Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Rang der Gebändigten
Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Rājagaham, im Bambusparke, am Hügel der Eichhörnchen. Um diese Zeit aber lebte Aciravato, ein junger Asket, im Walde, in einer Hütte.
Da kam denn Jayaseno der Königsohn, auf einem Spaziergange sich ergehend, dorthin wo Aciravato der junge Asket weilte. Dorthin gekommen tauschte er höflichen Gruß und freundliche, denkwürdige Worte mit ihm und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend wandte sich nun Jayaseno der Königsohn also an Aciravato den jungen Asketen:
»Sagen lassen hab' ich mir, o Aggivessano, dass da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«
»Also ist es, Königsohn, also ist es, Königsohn, dass da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«
»Gut wär' es, wollte mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefasst worden, darlegen.«
»Nicht kann ich dir, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefasst worden, darlegen. Denn wollt' ich dir gleich, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefasst worden, darlegen, und du den Sinn meiner Rede nicht verständest, hätt' ich nur Mühe, hätte nur Plage.«
»Möge mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefasst worden, darlegen, auf dass ich doch etwa den Sinn seiner Rede verstehn könnte.«
»Mag ich dir nun, Königsohn, die Lehre, wie sie von mir gehört, von mir aufgefasst worden, darlegen, und du kannst da den Sinn meiner Rede verstehn, so soll es recht sein; kannst du aber den Sinn meiner Rede nicht verstehn, so magst du deinen Glauben behalten und mich darum nicht weiter befragen.«
»Möge mir Herr Aggivessano die Lehre, wie sie von ihm gehört, von ihm aufgefasst worden, darlegen: und kann ich da den Sinn seiner Rede verstehn, so soll es recht sein; kann ich aber den Sinn seiner Rede nicht verstehn, so werd' ich meinen Glauben behalten und Herrn Aggivessano darum nicht weiter befragen.«
Da gab denn Aciravato der junge Asket dem Königsohne Jayaseno eine Darlegung der Lehre, wie er sie gehört, wie er sie aufgefasst hatte. Also berichtet sagte nun Jayaseno der Königsohn zu Aciravato dem jungen Asketen:
»Unmöglich ist es, o Aggivessano, es kann nicht sein, dass da ein Mönch, der ernsten Sinnes, eifrig, unermüdlich verweilt, Einigung des Herzens finden mag.«
Als nun Jayaseno der Königsohn Aciravato dem jungen Asketen Unmöglichkeit vorgehalten, stand er von seinem Sitze auf und ging weiter. Aciravato aber, der junge Asket, begab sich, bald nachdem Jayaseno der Königsohn fortgegangen, dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Zur Seite sitzend erzählte da Aciravato der junge Asket dem Erhabenen Wort um Wort das ganze Gespräch, das er mit Jayaseno dem Königsohne geführt hatte. Nach diesem Berichte wandte sich nun der Erhabene also an Aciravato den jungen Asteten:
»Woher denn, Aggivessano, sollt' es möglich sein, dass was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, etwa auch von Jayaseno dem Königsohne, der mitten in Begehren lebt, Begehren genießt, von begehrlichen Gedanken verzehrt wird, von begehrlichem Fieber entzündet ist, eifrig dem Begehren nachgeht, erkannt oder ersehn oder erreicht oder verwirklicht werden könnte? Das ist unmöglich. Der selbe Gedanke oft im Makarios, e. g. Homil. XVII § 3 & XV § 41–42, XXVII § 20. Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn da zwei junge Elephanten oder junge Rosse oder junge Stiere wären, wohlgebändigt, wohlabgerichtet, und zwei junge Elephanten oder junge Rosse oder junge Stiere, ungebändigt, unabgerichtet; was meinst du nun, Aggivessano: jene beiden jungen Elephanten oder jungen Rosse oder jungen Stiere, die wohlgebändigten, wohlabgerichteten, würden die wohl als gebändigte thun was Gebändigten zukommt, als gebändigte den Rang der Gebändigten einnehmen?«
»Gewiss, o Herr!«
»Aber die beiden anderen jungen Elephanten oder jungen Rosse oder jungen Stiere, die ungebändigten, unabgerichteten, würden die wohl als ungebändigte thun was Gebändigten zukommt, als ungebändigte den Rang der Gebändigten einnehmen, gleichwie etwa jene ersteren?«
»Gewiss nicht, o Herr!«
