Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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4. Kapitel

Die Tür zum Arbeitszimmer Bonapartes öffnete sich ein wenig und Bourrienne steckte seinen Kopf herein. Der Erste Konsul, der bis dahin gedankenvoll immerzu auf und ab gegangen war, blieb stehen und sah seinen Sekretär ungeduldig an:

»Nun . . . allein?«

Da traute sich Bourrienne erst vollends herein:

»Madame Bonaparte wollte nicht herunterkommen. Ich fand sie – in Tränen aufgelöst. Madame erscheinen nicht früher wie bis zum Diner.«

»Hat sie wenigstens einen Grund angegeben?«

»Eigentlich nicht. Das heißt – gesagt hat sie nichts . . . Es scheint, daß sie wieder Ärger mit den Lieferanten gehabt hat . . .«

»Man beutet sie aus! Das ist klar! Eine Frau, die nie bezahlt! Dabei wirft sie das Geld zum Fenster hinaus!«

Aber er faßte sich sogleich wieder. Warf seinem Sekretär einen eisigen Blick zu und sprach von was anderem:

»Ist Fouché da?«

»Er wartet bereits im Adjutantenzimmer.«

»Er soll kommen.«

Bonaparte nahm seine unermüdliche Wanderung von neuem auf. Die Länge und die Quer. Bis die Tür wieder ging. Da hob er seine Denkerstirn und blickte in das sehr blasse Gesicht des einstigen Rednersmannes. Er nickte ihm nur flüchtig zu, zeigte auf einen Sessel und nahm selber ebenfalls Platz.

»Wer von uns beiden hat recht gehabt, Bürger Fouché? Sie mit Ihren Royalistenkomplotts oder ich mit den Jakobineranschlägen?«

»Wir haben alle beide recht gehabt, General-Konsul. Die Jakobiner agitieren, aber die Royalisten konspirieren, und die einen sind so gefährlich wie die anderen. Nur – im Falle eines Attentats möchte ich die Schuldigen doch lieber auf der Seite der Royalisten suchen. Die sind weit besser organisiert, und dann sind sie auch viel verwegener als die Jakobiner.«

»Wohl seit dem 18. Fruktidor – wie?« Bonaparte lächelte.

Fouché dagegen schnitt eine Grimasse. Er wollte nicht gern an den Tag erinnert sein, an dem er seine eigenen ehemaligen Kameraden, worunter sich sogar einige seiner Freunde befunden hatten, auszuliefern und zur Deportation zu verurteilen gezwungen war.

»Der 18. Fruktidor hat die Jakobinerpartei gestürzt. Aber die Fontenayer Konvention hat die Royalisten aufs äußerste erbittert.«

»Na na – gar so sehr gestürzt kann man doch wohl nicht behaupten! Sie haben gleichwohl noch Ceracchi – Arena – Chevalier anzustiften vermocht, mich ein bißchen ermorden zu wollen . . .«

»Die allerschlimmsten sind doch die Royalisten!«

»Ich wünsche, daß mit den einen wie mit den andern endlich aufgeräumt wird. Es geht nun einmal nicht länger, daß bis vor die Tore der Hauptstadt die Straßen von Brigantenbanden wimmeln, die Bauernhöfe niedergebrannt, die Diligencen angefallen und die Reisenden ausgeplündert werden!«

»All die Fußbrennerrotten sind im Grunde nur Soldaten des Marquis de Frotté. Bruslart ist der Anführer dieser Freibeuter . . . Er war übrigens vor drei Tagen in Paris. Tüchtige Polizeispione waren ihm bis zur Maut Saint-Jacques auf den Fersen; da ist er ihnen denn ausgekommen. Er ist im Kabriolett über Versailles zurück nach der Provinz Beauce . . .«

»Ja, soll ich denn solchen Schuften ganze Regimenter Soldaten mitsamt Generalen nachschicken, damit sie endlich Mores lernen? Sie machen mir eine Meldung nach der andern, und das End' vom Lied ist allemal: da ist er ihnen denn ausgekommen . . .«

Fouché grinste schier ein wenig:

»General-Konsul, geben Sie mir den dienstlichen Befehl, daß ich zupacke – und ich hab' binnen vierundzwanzig Stunden die schönste Razzia all der Räuberhauptmänner beisammen! Sie haben wirklich nur zu befehlen . . .«

Bonaparte kniff die Augenbrauen zusammen:

