Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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14. Kapitel

Bitte, näherzutreten, Bürgerin,« sprach der junge Villiers zu Emilie und öffnete die Tür zum Arbeitszimmer Fouchés. »Der Minister erwartet Sie bereits . . . Und dann: zittern Sie doch nicht so . . . Sie sehen ja richtig kriminal aus!«

Madame Lerebourg sah den Sekretär lauernd an; aber der lächelte und spielte den Liebenswürdigen, genau so wie er's auf der ganzen Fahrt her im Wagen getan hatte. Sie schöpfte neue Hoffnung, nahm ihre Gedanken zusammen und trat ein. An einem großen über und über mit Papieren bedeckten Schreibtisch saß Fouché, studierte eifrig in einem Aktenbündel und fragte, ohne den Kopf zu erheben:

»Bürgerin Lerebourg?«

»Jawohl, Bürger-Minister,« antwortete Villiers.

»Gut. Nehmen Sie, bitte, Platz, Bürgerin. Ein Augenblickchen noch, dann steh' ich ganz zu Ihrer Verfügung . . .«

Villiers trat ab. Emilie setzte sich in einen Armstuhl, derart, daß sie halb dem fürchterlichen Manne zugewandt war, von dem das Schicksal Saint-Régeants abhing, und betrachtete ihn verstohlen. Dieser viereckige Schädel, dies gelbe Gesicht, die zerwüstete Stirn, und vor allem die finstern brauenlosen und geröteten Augen machten ihr Angst. Dabei mußte sie unwillkürlich denken: Das Gesicht dieses Mannes – der wahre Spiegel seines Lebens. Soviel Häßlichkeit will ebensoviel Blut. Soviel Krüppeligkeit will sich an der ganzen Menschheit rächen. Der will bis zu seinem letzten Atemzug noch das Böse – rein zu seiner Lust. Der setzt seinen höchsten Stolz in höchste Grausamkeit. Ein Ungeheuer . . . eine Bestie . . . Im selben Augenblick richtete das Ungeheuer und die Bestie die Totenaugen, die ohne jeden lebendigen Blick waren, auf die junge Frau:

»Madame Lerebourg – wo ist Herr de Saint-Régeant?«

Diese Frage, im ruhigsten Ton von der Welt vorgebracht, hatte etwas Ungeheuerliches. Emilie fühlte es wie eine einzige rasende Flamme von den Fußsohlen bis in die Haarwurzeln hinauf. Sie zitterte, die Augen flackerten ihr, gleichwohl tat sie völlig unerschrocken und hatte eine solche Gewalt, daß man ihrer Stimme nicht den leisesten Schrecken anmerkte:

»Aber, Bürger-Minister, ich weiß wirklich nicht, wen Sie meinen.«

»Ich meine Herrn de Saint-Régeant, der unter dem Namen Victor Leclerc bei Ihnen aus und ein ging und sogar für Ihr Haus gereist ist.«

»Victor Leclerc kenn' ich wohl. Er war letzthin auch tatsächlich im Auftrag meines Gatten in Lyon. Aber einen Herrn de Saint-Régeant kenne ich nicht.«

Fouché grinste leicht und nickte mit dem Kopf:

»Madame Lerebourg. Wenn aber Victor Leclerc und Saint-Régeant nun ein und dieselbe Person ist?«

»Wenn Sie mir das sagen, Bürger-Minister, dann muß ich es wohl glauben. Mir allerdings war bis jetzt davon nicht das geringste bekannt.«

»Gut. Dann sind wir uns ja klar. Sie kennen Victor Leclerc . . .«

»Erlauben Sie. Haben Sie mich einzig hieherkommen lassen, um mich über die Verhältnisse eines Reisenden unseres Hauses auszufragen?« schnitt ihm Emilie kurz die Rede ab. »Ihr Bote sagte mir doch . . .«

»Mein Bote hatte den ausdrücklichen Befehl, jedes Aufsehen und jeden Skandal zu vermeiden, was Ihnen irgendwie hätte schaden können . . . Seien Sie überzeugt, Madame, daß ich es Ihnen gegenüber an keiner – aber auch an keiner irgendwie wünschenswerten Rücksichtnahme habe fehlen lassen . . . Und seien Sie ebensosehr überzeugt, daß, wenn Sie mir die Aufschlüsse nicht vorenthalten, die ich von Ihnen zu erwarten berechtigt bin, Sie meines absoluten Wohlwollens in jeder Art und Weise sicher sein können . . . Ich gestehe Ihnen das alles unumwunden und ausführlich, um Ihnen eine jede Unannehmlichkeit zu ersparen . . . Ich will von Ihnen nur die eine einzige Auskunft: Wo hält sich in diesem Augenblick Victor Leclerc auf . . . wohlverstanden: Victor Leclerc, da Ihnen, wie Sie selber sagten, nur ein gewisser Victor Leclerc bekannt ist . . . Beantworten Sie mir diese eine Frage zu meiner Zufriedenheit, so ist Ihnen alles Weitere geschenkt, und ich rufe meinen Sekretär, und Sie nehmen seinen Arm, wenn's Ihnen beliebt, und sind binnen einer Viertelstunde wieder bei Ihnen zu Hause. Als ob nichts geschehen wäre! Und was auch später geschehen möge – verstehen Sie mich recht! – wird nicht mit einer Silbe irgendwie von Ihnen die Rede sein! Ich weiß von Ihnen absolut nichts! Sie sind überhaupt niemals bei mir gewesen! Vergeben und vergessen – verstehen Sie mich? – alles und jedes, was jemals zwischen uns gewesen ist! . . .«