»Ebenso nun auch, Aggivessano, dass was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, etwa auch von Jayaseno dem Königsohne, der mitten in Begehren lebt, Begehren genießt, von begehrlichen Gedanken verzehrt wird, von begehrlichem Fieber entzündet ist, eifrig dem Begehren nachgeht, erkannt oder ersehn oder erreicht oder verwirklicht werden könnte: das ist unmöglich. – Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn da in der Nähe eines Dorfes oder einer Burg ein hoher Felsen stände. Zu diesem gingen zwei Freunde, aus dem Dorfe oder der Burg Arm in Arm hinschreitend, heran, dem Felsen entgegen. Dort angelangt bliebe der eine der Freunde unten, am Fuße des Felsens, stehn, während der andere auf den Scheitel des Felsens emporstiege. Und es riefe der Freund unten, am Fuße des Felsens, dem Freunde zu, der auf den Scheitel des Felsens gestiegen: ›Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‹ Der aber sagte: ›Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‹ Und jener spräche: ›Unmöglich ist es, Bester, es kann nicht sein, dass du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel sähest.‹ Da stiege der Freund oben vom Scheitel herab bis zum Fuße, ergriffe den Freund unterm Arme, führte ihn auf den Felsen empor, und nachdem er ihn eine Weile ausruhen lassen, fragte er ihn: ›Was denn, Bester, siehst du oben vom Felsen aus?‹ Und jener spräche: ›Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel.‹ Der aber sagte: ›Eben erst haben wir, Bester, deine Rede also vernommen: ‘Unmöglich ist es, Bester, es kann nicht sein, dass du oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel sähest’; und jetzt eben wiederum, Bester, haben wir deine Rede also vernommen: ‘Ich sehe da, Bester, oben vom Felsen aus einen heiteren Garten, einen herrlichen Wald, eine blühende Landschaft, einen lichten Wasserspiegel’.‹ Und jener spräche: ›So lange ja mich eben, Bester, dieser hohe Felsen gehindert hat, hab' ich das Sichtbare nicht gesehn.‹ Ebenso nun auch, aber noch mächtiger, hat, Aggivessano, gewaltiges Unwissen Jayaseno den Königsohn gehindert, gehemmt, angehalten, eingeschlossen. Dass der etwa da was durch Entsagung erkennbar, durch Entsagung ersehbar, durch Entsagung erreichbar, durch Entsagung erwirkbar ist, auch mitten in Begehren lebend, Begehren genießend, von begehrlichen Gedanken verzehrt, von begehrlichem Fieber entzündet, eifrig dem Begehren nachgehend, erkennen oder ersehn oder erreichen oder verwirklichen könnte: das ist unmöglich. Hättest du aber, Aggivessano, diese beiden Gleichnisse Jayaseno dem Königsohne dargestellt, ohne Zweifel wäre dann Jayaseno der Königsohn mit dir zufrieden geworden und hätte zufrieden dir zugestimmt.«
»Wie doch nur hätt' ich, o Herr, Jayaseno dem Königsohne diese beiden Gleichnisse darzustellen vermocht, die unzweifelhaften, nie zuvor gehörten, gleichwie etwa der Erhabene!«
»Gleichwie etwa, Aggivessano, wenn der König, der Herrscher, dessen Scheitel gesalbt ist, den Elephantensteller zu sich beruft: ›Wohlan denn, bester Elephantensteller, besteige den Königselephanten, reite in den Elephantenwald, erspähe einen wilden Elephanten und halt' ihn mit der Fessel am Halse des Königselephanten fest.‹ ›Wohl, o König!‹ sagt da, Aggivessano, der Elephantensteller, dem Herrscher gehorchend; und er besteigt den Königselephanten, reitet in den Elephantenwald, erspäht einen wilden Elephanten und hält ihn mit der Fessel am Halse des Königselephanten fest. So nun zieht ihn der Königselephant in eine Lichtung heraus. Bis dahin aber ist, Aggivessano, der wilde Elephant in die Lichtung gekommen. Da verlangen sich denn, Aggivessano, wilde Elephanten nach ihrem Walde zurück. Und der Elephantensteller erstattet dem Herrscher Meldung über ihn: ›In die Lichtung gebracht hab' ich dir, o König, den wilden Elephanten.‹ Den übergiebt nun der Herrscher dem Elephantenbändiger: ›Geh' hin, bester Elephantenbändiger, und bändige den wilden Elephanten, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspänstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben; lass' ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind.‹ ›Wohl, o König!