Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Meister Robinson
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Erster Nachmittag

Vater: In Hamburg lebte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Ehepaar, das drei Söhne hatte. Der Jüngste war ihnen geschenkt worden, als die anderen beiden schon beinahe herangewachsen waren, und so stand er ihrem Herzen am nächsten.

Das Unglück wollte es, daß die beiden anderen ums Leben kamen, bevor sie noch das Mannesalter erreicht hatten. Der älteste der Brüder war, als er gerade im Heer diente, einem Aufruf seines Generals gefolgt, in dem Freiwillige zur Niederkämpfung eines Negeraufstands gesucht wurden, und in eines der afrikanischen Länder gezogen, die, wie ihr wißt, den Deutschen gehören. In einer Schlacht hatte ihn einer der Schwarzen erstochen. Der zweite der Brüder hörte, daß man auf einer Halbinsel im fernsten Westen von Nordamerika Gold finden könne, und er war hinübergefahren, um auf diese Weise leicht, wie er meinte, zu Reichtum zu gelangen. Aber was er fand, waren nicht Goldklumpen, sondern der Tod.

So war den Eltern nur noch der Jüngste geblieben, und ihr könnt euch denken, daß sie ihn nun über alles liebten. Leider aber handelten sie an ihrem Kind nicht so, wie es recht gewesen wäre. Statt in ihrer großen Liebe alles daran zu wenden, aus dem Jungen einen tüchtigen Menschen zu erziehen, bemühten sie sich lediglich, ihm alles so angenehm und bequem wie möglich zu machen.

Sie achteten nicht darauf, daß er in der Schule ordentlich lernte, daß er seinen Körper abhärtete und aus eigenen Erfahrungen das Dasein auch von seiner weniger angenehmen Seite kennenlernte, vielmehr ließen sie ihn faulenzen, ein 28 weichliches Leben führen und räumten ihm alles aus dem Weg, was ihn verdrießen konnte.

Die Folge war, daß der Knabe zu einem rechten Nichtsnutz heranwuchs. Er hatte nichts Ordentliches gelernt, wußte sich ins Leben nicht recht zu schicken und ging allen Dingen aus dem Weg, von denen er irgendwie annehmen konnte, daß sie ihm unangenehm werden könnten. Trotzdem war er ein geweckter Junge, aus dessen Augen man oft ein kluges Feuer herausleuchten sah. Insbesondere war dies immer dann der Fall, wenn er Gelegenheit hatte, einen Handwerker bei seinem Treiben zu beobachten. Wo er konnte, schlüpfte er in eine Werkstatt, sah zu, wie der Zimmermann seine Bretter behaute, wie die Maurer Ziegel für einen Hausbau aufeinanderlegten, wie der Schmied das Eisen schlug und der Korbmacher die Weiden flocht. Aber seine unrichtige Erziehung ließ nie den Gedanken in ihm aufkommen, nun selbst ein Handwerk zu ergreifen. Andere arbeiten zu sehen, war ihm ein Vergnügen, er selbst aber hatte keine Lust dazu.

Selbstverständlich nahm ein Junge solcher Art jede Gelegenheit wahr, sich in den mächtigen Anlagen des Hamburger Hafens zu tummeln, wo so viel zu sehen ist. Zeit genug hatte er ja dazu, nachdem er mit vierzehn Jahren die Schule verlassen hatte, und die Eltern es nicht über ihr Herz bringen konnten, ihn zum Ergreifen eines Berufs zu zwingen.

Es gibt wohl wenige Orte auf der Erde, die das Gemüt eines Knaben so stark anzuregen vermögen wie der Hamburger Hafen. Das wißt ihr ja selbst von den wenigen Besuchen, die wir bisher dort machen konnten. Ich will euch gleich versprechen, daß wir während der Ferien hier und da einmal hinunterfahren und uns alles möglichst genau betrachten wollen.

Peter: Oh, das ist fein, Vater!

Johannes: Ach ja, ich wollte dich schon immer darum bitten. Aber deine große Erzählung darf dadurch nicht gestört werden.

Ursula: Ich will aber nicht wieder zu Hause bleiben, wenn ihr zu den vielen Schiffen fahrt!

