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Vater: Eines Abends, als Robinson gerade in seine Höhle gehen wollte, um sich niederzulegen, fesselte ihn von neuem der Anblick des strahlenden Firmaments, und er setzte sich noch einmal draußen in Betrachtung nieder. Alle die herrlichen Sternbilder waren aufs prächtigste zu schauen: das Kreuz des Südens, der Zentaur, die Fische, der Skorpion und so viele andere. Gleich einer aus schwarzem Sammet gebildeten Kuppel lag das Himmelsgewölbe über der Insel, die Sterne glichen goldenen Nägeln, die kunstlos durcheinander und doch von kunstvoll ordnender Hand dort hinein geschlagen waren.
»Wie weit, wie weit«, dachte er, »mag wohl der nächste unter ihnen von mir entfernt sein!« Und dabei blickte er zufällig nach dem Sternbild des Zentauren, in dem der Stern Alpha steht, der uns am nächsten benachbarte unter allen Fixsternen.
Peter: Der fiel ihm wohl auf, weil er besonders groß aussieht?
Vater: Nein, das war nicht der Fall. Sämtliche Fixsterne erscheinen nicht nur dem unbewaffneten Auge, sondern auch im stärksten Fernrohr immer nur als ausdehnungslose Lichtpünktchen. Als scheinbare Scheiben sehen wir nur die zu unserem Sonnensystem gehörigen Planeten, von denen aber auch bereits der Uranus so weit von uns absteht, daß man in einem Schnellzug unserer Tage dreitausendfünfhundert Jahre reisen müßte, um ihn zu erreichen. Der äußerste der Planeten, Neptun, gar durchschreitet den Weltenraum in so weiter Entfernung, daß ein Mensch, der sich dort aufhielte, 157 die Erde überhaupt nicht mehr zu sehen, die Sonne, um die der Stern doch kreist, nur noch als einen Lichtpunkt wahrzunehmen vermöchte. Jener Stern Alpha im Zentauren aber, der nächste Fixstern, wie ich schon sagte, ist noch neuntausendmal weiter von uns entfernt. Dem Robinson schienen also sämtliche Sterne gleich groß und gleich weit entfernt, er fühlte nur in seinem Gemüt den Hauch der Unendlichkeit, der vom Sternenzelt zu uns herniederweht.
Johannes: Da erblickte er also an diesem Abend nichts Besonderes am Himmel?
Vater: Zuerst nicht. Aber als er gerade von seinem Beobachtersitz aufstehen wollte, da schien droben etwas in Unordnung geraten zu sein. Es flimmerte und schwirrte in hellen Funken, geradeso wie neulich, als er auf dem Berg gesessen hatte. »Ha, ha,« lachte Robinson vor sich hin, »diesmal lasse ich mich nicht täuschen!« Und er griff um sich, um vielleicht wieder eines der leuchtenden Käferchen zu fassen.
Doch diesmal ergriff er nichts. Er sah vielmehr einen mächtigen Feuerstreif vom Himmel niedergehen, gerade auf sich zu gerichtet. Dann wurde es taghell um ihn, ein mächtiger Schlag erscholl außerhalb der Umzäunung, Erde und Splitter jagten empor, darauf wurde es wieder still. Robinson richtete den Blick vom Himmel auf die Erde hinunter. Und viel größer als der Schreck über den Donnerschlag war nun sein Erstaunen, als er, durch die Zweige der dichten Umzäunung hindurchblickend, da draußen etwas Helles erschaute, das auf und ab wogte. Das sah ja fast so aus, als wenn der volle Mond sich in bewegtem Wasser spiegelt! Es funkelte und leuchtete. Was konnte das nur sein? Geschwinder als er es für möglich gehalten, war Robinson auf seiner Leiter empor und über die Umzäunung hinübergeklettert. Und da stand er nun nicht anders als ein Mensch, der in seinem einsamen Zimmer dem Verhungern nahe ist und plötzlich beim Herumstöbern einen Sack voll Gold entdeckt. Er sah und starrte und wollte seinen Augen nicht trauen. Das Herrlichste, das er sich gewünscht, ein Geschenk, das er am meisten begehrt, war ihm vom Himmel zuteil geworden.