Und das alles sprach er im einförmigsten Ton der Welt. Ohne ein einziges Mal seine Stimme zu erheben oder ein Wort, mehr als nötig, zu unterstreichen. Und kein Laut verriet, daß er sie irgendwie in die Enge treiben wollte. Das war die Sanftmut selber, und dennoch war diese Glätte hinter den Worten von einer solch fürchterlichen Deutlichkeit, daß Emilie nicht halb so sehr verstört gewesen wäre, und wenn er sie gleich angebrüllt und ihr geradeaus die Pistole auf die Brust gesetzt hätte. Emilie schwindelte, als ob sie sich nur mit verzweifeltster Mühe am Rand eines Abgrundes zurückhielte, dessen Tiefe sie mit sehenden Augen maß. Aber sie war tapfer und stark, was es sie auch kostete, und sie wurde weder verwirrt, noch ohnmächtig. Sie hielt ihre Sinne wie ihre Nerven einfach wunderbar zusammen und parierte:

»Bürger-Minister, ich bin beim besten Willen nicht in der Lage, Ihnen die gewünschte Aufklärung zu geben. Ich weiß auch gar nicht, welche Ursache Sie haben mögen, daß Sie sich ausgerechnet an mich wenden. Ich bin eine einfache Frau, kenne nichts als mein bißchen Geschäft und kümmere mich wahrhaftig um nichts anderes. Ich bin also wohl am allerwenigsten geeignet, der Polizei mit Auskünften zu dienen.«

»Das heißt, Sie möchten gerne wissen, um was es sich in diesem Fall eigentlich handelt und wie gerade Sie dazukommen sollten . . . nicht wahr? Nun gut – ich will es Ihnen sagen. Vor allen Dingen aber lassen Sie mich erklären, was denn diesen Victor Leclerc so sehr belastet. Nun, er wird beschuldigt, gestern abend mit noch ein paar andern zusammen vermittels einer Höllenmaschine den Ersten Konsul zu ermorden versucht zu haben.«

»Er? Aber das ist ja Wahnsinn! Der ordentliche, solide, nette, friedliche Mensch! Der keinem Kind was zuleide tun kann!«

»Das mag alles auf Victor Leclerc passen. Aber Saint-Régeant hat zwanzig Personen getötet, fünfzig verwundet, und er, der keinem Kind was zuleide tun kann, ist schuld, daß ein kleines Mädchen in Atome zerrissen wurde, weil er es während der Explosion das Pferd halten ließ. Das – Ihr Ausbund von Güte, Madame! Oder besser noch – denn was sollen wir hier lange Versteck spielen? – unter dem Namen Victor Leclerc oder unter dem Namen Saint-Régeant – denn das ist doch gehüpft wie gesprungen – Ihr Liebhaber!«

»Mein lieber Herr!« wehrte Emilie beißend ab, »Wenn Sie glauben, daß Sie mich mit derartigen Mitteln einschüchtern können, dann sind Sie aber bedeutend auf dem Holzweg. Victor Leclerc steht in Geschäftsverbindung mit meinem Mann . . . ich selber hab' ihn fünf- oder sechsmal gesehen . . . na, und was das andere betrifft, mein Liebhaber ist er schon ganz und gar nicht!«

»Was haben Sie dann in der Rue du Dragon zu suchen gehabt?« gab Fouché höchst ironisch zurück und grinste. »War das etwa auch nur in Geschäften Ihres Gatten, daß Sie sich mit Victor Leclerc in dem Haus trafen, wo er sich versteckt hielt?«

Wie Fouché so streifend nah an aller Wahrheit war, erzitterte Emilie wieder. Wie denn! er kannte sogar das Haus in der Rue du Dragon, ja er wußte selbst um ihre Besuche dort? Er hatte nur noch die Hand auszustrecken, da hielt er den armen Kerl auch schon! Aber vielleicht mutmaßte er doch bloß . . . sonst würde er doch längst nicht mehr so fragen! Er war gewißlich noch nicht überzeugt . . . so wollte sie es ihm denn geben:

»Ich war zweimal bei meiner Modistin dort. Das erstemal hab' ich mir einen Hut gekauft, das zweitemal hab' ich ihn zum Abändern nochmal hingetragen. Er ist bei mir zu Hause in meinem Schrank . . . wenn Sie sich vielleicht persönlich davon überzeugen wollen – bitte!«

»Na also! nun weiß ich wenigstens, daß sich Victor Leclerc bei einer Modistin aufhält. So kommen wir der Sache hübsch immer noch näher –«

Madame Lerebourg zuckte ärgerlich mit der Achsel und sah Fouché schier böse an: .