»Warten Sie noch etwas . . . In einigen Tagen vielleicht . . .«

»Sie erhoffen sich also von Ihren Verhandlungen doch etwas?«

»Von meinen Verhandlungen?« Der Erste Konsul schien immerhin ein wenig baff. »Von welchen?«

»Mit dem Prätendenten. Mittelsperson: Abbé Bernier. Oder meinen Sie, ich wüßte das nicht?«

Und nach einer Pause bemerkte Fouché so recht trocken:

»Sie werden kein Glück haben.«

»Wieso nicht?«

»Weil Sie den Leuten nur Mittel zum Zweck sind. Wenn Sie an den Comte de Provence schreiben, er möge sich seiner Ansprüche auf den Thron begeben, so erhalten Sie statt aller Antwort den Gegenvorschlag: Wiedereinsetzung des rechtmäßigen Königs. Wenn Sie darauf eingehen, wird man versuchen, Sie auf irgendeine glänzende Art loszuwerden, wenn Sie aber nicht darauf eingehen, dann eben auf eine etwas gewalttätigere Weise. Ich denke, Sie verstehen mich. Das ist doch auch ganz klar . . . Übrigens sind die Herren, die Sie aufsuchen und Ihnen die Vorschläge dieses – Herrn Mußjey unterbreiten wollen, bereits in Paris.«

»Woher wissen Sie das?«

»Wie ich immer eben alles weiß. Ich bin nun mal schon so.«

»Aber ich selber habe doch keine Ahnung –«

»Doch. Ich hab's Ihnen ja jetzt gesagt.«

Bonaparte lächelte über die schlagfertige Antwort des schlauen Fouché.

»Und wer sind diese Herren Abgesandten?«

»Herr Hyde de Neuville, der Sekretär des Prätendenten, und der General Cadoudal.«

»Der berüchtigte Georges?«

»Jawohl, der Rundkopp!«

»Wie haben Sie ihre Ankunft herausbekommen?«

»Ankunft – hier? Ich hab' mich bereits um ihre Abreise von dort bekümmert. Und auf dem ganzen Weg haben sie meine Leute nicht aus den Augen verloren. Ihre Tagereisen wie ihre Raststätten waren im voraus bestimmt. Das klappte ganz vorzüglich von Paris nach London durch die Normandie – von meinen Agenten; und wobei die Royalisten nur in dem einen kleinen Irrtum sind, als hätten sie's umgekehrt von London nach Paris geschafft . . . Ich habe jederzeit völlige Hand, was ihre Kuriere und Korrespondenz anbetrifft . . .«

»Nun, und – haben Sie da schon etwas gemacht?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Nur keine Voreiligkeiten. Ich geh' da viel lieber aufs Ganze!«

»Wissen Sie auch, wo die Herren Hyde und Cadoudal abgestiegen sind?«

»Zu Befehl, General-Konsul!«

»Und Sie könnten sie mir nichts dir nichts greifen, und vor mich bringen?«

»Wozu das, wenn sie ganz von selber kommen wollen? Was sollen wir sie schleppen, wenn sie doch einen Passierschein von Ihnen haben?«

»Von mir? Durch wen?«

»Durch Madame Bonaparte!«

Der Erste Konsul blieb eine Weile stumm; dann sprach er sehr langsam:

»Ja. Josephine hat immerzu Beziehungen mit der royalistischen Partei aufrechterhalten. Im Grunde ihres Herzens ist sie – für die Prinzlichkeiten, weil sie mein Heil ausschließlich bei ihnen zu sehen geneigt ist. Sie hat die Jakobiner durchschaut; deshalb haben die auch einen solchen Haß auf mich und hetzen Chevalier und Arena – na, Sie wissen . . . Oh! aber ich werde die Chouans sowohl wie die Umsturzpartei schon klein kriegen – glauben Sie mir, Fouché! Ich will keine Revolution mehr und ich will auch keine Monarchie –«

»Der Bourbonen – oder –?« Fouché grinste wieder einmal schier.

