Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Meister Robinson
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Siebenter Nachmittag

Ursula: Heute wolltest du uns wohl erzählen, Vater, wie Robinson sein Haus baute?

Vater: Sein Haus? Warum glaubst du das?

Ursula: Nun, du sagtest doch gestern, daß er nach dem Abstieg von dem Berg darüber nachdachte, wie er sich eine Wohnung machen könne. Und die Menschen wohnen doch alle in Häusern.

Vater: Ja so! Nun, wie denkst du dir, daß er es angefangen hat? Wahrscheinlich hat er wohl durchs Telephon Maurer und Zimmerleute bestellt, die dann auch bald ankamen?

Ursula: Nein, das konnte er wohl nicht, weil er ja ganz allein auf der Insel war. Er mußte allein das Haus bauen.

Peter: Woraus denn aber, Ursula? Ziegel gab es doch wohl auf der Insel nicht.

Johannes: Und doch auch keine Balken für das Dach und keine Dachpfannen.

Vater: Von alledem besaß er nichts, und es ist ihm wohl auch kaum der Gedanke gekommen, ein richtiges Haus zu bauen. In dem warmen Klima der Insel brauchte er sich ja auch nicht so sorgfältig wie wir hinter steinernen Mauern gegen die Unbilden der Witterung zu verschanzen. Robinson wollte sich ja nur vor Angriffen wilder Feinde bewahren, und hierfür hatte er nicht mehr Hilfsmittel als die ersten Menschen auf der Erde, die doch ganz gewiß nicht imstande gewesen sind, Häuser zu bauen.

Johannes: Wie haben denn diese ersten Menschen gewohnt, Vater? Wissen wir etwas darüber?

Vater: O ja, das ist uns recht gut bekannt! Die 89 Wissenschaft hat ganz genau erforscht, wie unsere Urahnen vor hunderttausend Jahren und mehr gewohnt und gelebt haben.

Peter: Ach, das ist aber interessant! Bitte, erzähle uns doch etwas darüber!

Vater: Ich will mit einem Beispiel beginnen. Ihr wißt, daß die Krebse eine harte Schale besitzen, einen Panzer, der ihren Leib umgibt und sie dadurch fähig macht, vielen feindlichen Angriffen zu widerstehen. Aber nicht sämtliche Mitglieder dieser Tierart sind so gut geschützt. In einer wunderlichen Laune schuf die Natur ein Krebsgeschlecht, das keinen vollkommenen Harnisch besitzt, sondern nur einen Küraß, einen Brustpanzer. Der Hinterleib ist unbedeckt und in seiner weichen Nacktheit äußerst gebrechlich. Die so gebauten Tiere leben auf dem Meeresgrund und benehmen sich da ganz absonderlich. Sobald eins von ihnen so weit ausgewachsen ist, daß es die Ungeschütztheit seines hinteren Leibesteils empfindet, sucht es diesen Geburtsfehler möglichst wieder gutzumachen. Das halbnackte Krebschen kriecht umher, bis es eine leere Schneckenschale findet, und steckt den Hinterleib dort hinein. Die Einsiedlerkrebse, wie man die so zum Einzelleben verurteilten Tiere nennt, schleppen dann ihr ganzes Leben lang die schützende Schale mit sich herum.

Als die ersten Menschen schwach und nackt auf der Erde standen, fühlten sie sich wohl gerade so ungeschützt und allen Angriffen gegenüber unverteidigt wie der Einsiedlerkrebs. Auch sie suchten daher eine Schale, in der sie ihren schwer bedrohten Leib verbergen konnten. Mit einem Schneckenhaus war es da nun freilich nicht getan. Die schützende Kapsel mußte schon recht groß sein, und da hier der ganze Körper eingehüllt werden mußte, war auch nicht daran zu denken, daß die Menschen die Schale überall mit sich herumtragen konnten. Sie wäre wohl gar zu gewichtig gewesen. So mußten sie sich damit begnügen, eine festgewurzelte Schutzkapsel zu finden, in die sie sich in Notfällen stets zurückziehen konnten, so wie ihr Kinder etwa in ein festgesetztes Mal springt, wenn euch jemand beim Haschenspielen erwischen will. Und gerade wie der Einsiedlerkrebs auf dem Meeresgrund fanden die ersten Menschen auf der Erdoberfläche geeignete Schutzschalen. Es waren dies 90 Höhlen, die sich in Hügeln oder Talabhängen öffneten. Solch eine Höhle ist ja nach allen Seiten bis auf den Eingang geschlossen, und diesen kann man leicht verteidigen.

