Georges Ohnet
Nieder mit Bonaparte
Georges Ohnet

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8. Kapitel

Nicht daß Saint-Régeant in irgendeiner Weise aus seiner Reserve herausgegangen wäre! Sein Reisekamerad erfuhr auch nicht ein Tüttelchen von all seinen Geheimnissen: er war mehr als jemals einfach der Victor Leclerc, Reisender in Samt und Seide. Im Gegenteil hätte Neufmoulin eigentlich noch vorsichtiger sein müssen, als er's ohnehin wohl betreiben mochte: Saint-Régeant hatte bald einen gewissen Verdacht auf ihn. Nämlich am ersten Tag sogleich, kaum daß man in Fontainebleau im Gasthof zur Post angekommen war, war da ein Polizeikommissär aufgetaucht und hatte das ganze Reisegepäck auf einen denunzierten Waffenschmuggel nach dem Süden hin visitiert. Und alle Reisenden mußten außerdem noch ihre Pässe vorzeigen – und nur Neufmoulin war während dieser ganzen Formalität wie rein zufällig nicht da! Das war doch ziemlich verdächtig – wenn er auch hinterher wutschäumend hereinkam und sich in den ausfallendsten Redensarten gegen den Kommissär erging, der ihn soeben auf dem Hof angehalten und ihm in höchst unverschämter Art und Weise seine Papiere abverlangt hätte. Ja, gerade dies übertriebene dann in seinem ganzen Gehaben konnte einen Menschen wie Saint-Régeant wohl stutzig machen. Er schrie schier in einem fort, daß er's dem Herrn Kommissär schon zeigen würde! er – Neufmoulin – sei ein Landsmann vom Konsul Cambacérès! na, und der Herr Kommissär würde staunen, was ihm geschähe! Und er wetterte darauf los, daß man ziemliche Mühe hatte, ihn zu beruhigen; und erst als der Gasthofbesitzer ein Stückfaß Saint-Estèpher Bordeaux-Wein bei ihm bestellte, wurde er wieder gemütlich. – Dabei glaubte Saint-Régeant aus einiger Entfernung genau beobachtet zu haben, wie der vorgebliche Streit des Weinreisenden mit dem Kommissär eher alles andere als ein Streit gewesen war: wenigstens schien's, als ob der Beamte dabei vielmehr ausgefragt worden wäre, als daß er selber gefragt hätte. Kurz und gut, dieser Herr Neufmoulin war Saint-Régeant nicht ganz geheuer. Mochte er auch auf dem ganzen Wege Wein handeln und auf jeder Poststation dem Posthalter Offerten machen – selbst wenn er den Wein auf dem Stocke verkaufte, bewies das noch absolut nicht, daß die Lieferung auch jemals erfolgen würde!

Als sie in Lyon anlangten, schlug Neufmoulin seinem Reisekameraden vor:

»Wenn es Ihnen gleich ist, wo Sie absteigen, das heißt, wenn Sie keinen bestimmten Gasthof im Auge haben, kann ich Ihnen nur das ›Einhorn‹, Place des Brotteaux, bestens empfehlen. Im Zentrum der Stadt . . . ich wohne regelmäßig da . . . man ist wie das Kind im Hause!«

Saint-Régeant wollte sehen, wie weit Neufmoulin es noch mit ihm treiben würde. Außerdem konnte es ihm tatsächlich gleich sein, wo er abstieg; ihm war ein Gasthof so gut wie der andere, und er nahm das Anerbieten dankend an. Übrigens – das muß wahr sein – hatte Neufmoulin keineswegs irgendwie gelogen, und Saint-Régeant bemerkte eigentlich zu seinem großen Erstaunen: erstens war Neufmoulin im »Einhorn« wirklich wie ein alter Bekannter, und man behandelte ihn ganz wie einen Stammgast; und zweitens verkaufte er auch hier wieder Wein, und man lobte seine Ware sogar! Sollte Saint-Régeant dem Weinreisenden unrecht getan haben? Er schien fast geneigt, an derartiges zu glauben; dann aber überwog der Bretagner wieder in ihm und er blieb fest bei dem einmal gefaßten Mißtrauen. – Da aber hatte Neufmoulin schon wieder einen neuen Trumpf in Bereitschaft, und der junge Mann kam an diesem ersten Abend im »Einhorn« aus seinem Staunen eigentlich nicht recht mehr heraus.

Sie hatten zusammen genachtmahlt und waren eben beim Kaffee, als der Weinreisende mit einemmal loslegte:

»Hören Sie mal, Leclerc, ich ärgere mich im Grunde über mich selber, daß ich Ihnen nicht gleich reinen Wein eingeschenkt habe. Ja, ja, ich mache mir im stillen Vorwürfe darüber, daß ich Sie derart mit mir hierher ins ›Einhorn‹ schleppte. Ich kann Sie nun einmal wahrhaftig gut leiden und bin so sehr gern in Ihrer lieben Gesellschaft – aber das schließt alles miteinander nicht aus, daß ich eigentlich eine große Dummheit gemacht habe. Nämlich . . . es kann überaus leicht sein, daß ich Sie kompromittiere –«

