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5. Neue Rätsel

Die von dem Kriminalkommissar unter Assistenz seines untergebenen Begleiters vorgenommenen Nachforschungen hatten sich nicht nur auf sämtliche Räume des unteren Stockwerks, sondern auch auf den Garten ausgedehnt, der sich in einer Länge von etwa dreißig Metern bis zum Flußufer hin erstreckte. Die steil abfallende, mit Granitquadern befestigte Böschung des wegen seiner starken Strömung auch in diesem Winter eisfrei gebliebenen Flusses mochte eine Höhe von ungefähr zwei Metern haben, und sie war in der Länge des Gartens mit einer Balustrade aus Backsteinen eingefaßt, die ungefähr bis zur Brusthöhe eines erwachsenen Menschen reichte. Der Beamte, der bei seiner Besichtigung des Terrains mit außerordentlicher Gründlichkeit verfuhr, hatte an Margot, die seine Führerin machte, noch eine Menge von Fragen gerichtet, die sich zum Teil auf die örtlichen Verhältnisse und zum Teil auf die Gewohnheiten des Rechtsanwalts bezogen. Wenn ihm bei seinen Nachforschungen irgend etwas Verdächtiges aufgefallen war, so hatte er sich darüber jedenfalls nicht geäußert, und er war in der Kundgabe einer eigenen Meinung überhaupt so zurückhaltend gewesen, daß er schließlich Margots Ungeduld reizte.

Aber er ließ sich auch durch die Aeußerungen dieser Ungeduld nicht aus seiner Verschlossenheit herauslocken, und er brachte es zuletzt sogar dahin, sie ernstlich zu verletzen.

Während sie eben an der Brustwehr des Flusses standen, trat nämlich im vollen Schmuck seiner vielen Ehrenzeichen und seiner Militärmütze, die er um keinen Preis mit einer anderen Kopfbedeckung vertauscht hätte, der Pförtner Deibler auf sie zu, um mit soldatischer Straffheit vor dem Kriminalkommissar wie vor einem Vorgesetzten Front zu machen.

»Ich melde mich zur Stelle: Pförtner Karl Deibler. Als vorhin nach mir geschickt wurde, war ich durch einen Ausgang für die Frau Landgerichtsdirektor dienstlich am sofortigen Erscheinen verhindert.«

Da war es, wo der Kommissar Margot beleidigte, indem er sagte:

»Schön, daß Sie wenigstens jetzt da sind, Herr Deibler! – Ich danke Ihnen, mein Fräulein! Und ich brauche Sie jetzt nicht weiter zu bemühen, als damit, daß Sie mir freundlichst ein Zimmer anweisen wollen, in welchem ich die Befragung der übrigen Hausgenossen bewirken kann, ohne gestört zu werden.«

»Ich wäre also entlassen?« fragte sie. »Und es soll mir nicht gestattet sein, zu hören, was Herr Deibler etwa zu sagen hat?«

»Meine Instruktion verlangt, daß ich solche Befragungen unter vier Augen vornehme,« erwiderte der Beamte gelassen. »Vielleicht darf ich das Wartezimmer dazu benutzen.«

»Bitte – es ist zu Ihrer Verfügung. Sie kennen ja nun den Weg.«

Sie wandte sich kurz um und ging wieder in die Privatwohnung hinauf, um nach Herta zu sehen. Der Kommissar aber ersuchte den Pförtner, ihn in das Wartezimmer zu begleiten, während er den Schutzmann mit einem im Flüsterton erteilten Auftrage fortschickte.

Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, wandte sich der Beamte an den wieder in dienstlicher Strammheit vor ihm Stehenden:

»Sie wissen, um was es sich handelt, Herr Deibler! Der Rechtsanwalt Dr. Leonhardt scheint plötzlich verschwunden, und seine Angehörigen befürchten, daß er das Opfer eines Unfalls oder eines Verbrechens geworden sei. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß der Rechtsanwalt von einem gestern abend unternommenen Ausgang zu später Stunde nach Hause zurückgekehrt sei und sich noch in seinem Arbeitszimmer zu schaffen gemacht habe. Seine Privatwohnung aber hat er anscheinend nicht mehr betreten, und es ist bis jetzt ungewiß, ob er sich wieder entfernt hat, oder ob ihm hier im Hause etwas zugestoßen ist. Da nun die Bewachung des Hauses zu Ihren Obliegenheiten gehört, möchte ich von Ihnen erfahren, ob Sie irgend welche Wahrnehmungen gemacht haben, die sich mit den erwähnten Vorgängen in Verbindung bringen ließen!«

»Zu Befehl, Herr Kommissar! Ich habe schon mit meiner Frau und meiner Tochter über die Sache gesprochen. Und wenn es mir erlaubt ist, einen zusammenhängenden Rapport zu erstatten – –«

»Darum bitte ich Sie ja eben, Herr Deibler!«

»Also: Der Herr Rechtsanwalt ist um elf Uhr nach Hause gekommen, und ich glaube mit Bestimmtheit versichern zu können, daß er nicht wieder fortgegangen ist. Denn mein Bett wird des Abends direkt neben dem Fenster der Pförtnerloge aufgeschlagen, und ich habe einen so leisen Schlaf, daß ich von dem allerkleinsten Geräusch aufwache. Das Haustürschloß geht sehr schwer, und die Tür macht beim Oeffnen soviel Lärm, daß ich bisher immer davon geweckt worden bin.«

»Aber selbst wenn Sie geweckt worden wären, hätten Sie doch wohl in der Dunkelheit nicht erkennen können, wer das Haus verließ.«

»Mit Erlaubnis, Herr Kommissar, das ist ein Irrtum. Eine von den elektrischen Lampen brennt im Torweg die ganze Nacht hindurch, und ich brauche mich nicht einmal im Bette aufzurichten, um durch das Guckfenster den ganzen Torweg zu übersehen.«

»Woher wissen Sie so bestimmt, daß es gerade elf Uhr war, als der Rechtsanwalt nach Hause kam?«

»Weil ich immer Schlag elf zu Bett gehe, und weil ich eben anfangen wollte, mich auszukleiden, als ich ihn hörte.«

»Und Sie können sich dabei nicht vielleicht in der Person getäuscht haben?«

»Ausgeschlossen, Herr Kommissar! Ich bin ja selber hinausgegangen, ihm zu öffnen.«

»Tun Sie das immer, wenn einer der Hausbewohner in der Nacht nach Hause kommt?«

»Nein! Die Herrschaften sind ja alle mit Hausschlüsseln versehen, und ich werde nur herausgeklingelt, wenn mal einer seinen vergessen hat. Aber ich hörte, daß der Herr Doktor mit dem Oeffnen nicht recht zustande kam, wahrscheinlich, weil er nicht gleich den richtigen Schlüssel an seinem Bund finden konnte und erst einen falschen probierte. Da ging ich denn hinaus und schloß von drinnen auf.«

»Und Sie erkannten in dem Eintretenden mit aller Bestimmtheit den Herrn Rechtsanwalt Leonhardt?«

»Ich würde es doch sonst nicht behaupten, Herr Kommissar! Schon durch das Straßenfenster meiner Loge hatte ich ihn an seinem Pelz erkannt. Und dann habe ich auch noch ein paar Worte mit ihm gesprochen.«

»Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie mit ihm gesprochen haben?«

»Ach, was man so aus Höflichkeit sagt. – Ich meinte, es wäre sehr kalt geworden, und wir würden nun wohl endlich den Schnee bekommen, der den ganzen Winter habe auf sich warten lassen. Dann wünschte ich dem Herrn Doktor eine wohlschlafende Nacht, schloß die Tür zu und ging wieder in meine Loge hinunter.«

»In dieser Hinsicht wäre also ein Irrtum auf Ihrer Seite unmöglich? Gut! Was haben Sie nun seit dem gestrigen Abend noch weiter wahrgenommen?«

