Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Meister Robinson
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Siebzehnter Nachmittag

Vater: Als Robinson nach wochenlangen Bemühungen seinen Wissensdrang ein wenig gestillt hatte, fiel ihm ein, daß er von all den schönen, praktischen Werkzeugen und sonstigen handwerklichen Hilfsmitteln, die er in der Kiste gefunden, noch gar keinen Gebrauch gemacht hatte. Er stand ja nun weit mächtiger da als früher. Er besaß stählerne Beile, Sägen, Nägel, Spaten und so vieles andere, das er schmerzlich entbehrt hatte. So konnte er jetzt damit beginnen, sich in seiner Höhle etwas wohnlicher einzurichten. Das Herumstehen aller Gegenstände auf dem Boden hatte ihn schon lange verdrossen, da hierdurch der freie Raum immer kleiner geworden war. Nun ging er daran, ein breites hölzernes Brett herzustellen, um es an der Wand anzubringen und seine verschiedenen Besitztümer darauf zu stellen. Hei, wie kam er jetzt so flink vorwärts, als er mit seinem prächtigen stählernen Werkzeug einen Baum zu fällen begann! Aber das Herausarbeiten eines Bretts machte doch wieder unendliche Mühe.

Bei uns schneidet man die schmalen Streifen in wenigen Minuten aus dem Stamm, indem man diesen zwischen senkrecht gestellten Sägen hindurchgehen läßt, deren Abstand voneinander ebenso breit ist wie die Dicke der Bretter, die sie zuschneiden sollen. Das Gatter, wie man eine solche Sägenreihe nennt, wird von einer Dampfmaschine rasch auf und nieder bewegt und schneidet mit größter Geschwindigkeit durch das Holz.

Die kleinen Handsägen, welche Robinson besaß, konnten wohl dazu dienen, Äste abzuschneiden, aber nicht, einen Baum der Länge nach durchzusägen. Dazu waren sie viel zu kurz und zu schwach. Er mußte das Brett mit der Axt herausarbeiten. 193 Hieb um Hieb schlug er an dem gefällten Baum von beiden Seiten nach der Mitte zu, bis nur noch der gewünschte schmale Brettstreifen übrigblieb. Ihr könnt euch denken, wie viele Schweißtropfen unser Freund vergießen mußte, bis ein etwa acht Meter langes, einigermaßen glattes Brett vor ihm lag. Rascher konnte es dann mit Krampen, die in der Kiste gelegen hatten, an der Wand befestigt werden.

Auch einen rohen Tisch und einen ganz einfachen Stuhl zimmerte unser Freund sich zurecht, so daß er fortab in europäischer Art zu essen vermochte. Beim Aufräumen der Höhle, die nun folgte, stieß Robinson auf den ziemlich großen Haufen der Taftstoffe, in welche die Instrumente und Bücher der Kiste eingewickelt gewesen waren. In der Freude über die Entdeckung der Bücher hatte er sie beiseitegeworfen und gar nicht mehr daran gedacht. Erst jetzt fiel ihm ein, welch großen Nutzen die Stoffe ihm bringen konnten.

Die Kleider fielen ihm allmählich buchstäblich vom Leib herunter. Da war auch durch Nähen mit Halmen wirklich nichts mehr zu halten. Aber nun besaß er ja Zeug genug, um sich etwas ganz Neues zurechtzuschneidern.

Ursula: Brauchte denn Robinson in dem heißen Land überhaupt Kleider?

Vater: Des Klimas wegen hätte er wohl größtenteils unbekleidet gehen können, aber schon die Regenzeit zwang doch zu einer Bedeckung des Körpers. Dann aber kam eine Plage hinzu, die auf unseres Freundes Insel ebensowenig fehlte wie in jedem andern tropischen Land. Unzählige Insekten, Moskitos genannt, schwärmten dort herum, deren Stiche sehr unangenehm sind. Robinsons Haut unter der zerschlissenen Kleidung war schon ganz mit Beulen bedeckt. Darum begrüßte er es jetzt um so mehr, daß er seinen Körper mittels dünnen, schmiegsamen Zeugs ganz einhüllen konnte.

Johannes: Nachdem er Naturforscher und Zimmermann gewesen, wurde er nun also auch Schneider!

Vater: Zu allzu großer Kunstfertigkeit brachte er es in diesem Handwerk nicht. Mittels einer vorgefundenen Schere schnitt er die Stoffe so gut es ging zu einer Jacke und einem Paar Hosen zurecht. Nähnadeln und Zwirn waren nicht 194 vorhanden, so mußten denn wieder die Halme für das Zusammenhalten dienen.