»So, und jetzt antworte ich Ihnen überhaupt nicht mehr. Ich werde mir von Ihnen doch nicht jedes Wort im Munde umdrehen lassen!«

»Wie Sie wünschen, Madame,« versetzte Fouché eiskalt. »Ich habe sowieso nicht viel Zeit zu verlieren und werde Sie also jetzt nach Ihrer Wohnung zurückbegleiten lassen . . . Zu gleicher Zeit aber zitier' ich mir an Ihrer Statt Ihren Herrn Gemahl herbei –«

Emilie sprang auf, und das kam nahezu in einem drohenden Ton heraus:

»Sie wagen es – ?«

»Ich? Oh! ich wage immerzu! . . . Nebenbei denk' ich, daß der Bürger Lerebourg lange nicht so störrisch wie Sie sein wird . . . Eh' der sich in einer so ungeheuerlichen Sache direkt zum Mitschuldigen stempeln läßt, wird sich sein Patriotismus auf seine Pflicht besinnen und mir alle nur möglichen Aufschlüsse geben . . . Übrigens, was der für Augen machen wird, wenn er von der Doppelrolle Victor Leclerc – Saint-Régeant erfährt, und daß Sie auch noch nach der Rue du Dragon gegangen sind . . . wenn ihm da nicht ein schmerzlichster Verdacht aufkommt –«

»Oh! das ist infam!« schrie Emilie. Sie war außer sich.

Da aber erhob sich Fouché, ging gerade auf Madame Lerebourg zu, sah sie aus seinen roten Augen mit völlig erloschenem Blick an und drohte dazu mit dem einen Zeigefinger:

»Na, nun aber Schluß! Nachdem alle Überredung nichts genützt hat und trotzdem ich es wahrhaft gut mit Ihnen meinte . . . nun hab' ich's endlich satt! Wenn Sie mir binnen fünf Minuten den Aufenthalt Saint-Régeants nicht preisgeben, hab' ich ein Plätzchen für Sie – in den Madelonnettes – und Ihren Gatten lass' ich ebenfalls arretieren! Ich lass' nun nicht länger mit mir spielen!«

»Ich weiß von nichts.«

»Sie lügen – denn Sie wissen alles! Und wenn Sie elendes Weibsstück nicht sofort gestehen, schick' ich Sie und Ihre ganze Gesellschaft aufs Schafott, verstanden?«

»Meinetwegen. Töten Sie mich . . . aber zum Reden bringen Sie mich nicht!«

»Also, dann schick' ich jetzt nach Ihrem Mann und erzähl' ihm und beweise ihm hier vor Ihnen, daß Sie die Geliebte Leclercs sind! So wie der von Ihrer ehelichen Treue erbaut sein wird, genau so wird er dann reden! Der wird mir Leclerc mit tausend Freuden verraten – und all seine Spießgesellen dazu! Nur . . . Sie kann er dann damit auch nicht mehr retten! Dann ist's ein für allemal zu spät!«

Und er ging zum Klingelzug hin:

»Soll ich also Ihren Mann holen lassen?«

Da schrie Emilie, wahnsinnig vor Schmerz:

»Nein!!«

»Sie wollen also endlich vernünftig sein?«

»N–nein!!«

»Sie haben die Wahl. Das eine oder 's andere. Entweder liefern Sie mir Saint-Régeant aus – oder ich ruf' Ihren Gatten herbei, und wir sprechen unter seinen Augen weiter.«

»Sie Ungeheuer! Sie Elender!«

»Meinetwegen auch das. Beleidigen Sie mich ruhig. Ich bin absolut nicht empfindlich. Nur . . . reden Sie endlich. Gestehen Sie.«

Sie renkte sich schier die Arme aus, in einer solch entsetzlichen Lage befand sie sich; und die hellen Tränen kugelten ihr die Backen herunter.

»Weinen beruhigt,« sprach Fouché. »Aber eine Minute zum Ausweinen genügt. Wo ist Saint-Régeant?«

»Was fragen Sie mich, wenn Sie's ja doch wissen?«

»Das ist wunderbar jesuitisch bei den Frauen, daß sie eine Frage nur wieder mit einer Frage beantworten. Er ist also noch in der Rue du Dragon? Und glaubt sich da vollständig sicher? Zweifellos ist er da in einem prächtigen Versteck. Wie gelangt man dahin?«

»Gott! Sie haben doch Ihre Spürnasen, Ihre Gendarmen – und Sie selber –!« Emilie schrie's voller Zorn. »So holen Sie sich 'n doch!«

»Gewiß! Es ist mir eine Leichtigkeit, das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, ich kann's sogar vollständig demolieren, wenn's sein muß. Es paßt mir aber bloß nicht, und ich möchte jede Gewalt und auch jeden Lärm gern vermeiden. Sehen Sie einmal an: Saint-Régeant ist in seinem Schlupfwinkel sicher nicht ohne Waffe. Der hat wohl immer so 'n paar Pistolen bei der Hand, Und so könnt' er auf den Gedanken kommen, sie zu gebrauchen. Gegen die Agenten, meinen Sie? Das schad't fast gar nichts. Die sind doch dazu da . . . Nein, sondern – was höchst bedauerlich wäre – er könnt' sie gegen sich selber richten. Und, sowie er an den Mauern tasten hört und eine Wand oder eine Tür einschlagen, sich eben selber eine Kugel in den Kopf jagen. Und wir fänden dann nur noch eine Leiche . . . und das gerade möchte ich nicht!«