Die Stätten, wo die frühesten Menschenansiedlungen stattfinden konnten, waren unbedingt abhängig von dem Vorhandensein solcher Höhlen. Im südlichen Frankreich gab und gibt es noch heute deren in einem eigentümlich zerklüfteten Gebirgszug auffallend viele. Wo ihre Eingänge nach Süden gerichtet waren, wurden sie ganz besonders bevorzugt, weil alsdann die Sonne, die ja bei ihrer täglichen Fahrt von Osten nach Westen über den südlichen Himmelsbogen zieht, hineinscheinen, der kalte Nordwind aber keinen Eintritt finden konnte. Ein ausgezeichneter Gelehrter, Otto Hauser, hat in den letzten Jahrzehnten in einem solchen Höhlenbezirk Südfrankreichs Ausgrabungen veranstaltet und die wunderbarsten Entdeckungen gemacht, die man sich denken kann. Er fand in den Höhlen noch recht gut erhaltene Wohnstätten unserer Vorfahren, die dort vor etwa hundert Jahrtausenden gehaust haben mögen. Seitdem sind wir uns darüber ziemlich klar, wie jene bescheidenen Leute gelebt haben, wir kennen ihre Geräte, ihre Sitten, haben sogar Nachrichten von der Kunst, die auch damals bereits gepflegt wurde. Ich denke, daß ich euch bei anderer Gelegenheit darüber noch einiges sagen werde. Hauser hat sogar Gräber aus jener grauen Vorzeit gefunden und recht gut erhaltene Skelette ausgegraben. So besitzen wir heute in Museen die Knochengerüste von Menschen, die in der Kindheit unseres ganzen Geschlechts geatmet haben mögen.

Johannes: Sahen die denn gerade so aus wie wir heute?

Dietrich: Wie kannst du glauben, daß Vater diese Frage zu beantworten vermag! Es sind doch nur Knochen erhalten und nicht das Fleisch.

Vater: Johannes hat trotzdem nicht vergeblich gefragt. Die Wissenschaft vermag aus der Knochenform recht gut auch auf die äußeren Körperformen zu schließen. Wir wissen sehr genau, daß der ursprüngliche Mensch plumper und massiger gebildet war als seine heutigen Nachkommen. Er hatte ein furchtbares Gebiß, das er wohl auch als Waffe benutzte, seine Sehkraft war außerordentlich entwickelt, was man an der 91 besonders starken Aushöhlung der Hirnschale an jener Stelle sehen kann, wo der Sitz der Sehempfindung ist. An dieser Stelle muß also das Gehirn besonders entwickelt gewesen sein. Dagegen hat der Mensch in grauer Vorzeit sicherlich noch nicht so sprechen gekonnt, wie wir es heute vermögen. Das geht aus der geringen Entwicklung des Kinnknochens hervor, an den die heutige verwickelte Lippenmuskulatur angesetzt ist; mit deren Hilfe erst vermögen wir die so mannigfachen Laute unserer Sprache zu formen. Unser Vorfahr hatte so wenig ein Kinn, wie es irgendeinem Tier zu eigen ist.

Johannes: Oh, wie wunderschön ist es, Vater, daß man all das hat erforschen können!

Peter: Ging denn also Robinson nun auch in eine Höhle?

Vater: Das hätte er wohl gern getan, wenn er eine gefunden hätte. Dies war aber nicht der Fall. Am Saum des Waldes lag wohl eine fast senkrecht abfallende Felswand, in der sich auch eine Vertiefung befand. Aber diese war so flach, daß Robinson sich noch nicht einmal hineinstellen konnte. Was sollte er nun tun? Er sann und sann, aber es fiel ihm nichts Rechtes ein. Oh, wie schwer empfand er jetzt seine Einsamkeit! Wenn nur ein einziger Mensch dagewesen wäre, mit dem er Gedanken hätte austauschen können, und wäre es auch der letzte seiner Spielkameraden aus Hamburg gewesen, mit denen er sich so häufig gezankt und verfeindet hatte. Jetzt schien es ihm ganz unbegreiflich, daß Menschen sich oft so schlecht miteinander vertragen. Er fühlte, daß die Gesellschaft der Menschen doch eines der höchsten Güter ist, die der einzelne auf Erden hat. Und mit Tränen der Rührung in den Augen sah er vor sich, wie duldsam er künftig anderen gegenüber sein würde, wenn ihm das Schicksal noch einmal das Glück bescheren sollte, unter Menschen zu wohnen.