»Sie? Aber wieso denn?«

»Tja – wieso denn – das ist eine kitzlige Geschichte! Nein, nein – ich bitte Sie – wahrhaftig! – fragen Sie mich nicht! Es muß Ihnen genug sein, daß ich Ihnen soviel von allem verraten habe! Und wenn Sie was Gescheites tun wollen, dann nehmen Sie jetzt Ihr Gepäck und logieren sich am andern Ende der Stadt ein! Es ist besser, Sie werden nicht zusammen mit mir gesehen!«

»Ja, aber warum denn?«

»Ich hab' Sie doch schon einmal gebeten: verlangen Sie weiter keine Antwort von mir . . . Tun Sie lieber, so wie ich Ihnen sage . . . Und nehmen Sie das als einen Beweis für die aufrichtige Freundschaft, die ich für Sie hege –«

»Sie sehen mich eigentümlich berührt und – nein, nein, das genügt mir nicht! Ja, sind Sie denn ein Bankrottierer oder ein Falschmünzer . . .

»O nein, es ist kein Fleck auf meiner Ehr'!«

»Na, dann . . . konspirieren Sie am Ende gar?«

Neufmoulin antwortete nicht. Sondern sah nur Saint-Régeant über die Maßen gespannt ins Gesicht. – Der junge Mann wechselte schier die Farbe. – Dann gab sich Neufmoulin, schien's, einen gewaltigen Ruck:

»Konspirieren? Na, und wenn dem so wäre? Würden Sie mich auf der Stelle meiden? . . . Wie denken Sie über die Sache, Leclerc? Sind Sie für die Revolution und diesen gottverfluchten Bonaparte . . . oder aber tut Ihnen der König und die Prinzen leid?«

Das also war's! dachte Saint-Régeant, und nach etlichen rasenden Herzschlägen kam ihm all seine große Kaltblütigkeit wieder: also doch ein »Agent provocateur«, und es war gerade kein Pfänderspiel, das sie da miteinander spielten! . . . Ein Polizeispitzel: das war ja auch die vollkommene Lösung all seines rätselhaften Gebarens während der ganzen Reise! . . . Im selben Augenblick wurde es Saint-Régeant auch durchaus klar: wenn er Neufmoulin jetzt nachgab und sich etwa wirklich auslogierte, so sah das aus, als ob er sich in solcher Nähe von der Polizei doch nicht sicher genug fühlte, und verstärkte damit im Spion nur einen Verdacht, der bis jetzt noch auf ziemlich schwachen Füßen stehen mußte. – So stellte er sich an, als ob er höchst erschrocken wäre:

»Was? Wie ich über die Sache denke? Das dürfen Sie mich nicht fragen, Neufmoulin! Ich denke nämlich bisher gar nicht über die Sache – verstehen Sie? Ich will weiter nichts als Geld verdienen und mich in Paris selbständig machen. Ich gebe gern zu, daß mir die Revolution mit ihren Machenschaften ebenfalls nicht sehr sympathisch ist – aber nur insoweit, als der Geschäftsgang darunter leidet. Indes, mich für die eine oder andere Partei auch nur mit einer Silbe zu engagieren – Gott soll mich behüten! – Und auch Sie, Bürger Neufmoulin, wie kamen Sie in dies gefährliche Fahrwasser? Denn ich muß doch annehmen, daß Sie da in eine Sache gegen die Regierung verwickelt sind –«

»Leiser, leiser! – Also, ja: ich befinde mich auf einer Besuchsreise der Royalisten hier im Süden. Erste Station: Lyon. Nur, ich hab' meine Freunde so in den unteren Volksschichten, wissen Sie; mit den hohen Häuptern wie Pommadère, Quercy, Saint-Aurenc hab' ich eigentlich weniger zu tun . . .«

Und das gab Saint-Régeant denn doch wieder einen Stoß: wie Neufmoulin ausgerechnet diese drei Royalistenführer nannte, zu denen er doch selber im geheimen Auftrag des Pariser Komitees sollte.

»Ich hab's also mehr mit der Arbeiterbevölkerung zu tun, mit den Webern hier. Mit dem gesunden Kern des ganzen Aufstandes sozusagen . . . Nichtsdestoweniger setz' ich mein Leben dabei aufs Spiel und möchte Ihr Leben nicht auch noch gefährden, um so weniger als Sie doch nichts damit zu schaffen haben!«

Und wieder hing er wie gebannt an Saint-Régeants Gesicht. Aber der stellte sich dumm:

»Ich bitte Sie, Bürger Neufmoulin, seien Sie vernünftig! Sie kommen in Teufels Küche dabei! Sie vermögen doch nichts gegen die Regierung des Ersten Konsuls – die Leute haben in zwanzig Schlachten gesiegt und stehen vorm ganzen Volke einfach glänzend da! Verkaufen Sie Ihren Bordeaux-Wein weiter; es wird Ihnen ja doch niemand Dank wissen, und wenn Sie sich heilig dafür aufopfern! Die Prinzen sind bekannt wegen ihrer Undankbarkeit!«

»Nein, nein – ich habe geschworen, mein Leben für sie zu lassen . . . Also ziehen Sie aus, Leclerc; Sie sollen da nicht unverschuldet mit hineingeraten. Und wenn Sie nicht ausziehen, dann zieh' ich aus: diesen Freundschaftsbeweis bin ich Ihrem Vertrauen und Ihrer Ehrlichkeit schlechterdings schuldig!«