»Eigentlich nichts besonderes, Herr Kommissar.«

»Die Kanzlei des Rechtsanwalts befindet sich unmittelbar über Ihrer Wohnung. Hätten Sie es nicht hören müssen, wenn sich dort etwas Außergewöhnliches zugetragen hätte?«

»Das Haus ist sehr stark gebaut, Herr Kommissar, und im Kabinett des Herrn Rechtsanwalts liegt ein dicker Teppich. Aber einen Hilferuf, oder wenn einer zu Boden gestürzt wäre, das würde ich doch wohl sicherlich gehört haben.«

»Der Bureauvorsteher Nenntwig hat der Vermutung Ausdruck gegeben, daß sich jemand in der Kanzlei eingeschlichen und da die Rückkehr des Rechtsanwalts abgewartet haben könnte. Ist Ihnen, solange Sie sich auf Ihrem Posten befanden, eine Persönlichkeit aufgefallen, die für einen derartigen Verdacht in Frage kommen könnte? Ich meine, ob Sie jemanden in das Haus eintreten und nicht wieder fortgehen sahen?«

Der Pförtner dachte nach, dann schüttelte er den Kopf.

»Nein, Herr Kommissar! Wer vor meinen Augen hereingekommen ist, der ist auch vor meinen Augen wieder hinausgegangen. Der letzte war der Herr mit dem schwarzen Schnurrbart, den ich um Mitternacht fortgehen sah.«

»Was für ein Herr ist denn das gewesen? War er Ihnen bekannt?«

»Nur vom Aussehen, Herr Kommissar – und das auch erst seit gestern vormittag, wo er mich nach der Kanzlei des Herrn Rechtsanwalts fragte. Aber die Herrschaften oben werden Ihnen wohl sagen können, wer er gewesen ist. Fräulein Rogall schien ihn doch sehr gut zu kennen.«

»Ein Bekannter des Fräulein Rogall also – der Dame, in deren Gesellschaft Sie mich draußen im Garten gefunden? Und Sie sagen, daß er erst um Mitternacht das Haus verlassen habe?«

»Jawohl! – So um neun herum war er gekommen, und als ich aus dem ersten Schlaf erwachte, weil ich jemanden durch den Torweg gehen hörte, zeigte meine Uhr auf fünf oder sechs Minuten vor zwölf. Ich spähte hinaus und erkannte den Herrn mit dem schwarzen Schnurrbart. Das Fräulein oder die Frau Rechtsanwalt hatte ihm jedenfalls einen Hausschlüssel mitgegeben, denn er schloß sich die Haustür selbst auf und hat sie dann hinter sich wieder zugesperrt.«

Der Kommissar erinnerte sich mit voller Bestimmtheit einer Mitteilung Margots, daß sie selbst und die Gattin des Rechtsanwalts schon vor zehn Uhr schlafen gegangen seien, aber er verriet dem Pförtner durch keine Aeußerung des Befremdens, daß seine Aussage in offenbarem Widerspruch zu jener Angabe stände.

»Sie sagen, der betreffende Herr sei schon am Vormittag dagewesen und habe sich nach der Kanzlei des Dr. Leonhardt erkundigt. Was brachte Sie denn da auf die Vermutung, daß er ein guter Bekannter des Fräulein Rogall sein müsse?«

Ueber das Gesicht des Herrn Deibler ging ein etwas verlegenes Lächeln.

»Mit Erlaubnis, Herr Kommissar, das kam so: Der Herr hatte nach der Kanzlei gefragt und war auch in die offene Tür hineingegangen, die vom Treppenhaus aus zu den Bureauräumen führt. Aber als ich dann eine gute Weile später im Garten zu tun hatte, sah ich ihn aus dem hinteren Torweg heraustreten. Und fast in demselben Augenblick kam auch schon das Fräulein aus dem Wintergarten. Sie sprachen ein paar Worte miteinander, und dann gingen sie beide in den Wintergarten hinein.«

