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Zwölfter Theil
Zweite Rede

Sechs erläutern

Das hab' ich gehört. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapiṇḍikos. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Mönche: »Ihr Mönche!« – »Erlauchter!« antworteten da jene Mönche dem Erhabenen aufmerksam. Der Erhabene sprach also:

»Da giebt, ihr Mönche, ein Mönch die Gewissheit zu erkennen: »›Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt‹ versteh' ich da.« Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist weder zu billigen noch abzuweisen; ohne zu billigen, ohne abzuweisen ist die Frage zu stellen: ›Vier Arten, Bruder, von Betragen hat Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet: und welche vier? Bei Gesehnem das Gesehne verlautbaren, bei Gehörtem das Gehörte verlautbaren, bei Gedachtem das Gedachte verlautbaren, bei Erkanntem das Erkannte verlautbaren: das sind, Bruder, vier Arten von Betragen, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat; was für Wissen hat nun der Ehrwürdige, was für Schauen bei diesen vier Arten von Betragen und hat das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst?‹ Ein Mönch, ihr Mönche, der Wahnversieger, Endiger ist, der das Werk gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntniss erlöst hat, kann folgende Rechenschaft ablegen: »Bei Gesehnem bin ich, Brüder, nicht zugeneigt und nicht abgeneigt, nicht angeschlossen, nicht angeheftet, bin ihm entgangen, bin ihm entronnen, ohne das Gemüth umschränken zu lassen; bei Gehörtem – bei Gedachtem – bei Erkanntem bin ich, Brüder, nicht zugeneigt und nicht abgeneigt, nicht angeschlossen, nicht angeheftet, bin ihm entgangen, bin ihm entronnen, ohne das Gemüth umschränken zu lassen. So ein Wissen hab' ich, Brüder, so ein Schauen bei diesen vier Arten von Betragen und habe das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst.‹

»Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist zu billigen und gutzuheißen; und hat man sie gebilligt und gutgeheißen so ist eine fernere Frage zu stellen: ›Fünf sind es, Bruder, der Stücke des Anhangens, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat: und welche fünf? Als da ist ein Stück Anhangen an der Form, ein Stück Anhangen am Gefühl, ein Stück Anhangen an der Wahrnehmung, ein Stück Anhangen an der Unterscheidung, ein Stück Anhangen am Bewusstsein: das sind, Bruder, die fünf Stücke des Anhangens, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat; was für Wissen hat nun der Ehrwürdige, was für Schauen bei diesen fünf Stücken des Anhangens und hat das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst?‹ Ein Mönch, ihr Mönche, der Wahnversieger, Endiger ist, der das Werk gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntniss erlöst hat, kann folgende Rechenschaft ablegen: ›Die Form hab' ich, Brüder, als ohnmächtig, unergetzlich, unerquicklich erkannt, und was bei der Form anhänglich Anhangen ist, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. Das Gefühl, die Wahrnehmung, die Unterscheidungen, das Bewusstsein hab' ich, Brüder, als ohnmächtig, unergetzlich, unerquicklich erkannt, und was beim Gefühl, bei der Wahrnehmung, bei den Unterscheidungen, beim Bewusstsein anhänglich Anhangen ist, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. So ein Wissen hab' ich, Brüder, so ein Schauen bei diesen fünf Stücken des Anhangens und habe das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst.‹

»Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist zu billigen und gutzuheißen; und hat man sie gebilligt und gutgeheißen, so ist eine fernere Frage zu stellen: ›Sechs Artungen sind es, Bruder, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat: und welche sechs? Art der Erde, Art des Wassers, Art des Feuers, Art der Luft, Art des Raumes, Art des Bewusstseins: das sind, Bruder, sechs Artungen, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat; was für Wissen hat nun der Ehrwürdige, was für Schauen bei diesen sechs Artungen und hat das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst?‹ Ein Mönch, ihr Mönche, der Wahnversieger, Endiger ist, der das Werk gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntniss erlöst hat, kann folgende Rechenschaft ablegen: ›Die Art der Erde hab' ich, Brüder, als uneigen begriffen und mich als nicht in der Art der Erde bestanden, und was in der Art der Erde bestanden ist, anhänglich Anhangen, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. Die Art des Wassers – die Art des Feuers – die Art der Luft – die Art des Raumes – die Art des Bewusstseins hab' ich, Brüder, als uneigen begriffen und mich als nicht in der Art des Bewusstseins bestanden, und was in der Art des Bewusstseins bestanden ist, anhänglich Anhangen, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. So ein Wissen hab' ich, Brüder, so ein Schauen bei diesen sechs Artungen und habe das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst.‹

»Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist zu billigen und gutzuheißen; und hat man sie gebilligt und gutgeheißen, so ist eine fernere Frage zu stellen: ›Sechs sind es wiederum, Bruder, der Innen- und Außengebiete, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte, recht gekennzeichnet hat: und welche sechs? Das Auge und die Formen, das Ohr und die Töne, die Nase und die Düfte, die Zunge und die Säfte, der Leib und die Tastungen, das Denken und die Dinge: das sind, Brüder, die sechs Innen- und Außengebiete, die Er, der Erhabene, der Kenner, der Seher, der Heilige, vollkommen Erwachte recht gekennzeichnet hat; was für Wissen hat nun der Ehrwürdige, was für Schauen bei diesen sechs Innen- und Außengebieten und hat das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst?‹ Ein Mönch, ihr Mönche, der Wahnversieger, Endiger ist, der das Werk gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntniss erlöst hat, kann folgende Rechenschaft ablegen: ›Beim Auge, Brüder, bei der Form, beim Sehbewusstsein, bei den durch das Sehbewusstsein bewusstbaren Dingen, was da Wille und Gier, was da Lust und Durst, was anhänglich Anhangen ist, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. Beim Ohr – bei der Nase – bei der Zunge – beim Leibe – beim Denken, Brüder, bei den Dingen, beim Denkbewusstsein, bei den durch das Denkbewusstsein bewusstbaren Dingen, was da Wille und Gier, was da Lust und Durst, was anhänglich Anhangen ist, geistiges Anlehnen, Anschmiegen, Angewöhnen: weil ich das versiegen und versagen, aufhören, zergehn, entschwinden habe lassen, ist mein Herz abgelöst, versteh' ich da. So ein Wissen hab' ich, Brüder, so ein Schauen bei diesen sechs Innen- und Außengebieten und habe das Herz ohne Hangen vom Wahne abgelöst.‹

»Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist zu billigen und gutzuheißen; und hat man sie gebilligt und gutgeheißen, so ist eine fernere Frage zu stellen: ›Was für Wissen hat nun der Ehrwürdige, was für Schauen, bei allen äußeren Eindrücken auf diesen mit Bewusstsein behafteten Körper da, und hat der Ichheit und Meinheit Dünkelanwandlungen gänzlich ausgetilgt?‹ Ein Mönch, ihr Mönche, der Wahnversieger, Endiger ist, der das Werk gewirkt, die Last abgelegt, das Heil sich errungen, die Daseinsfesseln vernichtet, sich durch vollkommene Erkenntniss erlöst hat, kann folgende Rechenschaft ablegen: ›Früher war ich, Brüder, in häuslichem Leben erwachsen, ein unwissender Mensch gewesen. Da hat mir der Vollendete, oder ein Jünger des Vollendeten, die Lehre gezeigt. Als ich von ihm die Lehre vernommen, hab' ich Vertrauen zum Vollendeten gefasst. Von diesem Vertrauen erfüllt hab' ich da bei mir erwogen: ›Ein Gefängniss ist die Häuslichkeit, ein Schmutzwinkel; der freie Himmelsraum die Pilgerschaft. Nicht wohl geht es, wenn man im Hause bleibt, das völlig geläuterte, völlig geklärte Asketenthum Punkt für Punkt zu erfüllen. Analog von Diogenes deutlich erkannt, ός ελεγε, μητε εν πολει πλουσιχ μητε εν οιχιχ αρετην δυνασδαι , Stob. Flor. XCIII, 35. Wie, wenn ich nun, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit hinauszöge?‹ Und ich habe dann, Brüder, nach einiger Zeit, einen kleinen Besitz oder einen großen Besitz verlassen, einen kleinen Verwandtenkreis oder einen großen Verwandtenkreis verlassen, Haar und Bart abgeschoren, die fahlen Gewänder angelegt und bin aus dem Hause in die Hauslosigkeit gezogen.