Sie redeten noch eine Weile so hin und her. Neufmoulin ging noch mehr aus sich heraus, offenbarte aber Saint-Régeant damit höchstens dies, daß es mit seinem Wissen doch nicht so großartig bestellt war. Der Spion kannte wohl gewisse royalistische Persönlichkeiten, von der ganzen Organisation der Partei wußte er indessen nichts. Die paar Namen der Lyoner Vertreter der Prinzen – mein Gott! – mochte er sich ebensogut auch von der hiesigen Polizeibehörde beschafft haben! . . . Immerhin konnte einem der Mann außerordentlich gefährlich werden, und man tat jedenfalls gut, sich mächtig vor ihm zusammenzunehmen. Ausziehen, wie er es so gern wollte, hieß ihm gänzlich freies Spiel lassen; und nur dadurch, daß man beharrlich dablieb, konnte man ihn in Schach halten. Der Kerl war schließlich zu allem fähig, und Saint-Régeant mußte mit der Möglichkeit rechnen, ihn im gegebenen Augenblick einfach unschädlich zu machen. Der junge Mann war nicht umsonst stets bewaffnet, und vollends an dem nötigen Mute, mit dem Herrn ein Tänzchen zu wagen, fehlte es ihm ja nie. – Vorderhand machte er sich recht als Victor Leclerc mal auf den Weg zu den verschiedenen Fabrikanten. Dabei kamen ihm die Kommissionen, die ihm Lerebourg aufgetragen hatte, doch zustatten. Er kehrte auf die Art ordentlich beladen mit Mustern in den Gasthof zurück und hatte doch außerdem noch eine Menge Stoff zu erzählen. Neufmoulin, der doch ganz genau wußte, mit wem er es im Grunde zu tun hatte, bekam allerhand Hochachtung vor dieser Kaltblütigkeit, Geschicklichkeit und Schlauheit Saint-Régeants. Wahrhaftig! es mit diesem glänzenden Gegner aufzunehmen, war eigentlich eine Lust. Und der Spion schämte sich beinah darüber, daß er so unendlich viel Chancen vor dem andern voraus hatte. Er durchschaute ja seines Partners Spiel vollständig – und hätte nebenbei darauf schwören mögen, daß Saint-Régeant ihm gegenüber nicht den leisesten Argwohn hegte . . .

Neufmoulin hatte sich sogleich nach seiner Ankunft in Lyon mit dem dortigen Generalkommissär in Verbindung gesetzt und einen als Hausknecht verkleideten Agenten, der stündlich und minütlich zu seiner Verfügung war, in den Gasthof erhalten. Jeder Schritt Saint-Régeants wurde sorgfältig überwacht, aber drei Tage lang nun schon war ihm nicht im geringsten irgendwie beizukommen. Er stand sehr früh auf und ging ebenso zeitig ins Bett – da erschien er eines Abends zum Nachtmahl, noch sorgfältiger und zierlicher gekleidet als sonst. Neufmoulin spielte den Erstaunten; der junge Mann gestand verlegen, er hätte ein Stelldichein mit einer sehr hübschen Kaufmannsgattin, deren Mann verreist sei und solche Gelegenheit müsse man ausnützen.

»Sie sind mir ein Feiner!« hänselte Neufmoulin. »Aber sind Sie so ganz sicher, daß Ihnen nicht irgendwie eine unliebsame Überraschung . . . oder soll ich vielleicht mitkommen? Zu zweien ist es immer weniger verdächtig . . . und ist es überhaupt weit von hier?«

»Ich kann nichts sagen . . . entschuldigen Sie! . . . es ist eine sehr delikate Angelegenheit . . .«

»Gut, gut! Also ziehen Sie los, Sie – Herzensbrecher! Setzen Sie dem Herrn Gemahl ein Geweihchen auf! Aber ich leg' mich jetzt in die Klappe – und morgen in aller Frühe berichten Sie mir Ihr Abenteuer!«

Gegen neun Uhr ging Neufmoulin in sein Zimmer hinauf – und Saint-Régeant verließ das Hotel. Es war schon sehr dunkel. Der junge Mann war noch keine fünfzig Schritt weit gekommen, da nahm jemand seine Verfolgung auf. Und ein paar Augenblicke später verließ auch Neufmoulin, als Lyoner Hausweber verkleidet, den Gasthof »Zum Einhorn« und schlich ihm nach. Saint-Régeant wollte in der Tat zu einem Kaufmann. Aber nicht zu süßer Liebe. Sondern da sollten sich an demselben Abend die Royalistenführer versammeln. Man war dabei mit ungeheurer Vorsicht zu Werke gegangen: – der Kaufmann war in der Tat verreist (nach Arles) und setzte seine Gattenehre aufs Spiel und stellte also den betrogenen Ehemann vor: alles nur, um die Polizei zu betrügen. – Der Marquis de Saint-Aurenc, der Comte de Pommadère und der Chevalier de Quercy saßen bereits im nur ganz spärlich erhellten Magazin hinterm eigentlichen Laden, als Saint-Régeant von dem hübschen Kaufmannsfrauchen hereingeführt wurde.