‹ sagt da, Aggivessano, der Elephantenbändiger, dem Herrscher gehorchend; und er gräbt einen großen Pfahl in die Erde ein und fesselt den wilden Elephanten mit dem Halse daran, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspänstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben; er lässt ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind. Nun gebraucht der Elephantenbändiger Worte, die sanft sind, wohlklingend, liebevoll, herzlich, höflich, wie sie dem Volke zusagen, dem Volke behagen: mit solchen Worten behandelte er ihn. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elephant bei solcher Behandlung aufhorcht, Gehör giebt, sein Herz dem Verständnisse zukehrt, dann lässt ihm der Elephantenbändiger nunmehr Heu und Wasser vorsetzen. Und wenn nun, Aggivessano, der wilde Elephant Heu und Wasser annimmt, so weiß der Elephantenbändiger: ›Am Leben bleiben wird jetzt der wilde Elephant.‹ Nun lässt ihn der Elephantenbändiger fernerhin Übungen ausführen, als Aufladen und Abladen. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elephant dem Befehle aufzuladen und abzuladen nachkommt, der Forderung genügeleistet, dann lässt ihn der Elephantenbändiger fernerhin Übungen ausführen, als Hinschreiten und Herschreiten. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elephant dem Befehle hinzuschreiten und herzuschreiten nachkommt, der Forderung genügeleistet, dann lässt ihn der Elephantenbändiger weitere Übungen ausfahren, als Niederknien und Aufstehn. Sobald nun, Aggivessano, der wilde Elephant dem Befehle niederzuknien und aufzustehn nachkommt, der Forderung genügeleistet, dann lässt ihn der Elephantenbändiger weiterhin die ‘Unverstörung’ genannte Übung durchmachen. Ein großer Schild wird ihm vor den Rüssel gebunden, ein Mann mit einer Lanze bewaffnet nimmt oben auf dem Nacken Platz, allenthalben sind Männer mit Lanzen in der Hand im Umkreise aufgestellt, und der Elephantenbändiger hat einen langen Speer genommen und steht voran. Während ihm nun Unverstörte Übung angewöhnt wird, darf er weder die Vorderfüße bewegen noch die Hinterfüße, darf er weder den Vorderleib bewegen noch den Hinterleib, darf er nicht das Haupt bewegen, nicht die Ohren bewegen, nicht die Hauer bewegen, nicht Schwanz und nicht Rüssel bewegen. So wird er ein Königselephant und erträgt geduldig stechende Spitzen, schneidende Schwerdter, reißende Pfeile, feindlichen Ansturm, Trommelwirbel und Paukenschlag, Trompeten- und Fanfarenstöße, ist gänzlich von Tücke und Untugend entledigt, entwöhnt worden von Unart: königswürdig, königstauglich wird er eben als ›Königsgut‹ bezeichnet:
»Ebenso nun auch, Aggivessano, erscheint da der Vollendete in der Welt, der Heilige, vollkommen Erwachte, der Wissens- und Wandelsbewährte, der Willkommene, der Welt Kenner, der unvergleichliche Leiter der Männerheerde, der Meister der Götter und Menschen, der Erwachte, der Erhabene. Er zeigt diese Welt mit ihren Göttern, ihren bösen und heiligen Geistern, mit ihrer Schaar von Priestern und Büßern, Göttern und Menschen, nachdem er sie selbst verstanden und durchdrungen hat. Er verkündet die Lehre, deren Anfang begütigt, deren Mitte begütigt, deren Ende begütigt, die sinn- und wortgetreue, er legt das vollkommen geläuterte, geklärte Asketenthum dar. Diese Lehre hört ein Hausvater, oder der Sohn eines Hausvaters, oder einer, der in anderem Stande neugeboren ward. Nachdem er diese Lehre gehört hat, fasst er Vertrauen zum Vollendeten. Von diesem Vertrauen erfüllt denkt und überlegt er also: ›Ein Gefängniss ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel; der freie Himmelsraum die Pilgerschaft. Nicht wohl geht es, wenn man im Hause bleibt, das völlig geläuterte, völlig geklärte Asketenthum Punkt für Punkt zu erfüllen. Wie, wenn ich nun, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszöge?‹ Und nach einiger Zeit verlässt er einen kleinen Besitz oder er verlässt einen großen Besitz, verlässt er einen kleinen Verwandtenkreis oder er verlässt einen großen Verwandtenkreis, scheert sich Haar und Bart, legt die fahlen Gewänder an und zieht aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinaus. Bis dahin aber ist, Aggivessano, der heilige Jünger in die Lichtung gekommen.