›Ich war nun Pilger geworden und hatte die Ordenspflichten der Mönche auf mich genommen. Lebendiges umzubringen hatt' ich verworfen. Lebendiges umzubringen lag mir fern: ohne Stock, ohne Schwerdt, fühlsam, voll Theilnahme, hegt' ich zu allen lebenden Wesen Liebe und Mitleid. Nichtgegebenes zu nehmen hatt' ich verworfen, vom Nehmen des Nichtgegebenen hielt ich mich fern: Gegebenes nahm ich. Gegebenes wartete ich ab, nicht diebisch gesinnt, rein gewordenen Herzens. Die Unkeuschheit hatt' ich verworfen, keusch lebt' ich: fern zog ich hin, entrathen der Paarung, dem gemeinen Gesetze. gāmadhammo gemein, im Rāmāyaṇam und Bhāratam ebenso grāmyadharmas, ein recht zutreffender Ausdruck, wörtlich: dorfartig, d. i. (mhd) dœrperlich; nämlich χγροιχος , rusticus, villanus, villano, vilain: country matters, wie Hamlet (III, 2) dieselbe Sache ebenso bezeichnend sagt. Dagegen agrāmyatā »Ungemeinheit«, d. i. edle Sitte, hovischeit, kurtoisie. Lüge hatt' ich verworfen, von Lüge hielt ich mich fern: die Wahrheit sprach ich, der Wahrheit war ich ergeben, standhaft, vertrauenswürdig, kein Häuchler und Schmeichler der Welt. Das Ausrichten hatt' ich verworfen, vom Ausrichten hielt ich mich fern: was ich hier gehört hatte erzählt' ich dort nicht wieder, um jene zu entzweien, und was ich dort gehört hatte erzählt' ich hier nicht wieder, um diese zu entzweien; so einigte ich Entzweite, festigte Verbundene, Eintracht machte mich froh, Eintracht freute mich, Eintracht beglückte mich, Eintracht fördernde Worte sprach ich. Barsche Worte hatt' ich verworfen, von barschen Worten hielt ich mich fern: Worte, die frei von Schimpf sind, dem Ohre wohlthuend, liebreich, zum Herzen dringend, höflich, porī wörtlich: städtisch, πολιτιχος ; nämlich αςτειος , urbanus, also nach heutigem Sprachgebrauche höflich, poli: auch dem bäuerisch u.s.w. widergesetzt, aber nur formal, kṛtrimam, gegenüber dem realen Begriffe, svābhāvikam, der vorangehenden Erklärung. viele erfreuend, viele erhebend, solche Worte sprach ich. Plappern und Plaudern hatt' ich verworfen, von Plappern und Plaudern hielt ich mich fern: zur rechten Zeit sprach ich, den Thatsachen gemäß, auf den Sinn bedacht, der Lehre und Ordnung getreu, meine Rede war inhaltreich, gelegentlich mit Gleichnissen geschmückt, klar und bestimmt, ihrem Gegenstande angemessen.

›Sämereien und Pflanzungen anzulegen hatt' ich verschmäht. Einmal des Tags nahm ich Nahrung zu mir, nachts war ich nüchtern, fern lag es mir zur Unzeit zu essen. Von Tanz, Gesang, Spiel, Schaustellungen hielt ich mich fern. Kränze, Wohlgerüche, Salben, Schmuck, Zierrath, Putz wies ich ab. Hohe, prächtige Lagerstätten verschmähte ich. Gold und Silber nahm ich nicht an. Rohes Getreide nahm ich nicht an. Rohes Fleisch nahm ich nicht an. Frauen und Mädchen nahm ich nicht an. Diener und Dienerinen nahm ich nicht an. Ziegen und Schaafe nahm ich nicht an. Hühner und Schweine nahm ich nicht an. Elephanten, Rinder und Rosse nahm ich nicht an. Haus und Feld nahm ich nicht an. Botschaften, Sendungen, Aufträge übernahm ich nicht. Von Kauf und Verkauf hielt ich mich fern. Von falschem Maaß und Gewicht hielt ich mich fern. Von den schiefen Wegen der Bestechung, Täuschung, Niedertracht hielt ich mich fern. Von Raufereien, Schlägereien, Händeln, vom Rauben, Plündern und Zwingen hielt ich mich fern.

›Ich war zufrieden mit dem Gewande, das meinen Leib deckte, mit der Almosenspeise, die mein Lehen unterhielt. Wohin ich auch pilgerte, nur mit dem Gewande und der Almosenschaale versehn pilgerte ich. Gleichwie da etwa ein beschwingter Vogel, wohin er auch fliegt, nur mit der Last seiner Federn fliegt, ebenso auch war ich, Brüder, mit dem Gewande zufrieden, das meinen Leib deckte, mit der Almosenspeise, die mein Leben unterhielt. Wohin ich auch wanderte, nur damit versehn wanderte ich. Cf. Makarios, Homil. XXX § 6 i. f.: H ωσπερ πετεινον, επαν εν ύφει πετασδη, αμεριμνον εστιν, χτλ . Ein ähnliches Gleichniss von der Seele als einer unbeschwerten Flaumfeder bei Eckhart p. 360. Vergl. noch Relations etc. de la Trappe, Paris 1702, I. p. 11: »Je suis comme une feuille, que le vent enleve de dessus la terre«; Lieder der Mönche v. 104.