Vater: Nein, mein Liebling, wir werden dich bestimmt mitnehmen. Jetzt, wo du bereits ein Vierteljahr lang in die 29 Schule gehst, bist du ja schon gescheit genug, um manches verstehen zu können.

Ursula: Ach ja! ach ja!

Vater: Es ist da drunten mancherlei zu sehen. Der Hafen von Hamburg ist einer der allergrößten auf der Erde. Die breite Elbe gestattet selbst den mächtigsten Schiffen, bis zur Stadt hinaufzufahren. Und was wir hier vor unseren Augen auf dem Fluß hinauf- und hinabgleiten sehen, sind Fahrzeuge, die von allen Teilen der Erde herkommen und in alle Meere hinausfahren.

Unser Junge, der Robinson hieß, erblickte also in dem Hafen Schiffe aller Größen. Neben den kleinen Elbkähnen, die von den Flüssen des Binnenlandes herkommen, erschienen ihm die gewaltigen Bauten der Ozeanfahrer um so riesenhafter. In unabsehbarer Fülle sah er Masten und Schornsteine vor seinen Augen aufragen. Ein fast undurchdringlicher Qualm lag damals wie auch heute ständig über dem Hafen. Wie ein Schleier überdeckt er all die eigenartigen Gebilde, die dort aus dem Wasser ragen, und auch die Bauten an den Ufern. Unzählige Maler haben schon versucht, dieses wunderschöne Hafenbild mit der verschleierten Luft festzuhalten. In unserem Eßzimmer hängt ja auch ein schönes Gemälde dieser Art.

Wohin es den jungen Robinson besonders zog, waren jedoch nicht die Hafenteile, in denen die Dampfer liegen, sondern eine andere Stelle, dort wo die Segelschiffe ihre prächtigen Masten emporrecken. Mehrere seiner Schulkameraden waren nämlich Schiffsjungen geworden und auf Segelschiffen hinausgefahren. Robinson wollte ein gleiches auch schrecklich gern tun, aber Schiffsjunge zu werden, hatte er keine Lust, weil er dann hätte arbeiten müssen. Die Segelschiffe aber nahmen, wie er gehört hatte, schon für geringes Geld Fahrgäste mit. Und als ein solcher wollte er sich bequem die Welt ansehen. Was er rings um sich erblickte, war auch geeignet genug, ihn hinauszulocken. Denn fast die ganze Erde sendet ja ununterbrochen ihre Boten nach dem Hamburger Hafen.

In den riesenhaften Speichern und auf den hölzernen Bollwerken davor sieht man Gummiballen aus dem Innern Südamerikas, herrliche Früchte aus Kalifornien, 30 Straußenfedern und Elfenbein aus Afrika, ungeheure Säcke mit Reis gefüllt, der in China gewachsen ist, Getreide, das bis aus Australien hergebracht ist, Teppiche aus Persien, Salpeter aus Chile, Walfischtran und Fischbein aus den Ländern nahe am Nordpol, Kokosnüsse, die in der heißen Zone gereift sind. All dies wird fortwährend aus den Bäuchen der Schiffe ausgeladen, und welcher nur ein bißchen gescheite Junge sollte in sich nicht die Sehnsucht fühlen, die Länder kennenzulernen, welche all diese prächtigen Dinge hervorbringen!

Peter: Ich wollte es dir eigentlich noch nicht sagen, Vater, aber seit wir damals im Hafen waren, möchte ich nichts anderes werden als Schiffsjunge.

Johannes: Und ich Maschinenputzer auf einem großen Amerikadampfer.

Vater: Na und du, Dietrich, willst du auch zur See?

Dietrich: Gewiß möchte ich das, aber ich warte, bis ich mir selbst genügend Geld verdient habe, um einen Platz bezahlen und als Passagier hinausfahren zu können.

Ursula (weinend): Ach, Vater, dann werden sie ja bald alle von uns fort sein!