Er hatte seine Worte absichtlich so gesetzt und dabei keinen Blick von Emiliens Gesicht gelassen. Der jungen Frau sollte sich bei seiner eindringlichen Schilderung das Herz im Leibe umkehren. Sie verging denn auch schier vor Schmerz bei dem Gedanken, wie man Saint-Régeant im Bischofswinkel, in der Rue du Dragon nur noch als Leiche aufheben würde, und Fouché glaubte ihren starken und gewandten Geist nun doch endlich gebrochen und gebändigt zu haben und benützte die völlige Niedergeschlagenheit Emiliens sogleich:

»Wenn Sie gerecht sein wollen, müssen Sie mir übrigens zugeben, daß ich im wahrsten Sinn des Wortes schonend mit diesem Kapitalverbrecher umgehe . . .«

»Einzig in Ihrem Interesse, Sie Henkerskerl, und nicht im seinigen!« schrie sie. »Sie haben gegenwärtig nur die eine Angst, daß er Ihnen entwischt – und ach! er selber kann Ihnen leider bloß noch durch den Tod entgehen, so völlig halten Sie das Geheimnis bereits in Händen! Aber der Himmel ist mein Zeuge, daß ich eher mein Leben opfere, als daß ich ihn verrate! Wer ist denn übrigens der Feigling und verräterische Schurke, von dem Sie das alles haben?«

»Ein Mann, der aus dem Bewußtsein seiner Pflicht sein Leben dafür hingegeben hat – mit einem Wort: ein Held für mich!«

»Einer Ihrer Agenten?«

»Ja. Gleichfalls ein Opfer Saint-Régeants. Nur daß er sterbend gerade noch soviel Zeit hatte, es uns zu sagen.«

»Oh! Ich fühle wohl, ich bin wie in einem Netz von lauter Polizei. Und mit jeder Bewegung zieh' ich die Maschen selber nur noch fester zu. Ich bin Ihnen gründlich in die Falle gegangen . . . O Gott, o Gott, die Angst und die Schande! Der allgemeinen Neugier, dem öffentlichen Haß ausgesetzt! Und unverdient – ganz unverdient! Nein, nein – dann lieber schon sterben!«

Ein neuer Tränenschauer, und sie hob die Arme und flehte:

»Gnade! Haben Sie Mitleid mit uns! Haben Sie Mitleid mit ihm!«

»Na – nu, beruhigen Sie sich doch! Ich habe Ihnen doch gesagt: Sie haben nicht das geringste zu befürchten. Sie haben mein Ehrenwort – und ich werde es halten. Auf Sie soll nicht der Schatten eines Verdachts fallen. Und Sie werden den Elenden vergessen, der auch Ihr Leben mit aufs Spiel setzte . . .«

»O, nein – nie! Nachdem ich ihn doch verraten habe!«

»Verraten? Aber Sie haben ihn ja gar nicht verraten und sollen es nicht! Sie wissen doch ganz genau, daß ich ihn längst festhalte. Was ich von Ihnen will, ist einzig das, wie ich zu ihm gelangen kann, ohne daß er irgendeine verzweifelte Tat begeht und sich selber was antut. Wenn Sie mir nicht sagen, wie in diesen Schlupfwinkel hineinzukommen ist, beladen Sie Ihr eigenes Gewissen mit seinem sichern Tod . . .«

Sie schauderte.

»So fragen Sie . . . bitte . . . Fräulein Grandeau.«

»Nein! Denn die schreit auf, und damit ist er erst recht gewarnt . . . Auf die kann ich mich in keinem Betracht verlassen . . . Nun also . . . er ist in der Wohnung – wie? In einem Wandschrank – nein? Über einer geheimen Treppe – nein? In der Küche? Ja?? . . . Nun also – 's is' gut! . . . Sie können verlangen von mir, was Sie wollen . . .«

»Nein!« schrie sie mit Schaudern auf. »Nichts! Nichts! Keinen Blutslohn! O! mein Gott! ich will ja gar nichts!«

»Beruhigen Sie sich doch« – fing der Folterer wieder an. »Ein letztes Wort noch – eine Silbe! Wir sind sogleich fertig! Wie kommt man zu dem Schlupfwinkel hinein? . . . Denken Sie doch nur daran, daß es um sein Leben ist – sein Leben!«

Emilie sank in die Knie, lehnte die Stirn gegen den Stuhl – sie war bereits halb ohnmächtig. Fouché aber beugte sich über sie, faszinierte sie mit seinem starren Blick und bedrängte sie aufs letzte im Schmeichelton:

»Durch den Küchenschrank – ja? Da ist eine Feder – wie? – und man drückt darauf?«

Ein Wimmern . . . und es drückte ihr fast das Herz ab:

»Überm dritten Brett – rechts.«

Fouché richtete sich auf:

»Endlich! . . . Das hat Worte genug gekostet, um Ihnen das bißchen Geheimnis herauszuziehen! Aber nun hab' ich's! Ruhen Sie sich etwas!«

Anders hätte ein Bader bei einem blutigen Zahnreißen auch nicht sprechen können! – Aber nun wollte er die arme Kreatur, die ihm nichts mehr nützen konnte und ohnehin nur noch aus Fetzen bestand, die unter seinen Krallen geblieben waren, so schnell wie möglich hinaushaben:

»Nun, Madame, müssen Sie aber wohl nach Hause . . . es ist ja auch alles vorüber und ich kann Ihnen nur noch einmal sagen: Sie haben nichts zu befürchten. Vergessen Sie die Stunde so bald wie möglich wie einen bösen Traum, und seien Sie höchstens froh, daß Sie so leicht aus der Sache davongekommen sind.«

»So feige – ja! Durch lauter Feigheit!« sprach sie düster.

