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109

Elfter Theil
Neunte Rede

Vollmond

I

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Osthaine, auf Mutter Migāros Terrasse.

Um diese Zeit nun hatte der Erhabene – es war ein Feiertag, im halben Monat, in der voll aufgegangenen Mondnacht – inmitten der Mönchgemeinde unter freiem Himmel Platz genommen.

Da stand nun einer der Mönche auf, schlug den Mantel um die eine Schulter, verneigte sich ehrerbietig vor dem Erhabenen und sprach also:

»Darf ich, o Herr, den Erhabenen über irgend etwas befragen, wenn mir der Erhabene der Frage Beantwortung gewähren will?«

»Wohlan denn, o Mönch, setze dich auf deinen Platz und frage nach Belieben.«

Und jener Mönch setzte sich auf seinen Platz und sprach also zum Erhabenen:

»Sind das, o Herr, die fünf Stücke des Anhangens, als da ist ein Stück Anhangen an der Form, ein Stück Anhangen am Gefühl, ein Stück Anhangen an der Wahrnehmung, ein Stück Anhangen an der Unterscheidung, ein Stück Anhangen am Bewusstsein?«

»Das sind, Mönch, die fünf Stücke des Anhangens.«

»Gut, o Herr!« sagte da jener Mönch, erfreut und befriedigt durch des Erhabenen Rede, und stellte nun eine fernere Frage:

»Und diese fünf Stücke des Anhangens, o Herr, wo wurzeln die?«

»Diese fünf Stücke des Anhangens, Mönch, wurzeln im Willen.«

»Ist nun, o Herr, Anhangen und die fünf Stücke des Anhangens ein und dasselbe, oder giebt es ein Anhangen außer den fünf Stücken des Anhangens ?«

»Nicht ist, Mönch, Anhangen und die fünf Stücke des Anhangens ein und dasselbe, doch giebt es kein Anhangen außer den fünf Stücken des Anhangens: was da, Mönch, bei den fünf Stücken des Anhangens Willensreiz ist, das ist dabei Anhangen.«

»Und kann, o Herr, bei den fünf Stücken des Anhangens eine Verschiedenheit des Willensreizes bestehn?«

»Kann sein, Mönch«, sagte der Erhabene. »Da hat einer, Mönch, den Wunsch: ›So sei meine künftige Form, so sei mein künftiges Gefühl, so sei meine künftige Wahrnehmung, so sei meine künftige Unterscheidung, so sei mein künftiges Bewusstsein.‹ So kann, Mönch, bei den fünf Stücken des Anhangens eine Verschiedenheit des Willensreizes bestehn.«

»Inwiefern aber, o Herr, kommt den Stücken die Bezeichnung Stücke zu?«

»Was es auch, Mönch, an Form giebt, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe, ist ein Stück Form; was es auch an Gefühl giebt, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes, ist ein Stück Gefühl; was es auch an Wahrnehmung giebt, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe, ist ein Stück Wahrnehmung; was es auch an Unterscheidungen giebt, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe, ist ein Stück Unterscheidung; was es auch an Bewusstsein giebt, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes, ist ein Stück Bewusstsein. Insofern, Mönch, kommt den Stücken die Bezeichnung Stücke zu.«

»Was ist nun, o Herr, der Anlass, was ist der Grund, dass ein Stück Form erscheinen kann, was ist der Anlass, was ist der Grund, dass ein Stück Gefühl erscheinen kann, was ist der Anlass, was ist der Grund, dass ein Stück Wahrnehmung erscheinen kann, was ist der Anlass, was ist der Grund, dass ein Stück Unterscheidung erscheinen kann, was ist der Anlass, was ist der Grund, dass ein Stück Bewusstsein erscheinen kann?«

