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Generaldirektor Fischel

 

Ein eleganter Herr ließ seinen Wagen halten und rief Ulrich an; Ulrich erkannte mit Mühe in der selbstsicheren Erscheinung, die sich aus dem vornehmen Fuhrwerk beugte, Direktor Leo Fischel. »Man muß Glück haben!« rief ihm Fischel entgegen. »Meiner Sekretärin glückt es seit Wochen nicht, Ihrer habhaft zu werden! Immer heißt es, Sie sind verreist.« Er übertrieb, aber dies Chefbewußtsein, mit dem er sich zeigte, machte einen echten Eindruck.

Ulrich sagte leise: »Ich hatte mir Ihr Befinden ganz anders vorgestellt.«

»Was hat man Ihnen von mir gesagt?« forschte Fischel neugierig.

»Ich glaube, wohl so ziemlich alles. Ich habe lange Zeit erwartet, von Ihnen durch die Zeitungen zu hören.«

»Unsinn! Frauen übertreiben immer. Wollen Sie mich nicht in meine Wohnung begleiten? Ich erzähle Ihnen alles.«

Die Wohnung hatte sich verändert, einen Hauch von Generaldirektion irgendwelcher Unternehmungen bekommen, und war ganz und gar unweiblich geworden. Aber Fischel erzählte nicht genau. Es war ihm mehr darum zu tun, sein Ansehen bei Ulrich wieder zu befestigen. Seinen Austritt aus der Bank behandelte er als einen Zwischenfall. »Was wollen Sie, ich hätte noch zehn Jahre bleiben können, ohne vorzurücken! Ich bin in voller Freundschaft ausgetreten!« Er hatte eine so selbstbewußte Art zu sprechen angenommen, daß sich Ulrich veranlaßt sah, ihm trocken seine Verwunderung darüber zu bemerken. »Sie hatten sich doch so ruiniert,« fragte er »daß man annahm, Sie mußten sich entweder erschießen oder vor Gericht wandern?«

»Ich würde mich nie erschießen, ich würde mich vergiften;« verbesserte ihn Leo »ich werde niemand den Gefallen tun, wie ein Adeliger oder wie ein Sektionschef zu sterben! Aber ich habe es auch gar nicht nötig gehabt. Wissen Sie, was eine Versteifung, eine vorübergehende Illiquidität ist? Nun also! Es ist in meiner Familie ein lächerliches Aufheben davon gemacht worden, das man heute schon sehr bedauert!«

»Sie haben mir übrigens nie ein Wort davon gesagt,« rief Ulrich, dem es gerade einfiel, lachend aus »daß Sie der Freund Leonas geworden sind; ich hätte ein Anrecht gehabt, wenigstens das zu erfahren!«

»Haben Sie eine Ahnung, wie sich dieses Frauenzimmer mir gegenüber betragen hat? Unverschämtheit! Ihre Erziehung!«

»Ich habe Leona immer gelassen, wie sie ist. Ich nehme an, daß sie durch ihre natürliche Dummheit in wenigen Jahren als Pensionärin eines Bordells enden wird.«

»Weit gefehlt! Ich bin übrigens nicht so herzlos wie Sie, lieber Freund, ich habe mich bemüht, in Leona ein wenig die Vernunft und sozusagen den Wirtschaftsgeist in der Ausnutzung ihres Körpers zu wecken. Und an dem Abend, wo meine Illiquidität sich mir fühlbar zu machen begann, bin ich zu ihr gegangen, um mir einige hundert Kronen auszuborgen, von denen ich annahm, daß Leona sie auf die Seite gelegt haben sollte. Sie hätten dieses Weibsbild hören sollen, wie sie mich einen Filz, einen Räuber, ja sogar bei meiner Religion beschimpft hat; einzig und allein, daß sie nicht behauptete, ich hätte ihr die Unschuld gestohlen. Aber mit Leonas Zukunft irren Sie sich: wissen Sie, wen sie jetzt zum Freund hat, gleich nach mir?«

Er beugte sich zu Ulrich und flüsterte ihm einen Namen ins Ohr, mehr aus Respekt tat er das, als weil Flüstern notwendig gewesen wäre. »Was sagen Sie dazu? Man muß zugeben, sie ist eine Schönheit.«

Ulrich war tatsächlich erstaunt, der Name, den ihm Fischel zugeflüstert hatte, war der Arnheims.