Oh, wenn ihr Robinson in seinem neuen Anzug hättet sehen können! Der schwarze Taft, der ihn vom Hals bis zu den Füßen einhüllte, nahm sich in der leuchtenden Sonne merkwürdig genug aus. Die Farbe war auch nicht gerade die geeignetste, denn Kleider, die dunkel gefärbt sind, halten die Hitze am schlechtesten ab, da sie nur wenige der auffallenden Licht- und damit auch Wärmestrahlen zurückwerfen. Deswegen erscheinen sie unserm Auge ja dunkel. Sie bewahren und speichern gewissermaßen die eingeschluckte Wärme. Dies ist zugleich der Grund, weshalb wir uns im Sommer gern in helle Stoffe kleiden, die stark wärmestrahlend wirken.

Robinsons Schornsteinfegerkleid wurde nun von den hellgelben, dicken Fäden der Halme durchzogen, die überall zu sehen waren, da die einzelnen Taftstücke ja nicht groß gewesen, weshalb viele Nähte gemacht werden mußten. Auch einen Hut hatte sich unser Freund gebaut. Und das war nun das merkwürdigste Stück seiner Ausrüstung. Die Kopfbedeckung bestand nämlich aus einem hohen, kegelförmigen Geflecht von starken Drähten, an denen der übergezogene Taft mit dünnem Draht befestigt war. Wenn Robinson jetzt so herumspazierte in dem schwarzen, unförmigen Kleid, den Hut in Form eines Kaffeewärmers auf dem Haupt und den aufgespannten, mächtigen Sonnenschirm über sich haltend, hätte man ihn wohl für ein Geschöpf vom Mars oder vom Jupiter halten können.

Johannes: Konnte er denn nun mit den vielen Werkzeugen, die er hatte, gar nichts weiter anfangen?

Vater: O doch! Es gingen ihm mancherlei große Pläne durch den Kopf. Am tiefsten bewegte ihn der Gedanke, daß er sich jetzt vielleicht ein Boot machen und versuchen könnte, damit aus seinem Inselgefängnis zu entfliehen.

Peter: Mußte er denn ein neues bauen? Konnte er nicht die Bootskiste benutzen?

Vater: Das ging zu seinem Schmerz nicht an. Die Holzteile der Kiste waren zum größten Teil vermorscht und verfault. Als er hineinstieg, brach er an mehreren Stellen mit den Füßen durch. Es mußte also ein vollständiger Neubau werden.

195 Peter: Ach, die schreckliche Arbeit! So viele Bretter aus Bäumen zu hauen und zusammenzumachen!

Vater: Auf diese Weise wollte er nicht vorgehen. Das hätte denn doch allzulange gedauert. Vielmehr entschloß er sich, ein Boot nach Art der Wilden herzustellen.

Johannes: Aha, wohl einen Einbaum?

Peter: Was ist denn das?

Johannes: Die Wilden nehmen einen dicken Baumstamm, hauen ihn außen ein bißchen zu und höhlen ihn dann innen aus, so daß man sich reinsetzen kann. Das steht in vielen Büchern.

Vater: Robinson war das auch bekannt, und er dachte, daß er wohl damit zustandekommen würde, da er ja doch durch den Besitz stählerner Beile den Wilden überlegen war. Als er den Gedanken gefaßt hatte, stimmte ihn die Aussicht, nun bald übers Meer fahren zu können, außerordentlich heiter. Er sah sein Boot schon lustig auf dem Wasser tanzen, die Mauer, die ihn bisher auf der Insel festgehalten, durchbrochen. Er würde sich Ruder machen, auch einen Mast setzen und Segel aus Fellen daran hängen. Gleich wollte er auf jene ferne Küste zusteuern, die er für das Festland hielt. Daß er, wenn es wirklich gelang, dorthin zu kommen, vielleicht neuen und viel schrecklicheren Gefahren ausgesetzt sein würde als hier auf dem nun schon als sicher erkannten Eiland, daran dachte er gar nicht. Nur fort, fort wollte er, heraus aus der Einsamkeit, der Abgeschlossenheit, fremden Gestaden zu, wo die Hoffnung blühte. Ganz wider seine sonstige Art schlug er bei diesem Unternehmen seine Besonnenheit vollständig in den Wind und ging wie in einem Taumel sogleich ans Werk.

Peter: Da fällte er dann zunächst einen Baum!

Vater: Es sollte ein großes, seetüchtiges Boot werden, damit er auch genügend Lebensmittel und Trinkwasser für eine vielleicht lange Fahrt mitnehmen könnte. Er suchte sich daher einen mächtigen Stamm aus, den zu fällen keine geringe Arbeit für einen einzelnen Menschen war. Eine Woche lang hieb er, während der Schweiß sein Gesicht überströmte, Stunden um Stunden an dem Fuß des gewaltigen Stamms, bis der Baum endlich krachend niederstürzte. Drei Tage allein waren darauf erforderlich, um die Äste abzuhauen und den oberen 196 dünnen Stammteil abzutrennen. Alsdann ging es erst an den eigentlichen Bootsbau.

