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Gerda

 

Einige Tage nach dem musikalischen Abend im Atelier erschien Gerda, die sich aufgeregt am Telefon angemeldet hatte, abends bei Ulrich. Sie riß mit auffallendem Schwung ihren Hut vom Kopf und warf ihn auf einen Stuhl. Auf die Frage, was es gebe, antwortete sie: »Nun ist alles in die Luft geflogen!«

»Ist Hans davongegangen?«

»Papa ist pleite!« Gerda lachte nervös zu ihrem burschikosen Ausdruck. Ulrich erinnerte sich, daß er sich bei seinem letzten Zusammentreffen mit Direktor Fischel über eine Art von Telefongesprächen gewundert hatte, die dieser von seiner Wohnung aus führte; aber diese Erinnerung war nicht eindringlich genug, um ihn Gerdas Ausruf völlig ernst nehmen zu lassen.

»Papa war ein Spieler, denken Sie!« lieferte das aufgeregte, zwischen Heiterkeit und Verzweiflung kämpfende Mädchen die Ergänzung. »Wir alle haben gedacht, er sei ein braver Bankbeamter ohne große Aussichten, aber gestern Abend hat sich herausgestellt, daß er alle Zeit über heimlich die gefährlichsten Börsenoperationen gemacht hat! Sie hätten dabei sein sollen, wie das gestern aufflog!« Gerda warf sich neben ihren Hut auf den Sessel und schlug kühn ein Bein über das andere. »Er kam nach Haus, als ob man ihn aus dem Wasser gezogen hätte. Mama stürmte mit Speisesoda und Kamillentropfen auf ihn ein, weil sie dachte, daß ihm schlecht sei. Es war halb zwölf Uhr nachts, wir hatten schon geschlafen. Da gestand er, daß er in drei Tagen große Beträge zu zahlen habe und nicht wisse, woher er sie nehmen solle. Mama, großartig, hat ihm ihr Heiratsgut angeboten. Mama ist immer großartig; was hätten die paar tausend Kronen für einen Spieler bedeutet! Aber Papa gestand überdies, daß er Mamas kleines Vermögen schon längst mitverloren habe. Was soll ich Ihnen sagen? Mama schrie wie ein überfahrener Hund. Sie hat nichts als das Nachthemd und Hausschuhe angehabt. Papa lag in einem Fauteuil und ächzte. Seine Stellung ist natürlich auch hin, wenn die Sache herauskommt. Ich sage Ihnen, es war erbärmlich!«

»Soll ich mit Ihrem Vater sprechen?« fragte Ulrich. »Ich verstehe wenig von solchen Dingen. Glauben Sie, daß er sich etwas antun könnte?«

Gerda zuckte die Achseln. »Er macht heute den Versuch, einen seiner sauberen Geschäftsfreunde zu bestimmen, daß er ihm helfe!« Sie wurde plötzlich finster. »Sie glauben doch hoffentlich nicht, daß ich deshalb zu Ihnen gekommen bin?! Mama ist heute zu ihrem Bruder übersiedelt; sie hat mich mit sich nehmen wollen, aber ich verzichtete darauf; ich bin von zuhause fortgelaufen.« Sie war wieder heiter geworden. »Wissen Sie, daß hinter der ganzen Sache ein Frauenzimmer steckt, eine Chansonette oder so etwas? Mama ist daraufgekommen, und das hat ihr den Rest gegeben. Alle Achtung vor Papa, was? Wer hätte ihm soviel zugetraut! – Ich glaube übrigens nicht, daß er sich töten wird« fuhr sie fort. »Denn wie das nachträglich mit dem Frauenzimmer herausgekommen ist, heute, im Lauf des Tags, hat er ganz außerordentliche Dinge gesagt: er wolle lieber sich einsperren lassen und nachher sein Brot durch Hausieren mit pornographischen Büchern verdienen, als noch länger der Direktor Fischel mit Familie zu sein!«

»Aber was mir die Hauptsache ist,« fragte Ulrich »was wollen denn Sie tun?«

»Ich komme bei Freunden unter« sagte Gerda schnippisch. »Sie brauchen nicht besorgt zu sein!«

»Bei Hans Sepp und seinen Freunden!« rief Ulrich vorwurfsvoll aus.

»Da tut mir niemand was!«

Gerda musterte die Wohnung Ulrichs. Wie Schatten trat die Erinnerung an das, was hier einmal vorgefallen war, aus den Wänden. Gerda fühlte sich als armes Mädchen, das nichts besaß, außer ein paar Kronen, die sie im Fortgehn aus dem Schreibtisch ihrer Mutter genommen hatte, wunderbar frei und unbeschwert. Sie tat sich leid. Sie war geneigt, über sich zu weinen, wie über eine tragische Theaterfigur. Man hätte ihr wohl etwas Gutes gönnen dürfen, dachte sie, aber sie erwartete kaum, daß Ulrich sie tröstend in die Arme nehmen möchte. Nur wäre sie, wenn er es getan hätte, nicht so feig gewesen wie das erstemal.

Aber Ulrich sagte: »Sie wollen sich jetzt nicht von mir helfen lassen, Gerda, das sehe ich; Sie sind noch viel zu stolz auf Ihr neues Abenteuer. Ich kann nur sagen, daß ich für Sie einen bösen Ausgang fürchte. Prägen Sie sich, bitte, ein, daß Sie immer ohne Rücksicht über mich verfügen können, wenn Sie es brauchen sollten.« Er sagte es zögernd und überlegend, denn er hätte ja eigentlich auch etwas anderes und Liebevolleres sagen können. Gerda war aufgestanden, tastete vor dem Spiegel an ihrem Hut herum und lächelte Ulrich zu. Sie hätte ihn gerne zum Abschied geküßt, aber dann wäre es vielleicht gar nicht zum Abschied gekommen; und der Tränenstrom, der unsichtbar hinter ihren Augen rann, trug sie wie eine zart tragische Musik, die man nicht unterbrechen durfte, in das neue Leben hinaus, von dem sie sich noch sehr wenig vorstellen konnte.

 

Aus Urheberrechtsgründen gelöscht: 103 - 105

 


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