Zu langer Begrüßung war keine Zeit. In hastigen Sätzen brachte jeder seinen Bericht über die herrschende Stimmung im Volke vor; dann machte Saint-Régeant die Herren mit der neuesten Entschließung des Pariser Komitees bekannt, bat sie, sich zur allgemeinen Erhebung in der ganzen Provinz bereitzuhalten und im gegebenen Augenblick sofort die Gewalt an sich zu reißen.

»Sowie die Nachricht vom Untergang des Tyrannen eintrifft, proklamieren Sie den König und entfalten das weiße Banner . . . Sie, Herr de Quercy, stellen sich der Garnison sogleich als Königsleutnant vor: hier, bitte, Ihre Vollmacht . . . Sie, Herr de Pommadère, bemächtigen sich der Präfektur . . . und der Herr de Saint-Aurenc hält sich ans Generalsteueramt . . . So – das also wären die Befehle!«

»Aber könnten wir nun nicht ein bißchen näher erfahren, was da eigentlich geschehen wird?« fragte Quercy.

»Unmöglich! Die ganze Aktion soll bis zum allerletzten Augenblick geheim bleiben, und nur die, die unmittelbar daran beteiligt sind, wissen davon . . . Es wird alles in allem wie ein Donnerschlag kommen! Halten Sie sich also parat, meine Herren, und setzen Sie sich mit unsern Freunden in Avignon und Marseille in Beziehung, daß alles auch wirklich klappt –«

»Soll geschehen!« sprach Saint-Aurenc.

»Verfügen Sie über den nötigen Fonds, um all die Ausgaben zu bestreiten?«

»Gott! das schießen wir eben solange vor. Die ›Gesellschaft Jéhu‹ arbeitet zwar fieberhaft auf allen Straßen bei Grenoble und Dijon; die ›Brüder‹ plündern täglich neue Staatskuriere und legen auf Steuerlasten Beschlag, aber dieses ganze Geld geht nach der Bretagne ab, um Georges' Soldaten zu bezahlen . . .«

»Ist nicht letzthin Herr de Sainte-Hermine bei Bourg verhaftet worden?«

»Eine unangenehme Geschichte – ja . . . Es wurden ein paar Freunde denunziert und sitzen nun hinter Schloß und Riegel, aber wir hauen sie schon wieder heraus, für die soll die Guillotine – weiß Gott – nicht geschaffen sein!«

»Das Schafott ist durch alle die von den unseligen, die es bestiegen, geheiligt worden!« sprach Saint-Régeant. »All unsere Köpfe sind gut genug dafür – wenn wir nur die Revolution niederzwingen! Der eine einzige Bonaparte ist gefährlicher als der ganze Konvent. Der allein hat mehr Zerstörung im Leibe als Danton, Robespierre und Marat zusammen. Georges, Hyde und ich haben ihn bei unserer Audienz nah genug gesehen. Der ganze Mann ist ein fürchterlicher, wahnsinniger Ehrgeiz. Der träumt einen Traum – und wenn er dabei auch über die ganze Menschheit hinweggehen soll. Wenn der Kerl triumphiert, ist die Welt ein Strom von Blut!«

»Also vergießen wir lieber das seinige!«

Da stürzte die Kaufmannsfrau herein. Halb ohnmächtig vor Schreck. »Die Haustür besetzt – die Polizei kommt!«

»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau,« sprach der Marquis de Saint-Aurenc. »Die Herren und ich benützen einen geheimen Ausgang, durch den Wagenschuppen des Nachbarhauses, und sind mit hundert Schritt von hier am Kai. Der Ausgang kann unmöglich besetzt sein, da ihn außer uns niemand kennt . . . Herr de Saint-Régeant aber bleibt bei Ihnen und verläßt Ihr Haus in einer Stunde ungefähr ruhig durch die Ladentür . . .«

Hastige und stumme Händedrücke – und die drei Herren schlichen erst über einen kleinen Hof, dann durch einen Schuppen, und gelangten durch einen Bürstenmacherladen tatsächlich – mit der nötigen Vorsicht – ungehindert auf die Straße. Saint-Régeant aber bemühte sich derweil, die Kaufmannsfrau zu beruhigen. Er stellte ihr vor, daß nur dies gefährlich gewesen wäre, wenn man hier herinnen Saint-Aurenc, Quercy und Pommadère zu gleicher Zeit angetroffen hätte. Wenn jetzt die Polizei käme, könnte doch von keinem politischen Verdacht mehr die Rede sein. Er stände als Bürger Leclerc in anerkannten Handelsbeziehungen mit ihrem Hause – und die sehr verehrte gnädige Frau sei in der Tat noch viel viel hübscher und reizender als es zu dem bißchen Anschein eines kleinen nächtlichen Liebesabenteuers nötig wäre! Und er tätschelte ihre Hand, die eisigkalt vor lauter Angst war, und sagte ihr in scherzhaftem Tone noch manche Artigkeit. Das Frauchen aber hörte ihm gar nicht zu und lauschte zitternd nur auf jedes Geräusch, das etwa von draußen käme. – Eine Stunde ungefähr verging so, und die Befürchtungen der lieben kleinen Frau schienen wirklich übertrieben.