»Überhaupt keine, Fouché! Es ist aus mit dem Gottesgnadentum in Frankreich! Menschenrechte – Menschenrechte! – Jedenfalls . . . wollen mal hören, was der Herr Prätendent eigentlich will –«

»Sie wollen seine Abgesandten empfangen?«

»Ich bin für einen jeden zu sprechen –«

»Und ich soll wohl bis dahin nichts unternehmen?«

»Bis ich's nicht ausdrücklich befehle – nein!«

Fouché begriff, daß die Unterhaltung wohl zu Ende wäre, und stand auf. In demselben Augenblick wurde auch der runde Tisch hereingeschafft, an dem der Erste Konsul zu frühstücken pflegte. Im Vorzimmer tauchte der schwarzbraune Roustam auf. An der Tür entstand eine Bewegung unter der Dienerschaft: Madame Bonaparte trat ein. Von sehr gepflegtem Äußeren, und in sorgfältig gewählter Toilette. Geschmeidig; wellig; die Augenlider ein wenig gesenkt; lächelnd. Dem Ersten Konsul, der eigentlich auf einen Auftritt mit Tränenbegleitung gefaßt war, ging das Gesicht auseinander. Ein Wohlgefallen huschte über seine Züge hin:

»Setz dich, Josephine.«

Dann aber, sowie sie allein waren, brach sein Unmut aus:

»Warum läßt du dich gar so lange bitten, wenn ich etwas von dir will? Wieder mal Schulden? der frühere Leichtsinn? die alte Verschwendung? Nun sitzt du wohl wieder einmal gehörig in der Patsche! was? Du weißt doch, daß ich das nicht im geringsten ausstehen kann! Begünstige all und jeden Luxus – gut: da tust du nur nach meiner Politik! – aber bezahle gefälligst, was du kaufst! Du hast eine peinliche Vorliebe für Flitterkram! Schaff dir doch gescheiter Sachen an, die einen Wert haben. Schöne Steine – kostbare Goldwaren. Aber dieser Paillettenkram und all das Glasperlenzeug! Wie eine Negerin bei euch zu Haus! Was hast du denn davon? Unbezahlte Rechnungen und – Krach!«

»Du bist aber nicht fein heut!«

»Du gehst mit schlechtem Beispiel voran – das ist's! Und die ganze Gesellschaft um mich herum macht dir's nach! Lannes – zum Beispiel! geht einfach hin und kleidet die ganze Konsulargarde völlig neu ein! Ja, wer soll denn das bezahlen? Ich nicht! ich denke nicht daran! Ich hab' bereits angeordnet, daß es ihm abgezogen wird! Und er – der scheußliche Charakter! – bockt nun und spricht kein Wort mehr mit mir! Bin ich Herr oder nicht? Ja oder nein?«

Da fing Josephine an, sich die Augen zu betupfen: die Hilfsquelle versagte noch nie. Bonaparte, der hastig von allen Schüsseln aß, die bei ihm alle auf einmal serviert werden mußten, ließ seine Frau eine kleine Weile absichtlich zappeln und untröstlich tun; dann sprach er mit einem Mal sehr sanften Tons:

»Na, nun . . . weine nicht mehr. Ich will dies eine Mal noch für dich zahlen; aber dann nimm dich dafür auch ordentlich zusammen und tu's nie wieder. Sieh mal: wie vernünftig und folgsam dein Sohn ist. Eugène ist das wahre Muster. Nie noch habe ich an ihm etwas bemerkt; der ist brav und tapfer. Der beste Soldat meiner Armee.«

»Er weiß, was er dir verdankt.«

»Das wissen die andern doch auch: Junot, Murat, Augereau, Bessières. Und dennoch . . .«

Er stand auf und warf die Serviette auf den Tisch: das ganze Frühstück hatte nicht länger als eine Viertelstunde gedauert. Man brachte den Kaffee. Dann näherte er sich Josephine und sah sie zärtlich an:

»Also gräm' dich nicht weiter, meine gute Josephine. Bloß . . . laß die Verschwendung. Ich hab' übrigens gehört, du hättest heimliche Quellen und Fouché ließe dir von den eingekommenen Spielgeldern ab . . . Nimm dich in acht! wenn ich dir das beweisen kann!«

Er umarmte sie und liebkoste sie: er war ihr trotz aller Desillusionen immer wieder herzlich gut. Da dachte sie, daß das just der günstigste Augenblick sei und lenkte seine Gedanken sachte auf die Politik:

»Ich hätte übrigens eine große Bitte an dich . . . es betrifft eine alte provençalische Adelsfamilie: die Saint-Estrangins. Eine der vornehmsten Familien der ganzen Grafschaft . . . du weißt, wie sehr man im Süden noch royalistisch ist . . . also würde das den besten Eindruck machen, den man sich denken kann . . .«

