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So stark auch die Eindrücke dieser früheren meisterhaften Arbeiten auf das Gemüt des jungen Künstlers mögen gewesen sein, wie er selbst hie und da zu bezeugen nicht unterläßt, so war ihm doch vorzüglich die Wirkung bedeutend und erinnerlich, welche zwei gleichzeitige Werke auf ihn ausgeübt hatten: Kartone des Leonard da Vinci und des Michelangelo, die sogleich bei ihrer Entstehung die Aufmerksamkeit und den Nacheifer der ganzen lebenden Kunstwelt erregten.
Von jeher hatten sowohl die Vorsteher des florentinischen Staats als einzelne Gilden und Gesellschaften sich zur Ehre gerechnet, durch Architektur, Skulptur und Malerei die Zeiten ihrer Administration zu verherrlichen und besonders geistlichen Gebäuden durch bildende Kunst einen lebendigen Schmuck zu verschaffen.
Nun waren die Medicis vertrieben, und das schöne Kunstkapital, das Lorenz besonders in seinem Stadtgarten gesammelt hatte (woselbst er eine Bildhauerschule unter der Aufsicht des alten Bertoldo anlegte), war in den Tagen der Revolution durch das leidenschaftliche Ungestüm der Menge zerstreut und vergeudet. Eine neue republikanische Verfassung trat ein. Für den Großen Rat war ein neuer Saal gebaut, dessen Wände durch Veranstaltung Peter Soderinis, des Gonfaloniers, und seiner Regimentsgenossen von den würdigsten Künstlern jener Zeit belebt werden sollten.
Leonardo da Vinci, ungefähr im siebenundvierzigsten Jahre, hatte sich von Mailand nach dem Einmarsch der Franzosen auf Florenz zurückgezogen, woselbst Michelangelo, ungefähr im sechsundzwanzigsten, mit größter Anstrengung den Studien oblag. Man verlangte von beiden Künstlern Kartone zu großen Gemälden, worauf man glückliche Kriegstaten der Florentiner bewundern wollte.
Schon Cellini hegte die Meinung, als wären die auf gedachten Kartonen vorgestellten Taten und Ereignisse in dem Kriege vorgefallen, welchen die Florentiner gegen die Pisaner führten, der sich mit der Eroberung von Pisa endigte. Die Gründe, warum wir von dieser Meinung abgehen, werden wir zunächst anzeigen, wenn wir vorher eine Darstellung jener Kunstwerke mit Hülfe älterer Überlieferungen und neuem Nachrichten im allgemeinen versucht haben. Nikolaus Piccinini, Feldherr des Herzogs Philipp von Mailand, hatte um die Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts einen Teil von Tuscien weggenommen und stand gegen die päpstlichen und florentinischen Truppen unfern von Arezzo. Durch einige Kriegsunfälle im obern Italien genötigt, berief ihn der Herzog zurück; die Florentiner, denen dies bekannt wurde, befahlen den Ihrigen, sorgfältig ein Treffen zu vermeiden, wozu Piccinin, um bei seinem Abzug ehrenvoll zu erscheinen, sehr geneigt war.
Die florentinischen Anführer standen nicht genugsam auf ihrer Hut, sowie überhaupt die lose Art, Krieg zu führen, in damaliger Zeit, ingleichen die Insubordination der Truppen über alle Begriffe geht. Die Hitze war heftig, die Soldaten hatten zum großen Teil, um sich zu erfrischen oder zu ergötzen, das Lager verlassen.
Unter diesen Umständen kommt Piccinin herangezogen. Ein Florentiner, dessen Namen uns die Geschichte bewahrt, Michael Attendulo, entdeckt zuerst den Feind und ruft die zerstreuten Krieger zusammen.
Wir glauben ihn in dem Manne zu sehen, der fast im Zentrum des Bildes steht und, indem er vorschreitet, mit seiner kriegerischen Stimme die Trompete zu begleiten und mit ihr zu wetteifern scheint.
Mag nun der Künstler den Umstand, daß die Krieger sich eben im Flußbad erquicken, als der Feind unerwartet heranzieht, in der Geschichte vorgefunden oder aus seinem Geiste geschöpft haben: wir finden dieses gehörigste Motiv hier angewendet. Das Baden steht als das höchste Symbol der Abspannung entgegengesetzt der höchsten Kraftäußerung im Kampfe, zu der sie aufgefordert werden.