Vor seinen Augen brannte – Feuer, eine Flamme.
Peter: Ach! Wie war das bloß gekommen?
Vater: Einer jener Zufälle, wie sie im unendlichen Geschehen des Weltalls jeden Augenblick möglich sind, hatte die feurige Erscheinung am Himmel so gelenkt, daß sie in Robinsons nächster Nähe niedergegangen und gerade das trockene Heu getroffen hatte, welches er, wie ihr wißt, zur Bereitung und Erneuerung seiner Lagerstatt unter leichtem Laubdach aufgehäuft hatte. Die Halme loderten prachtvoll, und Robinson nahm alle seine Kraft zusammen, um sich möglichst schnell von seinem Staunen zu erholen, damit nur ja die kostbare Flamme nicht erlösche. Wie ein Toller rannte er hin und her zum Waldrand und wieder zurück, warf Reisig und dünne Zweige in das Feuer, um es zu unterhalten, denn das Heu mußte bald ausgebrannt sein. Er ruhte nicht, bis er eine mächtige Flamme hervorgerufen und einen ganzen Wall trockenen Holzes noch ringsumher gespeichert hatte, damit das liebe Feuer nur ja immer neue Nahrung hätte, falls es zu vergehen drohte. Der Schweiß rann ihm von der Stirn, und ängstlich spähte er immer wieder zum Himmel, ob nicht etwa ein Regen drohte. Doch das war glücklicherweise nicht zu befürchten.
Endlich war die Nahrung für das Feuer sichergestellt, und unser aufgeregter Freund konnte sich einen Augenblick der Ruhe gönnen. Doch nur der Körper vermochte sich zu erholen, der Geist arbeitete fieberhaft weiter.
»Jetzt habe ich Feuer,« dachte Robinson, »mein Hauptwunsch ist erfüllt! Oh, was kann ich alles damit anfangen! Doch das will ich später überlegen. Vor allem muß ich jetzt dafür sorgen, daß ich das Feuer für immer bewahre. Denn wenn es wieder ausginge, wenn ein Regen darauf fiele, das wäre ja schlimmer als der Tod!« Er suchte sich zu beruhigen, um folgerichtig denken zu können. »Das ist ja klar,« überlegte er weiter, »ich muß das Feuer in die Höhle bringen, damit ein festes Dach gegen den Regen darüber ist. Aber kann ich denn das? Es wird mir ja die ganze Wohnung vollrauchen! Ein Abzug muß geschaffen werden, damit der Rauch hinausgesaugt wird. Richtig, da war ja eine Stelle ganz hinten in der Höhle, wo ich neulich etwas Licht von oben durchschimmern sah. Da geht wohl ein Spalt hinaus auf den Hügel. Den kann 159 ich erweitern, dann habe ich einen Schornstein. Doch daran kann ich erst gehen, wenn es hell geworden ist. Jetzt vor allem mit dem Feuer in die Höhle hinein, wenn sie auch verräuchert. Ich werde ja ohnedies heute nacht nicht schlafen können!«
So brachte Robinson denn einen Reisighaufen in den Hintergrund der Höhle, entzündete dann mit unaussprechlicher Freude einen harzigen Zweig an seinem Feuer, kletterte damit über die Umzäunung und entfaltete in der Höhle einen zweiten Brand. Es qualmte tüchtig da drinnen, so daß ihm die Augen tränten. Aber diese Zähren vermischten sich nur mit den Freudentränen, die unaufhaltsam über seine Wangen liefen.