»Man ist niemals feige, wenn man sich zum Wohl eines andern opfert. Und das haben Sie soeben getan. Sie haben verhindert, daß Ihr Mann in eine Affäre hineingezogen worden ist, deren Folgen einfach nicht abzusehen gewesen wären . . . höchstwahrscheinlich aber wäre er den Weg zum Schafott gegangen . . .«

»Ich habe Saint-Régeant verraten und verkauft –«

»– um Ihren Gatten zu retten – ja! Im übrigen bedanken Sie sich bei Saint-Régeant . . . Ehe ich Sie jetzt gehen lasse, möchte ich Ihnen dieses eine noch sehr ans Herz legen: Erzählen Sie niemals einem Menschen, was zwischen uns beiden hier gewesen ist, auch Ihrem Gatten nicht, hören Sie? Niemals und zu keiner Seele ein Sterbenswörtchen von diesem ganzen Fall Saint-Régeant, wenn Sie klug sind! Sie gehen völlig straffrei aus – nur begeben Sie sich nicht noch einmal in die Gefahr: ein zweites Mal würde ich Ihnen wohl kaum mehr helfen können . . .«

Er läutete. Villiers kam herein.

»Bürger Villiers, führen Sie die Bürgerin Lerebourg nach dem Wagen, mit dem sie hergefahren ist, und begleiten Sie sie bis zurück vor ihr Haus. Außer die Bürgerin will schon vorher aussteigen, dann lassen Sie sie ruhig. Sie ist frei und kann machen, was sie will.«

Er näherte sich Emilie, die rein wie stumpfsinnig dasaß, tippte ihr leise auf die Schulter und sprach leise:

»Sie müssen gehen. Nehmen Sie sich zusammen, damit Ihnen keiner am Gesicht was anmerkt. Sie verraten sonst alles . . . Und nun adieu, Madame, und vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Schuldner bin und Ihnen jederzeit, falls ich Ihnen irgendwie nützlich sein kann, gerne zur Verfügung stehe . . .«

»Mein Schuldner!« wiederholte Emilie und warf Fouché einen fürchterlichen Blick zu. »Das werd' ich Ihnen freilich nie vergessen können, daß Sie mir zu Dank verpflichtet sind! Denn das ist es ja, das mich richtet und verdammt! O, ich weiß, was ich getan habe, und wozu Sie mich zwangen.«

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, stieß einen qualvollen Seufzer aus, bemerkte den Sekretär, der auf sie wartete, und ging an dem vorüber und zur Tür hinaus. Wenn sie sich aber beim Hinausgehen noch einmal etwa umgedreht hatte, dann hätte sie Fouché sehen können, wie der sich hohnlachend die Hände rieb. Jetzt war er gewiß, daß er sein Mütchen an Bonaparte kühlen konnte. Und all die Unverschämten, die ihn sogleich wie einen Pestkranken gemieden hatten, als ihn sein Herr und Gebieter so wütend herunterkanzelte, würden nun zu ihm kommen und ihm ihr Kompliment machen müssen. Und gar der Ochse Dubois, der immer nur hinter den Jakobinern her war – der sollte erst Augen machen! Der einzige, der Sinn in das Imbroglio der Konspirationen und Licht ins Dunkel des Attentats zu bringen verstanden hatte – wer war das wieder einmal gewesen – na? – na? – der Herr Polizeiminister natürlich! – der Herr Fouché höchstselbst! Und er rieb sich immer wieder die Hände vor Vergnügen und seine violetten Lippen verzogen sich zu einem lautlosen Lachen; er trippelte mit ganz kleinen Schlitten in seinem Arbeitszimmer auf und ab und hielt den Kopf dabei so gesenkt, als ob die wichtige Entschließung, die er fassen wollte, wo auf dem Teppich zu finden wäre; dann aber zog er den Klingelzug und sprach zum eintretenden Diener:

»Bitten Sie den Bürger Foudras, er möchte sogleich hieher zu mir kommen.«

Der Polizeikommissär Foudras war ein unbedingt zuverlässiger Mann und der Vertraute Fouchés. Ein tollkühner Kerl, der die schwierigsten Sachen ausrichtete. Derselbe, der auch den bis an die Zähne bewaffneten Ceracchi durch eine raffiniert ausgeheckte Überrumplung verhaftet hatte. Ein Kerl von ebensoviel Mut wie Stärke und dazu noch ungemein schlau und vom Glück geradezu verfolgt. Und darin war Fouché gerade wie Bonaparte: auch er liebte die Leute, die immer Glück hatten, und verwandte Foudras stets nur in den heikelsten Fällen. – Da klopfte es leise, und der Kommissär trat ein. Fünfunddreißig etwa; von mittlerer Größe; vierschrötig; sehnig; und braun wie ein Südfranzose. Und kam hereingeglitten, als ob er Samt unter den Sohlen hätte:

»Sie haben mich rufen lassen, Bürger-Minister?«

»Ja. Ich hätte eine Sache für Sie. Bequem gerade nicht. Es gehört schon etwas Fingerübung dazu.«

Foudras lächelte. Daß eine solche Sache ihm anvertraut wurde, war ihm schon Lohn und Belobigung.