›In dieser durch den unerwarteten Aufruf belebten Menge ist beinahe jede Behendigkeit des menschlichen Alters, jede Bewegung, jeder Gesichtszug, jede Pantomime von Bestürzung, Schreck, Haß, Angst, Eil und Eifer dargestellt. Wie Funken aus einem glühenden Eisen unter dem Hammer, gehen alle diese Gemütszustände aus ihrem Mittelpunkt heraus. Einige Krieger haben das Ufer erreicht, andere sind im raschen Fortschritt dazu begriffen, noch andere unternehmen einen kühn gewagten Felsensprung; hier tauchen zwei Arme aus dem Wasser auf, die dem Felsen zutappen, dort flehen ein paar andere um Hülfe. Gefährten beugen sich über, Gefährten zu retten, andere stürzen sich vorwärts zum Beistand. Oft nachgeahmt ist das glutvolle Antlitz des grimmen, in Waffen grau gewordenen Kriegers, bei dem jede Sehne in ungeheurer Anstrengung dahin arbeitet, die Kleider mit Gewalt über die träufelnden Glieder zu ziehen, indem er zürnend widerwillig mit dem einen Fuß durch die verkehrte Öffnung hindurchfährt.
Mit dieser kriegerischen Hast, mit diesem edlen Unmut hat der sinnvolle Künstler die langsam bedächtige Eleganz eines halb abgewendeten Jünglings, der eifrig bemüht ist, sich die Buckeln seiner Rüstung unterwärts der Knöchel zuzuschnallen, in den sprechendsten Kontrast gesetzt. Hier ist auch ein Eilen, aber es ist Methode darin. Ein dritter schwingt seinen Küraß auf die Schulter, indes ein vierter, der ein Anführer zu sein scheint, unbekümmert um Schmuck, kampffertig mit geschwungenem Speer einen Vormann über den Haufen rennt, der sich eben gebückt hat, eine Waffe aufzusammeln. Ein Soldat, der selbst ganz nackt ist, schnallt an dem Harnisch seines Kriegskameraden herum, und dieser, gegen den Feind gekehrt, scheint ungeduldig den Grund zu stampfen. Erfahrung, Wut, gealterte Kraft, jugendlicher Mut und Schnelligkeit, hinausdrängend oder in sich zurückgezogen, wetteifern miteinander in kraftvollen Ausbrüchen. Nur ein Motiv indes beseelt diese ganze Szene des Tumults: Streitbegierde, Eifer, mit dem Feinde gemein zu werden, um durch die größte Anstrengung die verschuldete Fahrlässigkeit wieder abzubüßen.‹
Dieses gelang denn auch, wie uns die Geschichte weiter erzählt. Vergebens griffen die Truppen des Piccinin das verbündete Heer der päpstlich-florentinischen Truppen zu wiederholten Malen an; hartnäckig widerstanden diese und schlugen zuletzt, begünstigt durch ihre Stellung, den oft wiederkehrenden Feind zurück, dessen Fahnen, Waffen und Gepäck den Siegern in die Hände fielen.
Hatte Michelangelo den zweifelhaften Anfang des Treffens in einer vielfachen Komposition dargestellt, so wählte Leonardo da Vinci den letzten schwankenden Augenblick des Sieges und trug ihn in einer künstlichen gedrängten Gruppe vor, die wir, insofern sie sich aus der Beschreibung des Vasari und anderer entwickeln läßt, unsern Lesern darzustellen suchen.
Vier Soldaten zu Pferde, wahrscheinlich ein Paar von jedem Heere, sind miteinander in Konflikt gesetzt: sie kämpfen um eine Standarte, deren Stab sie alle angefaßt haben. Zwei widerstreben einander von beiden Seiten, sie heben die Schwerter empor, sich zu verwunden oder, wie es auch scheinen will, den Stab der Standarte durchzuhauen.