»Um neun Uhr abends ist der Herr dann noch einmal im Hause erschienen?«

»Ja. – Ich öffnete ihm auf sein Klingeln mittels der pneumatischen Vorrichtung von meiner Loge aus die Tür und fragte ihn nicht erst, wohin er wolle, weil ich ja nun schon wußte, daß er ein Bekannter der Herrschaften war.«

»Und auch, als er sich – wie Sie sagen – um Mitternacht entfernte, vermochten Sie ihn mit Bestimmtheit wiederzuerkennen?«

»Natürlich, Herr Kommissar! Ich sehe mir jeden, der hier ins Haus kommt, sehr genau an, und ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Gesichter.«

»Seit wann ist Fräulein Rogall die Hausgenossin des Rechtsanwalts?«

»Ganz genau kann ich das nicht sagen. Aber ein paar Monate sind es gewiß schon.«

»Sie bezeichnete sich mir gegenüber als die Gesellschafterin der Frau Dr. Leonhardt.«

»Na, eigentlich ist sie wohl mehr ihre Freundin. Sie duzen sich ja. Und auf dem Anmeldezettel, der ordnungsgemäß durch meine Hände gehen mußte, war sie als Generalstochter bezeichnet. So vornehme Damen gehen doch nicht als Gesellschafterinnen.«

»Hatte die Dame öfter derartige Besuche, wie den gestrigen?«

»Nicht, daß ich wüßte, Herr Kommissar.«

Noch ein paar weitere Fragen, und der Pförtner war vorläufig entlassen. Der Kriminalschutzmann aber öffnete die in das Schreibzimmer führende Verbindungstür und bat den Bureauvorsteher noch einmal zu sich herein.

»Erinnern Sie sich, gestern vormittag hier einen Herrn mit schwarzem oder dunklem Schnurrbart gesehen zu haben, von dem der Pförtner nach der Kanzlei des Rechtsanwalts befragt sein will?«

»Ja,« erklärte der Gefragte nach kurzem Besinnen. »Das kann nur der Architekt gewesen sein, der eine Zeitlang auf das Erscheinen meines Chefs wartete, und mit dem der Herr Doktor dann einen sehr heftigen Wortwechsel hatte.«

»Einen Wortwechsel, dessen Zeuge Sie waren?«

Der junge Mann schien zu bedauern, daß er sich zu einer so unüberlegten Aeußerung hatte hinreißen lassen.

»Nein,« meinte er zögernd. »Die Unterredung zwischen den beiden Herren fand im Kabinett des Herrn Doktors statt, und nur aus den lauten Stimmen, die durch die geschlossene Tür zu uns herausdrangen, folgerten wir, daß sie in Streit geraten sein müßten. Nachher, als der Herr fortgegangen war, gab der Rechtsanwalt dann auch den Befehl, ihn nicht wieder vorzulassen, wenn er etwa noch einmal kommen sollte.«

»Sie nannten ihn einen Architekten. So wissen Sie vielleicht auch seinen Namen?«

»Er hatte beim Eintritt eine Visitenkarte abgegeben, und auf der stand: Theodor Neuhoff, Architekt.«

»Gehörte er zu den Klienten Ihres Chefs?«

»Nein, wir haben keine Sache unter diesem Rubrum, Herr Kommissar!«

»Und Sie haben auch sonst keine Vermutung über den Zweck seines Besuches?«

»Nein!«

»Wollen Sie mir das Aussehen des Mannes etwas näher beschreiben?«

Der Bureauvorsteher bemühte sich, ein Bild von der äußeren Erscheinung Neuhoffs zu geben, so wie er es sich eben ins Gedächtnis zurückzurufen vermochte. Etwas weiteres über seine Person und über seine Beziehungen zu dem Ehepaar Leonhardt oder zu dem Fräulein Margot Rogall aber konnte er nicht bekunden. Sie waren noch im Gespräch, als bescheiden an die Tür des Wartezimmers geklopft wurde und als sich der Pförtner Deibler noch einmal meldete. Er entschuldigte sich umständlich wegen der Störung, aber er habe es für seine Pflicht gehalten, dem Herrn Kommissar eine Mitteilung weiterzugeben, die ihm soeben gemacht worden sei. Er habe die Angelegenheit, die ja für alle Hausbewohner ein so außerordentliches Interesse habe, noch einmal mit seinen weiblichen Angehörigen durchgesprochen, und da sei seine Tochter mit einer Wahrnehmung herausgekommen, von der ihr schon am frühen Morgen das Dienstmädchen der Frau Landgerichtsdirektor oben im zweiten Stock erzählt hatte.