Saint-Aurenc, Pommadère und Quercy waren zweifellos längst in Sicherheit, und nun hielt auch Saint-Régeant den Augenblick für gekommen, sich davonzumachen. Aber nun war's den Lauerern draußen wohl endlich ebenfalls zu lang geworden, denn mit einemmal geschahen wütende Schläge gegen die Tür, und irgendwer rief:

»Aufgemacht!«

»Nur ruhig!« flüsterte Saint-Régeant. »Jetzt geht die Affenkomödie los. Sie tun ganz, als glaubten Sie, Ihr Herr Gemahl käm' unvermutet zurück. Sie parlamentieren erst ein bißchen, und dann öffnen Sie die Tür . . . mittlerweile springe ich zum Fenster hinaus.«

»Aber Sie werden sich was tun!«

»Absolut nicht. Verlassen Sie sich nur auf mich. Kommen Sie, bitte, ins Entresol mit herauf!«

Immer wütender schlug's gegen die Tür, während die beiden ins Zimmer der Dame hinausliefen. – Dort rief das Frauchen aus dem Fenster:

»Wer ist denn da? Bist du's, Männe?«

»Jawohl!« schallte es kühnlich herauf.

»Wahrhaftig! Ich komme sogleich hinunter . . . eine Sekunde nur! Aber daß du auch jetzt zurückkommst . . . ich hätte wahrhaftig nicht gedacht . . .«

»Glaub's wohl!« witzelte der momentane Gatte auch noch.

Einen Augenblick später klirrten die Riegel zurück; die Tür öffnete sich, und im Schein der Lampe, die die Kaufmannsfrau hielt, drängte ungestüm ein Mann herein.

»Aber . . . du bist es ja gar nicht!« schrie das Frauchen auf – genau so wie verabredet. Und – ebenso pünktlich auf die Sekunde – verlosch das Licht.

Währenddem hatte sich Saint-Régeant vom Balkon herabgelassen – und stand mit einem Sprung auf dem Pflaster. Da aber stürzten auch sogleich drei Männer auf ihn zu:

»Da is' er ja!«

»Immer langsam!« sprach Saint-Régeant und versetzte dem ersten eine solche Kopfnuß, daß der nur noch »Papp« sagen konnte – und da lag er auch schon da. Die andern zwei rissen ihre Pistolen heraus und zielten auf den jungen Royalisten. Er sprang auf sie zu:

»Himmelherrgottsakrament! Was ist denn das für eine Wirtschaft?«

Die beiden Schüsse gingen fehl. Dem einen der Kerle nur noch einen Tritt in den Leib – »so! damit keiner zu kurz kommt –!« – und im nämlichen Augenblick war Saint-Régeant bereits auf und davon. – Im Laufen sodann und unter Keuchen:

»Neufmoulin! . . . der die Sache eingebrockt? . . . Nur er wußte, ich geh' heut abend aus! . . . Aber der hatte doch keine Ahnung, wohin ich ging! . . . Einfach reizend, wenn er mir nachschlich! . . . Na, warte, Bürschchen . . . dann rupf' ich ein Hühnchen mit dir! . . . Wenn du dabei warst, bist du noch nicht wieder daheim . . . und dein Zimmer leer! . . . Wenn er aber im Bett ist? Dann ist er absichtlich im Bett geblieben . . . Wollen mal sehen!«

Im »Einhorn« ging er sofort ins Wirtskontor und nahm seinen Schlüssel:

»Ist der Bürger Neufmoulin schon heimgekommen?«

»Der ist überhaupt nicht ausgewesen! Der schläft schon lang!«

»Auch gut!« dachte Saint-Régeant. »Dann sind die beiden unter einer Decke! Aber ich will doch mal selber schauen!«

Er klopfte im ersten Stock bei Neufmoulin an. Keine Antwort. Noch einmal. Eine ganz verschlafene Stimme:

»Wer ist da? Was ist los? Wieviel Uhr ist's?«

»Ich bin's! Leclerc! Es ist erst elf Uhr – und ich wollte Ihnen was sagen!«

Der da drinnen sagte irgendwas. Ging hin und her. Öffnete. Der Bürger Neufmoulin: in gelber Zipfelmütze übers halbe Gesicht – im Hemd – und mit der Kerze in der Hand.

»Kommen Sie herein . . . Was gibt's . . . Aber Sie erlauben doch, daß ich mich erst wieder hinlege –«

Neufmoulin stellte den Leuchter auf den Kamin, so daß das Licht weit vom Bett weg war und er selber fast völlig im Dunkeln:

»Hat das Rendezvous nicht geklappt?«

»Bei Gott nicht! Der Herr Gemahl kam zurück!«

»Der Herr Gemahl?«

»Ja. Im schönsten Moment klopft das Rindvieh an die Haustür. Die Frau natürlich verliert sofort den Kopf und läuft – so wie sie ist – hinunter –«

»Aha! Also befand sie sich doch ganz in der richtigen Verfassung – so wie es sich eben gehört, wenn man aus dem Schlaf geweckt wird!«

»Ich während der Zeit natürlich flugs in die Kleider!«

»Sie also auch! Hähä!«

»Natürlich! Und während der Gatte zur Haustür hereinkommt – ich zum Fenster hinaus! Aber da plötzlich stürzen drei Kerle auf mich zu! Gleich drei – kann ich Ihnen sagen!«