Vater: Das hat doch, wie ich denke, noch gute Weile. Dietrich muß erst das Examen machen und sich einen Beruf schaffen. Und was Johannes und Peter anbetrifft, so glaube ich, werden sie ihre Anschauungen über das Seefahren als Schiffsjunge und Maschinenputzer wohl noch etwas ändern. Es wird ihnen, wenn sie älter geworden sind, nicht so ganz einfach erscheinen, das Elternhaus ohne zwingenden Grund frühzeitig zu verlassen. Wir haben euch ja glücklicherweise anders erzogen, als es bei Robinson geschehen war. Ihr wißt schon heute, während die meisten von euch noch so viel jünger sind als jener, daß ohne Arbeit auf der Welt nichts zu erreichen ist, daß man sich überall bemühen muß, und daß die gebratenen Tauben keinem in den Mund fliegen. Schiffsjungen und andere untergeordnete Kräfte auf Seefahrzeugen haben ganz besonders schwere Arbeiten zu leisten. Gewiß gibt es Menschen, die derartige Verrichtungen gern tun und besonders dazu geeignet sind. Wo sollten auch sonst all die tüchtigen Matrosen und Kapitäne herkommen, die alle auf kleinstem Posten 31 anfangen müssen. Aber bei euch ist es doch noch nicht erwiesen, daß ihr hierzu paßt, und so wollen wir mit der Entscheidung über eure Berufe warten, bis wir uns ganz klar über eure Eigenschaften geworden sind.

Derartiges wurde Robinson von seinem Vater leider nicht gesagt. So konnte es denn kommen, daß er dem Zureden eines seiner Schulkameraden folgte, der auf einem Segelschiff schon einmal in England gewesen und nun wieder zurückgekommen war, und beschloß, aufs Schiff zu gehen, ohne seine Eltern überhaupt davon in Kenntnis zu setzen.

Peter: Das ist aber häßlich von Robinson, einfach wegzulaufen! Wie konnte er so etwas tun, wo die Eltern doch stets so gut zu ihm waren!

Vater: Es muß doch wohl nicht die richtige Liebe gewesen sein. Wir sind weit strenger zu euch, und ihr würdet uns doch solchen Kummer niemals machen.

Peter: Nein!

Johannes: Gewiß nicht!

Vater: Da könnt ihr also sehen, daß Eltern, die ihre Kinder in richtiger Weise lieben, ihnen nicht alle Wünsche erfüllen dürfen, sondern die Aufgabe haben, das kindliche Gemüt, dem es nicht gegeben ist, alles zu übersehen, richtig zu führen. Freude und Pflichterfüllung müssen im Leben des Kindes gemischt sein, so ist die Welt nun einmal eingerichtet.

Robinson steckte also eines Tages alle Ersparnisse zu sich, die er von seinem Taschengeld gemacht hatte, ging an Bord eines Segelschiffs, das den Kurs nach England nehmen sollte, und gab dem Kapitän das Geld, damit er ihn mitnähme. Dieser strich die Summe ein, die für ihn genügend war, um Robinson als Gast mitfahren zu lassen. Bald wurden die Taue gelöst, die das Schiff am Ufer festhielten, und die Reise begann. Sie sollte sehr viel länger dauern und ganz anders ausfallen, als Robinson es sich gedacht hatte.

Ein Schlepper legte sich vor das Schiff und zog es hinaus. Es war ein nicht allzu stattlicher Zweimaster von der Größe etwa wie der, welchen ihr jetzt gerade dort unten vorüberziehen seht. Die Bemannung bestand nur aus achtzehn Köpfen. Alle Räume auf dem Schiff waren klein und unbequem. 32 Aber darum kümmerte sich Robinson nicht. Seine Augen glänzten vor Wanderlust, er stellte sich an die Spitze des Schiffs und schaute immer voraus.

Zunächst ging es noch recht langsam, da der Segelschiffhafen ganz oben, schon fast hinter Hamburg, von hier aus gesehen, liegt. Sie mußten sich erst zwischen all den Schiffen durchwinden, die den Hafen belebten. Und das waren nicht wenige. Ist doch das Wasser der Elbe im Hafengebiet durch die vielen Fahrzeuge, die unausgesetzt darauf hin und her fahren, den ganzen Tag so aufgewühlt wie das Meer bei heftigem Wind. Die Wellen schlagen ständig über die Spitzen der kleinen, grünen Dampfer, die als Fährboote die zahlreichen wichtigen Punkte des Hafengebiets miteinander verbinden. Dazwischen laufen die ankommenden und ausgehenden Frachtdampfer, die riesigen Prachtbauten der Personenschiffe, große Lastkähne mit Kohlen werden zu den Werften und Anlegeplätzen gefahren, Fischdampfer bringen ihre Ladung zu den Schuppen am Ufer, kreuz und quer sieht man ein unaufhörliches Kommen und Gehen von Schiffen. Dieses Bild, das jeden entzückt, der es noch nicht kennt, wie es ja auch uns vor wenigen Monaten begeistert hat, war für Robinson natürlich nichts Neues. Erst nachdem sie hier bei Blankenese vorüber und der Elbmündung näher gekommen waren, als der Schlepper das verbindende Drahtseil abgeworfen hatte und davongefahren war, der Segler seine weißen Schwingen entfaltet hatte, da begann unser Reisender, noch nicht Gesehenes zu schauen.