 


 

Ulrich erkundigte sich nach Gerda. Fischel blies die Luft zwischen den sich wölbenden Lippen aus seiner Seele, sein Gesicht wurde ängstlich und verriet verheimlichte Sorgen. Er hob die Schultern und ließ sie müde sinken. »Ich habe mir gedacht, daß Sie vielleicht wissen, wo sie sich aufhält.«

»Ich habe eine Vermutung,« antwortete Ulrich »aber ich weiß nichts. Ich denke mir, sie wird eine Stellung angenommen haben.«

»Stellung? Als was? Als Fräulein in einer Familie mit kleinen Kindern! Denken Sie, da nimmt sie eine Stellung als Dienstbote an und könnte jeden Luxus haben! Ich habe erst gestern wegen eines Hauses abgeschlossen, prima Lage, eine Wohnung darin, die ein Palais für sich ist: Aber nein, nein, nein!«

Fischel fuhr sich mit den Fäusten ins Gesicht, sein Schmerz um die Tochter war ehrlich oder war wenigstens der ehrliche Schmerz darüber, daß sie ihn hinderte, seinen Sieg ganz zu genießen.

»Warum wenden Sie sich nicht an die Polizei?« fragte Ulrich.

»Ach, ich bitte Sie, ich kann meine Familienangelegenheiten doch nicht an die große Glocke hängen! Übrigens will ich es ja tun, aber meine Frau erlaubt es nicht. Ich habe meiner Frau sofort zurückgezahlt, was sie durch mich verloren hatte; die hohen Herren Brüder sollten sich nicht den Mund über mich zerreißen! Und schließlich ist Gerda doch so gut ihr Kind wie meines. Ich will da nichts ohne ihre Zustimmung tun. Sie fährt den halben Tag in meinem Wagen herum und sucht sich die Augen aus. Das ist natürlich Unsinn, so macht man es nicht. Aber was kann man tun, wenn man mit einer Frau verheiratet ist?«

»Ich dachte, Sie wären schon in Scheidung?«

»Waren wir auch. Das heißt, nur in Worten. Noch nicht bei Gericht. Die Rechtsanwälte hatten eben erst die ersten Schüsse abgegeben, als sich meine Verhältnisse zusehends besserten. Ich weiß selbst nicht, wie wir jetzt zu einander stehen; ich glaube, Klementine wartet auf eine Aussprache. Sie wohnt natürlich immer noch bei ihrem Bruder.«

»Aber warum beauftragen Sie denn nicht einfach ein Detektivbüro, Gerda zu finden?!« rief Ulrich dazwischen, dem das gerade einfiel.

»Sollte man tun« meinte Fischel.

»Die Spur führt doch sicher über Hans Sepp!«

»Meine Frau will dieser Tage noch einmal zu Hans Sepp hinausfahren und ihn bearbeiten; er sagt nichts.«

»Ach, wissen Sie was? Hans muß doch jetzt zum Militär eingerückt sein, erinnern Sie sich nicht?! Er hatte wegen irgendwelcher Prüfungen, die er dann doch nicht gemacht hat, ein halbes Jahr Aufschub bekommen, er muß vor vierzehn Tagen eingerückt sein; ich kann das genau sagen, weil es sehr ungewöhnlich war, denn um diese Zeit werden sonst nur die Medizinstudenten eingezogen. Ihre Frau wird ihn also kaum finden. Dagegen könnte man ihm durch seine Vorgesetzten die Hölle ordentlich heiß machen. Verstehen Sie, wenn man ihn dort etwas zwischen die Finger nimmt, wird er schon mit der Sprache herausrücken!«

»Ausgezeichnet, ich danke Ihnen! Ich hoffe, meine Frau sieht das auch ein. Denn ohne Klementine will ich, wie gesagt, in dieser Richtung nichts unternehmen; sonst kann es gleich wieder heißen, daß man ein Mörder ist!«

Ulrich mußte lachen. »Die Freiheit scheint Sie ängstlich gemacht zu haben, lieber Fischel.«