»Meinetwegen. Eine Zeile von dir an Cambacérès genügt . . .«

»Und dann die Charosts, von der herzoglichen Linie . . . die Clarys interessieren sich so furchtbar für sie . . . Madame Bernadotte hat mir's gesagt . . . dich selber wollte sie nicht gern bemühen . . .«

Bonaparte kniff die Lippen zusammen. An diese Désirée wollte er lieber nicht erinnert sein: Er hatte sie geliebt und dann doch sitzen gelassen und Josephine geheiratet, die den Oberbefehl über die italienische Armee als Heiratsgut in die Ehe mitgebracht hatte.

»Gut! gut! sag's Cambacérès . . . Wenn ich dir übrigens noch lange zuhöre, dann gibt es bald keine französischen Emigranten mehr, und wir können mit der Kanonade auf sie – wie vor Saint-Roch – hübsch wieder von vorne anfangen . . . Sie agitieren mir bloß zuviel, deine Lieblinge. Vielleicht ist's eine große Dummheit, daß wir sie so gnädig behandeln, und wenn wir unerbittlich blieben, wär' das für die öffentliche Ordnung vielleicht besser . . . Aber sie sollen sehen, was ich für ein Exempel statuiere, wenn's die Prinzlichkeiten so weiter treiben –«

»Ach, Bonaparte, wer weiß, ob du nicht gescheiter daran tät'st, wenn du die Bourbonen zurückholtest . . .«

»Sag' einmal – bist du wahnsinnig geworden? – Ich hab' doch mein Glück und mein Leben bei Arcole und Marengo nicht für sie aufs Spiel gesetzt!«

»Wenn du wüßtest, wie sie auf dich rechnen! Vorgestern erst hat man mir's wieder sagen lassen . . . es sind zurzeit übrigens Abgesandte hier in Paris, die bei dir einigermaßen sondieren sollen . . .«

»Woher weißt du?«

»Glaubst du, daß die Royalisten jemals bei dir etwas versuchen werden – ohne mich?«

»Dabei könnte es dir aber einmal übel ergehen!« Er konnte das Lachen kaum verbeißen.

»Wieso – mir? Ich überbring' dir doch alles brühwarm wieder!«

»Wirklich – alles?«

»Das wär' ja noch schöner! – Was wär' ich übrigens ohne dich?«

»Und . . . wer sind diese Abgesandten?«

»Die Herren Hyde und Cadoudal.«

Bonaparte nickte:

»Ich wußte es bereits. Fouché hat mir's gesagt . . . Aber nun sag' einmal, Josephine, wieso hast du es denn erfahren?«

»Nein, bitte, das sag' ich dir lieber nicht. Du könntest mich verraten, und dann würde ich nie wieder was erfahren. Was nebenbei dein eigener Schade wäre . . .«

»Aber was wollen denn die beiden eigentlich von mir?«

»Dich sprechen.«

»Und . . . wer garantiert mir dabei für mein Leben?«

»Sie selber bürgen dir doch mit dem ihrigen.«

»Da bin ich entschieden im Nachteil. Das können zwei Fanatiker sein, denen ihr Leben nichts ist, und mein Tod dafür alles! Und was ist auch ihr Leben im Vergleich zu dem meinigen?«

»Du kannst doch alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln treffen: du bist hier in den Tuilerien, mit so vielen von deinen Leuten um dich: da hast du doch nichts zu fürchten! Murat und Rapp beispielsweise im Vorzimmer und Junot und Roustam hinter der andern Tür: da können die beiden doch keinen Finger rühren, so hat man sie auch schon . . . Oder sie müssen sich erst einer Leibesvisitation unterziehn . . .«

Bonaparte ging in tiefem Grübeln auf und ab. Dies eingefallene blasse Gesicht, die spröden und wirren Locken . . . sein Kinn saß ihm schier auf seiner Brust . . . Nah am Kamin blieb er dann stehen. Stand ein paar Augenblicke und setzte sich. Saß so einige Minuten lang und sprach kein Wort . . . Dann maßen seine grauen Augen Josephine:

»Nun denn . . . ich will die Herren sehen. Morgen abend. Nach dem Diner. Sollen erst bei dir warten – und du sorgst dann dafür, daß sie hierher kommen.«