»Es handelt sich darum, in der Rue du Dragon bei einem Fräulein Grandeau – Modistin – einen gewissen Saint-Régeant zu verhaften, der sich dort versteckt hält.«

»Und das Fräulein Grandeau wird ihn auch nicht gerade gerne hergeben wollen?«

»Im Gegenteil!«

»Also fang' ich mir vor allem die und dann erst dring' ich in die Wohnung ein. Wo find' ich den Mann?«

»In einem geheimen Schlupfwinkel, hinter der Küche, hinter dem Küchenschrank – überm dritten Brett rechts 'ne Feder . . .«

»Und er wird sich wehren wollen?«

»Höchstwahrscheinlich.«

»Und er weiß, warum er verhaftet wird?«

»Der Rädelsführer bei einem Kapitalverbrechen.«

»Wieviel Mann müßt' ich mitnehmen?«

»So wenig wie möglich, um nicht aufzufallen, und nur soviel, um absolut sicher zu gehen.«

»Dann sagen wir: drei. Und ich kann sie mir aussuchen?«

»Sie haben völlig freie Hand.«

»Alsdann, Bürger-Minister, wenn der Vogel wirklich im Nest ist, ist er innerhalb zwei Stunden im Käfig.«

Fouché mußte lächeln zu soviel Untertaneneifer:

»Sowie Sie ihn haben, melden Sie mir's.«

Foudras grüßte und ging nach den Bureaus hinab, sah die Liste vom Dienst durch und suchte sich seine dreie aus: Pruvot, Sauvaitre und Barbade, alles handfeste Kerle, die er bei unzähligen Gelegenheiten schon auf Kraft wie Intelligenz erprobt hatte. Er ging mit ihnen zuerst in ein kleines Kaffeelokal, entwickelte ihnen bei einem Glas Bischof seinen Schlachtenplan und fuhr dann in einem Fiaker mit allen dreien nach der Rue du Dragon.

Vor der Haustür von Nummer 35 fanden sie Soufflard, der, seit ihn Fouché hieher auf Posten geschickt hatte, nicht mehr vom Hauseingang gewichen war. Der Riese mußte unten an der Treppe Aufstellung nehmen, Barbade oben an der Treppe im ersten Stock; Foudras, mit Sauvaitre und Pruvot hinter sich, zog die Klingel. Die alte Magd öffnete, aber im nächsten Augenblick hatte sie auch schon ein Taschentuch als Knebel im Mund und Pruvot zerrte sie aus der Wohnungstür auf die Treppe heraus. Nun drangen Foudras und Sauvaitre in die Wohnung ein. Hinter einer Tür hörte man das laute lustige Geplapper der Mamsells von Fräulein Virginie Grandeau . . . Foudras huschte auf Zehenspitzen den Korridor lang – sein Helfershelfer immer hinter ihm her – bis nach der Küche. Da überschaute er die Situation mit einem Blick: ein Herd, ein Ausguß, eine Anrichte, ein Schrank. Die Schranktür aufreißen, die Feder finden, die Mechanik in Bewegung setzen: alles das Werk eines einzigen Augenblicks – und der Eingang zum Bischofswinkel lag frei.

Saint-Régeant, der wußte, daß Emilie heute sicher nicht käme, ebenso daß die alte Magd ihn erst zum Abendbrot rufen würde, wenn all die Mädchen Feierabend hätten, lag angezogen auf seinem Bett, als die Geheimtür ging. Er wandte den Kopf, sah Foudras, sprang auf, griff nach der doppelläufigen Pistole, die stets schußbereit auf Reichweite auf dem Tisch lag, und legte, ohne ein Wort zu sagen, auf den Kommissär an.

»Ergeben Sie sich!« schrie Foudras ohne Furcht. »Sie sind der Herr de Saint-Régeant und ich habe zehn Mann hinter mir, um Sie zu verhaften.«

Daß Saint-Régeant nicht gerade mit Papierkügelchen schoß, hatte der arme Braconneau bereits zur Genüge kosten müssen. Er behielt nun auch diesen Foudras ständig vor der Mündung und sprach:

»Nur gut, daß Sie nicht allein sind, denn Ihnen, mein Lieber, geht's jetzt vor allen andern mal schlecht –«

Er drückte ab – die Kammer voller Pulverdampf; wer aber getroffen war, war nicht Foudras, der sich im selben Augenblick platt auf die Erde geschmissen hatte, sondern der Agent Sauvaitre. Der tat nur noch einen Seufzer und fiel wie ein Sack auf seinen Chef – Saint-Régeant aber mit einem Sprung über beide hinweg und hinaus in den Korridor, wo die entsetzten Modistinnen kreischten und schrien. Draußen vor der Treppe: Pruvot, den er mit einem Faustschlag in die Kniebeuge hieb – und über die Treppe hinunter, so sehr ihn sein rechter Arm in der Schlinge auch schmerzte. Aber da war ja schon wieder einer: Barbade, der ohne Besinnen und gerade wie im Vorbeilaufen die zweite Kugel zu fressen bekam. Da – im Hausgang – noch wieder einer: Soufflard, auf den er mit erhobenem Pistolenkolben zustürzte . . . Und wer weiß, Saint-Régeant wäre trotz seines Blutverlustes in seiner maßlos gesteigerten Kampfeswut vielleicht auch noch gegen diesen Riesenkerl aufgekommen, wenn der ihn nicht – Zufall oder Absicht? – just an dem so arg blessierten rechten Arm zu fassen gekriegt hätte und ihn gleich derart schüttelte, daß ihm vor Schmerzen einfach die Besinnung schwand.