Fischel ärgerte sich immer leicht über Ulrich; jetzt wo er ein großer Mann war, mehr denn je. »Sie überschätzen die Freiheit,« sagte er abweisend »und es scheint, daß Sie meinen Standpunkt nie ganz verstanden haben. Die Ehe ist oft ein Kampf, wer der Stärkere ist; außerordentlich schwierig, solange es sich um Gedanken, Gefühle und Einbildungen handelt! Aber gar keine Schwierigkeit, sobald man im Leben Erfolg hat. Ich habe den Eindruck, daß auch Klementine das einzusehen beginnt. Man kann wochenlang darüber streiten, ob eine Auffassung richtig ist. Aber sobald man Erfolg hat, ist es die Auffassung eines Mannes, der sich geirrt haben kann, aber diesen nebensächlichen Irrtum eben braucht, um Erfolg zu haben. Es ist schlimmstenfalls wie die Marotte eines großen Künstlers; nun, was tut man mit den Marotten großer Künstler? Man liebt sie; man weiß, sie sind ein kleines Geheimnis«. – Da Ulrich ungebunden lachte, wollte Fischel nicht zu sprechen aufhören. – »Ich sage das gerade Ihnen! Geben Sie nur gut acht! Ich habe gesagt, wenn man nichts hat als Gefühle und Gedanken, nimmt der Streit kein Ende, Gedanken und Gefühle machen kleinlich und nervös. So ist es leider mir und Klementine ergangen. Heute habe ich keine Zeit. Ich weiß nicht einmal sicher, ob Klementine wieder zu mir zurück möchte; ich glaube bloß, daß sie es will; sie hat bereut, und früher oder später wird sich das ganz von selbst zeigen, dann aber ganz bestimmt viel einfacher und schöner, als wenn ich mir jetzt schon ganz genau ausdenken würde, wie es geschehen muß. Mit einem ungesund bis ins kleinste fixierten Plan würde man auch nie Geschäfte machen.«

Fischel war fast außer Atem, aber er fühlte sich frei. Ulrich hatte ihm ernst zugehört und widersprach nicht. »Ich bin sehr erfreut, daß sich alles so zum Guten wendet« sagte er höflich. »Ihre Frau Gemahlin ist eine ausgezeichnete Frau, und wenn es für Sie vorteilhaft sein wird, ein großes Haus zu führen, wird sie dieser Aufgabe vorzüglich vorstehen.«

»Eben. Auch das. Wir könnten jetzt bald die silberne Hochzeit feiern und Spaß beiseite, wenn das Geld neu ist, soll wenigstens sozusagen der Charakter alt sein. Eine silberne Hochzeit ist fast so viel wert wie eine adelige Großmutter, die sie übrigens auch hat.«

Ulrich erhob sich zum Gehn, aber Fischel war nun aufgeräumt. »Sie brauchen aber nicht zu glauben, daß mir am Ende Leona die Flügel gebrochen hat! Ich habe sie Dr. Arnheim ganz ohne Neid überlassen. Kennen Sie die Tänzerin?« er nannte einen unbekannten Namen und zog ein kleines Bild aus der Brieftasche. »Nun woher sollten Sie sie auch kennen, sie ist noch selten aufgetreten, selbständige Tanzabende, distinguiert, Beethoven und Debussy, wissen Sie, das ist jetzt so der kommende Geist. Aber was ich Ihnen sagen wollte, Sie sind doch Sportsmann, bringen Sie das zustande: –?« – Er trat an einen Tisch und begleitete seine Worte mit einem Echo aus Arm und Bein – »Da legt sie sich zum Beispiel auf einen Tisch. Den Oberkörper platt auf der Platte, das Gesicht mit dem Ohr an die aufgestützten Arme gelehnt, und lächelt lieblich. Die Beine tut sie dabei ganz auseinander, so, der schmalen Tischkante entlang, daß es aussieht wie ein großes T. Oder sie steht plötzlich auf den Unterarmen und Handflächen – So – ich kann das natürlich nicht. Und einen Fuß hat sie über den Kopf weg beinahe auf der Erde, den anderen am Schrank oben. Ich sage Ihnen, Sie bringen es nicht zu einem Zehntel zusammen, trotz Ihrem Turnen. Das ist die neue Frau. Sie ist schöner als wir, sie ist geschickter als wir, und ich glaube, wann ich mit ihr boxen wollte, würde ich mir bald den Bauch halten. Das einzige, worin ein Mann stärker ist als die Frau heute, ist Geldverdienen!«


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