»Da verlangen sich denn, Aggivessano, Götter und Menschen nach den fünf Begehrungen zurück.
»Den weist nun der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, sei tugendhaft, in reiner Zucht richtig gezügelt bleibe lauter im Handel und Wandel: vor geringstem Fehl auf der Hut kämpfe beharrlich weiter, Schritt um Schritt.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch tugendhaft ist, in reiner Zucht richtig gezügelt lauter im Handel und Wandel bleibt, vor geringstem Fehl auf der Hut beharrlich weiterkämpft, Schritt um Schritt, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, die Thore der Sinne lasse dich hüten: hast du mit dem Gesichte eine Form erblickt, so magst du keine Neigung fassen, keine Absicht fassen; da Begierde und Missmuth, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Gesicht, wachte eifrig über das Gesicht. Hast du mit dem Gehöre einen Ton gehört – hast du mit dem Geruche einen Duft gerochen – hast du mit dem Geschmacke einen Saft geschmeckt – hast du mit dem Getaste eine Tastung getastet – hast du mit dem Gedenken ein Ding erkannt, so magst du keine Neigung fassen, keine Absicht fassen; da Begierde und Missmuth, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißige dich dieser Bewachung, hüte das Gedenken, wache eifrig über das Gedenken.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch die Thore der Sinne behütet hält, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, beim Essen wisse Maaß zu halten, gründlich besonnen wolle die Nahrung einnehmen, nicht etwa zur Letzung und Ergetzung, nicht zur Schmuckheit und Zier, sondern nur um diesen Körper zu erhalten, zu fristen, um Schaden zu verhüten, um ein heiliges Leben führen zu können: ‘So werd' ich das frühere Gefühl abtödten und ein neues Gefühl nicht aufkommen lassen, und ich werde ein Fortkommen haben, ohne Tadel bestehn, mich wohl befinden.’‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch beim Essen Maaß zu halten weiß, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, der Wachsamkeit weihe dich: bei Tage sollst du gehend und sitzend das Gemüth von trübenden Dingen läutern; in den ersten Stunden der Nacht gehend und sitzend das Gemüth von trübenden Dingen läutern; in den mittleren Stunden der Nacht magst du auf die rechte Seite wie der Löwe dich hinlegen, einen Fuß über dem anderen, gesammelten Sinnes, der Zeit des Aufstehns gedenkend; sollst in den letzten Stunden der Nacht, wieder aufgestanden, gehend und sitzend das Gemüth von trübenden Dingen läutern.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch sich der Wachsamkeit geweiht hat, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, mit klarem Bewusstsein wolle dich wappnen: klar bewusst beim Kommen und Gehn, klar bewusst beim Hinblicken und Wegblicken, klar bewusst beim Neigen und Erheben, klar bewusst beim Tragen des Gewandes und der Almosenschaale des Ordens, klar bewusst beim Essen und Trinken, Kauen und Schmecken, klar bewusst beim Entleeren von Koth und Harn, klar bewusst heim Gehn und Stehn und Sitzen, beim Einschlafen und Erwachen, beim Sprechen und Schweigen.‹ Sobald nun, Aggivessano, der Mönch sich mit klarem Bewusstsein gewappnet hat, dann weist ihn der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, suche einen abgelegenen Ruheplatz auf, den Fuß eines Baumes, einen Hain, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene.‹ Und er sucht einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn er vom Almosengange zurückgekehrt ist, setzt er sich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegt der Einsicht. Er hat weltliche Begierde verworfen und verweilt begierdelosen Gemüthes, von Begierde läutert er sein Herz. Gehässigkeit hat er verworfen, hasslosen Gemüthes verweilt er, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läutert er sein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hat er verworfen, von matter Müde ist er frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewusst, läutert er sein Herz von matter Müde. Stolzen Unmuth hat er verworfen, er ist frei von Stolz; innig beruhigten Gemüthes läutert er sein Herz von stolzem Unmuth. Das Schwanken hat er verworfen, der Ungewissheit ist er entronnen; er zweifelt nicht am Guten, vom Schwanken läutert er sein Herz. Er hat nun diese fünf Hemmungen aufgehoben, hat die Schlacken des Gemüthes kennen gelernt, die lähmenden: beim Körper wacht er über den Körper, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; bei den Gefühlen wacht er über die Gefühle, unermüdlich; klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; beim Gemüthe wacht er über das Gemüth, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns; bei den Erscheinungen wacht er über die Erscheinungen, unermüdlich, klaren Sinnes, einsichtig, nach Verwindung weltlichen Begehrens und Bekümmerns.
