände die Krone von Monza auf der Karte.
Die Intelligenz dieses exponierten Korps war in der oberen Etage des Hauses um einen alten Sergeant versammelt, der mit bedeutend französischem Akzente die Gazetta di Milano vorlas. –
Herrgott von Nauders! Da 'nein müsst' sich ein Schuss rentieren!« flüsterte einer der Jäger hinter der Stallwand dem Oberjäger zu.
Dieser nickte und sagte leise! »Ja, wenn wir nur wüssten, wann der Oberst ankommt; allein sie anzugreifen, wäre offenbarer Unsinn!«
In diesem Augenblicke, als wolle man dem guten Manne aus seiner Ungewissheit helfen, rief eine Stimme vom Dache herab: »Der Feind, der Feind! Zu den Waffen!« –
»Bravo!« rief der Oberjäger lustig, »an, meine Jungen!« Die Jäger drängten sich in die Luken, und mit einem Blicke über den Stutzen fasste jeder seinen Mann in dem wirren Menschenknäuel, der sich nach dem Schreckensrufe der Wache an und durcheinander drängte.
Aber die Verwirrung wurde ein Chaos ängstlich stoßender, flüchtender, sinkender, fallender Gestalten, als plötzlich die Decharge der Kaiserjäger todsprühend in das Gedränge fuhr.
»Ajuto, ajuto!« erscholl es im Hofe; »der Feind, der Feind!« schrien die Vedetten, die ventre à terre dem Hause zujagten, denn hinter ihnen tanzten lustig im Morgenwinde die schwarz und gelben Fähnlein an den Lanzen der Ulanen, nach denen ein Bataillon von Gynkai mit einer Avantgarde der Kaiserjäger aus dem Defilee der Straßen herankam.
Was jetzt geschah, vermag keine Feder naiver zu schildern als die Bavas des Kommandierenden der Piemontesen; er verfolgt dies also weiter: »Der kleine (Kavallerie) Posten hielt es auf das Feuer in der Flanke für angemessen, sich mehr als im bloßen Schritte zurückzuziehen. Dies Beispiel ward quer über die Felder von der Infanterie-Wache nachgeahmt, wodurch es ungefähr 40 Ulanen leicht ward, sich in der Richtung der Straße auf unsere Reiter zu werfen, die sich noch nicht von der Überraschung erholt hatten und neun mit acht Pferden gefangen zu machen.«
Die ersten Flüchtlinge erreichten fast zu gleicher Zeit mit dem Gebrüll der Überfallenen das Lager des Bataillons von Aosta in Macaria. Ein Kanonenschuss alarmierte die Besatzung, worauf sich das zweite Bataillon der Brigade, das jenseits des Oglie lag, zur Unterstützung der Bedrängten in Bewegung setzte, und General Bava selbst begab sich an den Ort des fabelhaften Kampfes.
Was ihm da passierte, ist die Krone des Lächerlichen, umso mehr, als er sich nicht entblödete, es selbst also der Mit- und Nachwelt zu übergeben: »( – ) auf dem Wege dahin, als einige Gewehrschüsse zu meiner Linken fielen. Ich verfügte mich augenblicklich dahin, und gewahrte ein ganzes Bataillon – in Kolonne in voller Flucht. Ich befahl ihnen alsogleich zu stehen und sich zu entfalten, und indem ich vorging, um mich von der Ursache dieser Schüsse gut zu überzeugen, sah ich, dass es einigen Müllern der Umgegend gegolten hatte, die man – für Feinde hielt. Ein ganzes Kavallerie-Regiment, welches ruhig nach S. Marino zurückkehrte, sprengte, indem es sich von einer zahlreichen, feindlichen Kavallerie-Macht angegriffen wähnte, in Carriere davon, um sich aus dieser Enge zu ziehen und einen Ort zu suchen, wo es sich entfalten und Front machen könne.«
Es ist gerade kein Katzensprung von Macaria bis Goito, und leider der ganze Weg dazwischen von so elendiglicher Terrainbeschaffenheit, dass nicht ein einziger Ort bis dahin angetroffen wurde, wo »man sich entfalten« und ehrlich »Front machen« konnte.
Aber in Goito! Nur Geduld! –
Dies war das erste Debut der »Befreier« auf lombardischem Boden, aufgeführt zwischen einer ganzen Brigade Piemontesen einerseits, andererseits acht Kaiserjägern in unbewusster Allianz mit den Müllerburschen von Macaria!