Der Schatz war nun sicher bewahrt, und er setzte sich nieder, um über die Ausnutzung des Feuers nachzudenken. »Wahrhaftig,« sprach er vor sich hin, »jetzt kann ich einen Braten haben. Wenn ich eins der Gemsbüffelchen dort draußen am See ergreife und töte – meine Haustiere will ich mir selbstverständlich erhalten –, dann kann ich ihm mit einer Muschel das Fell zertrennen, es abziehen, ein tüchtiges Stück Fleisch abschneiden und es über meinem Feuer braten. Das soll mir aber einmal munden! So etwas habe ich schon lange, lange nicht gegessen!«
Doch da tauchte wieder ein Hindernis auf. »Wie soll ich das Fleisch denn braten?« fragte sich Robinson weiter. »Ich habe doch keine Pfanne und auch keinen Herd, auf den ich eine solche stellen könnte. Aber richtig! Es gibt ja noch eine andere Art der Fleischbereitung! Die Matrosen im Hafen von Hamburg haben mir öfter erzählt, daß sie diese bei den Wilden gesehen hätten. Ich muß mir einen Bratspieß machen. Rechts und links vom Feuer schlage ich je einen oben gegabelten Ast in die Erde, darüber kann ich dann ein wagerechtes Stück Holz legen. Das spieße ich durch das Fleisch, so hängt dieses dann über dem Feuer, und ich kann es drehen, bis es durch und durch gebraten ist. Ho, ho, ho, was soll das morgen für ein Schmaus werden! Wie wird mir der Braten behagen, zumal ich ihn auch richtig salzen kann.« Dann sprang er wieder in die Höhle, um dort nach dem Feuer zu sehen, und gab diesem, wie auch dem Brand draußen, neue Nahrung. Als er sich wieder niedersetzte, schlief er im Freien schließlich doch gegen Morgen trotz der heftigen Bewegung seines Innern für ein paar Stunden ein.
160 Peter: Der Robinson hat aber ein Glück, daß ihm das Feuer so vom Himmel runterfällt! Das ist doch wohl noch niemals einem Menschen passiert!
Vater: Doch! Das ist auch sonst schon hier und da vorgekommen, wenn auch das Ereignis selten ist.
Johannes: Woher wurde denn aber bloß das Feuer entzündet? Durch eine richtige Sternschnuppe?
Vater: Ja. Ich sagte, wenn ihr euch entsinnt, daß Robinson einen feurigen Streifen vom Himmel auf sich zueilen sah. Es war ein niederfallendes Meteor, ein glühender Stein.
Ursula: Wo kommt denn so etwas bloß her? Wer wirft denn das runter?
Vater: Die Meteore werden natürlich von niemandem geworfen. Die Erde holt sie sich von selbst aus dem Weltenraum. Es sind Stücke untergegangener Welten.
Dietrich: Wie denn das?
Vater: Im Weltenraum herrscht gerade wie auf der Erde ein ewiges Werden und Vergehen. Wie die Pflanze wächst und eingeht, wie der Mensch geboren wird und stirbt, so werden Weltenkörper unausgesetzt neu erzeugt, andere in Trümmer geschlagen. In der Unendlichkeit der Zeit und in dem unendlichen Gewimmel der Sternenwelt kommt es tatsächlich auch öfter vor, daß zwei Weltenkörper zusammenstoßen. Das gibt dann ein Ereignis, von dessen Ungeheuerlichkeit wir uns gar keine Vorstellung zu machen vermögen. Die gewaltigen Kugeln zerbersten, durch die beim Stoß entstehende Hitze werden fast alle ihre Teile so stark erwärmt, daß sie verdampfen, sich in Gase verwandeln. Diese Gasmassen, die eigentümliche Bewegungen ausführen und Milliarden und aber Milliarden Kubikkilometer ausfüllen, verbleiben im Raum und bilden die Kerne für die Entstehung neuer Himmelskörper. Wir können jederzeit zahlreiche von ihnen am Himmel sehen. Wir nennen sie Nebel, weil sie, durchs Fernrohr betrachtet, den Eindruck eines nebligen Dunstes machen.