Am Abend desselben Tags. Hyde de Neuville war soeben von einem Ausgang ins Hotel zurückgekehrt und kletterte nun die drei Treppen nach seinem Zimmer hinaus, das zwischen denen von Cadoudal und Saint-Régeant lag. Da trat kurz darauf Saint-Régeant, ohne anzuklopfen, bei ihm ein:

»Ich habe Sie kommen hören. Diese verflixten Wände sind so dünn wie Papier. Bei mir und bei Georges kann man kein Wort sprechen, ohne daß man es nebenan hört . . . bei Ihnen geht's doch wenigstens noch einigermaßen!«

Er nahm in einem Strohsessel Platz und schlug die Beine übereinander: die gesprenkelten seidenen Wadenstrümpfe saßen ihm wie angegossen.

»Ich bring' eine große Neuigkeit . . . Ich komme soeben von meiner reizenden Landsmännin . . . Die Unterredung ist perfekt. Sie und Georges werden morgen abend vom Ersten Konsul empfangen.«

»Donnerwetter! Mit einer solchen Schnelligkeit . . .!« Hyde strahlte. »Das ist also Ihr Werk . . . Jaja, man braucht nur so ein netter junger Mann wie Sie zu sein, dann ist man der wahre Dietrich.«

»Weder Dietrich, noch nett! Es traf sich ganz einfach, daß die Frau unseres Freundes Lerebourg erstens eine glühende Royalistin und zweitens noch dazu eine Lieferantin der Madame Bonaparte ist. So machte sich die Vermittlung zwischen der Gemahlin des Ersten Konsuls und uns eigentlich ganz von selber. Immerhin hat die Frau mit einer Pünktlichkeit und Geschicklichkeit ohnegleichen gearbeitet. Sie hat unsere Sache bei ihrer hohen Gönnerin vorgebracht, und Madame Bonaparte wiederum hat es auf sich genommen, Sie und Cadoudal vor den General zu bringen . . .«

»Und was sagt der gute Gatte Lerebourg zu alldem?«

Saint-Régeant lachte. »Der hat überhaupt keine Ahnung und verkauft derweil unentwegt Galanteriewaren weiter!«

»Während wir unter seiner Firma das Geschick Frankreichs zum Guten wenden wollen? . . .«

»Aber wo ist Georges?«

»Das weiß kein Mensch! Der läßt sich rasieren, frisieren und zum wahren Adonis machen und läuft so lange wie ein Gigerl angezogen herum, bis ihn die Polizei zu fassen kriegt. Wenn er gerade nicht spielt, ist er sicher im Palais Royal . . . und umgekehrt. Ich säh' ihn wahrhaftig lieber in der Bretagne als auf dem Pariser Pflaster. Mit so einem Wanst und so einem Dickkopf, na, und mit seinen sonstigen Allüren muß er ja auffallen!«

Da aber lümmelte und flötete etwas die Treppe herauf.

»Wenn man den Esel nennt –«

Die Schritte näherten sich. Das Pfeifen verstummte. Dafür aber erscholl die berühmte Arie Monsignys:

C'est ici que Rose respire
Ici se rassemblent mes vœux!

Die Tür ging auf – und Georges stand auf der Schwelle. Ein Gott! Sein Stock war wie ein Riesenkorkzieher. Eine Perücke trug er mit einem Zopf. Und sein Hals erstickte schier in einer mörderischen Musselinkrawatte . . . Da mochte übrigens Hyde de Neuville sagen, was er wollte: Cadoudal war schlechterdings unkenntlich! – Knüttel wie Hut flogen aufs Bett; und dann legte er los:

»Ich weiß was Neues . . .«

»Wir auch!«

»Ich war mit unsern Freunden zusammen –«

»Wir treffen uns morgen mit dem Ersten Konsul!«

»Beim ersten Zeichen schlagen sie los –«

»Die Unterredung mit Bonaparte entscheidet über alles andere!«

»Daß den Korsen der Teufel frikassiere! . . . Wir täten wahrhaftig besser, wir räumten endlich gründlich mit ihm auf, als daß wir uns erst noch lange in Unterhaltungen mit ihm einlassen! Bei so einem Geschwätz kommt nichts weiter heraus, als daß die Gemüter wankend und die Entschlüsse wacklig werden!«