Nachdem Robinson wieder von seinen Früchten gegessen hatte, schlenderte er am Strand auf und nieder, höchst traurig und mißgestimmt, weil er so gar nichts tun konnte, um seine Lage zu verbessern. Immer wieder hob er die Hände mit dem heißen Wunsch, doch wieder mit ihnen etwas anfangen, etwas schaffen zu können. Das einzige, was ihn in der Einsamkeit zu trösten vermöchte, würde die Arbeit sein, das empfand er sehr 92 deutlich. Als die Sonne untergegangen war, flehte er, der einst zu den schlimmsten Faulenzern und Nichtstuern gehört hatte, Gott an, er möge ihm doch eine Arbeit geben. Traurig kroch er dann in die Baumhöhlung und schlief erst nach langer Zeit ein.

Peter: Kam er denn gar nicht darauf, sich eine Hütte aus Laubwerk und dünnen Zweigen zu flechten, wie es die Wilden so oft tun, von denen ich in meinen Büchern gelesen habe?

Vater: Glaubst du, daß ein so leichter Bau ihn gegen die Angriffe von Löwen, Tigern, Panthern oder anderen starken Tieren geschützt hätte?

Johannes: Nein, es mußte wohl schon etwas Festeres sein.

Vater: Wir wollen sehen, ob Robinson etwas Geeignetes ausfindig machte. Als er am nächsten Morgen erwacht war, nahm er sich vor, doch etwas tiefer in den Wald einzudringen, da das ja doch schließlich einmal sein mußte, und er bisher selbst bei seinem Weg nach dem Berg und auf der Rückkehr von dort auf kein reißendes Tier gestoßen war. Er ging geradeaus, wohl eine Viertelstunde weit, und da erblickte er auf einmal vor sich einen beinahe gespenstisch aussehenden Baum.

Ursula: Ach, wie schrecklich muß so etwas sein, wenn man ganz allein ist!

Vater: Nun, schreckhaft war Robinson glücklicherweise nicht. Sein kluger Geist hatte ihm schon immer gesagt, daß es Gespenster nicht geben könne, wie dumme Ammen oder Kindermädchen manchmal erzählen. So betrachtete er denn auch nach einem leichten Zusammenzucken den seltsamen Baum ganz ruhig. Es war einer der Brotbäume oder Baobabs, die ich schon einmal erwähnte, ein sehr alter und großer Stamm, wenn auch nicht so ungeheuer wie jener, von dem ich vorgestern sprach. Diese Bäume haben die Eigentümlichkeit, daß sie im Hochsommer ihre Blätter verlieren und an den kahlen Zweigen dann nur noch die großen, bis zu einem halben Meter langen mächtigen Früchte tragen. Sie gewähren dann einen Anblick wie kein anderer Baum auf der Erde, und manches Ungewohnte wirkt auf uns für den ersten Blick erschreckend, auch wenn hierfür gar kein rechter Grund vorhanden ist.

Schon von fern deuchten diese Früchte dem Robinson eßbar und schmackhaft, und er wollte sie gern versuchen. Aber es war 93 nicht möglich, an den Stamm heranzukommen. Zwischen Robinsons Standort und dem Baum waren nämlich viele dünne Bäumchen, unseren Weiden nicht unähnlich, ganz dicht nebeneinander gewachsen. Ihre Zweige hatten sich ineinander verflochten und bildeten eine außerordentlich dichte Hecke, durch die man so wenig hindurch konnte wie durch eine Wand. Robinson schritt an dieser Hecke entlang, um sie an ihrem Ende zu umgehen und so zu dem Brotbaum zu gelangen. Zunächst ärgerte er sich über das lästige Hindernis. Dann aber blieb er plötzlich stehen und klatschte erfreut in die Hände. Es war ihm ein wichtiger Gedanke gekommen. Er wußte nun, wie er eine Wohnstätte anlegen könne.

Peter: Ja, wie denn, Vater, wie?