»Vorsichtiger Ehegemahl!«

»Das scheint mir auch! – Ich bin aber fertig mit ihnen geworden . . . sie haben mir nur zwei Kugeln nachgesandt . . .«

»Haben Sie ebenfalls geschossen?«

»Ich werde ihnen den Teufel tun! Daß mir die Polizei auf den Hals kommt! Na, so dumm . . .! – Den einen schlug ich mit der Faust nieder, der andere bekam einen Bauchtritt . . . wie meinen Sie?«

»Verflucht nochmal! Sind Sie aber auch ganz sicher, daß es der Gatte war?«

»Na, wer denn sonst?«

»Wenn's nun . . . die Polizei gewesen wäre?«

»Die Polizei? Was geht mich die Polizei an!«

»Aber ich hab's Ihnen doch gestern am Abend noch gesagt! Und . . . na nu haben wir bereits die Bescherung! – Jetzt aber heißt's sich aus dem Staube machen! Sie dahin, und ich dorthin. Wir sind hier keine Sekunde mehr sicher. Man hat Ihnen eine Falle gestellt und Sie sind richtig hineingegangen. Wenn's der Gatte wirklich war, so war er im Bund mit dem Kommissär. Wir müssen verduften, Leclerc, solang's noch Zeit ist!«

»Verduften Sie, meinetwegen, wohin Sie wollen. Ich hab' nichts zu befürchten, zum Donnerwetter. Übrigens lass' ich meine Geschäfte nicht im Stich. Fällt mir gar nicht ein. Ich bleibe!«

»Und ich? ich verzieh' mich morgen in aller Frühe! Ich sag' Ihnen gleich jetzt Adieu, mein lieber Freund, und ich werde Sie auch niemals nie vergessen, glauben Sie mir, so gern mag ich Sie . . . Wenn Sie übrigens wieder in Paris sind und mich vielleicht mal wiedersehen möchten – ich bin allabendlich um fünf im ›Türkischen Diwan‹ zu treffen.«

»Adieu also! Und lassen Sie sich's gut gehn!«

Sie gaben sich die Hand; danach ging Saint-Régeant in sein Zimmer, legte sich nieder und schlief ein. Furcht kannte er ja nicht. Desto sorgenvoller warf sich der sogenannte Neufmoulin auf seinem Strohsack hin und her. So'n Jüngelchen, weiß Gott, kann einem zu schaffen machen. Das ist gar nicht so leicht. Nun frag' ich mich schon bald: ist der wirklich um zu konspirieren hier – oder aber wahrhaftig nur in Geschäften? Da ist nicht das kleinste Indizium, aber auch nicht der mindeste Beweis! Dabei sprechen doch tausend Wahrscheinlichkeitsgründe gegen ihn! Erstens ist er unter falschem Namen, zweitens ist er Royalist, und drittens war er mit Georges und Hyde als Delegierter beim Ersten Konsul. Warum nennt er sich denn Victor Leclerc, wenn er tatsächlich nicht konspiriert? Aus Liebe? Rein aus süßer, süßer Liebe? Nur um den Mußjöh Lerebourg zu täuschen und mit dessen Weibchen schnäbeln zu können? Ja? Ja? Das würde mir zu einer jeden andern Zeit einleuchten – nur heute und überhaupt in diesen Tagen nicht. In diesem Trubel von Intrigen und Komplotts. Da ist derlei einfach ausgeschlossen. Also konspiriert er doch, der hohe Herr Saint-Régeant, und ist eigens hiehergereist, um sich mit den Royalistenhäuptern des Südens zu verständigen. Also muß ich mich jetzt auch von ihm trennen. Denn ich krieg' ja doch nichts aus ihm heraus. Er traut mir nun mal nicht. Die Räubergeschichte, die er mir da soeben erzählt hat – und zwar brühwarm! – – der Junge ist auch sonst ein wahres Genie. Und ich kann nur von Glück reden, daß ich ja rechtzeitig wieder nach Hause gelaufen bin, sonst – wenn ich vorhin nicht dagewesen wär'! – – wär' der imstande gewesen und hätt' mich sozusagen in flagranti ertappt! Donnerwetter noch eins, ja – mit so einem brillanten Partner ist's eine wahre Lust! Aber nu schlaf', Bürger Neufmoulin – bis morgen . . .