»Wir haben Befehl von den Prinzen –«

»Hyde – gehn Sie mir bloß mit Ihrem Comte d'Artois . . . So'n Held! Wenn er in die Vendée gekommen wär' und sich an unsere Spitze gestellt hätte, dann hielten wir heut Paris, und der König säß' in seinem Palais. Aber – was hätte wohl Madame de Polastron dazu gesagt, wenn ihr Herr und Gebieter ein Härchen seines teueren Hauptes gewagt hätte! Himmelherrgott – wir hätten einen Henri den Vierten gebraucht, statt dessen haben wir Faulenzer – Schattenprinzen!«

»Aber Georges!«

»Jawohl, ich bin 'n Bauernlümmel, aber –«

»Wiederholt das nicht zu oft, Georges, sonst glauben wir's Euch am Ende noch!«

Da schlug Cadoudal eine große Lache an:

»Also, was Wortemachen anbetrifft, bekenne ich mich gern geschlagen, lieber Hyde. Sowie es aber auf Taten ankommt –«

»Ich danke Ihnen auch bestens – nun nennen Sie mich wieder einen Feigling! . . . Was ist Ihnen heut in die Krone gefahren?«

»Nun also . . . seien wir uns wieder gut und reden wir von unserer Angelegenheit. Ich traf Rivière, Pastoret, Gininville und Laravière . . . Sie haben mir zu übermorgen zum nächsten Ball im Pavillon de Hanovre Rendezvous gegeben. Da treffen wir mit all unsern Leuten zusammen und kommen mit den ganzen Pariser Royalisten wieder in Fühlung –«

»Und Sie meinen, da werden wir lauter Helfershelfer finden?«

»Bei Gott – das mein' ich nicht. All diese Emigranten sind zurückgekehrt, weil es ihnen im Ausland noch weniger gefiel als hier unter den veränderten Verhältnissen. Sie haben das kleinere von den beiden Übeln gewählt, und sie spielen nun zwar die politisch Unzufriedenen und konspirieren wohl auch gar in den Salons – aber von da bis auf die Straße und nun gar in den Kampf ist ein weiter Weg – das geb' ich gerne zu. Die müssen erst gehörig aufgerüttelt werden, und das ist nur durch einen Gewaltstreich zu machen. Na, und diesen Gewaltstreich habe eben ich vor, sobald, was ich bestimmt glaube, eure Verhandlungen resultatlos ausgegangen sind . . .«


Seit dem Tage, da Saint-Régeant Madame Lerebourg vorgestellt worden war, war er noch zweimal im Kaufhaus in der Rue Saint-Honoré gewesen. Das erstemal hatte er Lerebourg einige Seiden aus seiner »Kollektion« gezeigt, die übrigens nur unter den allergrößten Schwierigkeiten aufzutreiben gewesen waren. Denn es galt ja, die Rolle des Reiseonkels weiterzuspielen und so das Inkognito aufrecht zu erhalten; und außerdem sollten die Seidenstoffe von so vorzüglichen Qualitäten sein, daß sie unbedingt Madame Bonaparte vorgelegt werden müßten. Das glückte dann auch nicht übel, soweit Herr Lerebourg in Frage kam. Mittlerweile aber hatte sich Madame Lerebourg auch dem andern entscheidenden Faktor, der Madame Josephine anvertraut, und der weitere Plan, den diese beiden Frauen ausheckten, war der: Hyde, Georges und Saint-Régeant schaffen die Stoffballots nach dem Luxembourg, und nachdem sie erst so tief in die inneren Gemächer eingedrungen sind, ist es ein leichtes, sie dem Ersten Konsul vorstellig zu machen.