Vater: Wenn eine solche Hecke, wie er sie hier vor sich sah, etwa in einem Halbkreis vor der senkrechten Felswand mit der kleinen Höhlung stehen würde, so daß die Enden des Halbkreises an die Felswand stießen, dann wäre er ja dahinter vortrefflich geborgen. Kein Tier würde in seine Behausung eindringen können, da die Bäumchen auch hoch genug waren, um nicht übersprungen werden zu können. Da dieser schützende Halbkreis vor der Felswand nicht vorhanden war, so meinte er, könne er ihn ja anlegen. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit hoher Freude. Kaum ließ er sich Zeit, nachdem er endlich das Ende der Hecke umgangen hatte, eine Frucht von dem Baum zu pflücken, die denn auch wirklich sehr wohlschmeckend und offenbar auch nahrhaft war. Geschwind lief er zur Felswand zurück und betrachtete die Stelle. Sie war wirklich für die geplante Anlage sehr geeignet. Eine ziemlich große, flache Wiese, mit weichem Gras bestanden, breitete sich aus. Hinter einer festen Umzäunung würde man hier wohl gut leben können, und Robinson beschloß, sogleich ans Werk zu gehen. Sehr geschwind würde er dieses Haus wohl nicht bauen können. Darüber war er sich klar. Aber er hatte ja Zeit genug zur Verfügung.

Bald war der Plan entworfen. Vorder Felswand mußte in dem Boden eine genügend geräumige halbkreisförmige Rinne ausgehoben werden, damit die Bäumchen, die zur Hecke werden sollten, mit den Wurzeln hineingestellt werden könnten. Einzeln mußte er sie an ihrem Standort ausgraben und hierher verpflanzen.

94 Peter: Aber wie sollte er graben? Er hatte doch keinen Spaten!

Vater: Ja, das fiel ihm nun auch sofort schwer aufs Herz. Es ging ihm wie manchem Erfinder, der freudig erregt über einen Gedanken ist, der ihm plötzlich gekommen, aber bald erkennen muß, daß die Ausführung sehr viel schwieriger ist, als er zunächst dachte. Glücklicherweise war Robinson nicht ganz ohne Grabwerkzeuge.

Peter: Ich denke, er hatte doch überhaupt nicht das geringste Werkzeug.

Vater: Er besaß in der Tat keins, das wir so nennen, kein künstlich hergestelltes. Aber die Natur hat uns ja ein zu vielfachen Zwecken, darunter auch zum Graben, verwendbares Werkzeug an die Arme geheftet, nämlich unsere Hände. Robinson lief zur Hecke und begann, ein Bäumchen mit den Händen auszuscharren. Es ging mühsam, aber es ging doch.

Die Hand des Menschen ist ein wunderbares Werkzeug. Sie besitzt so vielfältige Fähigkeiten, daß wir nicht im entferntesten imstande sind, ihren so überaus kunstvollen Bau nachzuahmen. Die doppelte Beweglichkeit des Handgelenks, das gehoben und gesenkt, aber auch gedreht werden kann, die Biegsamkeit der Mittelhand, die Vielteiligkeit der Finger und vor allem die Fähigkeit des Daumens, sich jedem der anderen vier Finger gegenüberstellen zu können, bewirken, daß die Hand zu unzähligen Verrichtungen gleich gut befähigt ist. Der an einen Finger geklemmte Daumen macht sie zur Zange, die gekrümmten Finger zum Haken, die geballte Hand ist ein Hammer, ausgestreckt bildet sie eine Platte, man vermag einen Napf aus ihr zu formen, die harten Nägel können bohren und in geringer Tiefe auch schneiden. Gerade für das Graben aber ist die menschliche Hand wenn auch tauglich, so doch nicht sonderlich passend. Da sehen wir viele Tiere, namentlich den Maulwurf, mit der handähnlichen Ausbildung seiner Vorderfüße ihr bedeutend überlegen. Der Maulwurf kann mit seinen Händen die Erde geradeso wegscharren, wie man mit einem Löffel den Teig von einer Schüssel kratzt. Wir vermögen solches nicht. Und so war Robinson, als er erst das dritte Bäumchen ausgescharrt hatte, bereits schwer ermüdet.