»Die vier Hauptstoffe, Mönch, sind der Anlass, die vier Hauptstoffe sind der Grund, dass ein Stück Form erscheinen kann, Berührung ist der Anlass, Berührung ist der Grund, dass ein Stück Gefühl erscheinen kann, Berührung ist der Anlass, Berührung ist der Grund, dass ein Stück Wahrnehmung erscheinen kann, Berührung ist der Anlass, Berührung ist der Grund, dass ein Stück Unterscheidung erscheinen kann, Bild und Begriff ist, Mönch, der Anlass, Bild und Begriff ist der Grund, dass ein Stück Bewusstsein erscheinen kann.«

»Wie aber kann, o Herr, der Glaube an Persönlichkeit aufkommen?«

»Da hat einer, Mönch, nichts erfahren, ist ein gewöhnlicher Mensch, ohne Sinn für das Heilige, der heiligen Lehre unkundig, der heiligen Lehre unzugänglich, ohne Sinn für das Edle, der Lehre der Edlen unkundig, der Lehre der Edlen unzugänglich und betrachtet die Form als sich selbst, oder sich selbst als formähnlich, oder in sich selbst die Form, oder in der Form sich selbst; er betrachtet das Gefühl, die Wahrnehmung, die Unterscheidungen, das Bewusstsein als sich selbst, oder sich selbst als diesen ähnlich, oder in sich selbst diese, oder in diesen sich selbst. So kann, Mönch, der Glaube an Persönlichkeit aufkommen.«

»Und wie kann, o Herr, der Glaube an Persönlichkeit nicht aufkommen?«

»Da hat einer, Mönch, als erfahrener heiliger Jünger das Heilige gemerkt, ist der heiligen Lehre kundig, der heiligen Lehre wohlzugänglich, hat das Edle gemerkt, ist der Lehre der Edlen kundig, der Lehre der Edlen wohlzugänglich und betrachtet die Form nicht als sich selbst, noch sich selbst als formähnlich, noch in sich selbst die Form, noch in der Form sich selbst; er betrachtet das Gefühl, die Wahrnehmung, die Unterscheidungen, das Bewusstsein nicht als sich selbst, noch sich selbst als diesen ähnlich, noch in sich selbst diese, noch in diesen sich selbst. So kann, Mönch, der Glaube an Persönlichkeit nicht aufkommen.«

»Was ist nun, o Herr, bei der Form Labsal, was Elend, und was Überwindung? Was ist beim Gefühl, bei der Wahrnehmung, bei den Unterscheidungen, beim Bewusstsein Labsal, was Elend, und was Überwindung?«

»Was da, Mönch, Wohl und Erwünschtes der Form gemäß geht, ist bei der Form Labsal; was als Form vergänglich ist, wehe, wandelbar, ist bei der Form Elend; was bei der Form Verneinung des Willensreizes ist, Verleugnung des Willensreizes, ist bei der Form Überwindung. Was da, Mönch, Wohl und Erwünschtes dem Gefühle, der Wahrnehmung, den Unterscheidungen, dem Bewusstsein gemäß geht, ist dabei Labsal; was als Gefühl, als Wahrnehmung, als Unterscheidung, als Bewusstsein vergänglich ist, wehe, wandelbar, ist dabei Elend; was beim Gefühle, bei der Wahrnehmung, bei den Unterscheidungen, beim Bewusstsein Verneinung des Willensreizes ist, Verleugnung des Willensreizes, ist dabei Überwindung.«

»Wie aber können, o Herr, einen Wissenden, wie einen Sehenden, bei allen äußeren Eindrücken auf diesen mit Bewusstsein behafteten Körper da, der Ichheit und Meinheit Dünkelanwandlungen nicht ankommen?«

»Was es auch, Mönch, für eine Form sei, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle Form ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also angesehn: »Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.« Was es auch für ein Gefühl, was es auch für eine Wahrnehmung, was es auch für eine Unterscheidung, was es auch für ein Bewusstsein sei, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes: alles Gefühl, alle Wahrnehmung, alle Unterscheidung, alles Bewusstsein ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also angesehn: »Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.« So können, Mönch, einen Wissenden, so einen Sehenden, bei allen äußeren Eindrücken auf diesen mit Bewusstsein behafteten Körper da, der Ichheit und Meinheit Dünkelanwandlungen nicht ankommen.«