Macht die Elbe schon hier vor uns einen mächtigen Eindruck, so wächst dieser, je mehr man sich Cuxhaven nähert, immer stärker an. Diese Stadt ist der letzte größere Ort vor der Ausmündung des Stroms ins Meer. Manche der allergrößten Schiffe, denen es doch schon ein wenig schwer fällt, bis nach Hamburg hineinzufahren, gehen von hier ab. Wer in diesem Ort am Flußrand steht, kann das gegenüberliegende Ufer nicht mehr sehen. Die Elbe ist hier bereits fast fünfzehn Kilometer breit, ihre Mündung stellt also beinahe einen Meerbusen dar. Der Unerfahrene merkt bei stillem Wetter gar nicht, wann er den Fluß verläßt und die freie See gewinnt. 33 Als letztes Merkmal des festen Landes grüßt der kurze, fest aufgemauerte Leuchtturm bei dem Dörfchen Neuwerk hinaus.

Bevor noch fremdes Land vor seinen Augen auftauchte, sah Robinson jetzt bald ein Werk der Natur, das so schön und eigenartig ist, wie man es vor der kargen deutschen Küste nicht vermuten sollte. Nachdem sie mehrere Stunden bei glatter See gefahren und das Festland aus den Augen verloren hatten, stieg unvermittelt aus dem Meer ein hoher, roter Felsen vor ihnen auf.

Johannes: Oh, das ist Helgoland!

Vater: Niemand, der diese Insel jemals gesehen, kann sie wieder vergessen, und auch Robinson dachte später noch oft an dieses letzte Stück deutscher Erde zurück, das er bei seiner Ausfahrt erblickt hatte. Wie eine rote Ziegelwand hebt sich der Felsen bis zur Höhe von dreiundsechzig Metern steil aus den Wellen. Wütend und feindlich nagen die Wogen an dem nicht allzu harten Gestein, um diesen Fetzen festen Landes, der sich mitten in ihre ewige Beweglichkeit verloren hat, zu zerstören. Mächtige Anlagen sind notwendig gewesen, um den Felsen zu erhalten, denn Wasser hat eine starke nagende Kraft und vermag sogar Felsengebirge abzutragen, worauf wir vielleicht noch später zu sprechen kommen werden.

Helgoland gehörte früher den Engländern, ist aber seit dem Jahre 1890 deutsch geworden. Wir haben den Engländern dafür das Gebiet von Sansibar in Ostafrika gegeben. Wie der Lindwurm vor der Grotte, die den Nibelungenschatz birgt, liegt die Insel vor der Elbmündung. Die auf dem hohen Felsen aufgestellten riesigen Kanonen, die mit zu den größten gehören, die es überhaupt gibt, verteidigen die Einfahrt nach Hamburg.

Aber auch in friedlichen Zeiten hat Helgoland eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Auch das sollte Robinson wahrnehmen.

Nachdem sie an der Insel vorbeigefahren waren, und er staunend an dem Tonsteinfelsen hinaufgeblickt, auch die einsame, von den Wogen bereits abgetrennte Felspyramide des Mönch gesehen hatte, ging die Sonne unter. Die Insel erschien nun mit wunderbaren Farben übergossen. Die noch von der Sonne getroffenen Wände leuchteten, als wären sie 34 in Feuersglut getaucht, die im Schatten liegenden sahen schwarz wie Kohle aus. Dann versank das Eiland fast zugleich mit der Sonne vor Robinsons Blicken.