95 Aber er wußte sich zu helfen. Er erinnerte sich der Muschel, mit der er die Melone aus ihrer Schale gegraben hatte. Für das Geschäft, welches er jetzt vorhatte, war sie freilich zu klein und nicht zu gebrauchen. Aber vielleicht gab es größere Muscheln am Strand?! Er mußte einmal nachsehen. Gar nicht lange brauchte er am Meeresufer dahinzulaufen, da sah er eine sehr große, kräftige Muschel vor sich liegen. Sie war unten beinahe wie ein Spaten gebogen und zugeschärft; oben in der Mitte rollte die Wand sich ein und zu einer Art Knauf zusammen, der gut mit der Hand zu umfassen und an Stelle des Stiels wohl zu benutzen war. Ganz entzückt nahm Robinson die Muschel auf, lief zu der Hecke, und nun war es für ihn geradezu eine Lust zu graben, wenn er dabei auch ständig eine gebückte Stellung einnehmen mußte, da seinem Spaten ja der verlängernde richtige Stiel fehlte.

Mehrere Tage arbeitete er jetzt ununterbrochen. Jeden Abend wurden, bevor Robinson in den hohlen Baumstamm kroch, die Fortschritte des Werks betrachtet, weil unser Freund große Sehnsucht hatte, des Nachts wieder einmal lang ausgestreckt, wie es dem Menschen am besten ansteht, schlafen zu können. Er pflanzte Bäumchen an Bäumchen, setzte sogar zwei Reihen hintereinander, damit die Zwischenräume überdeckt würden, und flocht dann Zweige in wagerechter Richtung von Stamm zu Stamm. Es dauerte nicht allzu lange, bis er eine wirklich undurchdringliche Wand errichtet hatte, und er durfte hoffen, daß sie von Woche zu Woche fester und widerstandsfähiger werden würde, da alle Pflanzen und Bäume auf der Insel eine Kraft des Wachstums zeigten, die geradezu wunderbar war. Wohlgefällig stand Robinson endlich vor dem vollendeten Werk. In einem schönen Halbkreis, wie er mit dem Zirkel kaum genauer hätte gezogen werden können, lief die feste grüne Wand ohne die geringste Lücke von einer Seite des platten Felsens zur anderen. Zum letztenmal kroch Robinson abends in seinen Baum. Freudig dachte er daran, wie bequem er die nächste Nacht zubringen würde.

Johannes: Ja, aber warum ging er denn nicht gleich in seine neue Wohnung?

Vater: Das hatte einen eigentümlichen Grund. Er konnte dämlich nicht hinein, da er keine Türöffnung gelassen hatte.

96 Peter: Ach Gott, das war aber dumm von ihm! Nun hatte er die ganze Arbeit doch umsonst gemacht.

Dietrich: Wahrhaftig! Da muß man ja an die Schildbürger denken, die vergessen hatten, Fenster in ihrem neuen Rathaus zu machen.

Vater: Ihr unterschätzt unseren Robinson. Er hatte die Tür nicht vergessen, sondern absichtlich fortgelassen. Eine richtig und verläßlich schließende Pforte hätte er doch nicht anbringen können; dazu fehlten ihm ja alle Eisenteile. Die Tür würde immer eine schwache Stelle in der Umzäunung gebildet haben, die Gefahr hätte bringen können. Er wollte sich deshalb damit begnügen, stets auf einem etwas schwierigeren Weg in seine Wohnung hineinzugelangen und sie ebenso wieder zu verlassen. Von vornherein hatte er beschlossen, eine hängende Einsteigleiter herzustellen; die wollte er an dem kräftigen Baum befestigen, der oben, gerade am Rand des Felsens stand. Darauf konnte er über die Hecke klettern, die Leiter alsdann einziehen, wonach er vollkommen geborgen war.

Peter: Das mußte also eine Strickleiter werden. Doch woher hatte er Stricke?

Vater: Die gütige Natur schenkte ihm auch diese. Schlingpflanzen mit dünnen Stengeln, die aber äußerst fest und widerstandsfähig waren, wie Robinson schon festgestellt hatte, zogen sich in dem Wald tausendfach zwischen den Bäumen. Aus ihnen flocht er also am nächsten Tag zwei richtige Stricke, legte abgebrochene Baumäste als Stufen in offengelassene Schlingen, und alsbald war er imstande, seine neue Residenz zu beziehen. Bedachtsam hatte er bereits vorher große Haufen Gras ausgerissen, so daß sie inzwischen zu Heu getrocknet waren. Damit bereitete er sich ein Lager und schlief darauf in der nächsten Nacht, vor allen Angriffen sicher, ruhig und köstlich, den Leib ausgestreckt, das Gesicht den wundervoll strahlenden Sternen des südlichen Himmels zugewendet. 97


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