›Durch die Erfüllung dieser heiligen Tugendsatzung empfand ich ein inneres fleckenloses Glück.

›Erblickte ich nun mit dem Gesichte eine Form, so fasste ich keine Neigung, fasste keine Absicht. Da Begierde und Missmuth, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gesichtes verweilt, befleißigte ich mich dieser Bewachung, ich hütete das Gesicht, ich wachte eifrig über das Gesicht.

›Hörte ich nun mit dem Gehöre einen Ton,

›Roch ich nun mit dem Gerüche einen Duft, ›Schmeckte ich nun mit dem Geschmacke einen Saft,

›Tastete ich nun mit dem Getaste eine Tastung,

›Erkannte ich nun mit dem Gedenken ein Ding, so fasste ich keine Neigung, fasste keine Absicht. Da Begierde und Missmuth, böse und schlechte Gedanken gar bald den überwältigen, der unbewachten Gedenkens verweilt, befleißigte ich mich dieser Bewachung, ich hütete das Gedenken, ich wachte eifrig über das Gedenken.

›Durch die Erfüllung dieser heiligen Sinnenzügelung empfand ich ein inneres ungetrübtes Glück.

›Klar bewusst kam ich und ging ich, klar bewusst blickt' ich hin, blickt' ich weg, klar bewusst regt' und bewegt' ich mich, klar bewusst trug ich des Ordens Gewand und Almosenschaale, klar bewusst aß und trank ich, kaut' ich und schmeckt' ich, klar bewusst entleert' ich Koth und Harn, klar bewusst ging und stand und saß ich, schlief ich ein, wacht' ich auf, sprach ich und schwieg ich.

›Treu dieser heiligen Tugendsatzung, treu dieser heiligen Sinnenzügelung, treu dieser heiligen klaren Einsicht suchte ich einen abgelegenen Ruheplatz auf, einen Hain, den Fuß eines Baumes, eine Felsengrotte, eine Bergesgruft, einen Friedhof, die Waldesmitte, ein Streulager in der offenen Ebene. Nach dem Mahle, wenn ich vom Almosengange zurückgekehrt war, setzte ich mich mit verschränkten Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet, und pflegte der Einsicht. Ich hatte weltliche Begierde verworfen und verweilte begierdelosen Gemüthes, von Begierde läuterte ich mein Herz. Gehässigkeit hatt' ich verworfen, hasslosen Gemüthes verweilt' ich, voll Liebe und Mitleid zu allen lebenden Wesen läuterte ich mein Herz von Gehässigkeit. Matte Müde hatt' ich verworfen, von matter Müde war ich frei; das Licht liebend, einsichtig, klar bewusst, läuterte ich mein Herz von matter Müde. Stolzen Unmuth hatt' ich verworfen, ich war frei von Stolz; innig beruhigten Gemüthes läuterte ich mein Herz von stolzem Unmuth. Vergl. Athanasios über Antonios, Vita p. 92. Dann Celano (Vita II, cap. 65 & 68) über S. Francesco: Tutissimum remedium contra mille inimici astutias laetitiam spiritualem sanctus iste firmabat. – Studebat proinde sanctus in iubilo cordis semper existere, servare unctionem spiritus oleumque laetitiae. Morbum accidiae pessimum summa cura vitabat. – Pro generali commonitione in quodam capitulo scribi fecit haec verba: Caveant fratres, ne se ostendant extrinsecus nubilosos et hypocritas tristes, sed ostendant se gaudentes in Domino, hilares et iucundos, et convenienter gratiosos. – Wie sein »lieber herre sant Franciscô« hat in diesem Sinne auch Meister Eckhart (p. 467) gesagt, »daz der mensche nimmer cleglich wort gesprichet ... daz er nimmer mê ervrewet wird: er ist selber diu vreude.« Das Schwanken hatt' ich verworfen, der Ungewissheit war ich entronnen; ich zweifelte nicht am Guten, vom Schwanken läuterte ich mein Herz.

