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Generaldirektor Fischel. Begegnung im Zug

 

. . . durch den Zug gehend, bemerkte Ulrich ein bekanntes Gesicht, hielt an und kam darauf, daß es Leo Fischel sei, der allein in einem Abteil saß und in einem Stoß dünner Papiere blätterte, den er in der Hand hielt. Er war so bedürftig nach Teilnahme am alltäglichen Leben, daß er fast mit Freude seinen alten Bekannten begrüßte, den er monatelang nicht gesehen hatte.

Fischel fragte ihn, von wo er komme.

»Aus dem Süden« erwiderte Ulrich unbestimmt.

»Man hat Sie lange nicht gesehn« sagte Fischel bekümmert. »Sie haben Unannehmlichkeiten gehabt, nicht?«

»Inwiefern?«

»Ich meine nur so. In Ihrer Stellung bei der Aktion denk ich.«

»Ich bin doch nie zu ihr in einer Beziehung gestanden, die man eine Stellung nennen konnte« wandte Ulrich etwas entrüstet ein.

»Eines Tags sind Sie verschwunden« sagte Fischel. »Niemand hat gewußt, wo Sie sind. Ich habe daraus geschlossen, daß Sie Unannehmlichkeiten hatten.«

»Bis auf diesen Irrtum sind Sie auffallend gut unterrichtet: Wieso?« fragte Ulrich lachend.

»Ich hab Sie doch gesucht wie eine Spennadel. Schwere Zeiten, böse Geschichten, mein Lieber« antwortete Fischel seufzend. »Der General hat nicht gewußt, wo Sie sind, Ihre Kusine hat nicht gewußt, wo Sie sind, und Ihre Post haben Sie sich nicht nachkommen lassen, wie man mir gesagt hat. Haben Sie einen Brief von Gerda bekommen?«

»Empfangen nicht. Vielleicht finde ich ihn zu Hause vor. Ist etwas mit Gerda?«

Direktor Fischel antwortete nicht; der Schaffner war vorbeigegangen, und er winkte ihn herein, um ihm einige Telegramme mit dem Ersuchen zu übergeben, daß er sie in der nächsten Station absende.

Jetzt erst bemerkte Ulrich, daß Fischel erster Klasse fuhr, was er nicht von ihm erwartet hätte.

»Seit wann verkehren Sie mit meiner Kusine und dem General?« fragte er.

Fischel sah ihn nachdenklich an. Er verstand offenbar nicht gleich diese Frage. »Ja, so« sagte er danach. »Ich glaube, da waren Sie noch gar nicht abgereist. Ihre Kusine hat mich wegen einer Geschäftsangelegenheit konsultiert, und durch sie habe ich dann den General kennen gelernt, den ich damals noch wegen Hans Sepp um etwas ersuchen wollte. Sie wissen doch, daß sich Hans erschossen hat?«

Ulrich fuhr unwillkürlich hoch.

»Ist sogar in einigen Zeitungen gestanden« bekräftigte Fischel. »War eingerückt zum Einjährigendienst beim Militär und hat sich nach einigen Wochen erschossen.«

»Ja, weshalb denn?«

»Weiß Gott! Ehrlich gestanden, er hätte sich ebenso gut auch schon früher erschießen können. Immer hätte er sich erschießen können. Er ist ein Narr gewesen. Aber ich habe ihn zum Schluß ganz gern gehabt. Sie werden es nicht glauben, aber mir hat sogar sein Antisemitismus und sein Schimpfen auf die Bankdirektoren gefallen.«

»Hat es zwischen ihm und Gerda etwas gegeben?«

»Großen Krach« bestätigte Fischel. »Aber das ist es nicht allein gewesen. Hören Sie. Sie haben mir gefehlt. Ich habe Sie gesucht. Wenn ich mit Ihnen rede, habe ich nicht das Gefühl, es mit einem vernünftigen Menschen zu tun zu haben, sondern mit einem Philosophen. Was Sie sagen – erlauben Sie einem alten Freund, das zu bemerken – hat nie Hand und Fuß, aber es hat Herz und Kopf! Also was sagen Sie dazu, daß sich Hans Sepp erschossen hat?«

»Haben Sie mich darum gesucht?«

»Nein, nicht deswegen. Wegen Geschäften und wegen dem General und Arnheim, mit denen Sie befreundet sind. Wie Sie mich hier sehen, bin ich nicht mehr in der Lloydbank, sondern bin ein eigener Mann geworden. Ein großes Wort, sage ich Ihnen! Ich habe große Unannehmlichkeiten gehabt, aber jetzt geht es mir, Gott sei Dank, glänzend –«

»Unannehmlichkeiten nennen Sie, wenn ich mich nicht irre, daß man seine Stellung verliert?«

»Ja, ich habe meine Stellung bei der Lloydbank Gott sei Dank verloren; sonst wäre ich heute noch Prokurist mit dem Titel eines Direktors und bliebe es, bis man mich in Pension schickte. Als ich das habe aufgeben müssen, hat meine Frau die Scheidung gegen mich eingeleitet –«

»Was Sie sagen! Sie haben wirklich viel Neues zu erzählen!«

»Ts!« machte Fischel. »Wir wohnen nicht mehr in unserer alten Wohnung. Meine Frau ist für die Scheidung zu ihrem Bruder gezogen.« Er holte eine Visitenkarte hervor: »Und das ist meine Adresse. Ich hoffe, Sie besuchen mich bald«. Auf der Karte las Ulrich »Generaldirektor« und einige jener vieldeutigen Titel wie »Import und Export« und »Transeuropäische Waren- und Geldverkehrsgesellschaft« und eine vornehme Anschrift. »Sie können sich nicht vorstellen, wie man von selbst aufsteigt« erklärte ihm Fischel. »Wenn bloß einmal alle diese Gewichte wie Familie und Beamtenstellung, vornehme Verwandtschaft der Frau und die Verantwortung vor den großen Menschheitsgeistern von einem genommen werden! Ich bin in wenigen Wochen ein einflußreicher Mann geworden. Auch ein wohlhabender Mann. Vielleicht werde ich übermorgen wieder nichts haben, aber vielleicht auch noch viel mehr!«

»Was sind Sie jetzt eigentlich?«

»Das kann man einem Außenstehenden nicht so mir nichts, dir nichts erklären. Ich mache Geschäfte. Warengeschäfte, Geldgeschäfte, politische Geschäfte, künstlerische Geschäfte. Die Hauptsache ist bei jedem Geschäft, daß man sich im rechten Augenblick davon zurückzieht; dann kann man nie daran verlieren –« Wie nur je in alten Zeiten schien es Leo Fischel Freude zu bereiten, sein Tun mit »Philosophie« zu begleiten. Ulrich hörte ihm neugierig zu, dann sagte er:

»Bei alledem ist es mir aber auch wichtig zu erfahren, was Gerda zum Selbstmord von Hans gesagt hat.«

»Daß ich ihn ermordet hätte, behauptet sie! Dabei waren sie schon vorher ganz auseinandergekommen...«


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