Das Mädchen war am verflossenen Abend um die neunte Stunde in den Garten hinuntergegangen, um den kleinen Hund ihrer Herrin spazieren zu führen, und da wollte sie gesehen haben, daß ein feingekleideter Herr, den sie noch nie vorher hier bemerkt hatte, in den Garten gekommen sei und an die Glastür geklopft habe, die in den Wintergarten des Herrn Dr. Leonhardt führt. Irgend jemand habe dann die Tür von drinnen aufgemacht, der Herr sei hineingegangen, und während der halben Stunde, die sie noch mit dem Hunde unten zugebracht, nicht wieder zum Vorschein gekommen. Nach der Beschreibung aber könnte dieser Fremde kein anderer gewesen sein, als der Herr mit dem schwarzen Schnurrbart, den Deibler um Mitternacht hatte das Haus verlassen sehen.

Der Kommissar dankte dem Pförtner für seine Mitteilung, ohne anzudeuten, ob er ihr irgend welche Wichtigkeit beilege. Aber er verabschiedete, nachdem Deibler gegangen war, auch den Bureauvorsteher und begab sich in das erste Stockwerk hinauf. Ein verstört und aufgeregt aussehendes junges Dienstmädchen öffnete ihm auf sein Klingeln und nötigte ihn, nachdem er seinen Namen genannt und den Wunsch ausgedrückt hatte, die Dame des Hauses zu sprechen, in den luxuriös ausgestatteten Salon. Die aber, die zwei Minuten später dort zu ihm eintrat, war nicht die Gattin des vermißten Rechtsanwalts, sondern Fräulein Margot Rogall.

»Ich muß für Frau Dr. Leonhardt um Entschuldigung bitten,« sagte sie, »aber es ist vollkommen unmöglich, sie jetzt mit aufregenden Fragen zu quälen. Sie hatte vorhin, als ich heraufkam, einen heftigen Weinkrampf, und es ist mir eben nach vielem Bemühen gelungen, sie durch ein Beruhigungsmittel einzuschläfern. Sie jetzt zu wecken, wäre eine Grausamkeit, für die ich die Verantwortung nicht auf mich nehmen kann – und es wäre überdies ein zweckloses Verfahren, denn sie vermag Ihnen nicht mehr zu sagen, als Sie auch von mir erfahren könnten.«

»Ich weiß nicht, mein Fräulein, wie lange sich eine Befragung der Frau Rechtsanwalt wird umgehen lassen. Zunächst möchte ich allerdings auch Sie noch um einige Auskünfte bitten. Kennen Sie einen Architekten Theodor Neuhoff?«

Sie fühlte den scharfen, beobachtenden Blick, den er bei dieser Frage auf sie richtete, und das Blut stieg ihr ins Gesicht.

»Darf ich erfahren, inwiefern das für Sie von Interesse sein kann, mein Herr?«

»Die amtliche Eigenschaft, in der ich mich hier befinde, schützt mich wohl hinlänglich vor dem Verdacht müßiger Neugier. Es würde zu weit führen, mein Fräulein, wenn ich für jede meiner Fragen durch umständliche Begründung Zweck und Berechtigung nachweisen sollte.«

Margot klemmte für einen Moment die Unterlippe zwischen die Zähne, dann sagte sie kurz und hochmütig:

»Ja, der Herr, dessen Namen Sie soeben nannten, ist mir bekannt.«

»Sie können mir darnach jedenfalls auch mitteilen, welcher Art seine Beziehungen zu dem Dr. Leonhardt gewesen sind?«