In wochenlanger, mühsamer Arbeit wurde die äußere Form zustandegebracht. Das Aushöhlen aber erforderte zwei Monate. Nur die Begeisterung über den Erfolg, den Robinson von seinem Werk erhoffte, hielt ihn bei dieser so langsam fortschreitenden und äußerst mühseligen Arbeit aufrecht, der schwersten, die er während seines ganzen Aufenthalts auf der Insel vollbrachte. Schließlich aber stand das Boot, das groß genug war, um vier Männern Unterkunft zu gewähren, fertig da. Strahlend betrachtete Robinson das Erzeugnis seiner Baukunst und malte sich seine baldige Abreise von der Insel in den schönsten Farben aus.

Aber diesem Hochgefühl folgte alsbald eine arge Enttäuschung. Denn nun hieß es, das fertige Boot zu Wasser zu bringen. Da sah Robinson, daß er wahrhaft unsinnig gehandelt hatte. Das Fahrzeug lag nur etwa hundert Schritt vom Ufer entfernt, aber es war so schwer, daß er es nicht über den Sand zu bewegen vermochte. Er machte sich Hebel zurecht und schob sie unter, um das Boot damit anzuwuchten. Doch es rührte sich nicht! Nun kam er auf den Gedanken, vom Meer aus einen Kanal bis zum Liegeplatz des so mühsam erbauten Fahrzeugs auszuheben. Aber, o Jammer! Die Arbeitsstelle lag auf einer geringen, bis dahin gar nicht bemerkten Erhebung, und das Wasser wollte durchaus nicht bergauf fließen. Als Robinson gar keine Möglichkeit mehr sah, das Boot in sein Element zu bringen, raufte er sich die Haare und schlug sich die Brust. Eine Verzweiflung, nicht minder stark als damals, da er das Feuer wieder verlor, packte ihn.

Ursula: Das hätte er sich aber auch vorher besser überlegen sollen!

Peter: Wie konnte er bloß so töricht sein! Wenn man ein Boot baut, muß man doch daran denken, wie man es ins Wasser bringen kann!

Dietrich: Wenn man begeistert etwas ausführen will, was man sich ausgedacht hat, vergißt man manchmal das Nächstliegende. Weißt du noch, Peter, wie du damals in unserem kleinen Kinder-Gartenhäuschen in Braunschweig einen 197 Stall für dein Schaukelpferd mit vieler Mühe eingerichtet hattest und das Pferd schließlich nicht durch die Tür bekamst, weil es zu groß war? Ist das nicht etwas ganz Ähnliches?

Peter: Ja, das ist wahr!

Johannes: Und du, Ursula, wolltest doch, als du den ersten Tag in der Schule gewesen warst und gerade die ersten Buchstaben gelernt hattest, gleich einen Brief an Großmama schreiben, holtest dir Briefbogen, Tintenfaß, Feder und alles zusammen, aber als du anfangen wolltest zu schreiben, da ging's nicht.

Ursula: Ja, das war dumm von mir!

Vater: Sowohl eure eben erwähnten Handlungen wie auch das Vorgehen von Robinson kann man vielleicht nicht geradezu als dumm bezeichnen. Die Absicht war in allen Fällen gescheit. Nur ein einziger hindernder Umstand wurde übersehen, und das genügte freilich, um das Ganze zu Fall zu bringen. Solcher Handlungen braucht man sich weder zu schämen noch soll man sie bereuen, denn sie geben vortreffliche Gelegenheit, eine Lehre daraus zu ziehen. Man erfährt durch solche Erlebnisse, daß es mit dem guten Gedanken allein nicht getan ist. Man muß auch alle Einzelteile der Ausführung in Erwägung ziehen, ehe man seine Arbeitskraft für etwas Neues einsetzt. Es würde viel weniger traurige Erfinderschicksale in der Welt geben, wenn alle Menschen das bedächten. Beim Beginn eines Werks muß man nicht nur seinen Anfang in Betracht ziehen, sondern viel mehr noch das Ende. Ein sehr beherzigenswertes lateinisches Sprichwort sagt:

Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

zu deutsch: Was du auch anfangen mögest, greife es mit Überlegung an und bedenke das Ende! Weil unser Freund das nicht getan hatte, saß er nun traurig auf dem Rand seines festliegenden Boots wie Marius auf den Trümmern Karthagos. 198


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