Er schloß die Tür ab. Legte sich wieder hin. Blies die Kerze aus und schlief ein. – Den andern Morgen um sechs schon bezahlte er seine Rechnung und verließ den Gasthof »Zum Einhorn«. Aber auf nicht allzulang. Noch am selben Abend war er als Hausknecht wieder da. Es hatte mittags plötzlich einen Streit gegeben, und der Herr Gasthof hatte seinen eigenen bisherigen Hinausschmeißer hinausgeschmissen und am selben Abend noch einen andern Hans'l eingestellt. Aus der Normandie war der; ein ziemlich vierschrötiger Kerl; und von einer sehr schleppenden Sprechweise. Und Hippolyte hieß er. Er war auch sogleich Saint-Régeant untergekommen. Der junge Saint-Régeant nämlich hatte einfach auf alles einen Verdacht, und wenn's auch nur ein neuer ›Friedrich‹ war. Der neue Friedrich fegte gerade den Korridor; nicht sehr eilig zwar, aber mit um so mehr Hingebung und wie in die Arbeit völlig versunken – so daß Saint-Régeant meinen mußte, ihn desto unauffälliger beobachten zu können. Ein dicker, pausbäckiger, strohblonder Bursche, mit von lauter Ziderwein verdorbenen Zähnen und mit ganzen Büscheln Haaren in den Ohrlöchern. Als ihn Saint-Régeant etwas fragte, antwortete er im reinsten Yvetoter Akzent und mit echten normannischen Redewendungen. Er schien ein vollkommener Trottel – und jedenfalls war keine Spur von allem früheren Neufmoulin wiederzuerkennen! Er war übrigens fast einen halben Kopf größer und vollends der Klang der Stimme war wie Tag und Nacht. – Was Saint-Régeant aber anbetraf, so war der noch intensiver Victor Leclerc als je. Klapperte – noch tausendmal vorsichtiger geworden – alle möglichen Fabriken und Kaufläden ab, und sein Zimmer war bald ein einziger Musterkoffer.

Er schrieb an Lerebourg, und Hippolyte sollte den Brief zur Post tragen. Der treue Diener machte ihn natürlich auf und befand den Inhalt so harmlos und uninteressant wie möglich. Das ganze Schreiben handelte von überhaupt nichts als einigen glücklichen Einkäufen, daß die Fabriken langsam ihren Betrieb wieder aufnähmen und Schreiber selbst nächste Woche wieder nach Paris zurückkäme. Kurz und gut – wenn Hippolyte, ohne sich irgendwie verdächtig zu machen, seine Hausdienerstelle sogleich wieder hätte aufgeben können, wär' er mit der nächsten Post auf und davon gefahren, um nur vor Saint-Régeant wieder in der Hauptstadt zu sein. Er war hier reineweg überflüssig; zu dem bißchen Überwachungsdienst in bezug auf Leclerc genügte die Lyoner Polizei doch vollständig. Und Neufmoulin-Braconneau mopste sich elendiglich in seiner Hippolyte-Albinoperücke und in seinen Hausknechtspantinen, die richtige Kothurne waren.

Er entwarf Plan über Plan, wie er diesen Saint-Régeant doch noch in flagranti ertappen konnte. Das heißt – wenn sie erst wieder in Paris wären. Das eine war ihm nun wenigstens klar: der Junge intrigierte politisch. Nur – er verfiel manches Mal in eine gelinde Raserei, wenn er sich vorstellte, daß er – Braconneau – trotz allem und jedem bei diesem Saint-Régeant nicht um einen Schritt vorwärts kam. Er hatte alles nur Erdenkliche vor seinem Gegner voraus, und dennoch und dennoch nützte es ihm nichts. Seit ihrem allerersten Renkonter damals im Gasthof »Zum schwarzen Roß« – war es nicht, als ob der junge Mann ihn geradezu an der Nase herumführte?

Ihn – den sonst so gefürchteten fürchterlichen Braconneau! – Das griff allmählich sehr an sein Heiligstes: an seine Berufsehre! – Na, und was würde sein Chef dazu sagen, wenn er derart mit leeren Händen zurückkam? Er kannte seinen Fouché als brutal, egoistisch, unnachsichtlich und jederzeit unerbittlich genug, einen Agenten, der nichts ausrichtete, einfach fallen zu lassen. Und zwar derart fallen zu lassen, daß ihm das Wiederaufstehen ganz gründlich verging. Entweder ins Kerkerloch auf Lebenszeit oder in eine so heikle Angelegenheit hinein, daß man das Wiederkommen vergaß. Man war ja um Agenten nie verlegen und rehabilitiert wurde noch niemals einer. Ob einer von vielen verschwand oder nicht, danach fragte keine Katze . . . und also ging's Braconneau nicht nur um seine Berufsehre, sondern schlechtweg um seine Existenz!

Indes, im letzten Augenblick machte er doch noch einen unverhofften guten Fund. Leclerc hatte zu übermorgen bereits sein Zimmer abbestellt, da kam ein Brief für ihn an. Aus Paris. Von Lerebourg. (Hippolyte las ihn natürlich zu allererst!) Geschäftliches über Geschäftliches; ein paar neue Kommissionen noch; also eigentlich durchaus nichts von Belang für den Geheimpolizisten. Wenn da nicht eine kleine zierliche Nachschrift gewesen wäre! Das Ganze sah so aus, als ob der ewig ahnungslose Lerebourg sein Frauchen damit betraut hätte, den Brief zu kuvertieren; und diese Gelegenheit hatte Emilie selbstverständlich benutzt – und so las der Polizeispitzel nun mit ungemischter Freude – denn da lag für ihn der Hund begraben! –:

»Ich hab' seit Deiner Abreise unaufhörlich an Dich denken müssen, und wenn ich Dich ja einmal einen Herzschlag lang vergessen hätte, so hätte mich mein Gatte neu an Dich erinnert, denn der spricht überhaupt nur noch von Deiner Reise und was er für sich alles davon erwartet. Ich aber erwarte – nur Dich, nur Dich! Komm! komm! komm wieder! wenn Du bloß ein wenig lieb hast