›Ich hatte nun diese fünf Hemmungen aufgehoben, hatte die Schlacken des Gemüthes kennen gelernt, die lähmenden; gar fern von Begierden, fern von unheilsamen Dingen lebt' ich in sinnend gedenkender ruhegeborener säliger Heiterkeit, in der Weihe der ersten Schauung.

›Nach Vollendung des Sinnens und Gedenkens gewann ich die innere Meeresstille, die Einheit des Gemüthes, die von sinnen, von gedenken freie, in der Einigung geborene sälige Heiterkeit, die Weihe der zweiten Schauung.

›In heiterer Ruhe verweilte ich gleichmüthig, einsichtig, klar bewusst, ein Glück empfand ich im Körper, von dem die Heiligen sagen: ‘Der gleichmüthig Einsichtige lebt beglückt’; so gewann ich die Weihe der dritten Schauung.

›Nach Verwerfung der Freuden und Leiden, nach Vernichtung des einstigen Frohsinns und Trübsinns gewann ich die Weihe der leidlosen, freudlosen, gleichmüthig einsichtigen vollkommenen Reine, die vierte Schauung.

›Solchen Gemüthes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtete ich das Gemüth auf die Erkenntniss der Wahnversiegung. ‘Das ist das Leiden’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist die Leidensentwicklung’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist die Leidensauflösung’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist der zur Leidensauflösung führende Pfad’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist der Wahn’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist die Wahnentwicklung’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist die Wahnauflösung’ verstand ich der Wahrheit gemäß. ‘Das ist der zur Wahnauflösung führende Pfad’ verstand ich der Wahrheit gemäß.

›Also erkennend, also sehend ward da mein Gemüth erlöst vom Wunscheswahn, erlöst vom Daseinswahn, erlöst vom Nichtwissenswahn. ‘Im Erlösten ist die Erlösung’, diese Erkenntniss ging auf. ‘Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketenthum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt’ verstand ich da.

›So ein Wissen hab' ich, Brüder, so ein Schauen, bei allen äußeren Eindrücken auf diesen mit Bewusstsein behafteten Körper da, und habe der Ichheit und Meinheit Dünkelanwandlungen gänzlich ausgetilgt.‹

»Die Rede, ihr Mönche, eines solchen Mönches ist zu billigen und gutzuheißen; und hat man sie gebilligt und gutgeheißen, so hat man ihn also anzureden: ›Gesegnet sind wir, Bruder, hochgesegnet sind wir, Bruder, die wir den Ehrwürdigen als so ächten Asketen gegenwärtig haben.‹« Der siam. Text hat richtig samanupassāma. – Zum Topus kataṃ karaṇīyam, »Gewirkt das Werk«, cf. Lieder der Mönche v. 541 Anm.; und die selben Worte S. Francescos in seinen letzten Tagen: »Ego quod meum est feci.« – Die Unterscheidung, bez. Unterscheidungen, S. 149 passim, entsprechen ganz prachtvoll der ειδοποιος διαφορχ , bez. den διαφορα des Aristoteles; auch der platonischen επισΤηυη διαφοροτητος . Vergl. noch p. XXIII bis XXV meiner Buddhistischen Anthologie; und die letzte Anmerkung zur 64. Rede. Gegensatz: »Ein ding ân' underscheide«, wie es bei uns schon Gottfried als höchsten Begriff der Einheit giebt, Tristan v. 18358. Über das Anhangen, bez. die fünf Stücke des Anhangens, ibid., sagte mir einmal Robert L'Orange: »Die ›Theologia deutsch‹ enthält das häufig wiederkehrende Wort ›Annehmen‹, ›Sich-einer-Sache-annehmen‹, und unter diesem Wort beschreibt der Frankfurter das buddhistische upādānam.« Ebenso spricht der Hochheimer, der große Eckehart: »Dir ist nôt vor allen dingen, daz dû dich nihtesniht annemest«, p. 22; p. 634 mit dem Gleichnisse vom Hagedorn, der nur glatt geschlichtet durch das Heu dieser kranken Welt ohne anzuhaften hindurchgezogen wird; p. 561: »waz an dir und in dir ist, ez ist allez gar siech unde verdorben.« Etc. Endlich sei noch auf Merswins Buch von den Neun Felsen verwiesen, wo p. 105 das ledig und unangenommen stehn erörtert ist.

 

Also sprach der Erhabene. Zufrieden freuten sich jene Mönche über das Wort des Erhabenen.


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