Aber als er noch immer weiter zurückschaute, erschrak er plötzlich. Denn ein scharfes Licht, so hell etwa, wie es die Sommersonne am Mittag versendet, hatte seine Augen getroffen, so daß er sie geblendet schließen mußte. Sogleich war das Licht wieder verschwunden. Schon dachte er, daß er sich getäuscht hätte, aber gleich tauchte es wieder auf. Und so ging es nun fort. Abwechselnd sah er die Schiffsmasten in hellstem Licht plötzlich aus der immer tiefer werdenden Finsternis auftauchen, dann waren sie wieder jäh im schwarzen Dunkel verschwunden.

Johannes: Eigentümlich, Vater, das war wohl ein Zauberschiff, auf dem Robinson fuhr?

Vater: Nein, dieser Lichtzauber hatte in Wirklichkeit keine geheimnisvollen Ursachen, er ging vielmehr von dem mächtigen Leuchtturm aus, der auf Helgoland steht. Dieser ist so eingerichtet, daß jedes Schiff, welches in einer Entfernung bis zu sechzig Kilometern und mehr durch die Nacht bei Helgoland vorbeifährt, alle fünf Sekunden von einem Lichtstrahl getroffen wird. Die mächtigen Strahlen werden von drei ungeheuren Laternen erzeugt, die sich ständig mit ziemlich großer Geschwindigkeit drehen und so die ganze Wasserfläche ableuchten. Die Umdrehung der Laternen ist so eingerichtet, daß diese ihr Licht immer nur eine Zehntelsekunde lang nach einem Punkt senden. Darauf wird es dort dunkel, und nach Ablauf von fünf Sekunden folgt dann wieder ein Lichtblitz. Das Leuchten ist so stark, wie wenn man zehn Millionen Kerzen entzündet hätte. Eine so gewaltige Lichtfülle vermag nur elektrisches Licht hervorzurufen, so wie es in unseren Bogenlampen brennt, und auch dies nur, wenn es durch dahintergesetzte, besonders geschliffene Spiegel verstärkt wird.

Ein Matrose, den Robinson fragte, erklärte ihm denn auch sofort die Herkunft des seltsamen, fortwährend über das Schiff huschenden Lichts, denn die Leuchtfeuer, wie der Seemann sagt, sind selbstverständlich allen Schiffsleuten bekannt. Sie werden ja nur für sie angezündet und leisten ihnen außerordentliche Dienste. 35

Peter: Wozu dienen denn die Leuchtfeuer, Vater?

Vater: Es sind Merkzeichen in der zur Nacht schwarzen Wasserwüste, die ähnlich wirken wie Wegweiser auf dem festen Land. Wenn ein Schiff sich inmitten des Weltmeers fernab von allen Küsten befindet, so hat es nicht viel auf sich, wenn es nicht ganz genau in der gewollten Fahrtrichtung fährt. Denn das Wasser ist dort überall wenn auch nicht gleich tief, so doch immer tief genug, daß ein Auflaufen nicht möglich ist. Anders aber in der Nähe der Küsten. Dort müssen die Schiffe ein bestimmtes Fahrwasser innehalten, wenn sie nicht auf Untiefen, das heißt solche Stellen stoßen wollen, wo der Meeresboden nur wenig unter der Wasseroberfläche liegt. Am Tag sagen dem geübten Seefahrer viele Merkzeichen am Land, die in die mitgeführten Seekarten eingezeichnet sind, genau, wo er sich befindet. Bei ganz besonders schwierigen Strecken, wo nur eine schmale Fahrrinne mit genügender Tiefe vorhanden ist, sind Bojen zu beiden Seiten der Rinne ausgelegt, Körper, die bald spitz und bald rund aussehen, an schweren, auf dem Boden ruhenden Steinen befestigt, auf dem Wasser schwimmen und den Schiffer leiten.

Während der Nacht aber sind alle diese Merkzeichen nicht zu sehen. Da haben sich nun sämtliche seefahrenden Länder auf der Erde geeinigt, ihre Küsten zu befeuern. Sobald die Dunkelheit eintritt, werden an allen Festland- und Inselküsten in gewissen Abständen starke Lichter angezündet, die auf Türmen untergebracht sind, damit man sie weithin sehen kann.