Da stieg nun einem der Mönche folgender Gedanke im Geiste auf: »So wäre denn also die Form ohne Selbst, das Gefühl ohne Selbst, die Wahrnehmung ohne Selbst, die Unterscheidung ohne Selbst, das Bewusstsein ohne Selbst, und ohne Selbst gethane Thaten sollten zur Thäterschaft gereichen?« Und der Erhabene, den Gedanken jenes Mönches im Geiste geistig gewahrend, wandte sich an die Mönche:

»Es mag wohl sein, ihr Mönche, dass da irgend ein eitler Mensch aus Unwissen, in Unwissenheit gerathen, vom Durst im Geiste überwältigt, die Weisung des Meisters überbieten zu müssen vermeine: ›So wäre denn also die Form ohne Selbst, das Gefühl ohne Selbst, die Wahrnehmung ohne Selbst, die Unterscheidung ohne Selbst, das Bewusstsein ohne Selbst, und ohne Selbst gethane Thaten sollten zur Thäterschaft gereichen?‹, fragt er. Unterwiesen seid ihr, Mönche, von mir bei solchen und ähnlichen Fragen. Was meint ihr wohl, Mönche: ist die Form unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr!«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr'.«

»Was meint ihr wohl Mönche: ist das Gefühl, die Wahrnehmung, die Unterscheidung, das Bewusstsein unvergänglich oder vergänglich?«

»Vergänglich, o Herr.'«

»Was aber vergänglich, ist das weh' oder wohl?«

»Weh', o Herr!«

»Was aber vergänglich, wehe, wandelbar ist, kann man etwa davon behaupten: ›Das gehört mir, das bin ich, das ist mein Selbst‹?«

»Gewiss nicht, o Herr!«

»Darum also, ihr Mönche: was es auch für eine Form sei, vergangene, zukünftige, gegenwärtige, eigene oder fremde, grobe oder feine, gemeine oder edle, ferne oder nahe: alle Form ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also anzusehn: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.‹ Was es auch für ein Gefühl, was es auch für eine Wahrnehmung, was es auch für eine Unterscheidung, was es auch für ein Bewusstsein sei, vergangenes, zukünftiges, gegenwärtiges, eigenes oder fremdes, grobes oder feines, gemeines oder edles, fernes oder nahes: alles Gefühl, alle Wahrnehmung, alle Unterscheidung, alles Bewusstsein ist, der Wahrheit gemäß, mit vollkommener Weisheit also anzusehn: ›Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst.‹ In solchem Anblick, ihr Mönche, wird der erfahrene heilige Jünger der Form überdrüssig und wird des Gefühles überdrüssig und wird der Wahrnehmung überdrüssig und wird der Unterscheidungen überdrüssig und wird des Bewusstseins überdrüssig. Überdrüssig wendet er sich ab. Abgewandt löst er sich los. ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntniss geht auf. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da.«

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.

Während aber diese Darlegung stattgefunden, hatte sich bei etwa sechzig Mönchen das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst. Das Axiom eso ‘ham asmi ›Das bin ich‹ kann auf Bṛhadāraṇyakopaniṣat I, 4, 1 so ‘ham asmi etc. Bezug haben; n'etam mama ›Das gehört mir nicht‹ = ιδιον τε μηδεν ἡγεισθαι ἡγεισ/δ/αι
Pythagoras bei Diog. Laert. VIII, 23. Ebenso »Thou art not thyself«, Measure for Measure III, 1, 19. – Die topische Frage und Antwort am Schlusse dieser und ähnlicher Reden (vergl. namentlich die 146ste) ist der Strophe und Gegenstrophe im chorischen Dialog am Schlusse der Perser des Aischylos vollkommen koordinat.


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