So war's Soufflard ein leichtes, Saint-Régeant wie ein Kind in die Arme zu nehmen und nach dem Fiaker zu tragen, Da kam auch schon Foudras hinzu und schrie, wie er Saint-Régeant so total eingesunken in der Wagenecke sah:

»Du hast ihn doch nicht tot gemacht?«

»Nee, bloß 'n bißchen abgebeutelt . . . Sie können ganz beruhigt sein, der lebt schon wieder auf . . .«

»Gut. Aber . . . Donnerwetter, hat der uns zu schaffen gemacht! Pruvot und Sauvaitre mausetot. Und Barbade hat einen Hieb abbekommen, daß er die Engel im Himmel hat pfeifen hören . . . aber da is' er ja – he, Barbade! . . . steig' ein, Soufflard, du fährst mit mir und dem da und läßt 'n eventuell an deiner Faust riechen, das genügt . . . Du, Barbade, bleibst und kümmerst dich erst um die Kameraden, später findest du mich im Ministerium . . . Kutscher! fahren Sie nach der Conciergerie!«

Saint-Régeant saß in seiner Wagenecke und sprach die ganze Zeit über kein Wort. Er hatte die Augen geschlossen und stellte sich schlafend.


Bonaparte saß mit Josephine und Hortense beim Diner, als Fouché sich melden ließ. Der Erste Konsul, brennend vor Neugier, was ihm sein Polizeiminister zu einer so ungewöhnlichen Stunde wohl mitteilen würde:

»Soll hereinkommen.«

Und dann:

»Nun, Bürger Fouché, was bringen Sie Schönes?«

»Nichts anderes als was ich gleich gesagt habe, General. Saint-Régeant ist gefaßt, ebenso einer der Mittäter. Der dritte im Bunde ist uns freilich durch die Lappen gegangen.«

»Erzählen Sie ausführlicher, bitte.«

»Ich wußte bereits, daß das Attentat von drei Männern ausgeführt wurde – mitsamt einer Karre und einem Schimmel. So waren sie vorm ›Roten Löwen‹, einem Gasthof in der Rue de l'Arbre-Sec, gesehen worden, wo sie das Faß Pulver aufluden, das sie dann in der Rue Saint-Nicaise zum Explodieren brachten. Also darüber war kein Zweifel mehr. Der Schimmel wurde aufs bestimmteste wiedererkannt, der Mann, der Wagen und Pferd verkauft hatte, bald gefunden, der Käufer, ein gewisser François – wie er sich nennt! – im Pförtner des Klosters zur Heimsuchung ebenfalls bald ermittelt und festgenommen. Zu gleicher Zeit fast spürte ich den Mußjeh Saint-Régeant, der sich in der Rue du Dragon versteckt hielt, auf und nun hab' ich auch den fest. Er hat zwar bei seiner Verhaftung zwei meiner Leute über den Haufen geschossen, aber . . .«

»Bandit! Noch zwei Opfer mehr! Aber er soll mir's teuer bezahlen!«

»Jedes Leugnen seiner Schuld ist vollständig ausgeschlossen, denn er selber wurde bei der Explosion ernstlich verwundet.«

»Und trotz dieser ernstlichen Verwundung hat er bei seiner Verhaftung noch zwei Agenten über den Haufen geschossen?«

»O! und einem dritten noch beinah das Schädeldach eingeschlagen!«

Bonaparte wurde einen Augenblick sehr nachdenklich:

»Was das doch für Kerle sind!« murmelte er. »An dem Tag, wo es mir gelingt, die Burschen in meine Armee einzureihen . . .

Dann aber reckte er sich auf, sah zu seiner Frau hinüber und sprach in scherzhaftem Ton:

»Nun siehst du, Josephine, da hast du deine Royalisten, Emigranten und sonstigen Schützlinge. Nun komm' mir bloß sobald nicht wieder, daß ich den einen oder andern von der Liste absetzen und aus dem Ausland wieder zurückkehren lassen soll! Jetzt siehst du am besten, wie sie's treiben und ihrer Dankbarkeit mit Pulverfässern Luft machen.«

»Mein lieber Freund, die Revolutionäre sind um kein Haar besser.«

»Davon bin ich überzeugt. Aber vielleicht stecken sie mit den Royalisten unter einer Decke. Die einen so gut wie die andern hassen mich jedenfalls. Sie lassen mir's selbstverständlich bei den bloßen Attentätern nicht bewenden, Bürger Fouché, und gehen der Sache vor allem auch dahin nach, ob die Chouans und Philadelphisten da nicht in der Tat gemeinsam arbeiten.«