Ein dritter, wahrscheinlich im Vordergrunde, wendet sein Pferd gleichsam zur Flucht, indem er mit umgewendetem Körper und ausgestrecktem Arm die Stange festhält und durch diese gewaltsame Bewegung das Siegeszeichen den übrigen zu entreißen strebt, indessen ein vierter, vermutlich von hinten, gerade hervorwärts dringt und, indem er die Stange selbst gefaßt hat, mit aufgehobenem Schwert die Hände derer, die sie ihm streitig machen, abzuhauen droht. Charakter und Ausdruck dieses letztern als eines entschieden-gewaltigen, in den Waffen grau gewordenen Kriegers, der hier mit einer roten Mütze erscheint, wird besonders gerühmt, sowie der Zorn, die Wut, die Siegesbegier in Gebärden und Mienen der übrigen, zu denen die Streitlust der Pferde sich gesellt, deren zwei mit verschränkten Füßen aufeinander einbauen und mit dem Gebiß als natürlichen Waffen, wie ihre Reiter mit künstlichen, sich bekämpfen; wobei der Meister, welcher diese edle Tiergattung besonders studiert hatte, mit einem seltenen Talente glänzen konnte.
So zeigte diese geschlossene, in allen ihren Teilen aufs künstlichste angeordnete Handlung den dringenden letzten Moment eines unaufhaltsamen Sieges.
Unterwärts kämpften zwei Figuren, in Verkürzung, zwischen den Füßen der Pferde. Ein Krieger, beinahe auf die Erde ausgestreckt, sollte im Augenblick ein Opfer des wütend einstürzenden Gegners werden, der gewaltsam ausholt, um mit dem Dolch des Unterliegenden Kehle zu treffen. Aber noch widerstand mit Füßen und Armen der Unglückliche der Übermacht, die ihm den Tod drohte.
Genug, alle Figuren, Menschen und Tiere, waren von gleicher Tätigkeit und Wut belebt, so daß sie ein Ganzes von der größten Natürlichkeit und der höchsten Meisterschaft darstellten.
Beide Werke, welche die Bewunderung und den Nacheifer aller künstlerischen Zeitgenossen erregten und höher als andere Arbeiten dieser großen Meister geschätzt wurden, sind leider verloren gegangen.
Wahrscheinlich hatte die Republik weder Kräfte noch Ruhe genug, einen so groß gefaßten Gedanken ausführen zu lassen, und schwerlich fühlten sich die Medicis geneigt, als sie bald zur Herrschaft wieder zurückkehrten, das, was jene begonnen hatten, zu vollenden.
Andere Zeiten, andere Sorgen! sowohl für Künstler als für Oberhäupter. Und sehen wir nicht in unsern Tagen das mit großem Sinne und Enthusiasmus entworfene, mit schätzbarem Kunstverdienst begonnene revolutionäre Bild Davids, den Schwur im Ballhause vorstellend, unvollendet? Und wer weiß, was von diesem Werke in drei Jahrhunderten übrig sein wird?
Doch was überhaupt so manche Kunstunternehmungen in Florenz zum Stocken brachte, war die Erwählung Johanns von Medicis zum römischen Papste. Ihm, der unter dem Namen Leo X. so große Hoffnungen erregte und erfüllte, zog alles nach, was unter einem solchen Gestirn zu gedeihen wert war oder wert zu sein glaubte.
Wie lange nun aber jene Kartone in den Sälen, in welchen sie aufgehängt gewesen, unversehrt geblieben, ob sie abgenommen, versteckt, verteilt, versendet oder zerstört worden, ist nicht ganz gewiß.
Indessen trägt der Ritter Bandinell wenigstens den Verdacht, daß er den Karton des Michelangelo in den ersten unruhigen Zeiten des Regimentswechsels zerschnitten habe, wodurch uns der Verlust eines solchen Werks noch unerträglicher wird, als wenn wir ihn der gleichgültigen Hand des Zufalls zuschreiben müßten.
Späterhin klingt wieder etwas von ihm nach, und Fragmente scheinen in Mantua aufzutauchen; doch alle Hoffnung, einen Originalzug wieder davon zu erblicken, ist für Liebhaber verloren.
Der Karton des Leonardo da Vinci soll erhalten und nach Frankreich geschafft worden sein, wo er denn aber auch verschwunden ist.
Desto wichtiger bleibt uns die Nachricht, daß dieser Werke Gedächtnis nicht allein in Schriften aufbewahrt worden, sondern auch noch in nachgebildeten Kunstwerken übrig ist.
Von der Leonardischen Gruppe findet sich eine nicht allzu große Kopie im Poggio Imperiale, wahrscheinlich von Bronzin. Ferner ist sie in dem Gemälde des Leonardo, welches die Anbetung der Könige vorstellt, im Hintergrund als ein Beiwerk angebracht. Auch soll davon ein Kupfer von Gerhard Edelinck, jedoch nach einer schlechten, manierierten Zeichnung eines Niederländers, in den Sammlungen vorkommen.