»Gleichwie nun, Aggivessano, der Elephantenbändiger einen großen Pfahl in die Erde eingräbt und den wilden Elephanten mit dem Halse daranfesselt, um ihm sein waldgewohntes Betragen eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um ihm seine waldgewohnte Widerspänstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben, und ihn in der Umgebung des Dorfes heimisch werden lässt, Sitten annehmen, wie sie bei Menschen beliebt sind: ebenso nun auch, Aggivessano, hat der heilige Jünger seinen Geist an diese vier Pfeiler der Einsicht gleichsam festgebunden, um sich das hausgewohnte Betragen eben auszutreiben, um sich die hausgewohnte Sehnsucht eben auszutreiben, um sich die hausgewohnte Widerspänstigkeit, Verstocktheit, Heftigkeit eben auszutreiben, um das Ächte zu gewinnen, die Wahnerlöschung zu verwirklichen.
»Den weist nun der Vollendete weiter zurecht: ›Willkommen, du Mönch, beim Körper wache über den Körper, auf dass du keinen Gedanken, der den Körper angeht, in dir bergen magst; bei den Gefühlen wache über die Gefühle, auf dass du keinen Gedanken, der die Gefühle angeht, in dir bergen magst; beim Gemüthe wache über das Gemüth, auf dass du keinen Gedanken, der das Gemüth angeht, in dir bergen magst; bei den Erscheinungen wache über die Erscheinungen, auf dass du keinen Gedanken, der die Erscheinungen angeht, in dir bergen magst.‹ So erwirkt er denn nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens die innere Meeresstille, die Einheit des Gemüthes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene sälige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung. In heiterer Ruhe verweilt er gleichmüthig, einsichtig, klar bewusst, ein Glück empfindet er im Körper, von dem die Heiligen sagen: ›Der gleichmüthig Einsichtige lebt beglückt‹; so erwirkt er die Weihe der dritten Schauung. Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns erwirkt er die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmüthig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Schauung.
»Solchen Gemüthes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüth auf die erinnernde Erkenntniss früherer Daseinsformen. Er erinnert sich an manche verschiedene frühere Daseinsform, als wie an ein Leben, dann an zwei Leben, und so weiter, mit je den eigentümlichen Merkmalen, mit je den eigenartigen Beziehungen.
»Solchen Gemüthes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüth auf die Erkenntniss des Verschwindens-Erscheinens der Wesen. Mit dem himmlischen Auge, dem geläuterten, über menschliche Gränzen hinausreichenden, kann er die Wesen dahinschwinden und wiedererscheinen sehn, gemeine und edle, schöne und unschöne, glückliche und unglückliche, er kann erkennen wie die Wesen je nach den Thaten wiederkehren.
»Solchen Gemüthes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet er das Gemüth auf die Erkenntniss der Wahnversiegung. ›Das ist das Leiden‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Leidensentwicklung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Leidensauflösung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der Wahn‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Wahnentwicklung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist die Wahnauflösung‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. ›Das ist der zur Wahnauflösung führende Pfad‹ erkennt er der Wahrheit gemäß. Also erkennend, also sehend wird da sein Gemüth erlöst vom Wunscheswahn, erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ›Im Erlösten ist die Erlösung‹, diese Erkenntniss geht auf. ›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteht er da.
»Das ist ein Mönch, der erträgt Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind und Wetter, Mücken und Wespen und plagende Kriechthiere, boshafte, böswillige Redeweisen, körperliche Schmerzgefühle, die ihn treffen, heftige, schneidende, stechende, unangenehme, leidige, lebensgefährliche dauert er duldend aus, ist gänzlich von Gier, Hass und Irre entledigt, entwöhnt worden von Unart: Opfer und Spende, Gabe und Gruß verdient er als heiligste Stätte der Welt.
»Ist ein alter Königselephant, Aggivessano, ungebändigt, unabgerichtet gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der alte Königselephant, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein junger Königselephant, Aggivessano, ungebändigt, unabgerichtet gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der junge Königselephant, ist gestorben, heißt es da:
»Ebenso nun auch, Aggivessano, ist ein alter Mönch unversiegten Wahnes gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der alte Mönch, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein neuer Mönch, Aggivessano, unversiegten Wahnes gestorben: ungebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der neue Mönch, ist gestorben, heißt es da.