»Ich werde meine Pflicht tun, General. Ich kenne keine Freunde, wenn die öffentliche Sicherheit auf dem Spiel steht. Nur . . . Nur suchen Sie diesmal die Komplizen einzig und allein in der Normandie und Bretagne. Die Attentäter rekrutierten sich wahrhaftig ausschließlich aus den Plünderern Frottés und Massakrierern Georges'. Na, und der Hauptsitz: – London. Von dort geht alles aus . . .«

Da glühte eine Flamme in Bonapartes Augen auf:

»Die sollen sich bloß in acht nehmen überm Kanal da drüben! Die bringen mich wahrhaftig noch so weit, daß ich mit einemmal auf ihrer Insel bin und sie mir gewaltig lange! Wir wissen nicht umsonst, wie Wilhelm der Eroberer das angefangen hat . . . was der damals getan hat, kann sich leichtlich wiederholen . . .«

»Wir müßten erst nur wieder eine Marine haben, General . . .«

»Ach ja – die elenden Aristokraten! Das war wahrhaftig das Allerallerunverzeihlichste von ihnen – damals in Toulon – die französische Flotte den Englischen auszuliefern! Man kann neue Schiffe bauen, sie mit neuer Artillerie armieren – aber ein neuer Admiralstab? Dazu gehört eine ungeheuere Erfahrung zur See, die sich nicht von heut auf morgen lernt. Ich kann gute Kapitäne haben, soviel ich will – aber große Admiräle? Gott! wenn ich einen zweiten Souffren oder Labourdonnais hätte!«

Er war von der Tafel aufgestanden und schritt gedankenvoll auf und ab. Dann sprach er zu Fouché:

»Verabschieden Sie sich von den Damen und kommen Sie mit mir auf mein Arbeitszimmer.«

Der Polizeiminister verbeugte sich vor Josephine und Hortense und ging hinter dem Ersten Konsul hinaus. – In seinem Kabinett sodann lehnte sich Bonaparte gegen die Kaminecke und forderte auch Fouché weiter nicht zum Sitzen auf und ließ ihn stehen:

»Sie sagten da vorhin etwas von einem Kloster, in dem der eine Mitschuldige als Pförtner gewesen sei? Was ist das für eine Gesellschaft?«

»Lauter adelige Fräuleins und Frau'n . . . riesige Betschwestern . . . in der Rue Notre-Dame-des-Champs.«

»Rücksichtslos – unnachsichtlich! verstehen Sie? Verhaften Sie erst die Oberin, und wenn's nottut, die ganze Bande! . . . Oder soll ich die bigotte Sippschaft, die mir Mörder auf den Hals schickt, etwa schonen, weil sie sich hinter Klostermauern verbirgt?«

»Der Gasthofbesitzer vom ›Roten Löwen‹ war sicher auch irgendwie daran beteiligt . . . Es fanden seit einiger Zeit schon geheime Zusammenkünfte bei ihm statt . . . Und übrigens haben auch Georges und Hyde, als sie das letztemal in Paris waren, bei ihm logiert!«

Das war nun Bonaparte gar nicht recht – und man merkte es ihm ziemlich deutlich an –, daß ihn Fouché in diesem Augenblick an die Audienz erinnerte, die er den drei Royalisten mitsamt ihren unverschämten Forderungen gewährt hatte.

»Gut. Verhaften Sie auch den Gasthofbesitzer! Und was Georges anbelangt, so schicken Sie Ihre gewiegtesten Kerle hinter ihm nach der Bretagne aus . . . Ach, daß wir den doch zu fassen bekämen!«

»Dazu brauchen wir nichts als eine geeignete . . . ›Dame‹!«

»Mir soll kein Mittel zu schlecht sein – hören Sie! Den Kerl hier in Paris endlich hinter Schloß und Riegel haben – diesen Stier! – und dann vor den Augen aller Welt mit ihm aufs Schafott –!!« ,

»Ich werde mein möglichstes tun.«

»Was Saint-Régeant anbelangt, werde ich veranlassen, daß ihm sofort der Prozeß gemacht wird. Die Strafe muß der Tat folgen, wie der Donner auf den Blitz. Das richtige Abschreckungsmittel . . . ich muß meines Lebens sicher sein können . . . meine Aufgabe ist noch lange nicht zu Ende!«

Und nun trat ein gar milder Zug auf sein blasses Antlitz, ein Blick des Wohlwollens kam in seine Augen, ja, er lächelte geradezu und sprach voll Freundlichkeit:

»Ich bin zufrieden mit Ihnen, Fouché. Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen. Ich werde es Ihnen gewiß nicht vergessen.«

Der Polizeiminister verbeugte sich immer noch tiefer vor solch hoher Auszeichnung und dachte sich dabei: Er spricht schon ganz wie ein Souverän. Aber er ist ja auch zweifellos geradeaus vom Schicksal ausersehen. Alle Zukunft ist bei ihm . . .

Danach richtete er sich aus seiner tiefen Verbeugung auf, heftete seinen toten bleiernen Blick dreist auf den Ersten Konsul und sprach schier grob:

»General, mein Verdienst ist, Ihnen zu dienen. Ich bin ein großer Menschenkenner und weiß, daß Ihnen einst die ganze Welt gehören wird.«

Und ging, ohne die Wirkung dieser seiner Schmeichelei erst lange abzuwarten, einfach aus dem Zimmer und ließ Bonaparte bei seiner Arbeit.

 


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