Das zweitemal hatte sich Saint-Régeant bei der »Blauen Mütze« eingefunden, um von Madame Lerebourg die Stunde zu erfahren, zu der sie allzusammen mit den Seidenballots antreten sollten. Und da vernahm er denn: Er selber fährt mit dem Ehepaar Lerebourg per Wagen, während Hyde und Georges solange im Hotel de Nantes warten. Der Modewarenhändler sollte von der eingefädelten Sache seiner Frau ja keine Ahnung haben und weiter völlig in dem guten Glauben sein, er empfehle nur einen Seidenreisenden der Gemahlin des Staatsoberhauptes; und richtig, Lerebourg wiegte sich auch einzig in der Hoffnung, es möchte so mancher Meter Stoffs gleich in den Tuilerien zurückbleiben. – Dieser zweite Besuch Saint-Régeants war schon so eingerichtet, daß Lerebourg gerade nicht da war. Da ward dann auch die Vergangenheit mit all den Schrecknissen lebendig, die die schöne Emilie seit dem Tode ihrer Eltern durchzumachen gehabt hatte. Das junge Mädchen hatte damals in der Tat plötzlich mutterseelenallein auf der Welt dagestanden: rings um sie Chouanerie – Legitimisten – Bonapartisten – Exekutionen – Massakers – der Horizont voll Feuerschein – und alles rauchende Trümmerstätten. Eigentlich hatte sie noch von Glück reden können, daß sie in Nantes dann diesen Herrn Lerebourg gefunden hatte. Doch das war so gekommen. Herr Lerebourg war zu jener Zeit vorübergehend in Nantes und an der Löschung einer schmugglerischen Schaluppe mit Kattun, Wolle und Strumpfwaren direkt aus Liverpool stark interessiert; und Emilie zu gleicher Zeit als einfache Arbeiterin bei den Fräuleins du Guast, überzeugten Royalistinnen, die in Handelsbeziehungen zu Lerebourg standen. Dem Kaufmann hatte des Mädchens Schönheit wie Vornehmheit sogleich in die Augen gestochen; Emilie Bourdin, wie das Fräulein de Plémeur im ganzen Viertel hieß, war aber auch eine äußerst geschickte Spitzenklöpplerin. So dachte Herr Lerebourg, daß Fräulein Bourdin eine ausgezeichnete Akquisition für seinen Laden in der Rue Saint-Honoré wäre; kaum jedoch, daß er die ersten einleitenden Worte in diesem Sinne zu den Fräuleins du Guast äußerte, nahmen die eine so eisige Miene an, daß er in die jungfräulichen Tugenden der schönen Emilie unwillkürlich die ernsthaftesten Zweifel setzen mußte. Umgekehrt wurde ihm seine heftige Liebe zu dem bildschönen Arbeitermädchen nun erst recht erschreckend klar; und nur zu bald begriff er, daß er – wenn sie ihn nur überhaupt wollte – selbst zu den weitgehendsten Konzessionen bereit sein würde. Er wollte sie um jeden Preis heiraten . . . wer aber begreift sein Erstaunen, als er – wieder aus dem Munde der Damen du Guast – hören mußte, daß Fräulein Emilie keineswegs aus der Hefe des Volkes sei und – von so überaus vornehmer Abstammung – höchstwahrscheinlich seine bürgerliche Hand ausschlagen würde!

In Paris erregte das junge Frauchen Lerebourgs keine kleine Sensation. Robespierre, der stets gern in Wichs war, kam persönlich zur »Roten Mütze«, um die hohen Musselinkrawatten eigenhändig zu kaufen, die, wie man sagte, die Skrofeln so schön verdeckten; Fabre d'Eglantine machte Gedichte auf die schöne Bürgerin Lerebourg; und Barras gar wurde ihr zweiter Schatten. Indes, die junge Frau war für alle die Werbungen dieser Leute, die in ihren Augen doch ganz gemeine Mörder waren, bei aller sonstigen Zuvorkommenheit unzugänglich; sie bekehrte lieber nach und nach ihren Mann zu ihren eigenen Anschauungen und machte fein sachte einen politisch »Gemäßigten« aus ihm. Ihn zu einem vollkommenen Royalisten zu erziehen, gelang ihr freilich nicht: Lerebourg gab sich schon mit dem Konsulat zufrieden, wenn seine Monatsabschlüsse nur weiter dieselbe aufsteigende Tendenz zeigten wie bisher . . .

Pünktlich um die festgesetzte Abendstunde kam Saint-Régeant in einem Wagen vorgefahren. Lerebourg und der falsche Leclerc verstauten erst die Musterkollektion im Fiaker, und dann erschien Madame Lerebourg. Sie trug ein wundervolles weitausgeschnittenes Prinzeßseidenkleid, ein fein geblümtes Musselinschultertuch und einen großen schutenförmigen Hut mit Bindebändern. Beim Einsteigen sah man ein entzückendes Bein in einem hellgrauseidenen Strumpf. Lerebourg nötigte Leclerc, neben seiner Gemahlin Platz zu nehmen, und eh' er sich selber zu den Paketen setzen wollte, rief er erst noch zum Bock hinauf: »Kutscher! Nach den Tuilerien!«

 


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