»Ist ein alter Königselephant, Aggivessano, wohlgebändigt, wohlabgerichtet gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der alte Königselephant, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein junger Königselephant, Aggivessano, wohlgebändigt, wohlabgerichtet gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der junge Königselephant, ist gestorben, heißt es da:
»Ebenso nun auch, Aggivessano, ist ein alter Mönch versiegten Wahnes gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der alte Mönch, ist gestorben, heißt es da; ist ein mittlerer, ist ein neuer Mönch, Aggivessano, versiegten Wahnes gestorben: gebändigten Tod erlitten hat der mittlere, hat der neue Mönch, ist gestorben, heißt es da.«
Also sprach der Erhabene. Zufrieden freute sich Aciravato der junge Asket über das Wort des Erhabenen.
Aggivessano ist
Aciravatos nomen patronymicum, der Zuname. Der auf S. 325 und sonst, wie z. B. im 1. Bande S. 177, 391 etc., im 2. Bande S. 630 etc., mit unübertrefflicher Prägnanz geschilderten indischen Landschaft darf die ebenso rein anschaulich stilisierte Landschaft
Ruisdaels als nahe verwandtes Kunstwerk verglichen werden.
Eine Art Auszug der großen Elephantenperipetie, S. 327 – 336, giebt Vers 320 – 324 des
Dhammapadam. Cf. auch die anderen Elephantenparabeln, wie z. B. in der 61. u. 66., 27. u. 28. Rede. Das Muster der letzteren ist, nebenbei bemerkt, wörtlich in das Mahābhāratam aufgenommen worden, XII 65, 25:
Yathā hastipade padāni saṃlīyante sarvasattvodbhavāni, evaṃ dharmān rājadharmeṣu sarvān etc.
Zum Gleichnisse von den gebändigten und den ungebändigten Rossen, S. 324, cf.
Diog. Laert. II 69: Ερωτηθεις (Αριστιππος), τινι διαφερουσιν οἱ πεπαιδευμενοι των απαιδευτων, εφη Ὡσπερ οἱ δεδαμασμενοι ἱπποι των αδαμαστων. Schon
Sokrates, im Gorgias p. 516: Ουκουν οἱ γε δικαιοι ἡμεροι, ὡς εφη Ὁμηρος. Aber geradezu emblematisch genau, bis in die Einzelheiten entsprechend, ist es im unerschöpflichen
Makarios wiederzufinden, als Thema seiner 23. Homilie, § 2 – 3.
Über die Bedeutung von saṉkhalikhitam »Punkt für Punkt«, S. 331, hat neuerdings
Ludwig in der Wiener Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. Bd. 15 S. 307–310 geschrieben. Seine durch eine Glosse des
Viśvalocanas angeregte, recht moderne Ableitung von
śaṇkhas, dem Schläfenschwibbogen, ist nicht ohne Geist, doch bei dem hohen Alter des überlieferten
hrahmacariyaṃ saṇkhalikhitam unhaltbar. Eine mögliche Etymologie findet man Ende der 48. Rede Anmerk. 36, Lieder der Mönche S. 336: wahrscheinlich wird aber die in der 3. Anmerkung des 2. Bandes gegebene besser begründet sein. – Als letzten Ausläufer des
saṇkhalikhitam kann man das Muschelabzeichen auch noch unserer heutigen Wallfahrer betrachten: ein längst vergessenes Symbol strenger Asketenschaft, das auf die jakobitischen Mönche des 6. Jahrh. und daher wohl auf ihren Stifter
Iakobos Zanzalos zurückreicht, der als Eremit in der Fetzenkutte Syrien durchzogen und viele Jünger hinterlassen hatte, Nachfolger in Ägypten, Arabien, Persien bis in die Zeiten der Kreuzzüge; woher dann endlich jenes ursprünglich indische, auf den ältesten Skulpturen schon dargestellte Büßerwappen, freilich arg verkannt, uns überkommen ist. Noch im 17. Jahrh. sind übrigens unter den »Muschelträgern« an sich die »Jakobsbrüder« verstanden worden, so im Simplicissimus; während es im Tasso, vorletzter Auftritt, mehr allgemein anschaulich heißt:
Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel,
Den langen Stab erwählst du dir and gehst
Freiwillig arm dahin.
Cf. auch Hamlet IV. 5, 25 f.
By his cockle hat and staff
And his sandal shoon.