Deine Emilie.«

»Also er liebt und wird wieder geliebt!« Hippolyte jauchzte noch viel mehr, als wenn der Brief . . . geradeaus an ihn selber gewesen wäre. »Wenn ein Verschwörer eine Geliebte hat, dann ist er schon erschossen! Nun halt' ich den Mann, nachdem ihn die hübsche Madame Lerebourg hält! Was der Schatz für die liebende Emilie – so unbezahlbar werd' ich für meinen geliebten Fouché sein!«

Und er brachte die Siegel fein wieder in Ordnung und legte den Brief auf den Tisch im Zimmer des Reisenden. Zwei Tage später reiste Victor Leclerc richtig ab und drückte Hippolyte, der ihm die Sachen heruntergeschafft hatte, ein königliches Geldstück in die Hand. Gleich darauf verwandelte sich der Hausknecht wieder in Braconneau – und wenn er auch selber zugeben mußte, daß er ein äußerst gewagtes Spiel spielte, so verfügte er sich nichtsdestoweniger schnurstracks . . . in das Palais des Marquis de Pommadère und verlangte den hohen Herrn zu sprechen. Man führte ihn in ein kleines alteichengetäfeltes Sprechzimmer, wo der Edelmann für gewöhnlich seine Lieferanten abzufertigen pflegte; Braconneau betrachtete eifrig die Familienporträts an den Wänden, drehte sich erst auf ein wiederholtes vielsagendes »Hm – hm!« des Herrn Marquis um, verneigte sich tief und sprach in sehr ehrfürchtigem Ton:

»Verzeihen der Herr Marquis, aber mich schickt der Herr Victor Leclerc . . .«

Herr de Pommadère reckte die Nase in die Höhe und sah nach der Zimmerdecke, als ob er dort seinen Bekanntenkreis aufgeschrieben hätte. Dann tat er höchst erstaunt:

»Victor Leclerc? Kenn' ich nicht! Was is 'n das für 'n Kerl?«

»Vielleicht erinnern sich der Herr Marquis eher, wenn ich Herrn Marquis sage: der Herr Victor Leclerc ist der Herr de Saint-Régeant . . .«

»Saint-Régeant? Saint-Régeant? Warten Se mal 'n Momentchen, ja? . . . Saint-Régeant . . . Bretagne . . . vorzüglicher Adel . . . da um Quimper herum . . . nee, mein verehrter Herr, ich kenne weder 'n einen noch 'n andern . . . Wo is er denn?«

»Er war in diesen Tagen hier in Lyon. Und er hat mich beauftragt, dem Herrn Marquis an seiner Statt das lebhafte Bedauern darüber auszudrücken, daß er selber abreisen mußte, ohne den Herrn Marquis noch mal getroffen zu haben . . . Es war wegen eines kleinen nächtlichen Abenteuers vor ein paar Tagen . . .«

»Ja aber, mein sehr verehrter Herr, alles was Sie mir da sagen, is 'n höchst spanisches Dorf für mich! 'n Abenteuer, meinen Sie? Ja, von mir aus kann der Herr der Held von sieben Abenteuern gewesen sein, bloß – ich hab' an demselbigen Abend wahrscheinlich in meinem Bett gelegen und weiß von nischt! – Sind Sie sich denn auch absolut sicher, daß man sich da mit Ihnen nich' 'n recht billigen Scherz geleistet hat?«

»Absolut sicher!«

»Oder . . . sagen Se mal, wollen vielleicht Sie mich damit zum Narren halten?«

»Aber Herr Marquis – wie dürfte ich so etwas wagen!«

»Das möchte ich Ihnen nämlich auch dringend geraten haben! Sonst dürften Sie ziemlich an die verkehrte Adresse geraten sein!«

Mit diesen Worten trat der Marquis auf Braconneau zu: hochaufgerichtet, mit Blicken wie Schwerter, und die Fäuste geballt; also, daß es der Polizeiagent für geraten hielt, eiligst zu retirieren. Er hatte vorhin schon in der Vorhalle etwas wie einen Lakaien gesehen, der zu keiner Tür recht hereinging, und wenn solche Dienerschaft von solch alten Familien mal wild wird, dann wird's meistens eklig. Er verneigte sich demnach ein bißchen unvermittelt:

»Es sollte mir unendlich leid tun, wenn ich den Herrn Marquis auch nur im geringsten . . . Der Herr Marquis wollen um Gottes willen nicht glauben . . . Ich bin des Herrn Marquis allzeit ergebenster –«

»Adieu, Sie! Und wenn Sie Ihren famosen Leclerc treffen, dann sagen Sie ihm, er möcht' mal zu mir kommen – dann kriegt er von mir 'n paar hinter die Ohren –«

Und der Marquis schlug ihm die Tür vor der Nase zu. – Braconneau aber zog ab, mit dem dümmsten Gesicht von der Welt:

»Verflucht nochmal – die Kerle haben's in sich! Von denen kann eigentlich unsereins immer noch was lernen! – Übrigens ist das das aufgelegte Komplizentum! Das ist ja der Hochsitz aller Reaktion! Hier muß Fouché wirklich noch ganz andere Saiten aufziehen!«

Braconneau kehrte in den Gasthof zurück. Den andern Tag bereits nahm er die Post nach Chalon.

 


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