Es würde aber nicht genügen, wenn alle diese Leuchtfeuer nur einfache Lampen, wenn auch von großer Lichtstärke, besäßen. Der Schiffer würde dann wohl sehen, an welcher Stelle Land liegt, er würde aber nicht wissen, welchen Teil des Landes er vor sich hat, und darum auch in seiner Karte nicht feststellen können, wo er sich befindet, und in welcher Richtung er steuern muß, um nicht aufzulaufen. Aus diesem Grund hat jedes Leuchtfeuer eine ganz bestimmte Lichtart. Einige leuchten eine bestimmte Zahl von Sekunden und werden dann wieder für eine andere, genau festgelegte Sekundenzahl verdunkelt. Alsdann erscheint ihr Licht wieder. Man nennt das Blinkfeuer. Bei anderen folgt einem kurzen Blitz längere 36 Dunkelheit wie beim Helgoländer Leuchtturm, wieder andere haben farbige Lichter, die abwechselnd auftauchen und verschwinden. Mit Hilfe der sehr genau gehenden Uhr, die sich an Bord jedes Schiffs befindet, kann die Blinkweise eines jeden Leuchtfeuers, das heißt die Zeit seiner abwechselnden Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, vom Kapitän stets genau festgestellt werden. Ein gleichfalls stets an Bord vorhandenes Buch sagt ihm alsdann, welchen Leuchtturm er vor sich hat. Durch diese großartige Einrichtung werden die Schiffe an allen Küsten auf der ganzen Erde geleitet, wo kultivierte Menschen wohnen. Ein Kapitän kann sich in Südamerika oder in Australien während der Dunkelheit genau so zurechtfinden wie an der deutschen Küste.

Dietrich: Das ist großartig!

Vater: Ganz gewiß! Durch Verständigung über die ganze Erde ist ein an sich so einfaches und bescheidenes Gerät wie ein Leuchtfeuer zu einem bewundernswerten Hilfsmittel von weitestgreifender Wirkung geworden. Viel Großes können die Menschen erreichen, wenn sie einig zusammengehen. Derartiges wird uns bei der Verfolgung von Robinsons Weg noch öfter begegnen.

Aber wir wollen uns nun wieder nach unserem Freund umschauen. Von dem vielen Neuen, das er gesehen hatte, war er müde geworden, in seine Kammer hinabgestiegen und schlief die Nacht hindurch in einer einfachen Hängematte, wie sie auf so kleinen Seglern, aber auch auf den größten Kriegsschiffen der Mannschaft für die Nachtruhe nur zur Verfügung stehen, da zum Aufschlagen von Betten kein Platz vorhanden ist. Am nächsten Morgen vermochte er, als er erwacht war, gar nicht die Zeit zu erwarten, bis er seinen Kaffee in der Küche getrunken hatte und sich auf das Verdeck begeben konnte. Denn das Schiff mußte indessen die offene See gewonnen haben. Wie freute Robinson sich darauf, zum erstenmal das weite Meer zu sehen.

Doch welch ein Anblick harrte seiner, als er hinaufkam!

Statt der grünen, schäumenden Meereswogen, die er erwartete, erblickte er eine undurchdringliche, graue Wand vor sich. Kaum daß er zehn Schritte weit auf dem Verdeck zu sehen 37 vermochte. Das Geländer, die Segel, die Planken, jedes Tau, alles troff von Wasser. Die Matrosen, die wie Schatten aus dem dichten Grau auftauchten, hatten dicke Mäntel an und sahen verfroren aus, obgleich am Tag vorher schönes, warmes Sommerwetter geherrscht hatte. Am Morgen war nämlich dichter Nebel gefallen, wie er in der Gegend, die Robinson jetzt durchfuhr, nicht selten vorkommt.

Doch wir wollen jetzt nicht abwarten, bis der Nebel sich wieder verzogen hat, sondern die Erzählung abbrechen und uns zum Abendbrot hineinbegeben. Ihr habt vielleicht auch bemerkt, daß Marie schon zweimal auf der Terrasse war, um uns anzudeuten, daß das Essen bereit sei.

Peter: Ach bitte, lieber Vater, jetzt noch nicht!

Johannes: Jetzt gerade fing es an, besonders spannend zu werden.

Dietrich: Solch dichter Nebel ist sicher gefährlich; was mag dem Robinson da wohl begegnen?

Vater: Das werden wir morgen sehen. Jetzt wollen wir hineingehen! 38


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