Von dem Werke des Michelangelo waren bisher nur wenige Figuren auf einem Kupfer aus damaliger Zeit bekannt; gegenwärtig aber hat uns Heinrich Füßli, ein würdiger Bewunderer des großen Michelangelo, eine Beschreibung des Ganzen gegeben, wobei er eine kleine Kopie, welche sich zu Holkham in England befindet, zum Grunde legte.
Wir haben unsere obige Beschreibung daher entlehnt und wünschen nichts mehr, als daß Füßli in England und Morghen in Italien die Herausgabe gedachter Werke in Kupfer besorgen und befördern mögen. Sie würden sich um die Kunstgeschichte ein großes Verdienst erwerben, so wie solches von dem letzten durch den Stich des mailändischen Abendmahls bereits geschehen ist.
Möge doch die Kupferstecherkunst, die so oft zu geringen Zwecken gemißbraucht wird, immer mehr ihrer höchsten Pflicht gedenken und uns die würdigsten Originale, welche Zeit und Zufall unaufhaltsam zu zerstören in Bewegung sind, durch tüchtige Nachbildung einigermaßen zu erhalten suchen!
Übrigens können wir uns nicht enthalten, im Vorbeigehen anzumerken, daß die Komposition des Michelangelo, durch die er jenen Aufruf zur Schlacht dargestellt, mit der Komposition des Jüngsten Gerichtes große Ähnlichkeit habe, indem in beiden Stücken die Wirkung von einer einzigen Person augenblicklich auf die Menge übergeht. Eine Vergleichung beider Bilder wird deshalb dereinst höchst interessant werden und die Huldigung, die wir dem großen Geiste des Verfassers zollen, immer vermehren.
Schließlich rechtfertigen wir mit wenigem, daß wir in Darstellung der historischen Gegenstände von der gewöhnlichen Meinung abgewichen.
Cellini nimmt als bekannt an, daß beide Kartone solche Kriegsbegebenheiten vorstellen, welche bei Gelegenheit der Belagerung von Pisa zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts vorgefallen; Vasari hingegen deutet nur den einen Gegenstand, welchen Michelangelo behandelt, dorthin, erzählt aber, daß Leonard auf dem seinigen einen Vorfall aus der Schlacht zwischen den verbundenen florentinisdipäpstlichen Truppen gegen Nikolaus Piccinin, Feldherrn des Herzogs von Mailand, in der Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts gewählt habe.
Nun begann diese Schlacht mit einem merkwürdigen Überfall, wie Machiavell im fünften Buche seiner florentinischen Geschichte mit folgenden Worten umständlich erzählt:
›Niemand war bewaffnet, alles entfernt vom Lager, wie nur ein jeder, entweder Luft zu schöpfen (denn die Hitze war groß) oder sonst zum Vergnügen sich verlieren mochte.‹
Wir glauben hier den Anlaß jenes Bildes, das Michelangelo ausgeführt, zu erblicken, wobei ihm jedoch die Ehre der Erfindung des Badens als des höchsten Symbols einer völligen Auflösung kriegerischer Tätigkeit und Aufmerksamkeit zukommen dürfte.
Wir werden in dieser Meinung um so mehr bestärkt, als in einer sehr ausführlichen Beschreibung der Belagerung und Eroberung von Pisa, von Palmerius, sowie in den pisanischen Annalen des Tronci, welcher sonst die ganze Geschichte nicht zugunsten der Florentiner darstellt, keine Spur eines solchen Überfalls zu finden ist.
Bedenkt man zunächst, daß es nicht wohl schicklich für eine Regierung gewesen wäre, durch Kunstwerke den alten Groll gegen die Pisaner, welche nun schon seit hundert Jahren die Ihrigen geworden, zu erneuern und zu verewigen, so läßt sich dagegen vermuten, daß ein gemeiner, leidenschaftlicher Florentiner überall, wo er Krieg und Streit sah, sich der bekämpften, überwundenen, unterjochten Pisaner erinnerte, anstatt daß von dem so bedeutenden Sieg über Piccinin keine sinnliche Spur übrig geblieben war und kein Nationalhaß die Erinnerung an denselben schärfte.
Was hiebei noch zweifelhaft bleibt, findet vielleicht bei erregter Aufmerksamkeit bald seine Auflösung.