»Nein, davon weiß ich nichts.«

»Auch nichts über die Ursache eines Streites, der nach Aussage des Kanzleipersonals am gestrigen Vormittag zwischen den beiden Herren stattgefunden haben soll?«

»Nein.«

»Darf ich fragen, Fräulein Rogall, wann Sie den Architekten zuletzt gesehen und gesprochen haben?«

Margot zögerte mit der Antwort, und ihre Stimme hatte den hochfahrenden Klang verloren, als sie endlich erwiderte:

»Am gestrigen Vormittag.«

»Der Besuch, den Herr Neuhoff noch zu später Abendstunde hier im Hause abgestattet hat, er hätte demnach nicht Ihnen gegolten, mein Fräulein?«

Margots Wangen brannten, und ihre Augen blitzten in ehrlichster Entrüstung.

»Ah, das geht zu weit! Es scheint ja, daß ich hier von Spionen umgeben bin. Aber ehe ich Ihnen auf irgend eine Ihrer weiteren Fragen Antwort gebe, Herr Kommissar, verlange ich jetzt mit aller Entschiedenheit zu wissen, was die Persönlichkeit des Herrn Neuhoff mit Ihrem dienstlichen Auftrage zu schaffen hat.«

»Er ist allem Anschein nach der einzige, der für die Annahme, daß Dr. Leonhardt nach seiner Heimkehr noch eine Begegnung gehabt hat, in Betracht kommen könnte. Denn während der Rechtsanwalt um elf Uhr zurückgekommen ist, hat dieser Herr Neuhoff das Haus erst gegen Mitternacht verlassen.«

»Das ist nicht wahr!«

»Der Pförtner, der sich den Mann sehr genau angesehen haben will, behauptet es mit aller Bestimmtheit.«

»Und doch wiederhole ich: Es ist nicht wahr! Herr Neuhoff hat sich schon vor zehn Uhr wieder entfernt.«

»Sie sind dessen ganz sicher, mein Fräulein?«

»So sicher, daß ich bereit sein würde, es zu beschwören.«

»Das Haus wird, wie ich gehört habe, um zehn Uhr von innen verschlossen. Um es zu einer späteren Zeit verlassen zu können, hätte sich Herr Neuhoff im Besitz eines Schlüssels befinden müssen. – Ist Ihnen bekannt, ob er über einen solchen verfügte?«

»Es wird wahrhaftig immer besser! Vielleicht verdächtigt man mich schließlich noch, ihn mit einem Hausschlüssel ausgerüstet zu haben.«

»Es handelt sich nicht um eine Verdächtigung, sondern um eine einfache Frage. Und ich habe nicht vorausgesetzt, daß er den Schlüssel unbedingt von Ihnen erhalten haben müßte.«

»Nein – er besaß keinen – dafür kann ich jede Bürgschaft übernehmen.«

»Man will beobachtet haben, daß Herr Neuhoff bei seinem abendlichen Besuch nicht in die Privatwohnung hinaufgegangen sei, sondern sich durch den hinteren Ausgang des Torwegs direkt in den Wintergarten begeben habe. Können Sie mir sagen, mein Fräulein, ob diese Wahrnehmung den Tatsachen entspricht?«

Margot warf den Kopf zurück und maß den indiskreten Beamten mit einem funkelnden Blick.

»Ja – sie entspricht den Tatsachen. Herr Theodor Neuhoff ist einer meiner ältesten Freunde, und wir hatten eine wichtige persönliche Angelegenheit miteinander zu besprechen. Da es ihm aus triftigen Gründen nicht möglich war, mich oben in der Privatwohnung des Dr. Leonhardt aufzusuchen, hatten wir am Vormittag verabredet, daß ich ihn um neun Uhr abends im Wintergarten erwarten würde. Unsere Unterredung währte bis gegen zehn Uhr. Die Behauptung, daß Herr Neuhoff das Haus erst gegen Mitternacht verlassen habe, ist also ein Irrtum oder eine Lüge.«

»Glauben Sie, daß der Pförtner Deibler eine Veranlassung hat, in diesem Punkte wissentlich die Unwahrheit zu sagen?«

»Das kann ich nicht wissen. Jedenfalls aber verlange ich, daß meiner Erklärung Glauben geschenkt werde.«

Der Kommissar vermied es, darauf zu antworten, er hatte statt dessen eine neue Frage.