Stücke aber von verschiedenen Größen werden beim Zusammenprall auch weggestoßen und in den Weltenraum hinausgeschleudert. Sie fliegen nun dort herum, und wenn sie in den Anziehungsbereich eines Sterns kommen, so stürzen sie 161 auf diesen zu. Der Erde geschieht es nun gar nicht selten, daß sie solche Weltentrümmer anzieht.
Peter: Das ist ja aber ein schrecklicher Gedanke, daß einem solch ein Sternstück plötzlich auf den Kopf fallen kann!
Vater: Davor brauchst du dich nicht zu fürchten. Denn daß ein Meteor bis auf den Erdboden selbst gelangt, ist an einzelnen Punkten äußerst selten, auf der ganzen Erde aber immerhin öfter zu beobachten.
Johannes: Wo bleiben denn die anderen, die nicht niederfallen?
Vater: Die verbrennen in der Erdluft. Das Meteor saust mit großer Geschwindigkeit in der Richtung nach dem Mittelpunkt der Erde. Solange es den leeren Weltenraum durchzieht, ist es tot und kalt. Wenn es aber in die Luft hineingerät, so erwärmt es sich infolge seiner rasenden Geschwindigkeit durch die Reibung mit den Luftteilchen. Es wird heiß und immer heißer, erhitzt sich bis zur Rotglut und endlich zur Weißglut. Ist das Trümmerstückchen nur klein, so wird es durch die Hitze allmählich vollständig vergast, längst bevor es die Erdrinde erreicht hat. Wir sehen es leuchtend am Himmel auftauchen und wieder vergehen, da es sich eben auflöst. Aber Stücke, die vorher sehr groß waren, gelangen mit einem Rest, der unverbrannt geblieben ist, hinunter, und der muß natürlich glühend sein, so daß er zünden kann, wie es auf Robinsons Insel geschah.
Dietrich: Ist denn noch niemand von einem Meteor erschlagen worden?
Vater: Aus chinesischen Büchern ist ersichtlich, daß vor mehr als tausend Jahren einmal zehn Menschen von einem himmlischen Steinregen getötet worden sind. In Sachsen wurden vor langer Zeit fünfunddreißig Dörfer auf diese Weise in Brand gesteckt, und vor ganz kurzer Zeit gingen zu Möntschach in Bayern aus dem gleichen Grund zwei Häuser in Flammen auf. Etwas besonders Merkwürdiges trug sich im Jahre 1896 in Madrid zu. Dort ging ein Herr über einen Weg und las dabei ein ausgebreitetes Zeitungsblatt. Eine feurige Kugel kam vom Himmel herab, durchlöcherte die Zeitung, ließ aber den Leser unverletzt. In Mexiko hat man einen 162 Meteorstein gefunden, der in einsamer Gegend niedergegangen und fünfzehntausend Kilogramm schwer ist.
Ursula: Sagt man für so etwas nicht auch Sternschnuppe?
Vater: Ja, mein Kind! Meteore und Sternschnuppen sind dasselbe. Die volkstümliche Bezeichnung hat ihre Entstehung in vergangenen Dingen, die ich euch erklären muß. Schnuppe hieß bei den Kerzen, die man in früheren Jahrzehnten verwendete, der Docht, der nicht, wie heute, mit verbrannte, sondern als verkohlter Rest hängen blieb und mit einer Schnuppenschere von Zeit zu Zeit abgeschnitten werden mußte. Wenn man nicht genügend aufpaßte, fiel wohl manchmal solch ein feurig glühender Dochtrest hinunter, und danach haben die Leute die ähnlich aussehende Erscheinung am Himmel Sternschnuppe genannt. Sie denken meist, die sogenannte Schnuppe fiele von einem der uns sichtbaren Sterne herab. Aber ihr wißt es nun besser: die Meteore stammen von unendlich fernen untergegangenen Welten. 163