»Ich erinnere mich, daß die aus dem Wintergarten ins Freie führende Glastür von innen verschlossen war, als Sie vorhin die Güte hatten, mich durch die Räume des unteren Stockwerks zu führen. Und der Schlüssel steckte im Schloß. Sie haben also hinter Herrn Neuhoff, als er sich von Ihnen verabschiedet hatte, die Tür zugesperrt?«

Margot hatte unverkennbar ein rasches »Ja!« auf den Lippen; aber sie sprach es doch nicht aus. Nach einigen Sekunden des Zauderns erklärte sie vielmehr:

»Der Sinn Ihrer Frage ist mir zwar ebenso unverständlich wie der Zweck dieses ganzen, über alle Maßen lächerlichen Verhörs, aber ich habe nicht den mindesten Anlaß, irgend etwas zu verschweigen oder in Abrede zu stellen. – Ja, ich habe die Tür des Wintergartens von innen verschlossen; aber ich tat es nicht schon gestern abend, sondern erst am heutigen Morgen. Denn ich war es, die den Wintergarten gestern zuerst verließ. Ich vermutete, daß jemand im Garten sei, und weil ich den Hausspionen keine Gelegenheit zu boshaften Klatschereien geben wollte, ersuchte ich Herrn Neuhoff, sich erst nach Verlauf einiger Minuten zu entfernen.«

»Sie könnten es also gar nicht aus eigener Wahrnehmung bezeugen, ob er dieser Aufforderung auch wirklich Folge geleistet hat. Ihre Annahme, daß er noch vor zehn Uhr den Wintergarten und das Haus verließ, ist im Grunde nichts anderes als eine bloße Vermutung.«

Mit einer Bewegung heftigster Ungeduld kehrte sich Margot von ihm ab.

»Nehmen Sie es, wie Sie wollen, Herr Kommissar! Ich bin dieses unwürdigen Verhörs nun endlich überdrüssig. Und ich sehe nicht ein, weshalb Sie nicht lieber Herrn Neuhoff selbst um alle diese Dinge befragen. Wenn Sie, wie ich hoffe, den Mut haben, ihm zu sagen, daß es geschieht, weil Sie ihn für den Mörder des Dr. Leonhardt halten, so wird er um die gebührende Antwort nicht in Verlegenheit sein.«

»Ich erinnere mich nicht, mein Fräulein, daß ich bis zu diesem Augenblick einem solchen Verdacht Ausdruck gegeben hätte. Aber Sie würden mich in der Tat zu Dank verpflichten, wenn Sie mir mitteilen wollten, wo ich den Herrn Architekten Neuhoff finden werde.«

»Nein, das werde ich Ihnen nicht mitteilen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich es nicht weiß. Herr Neuhoff ist aus Eberstadt hierher gekommen, um eine geschäftliche Angelegenheit mit dem Rechtsanwalt zu ordnen, und er sagte mir, daß er schon heute früh nach Berlin weiterzureisen gedenke.«

»Auch wo er hier abgestiegen ist, können Sie mir nicht sagen?«

»Nein – auch das nicht.«

»Dann will ich Ihnen zunächst nicht weiter lästig fallen. Ich empfehle mich Ihnen, mein Fräulein!«

Mit einer leichten Verbeugung, auf die Margot keine andere Erwiderung als ein hochmütiges Neigen des Kopfes hatte, verließ er das Zimmer, um in das untere Stockwerk zurückzukehren. Da aber hatten sich mit dem vorhin fortgeschickten Kriminalschutzmann inzwischen noch zwei andere, ernsthaft dreinschauende Herren eingefunden, und mit ihnen zog sich der Kommissar zu einer ziemlich langen Unterredung in das Wartezimmer zurück.

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