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11. Verzweifelte Anstrengungen

In einer Haltung, deren Festigkeit nicht ohne eine merkliche Beimischung von Trotz war, stand Theodor Neuhoff dem Landgerichtsrat Werkenthin gegenüber, vor dem er schon wenige Stunden nach seiner Verhaftung sein erstes richterliches Verhör zu bestehen gehabt hatte. In seinen energischen Zügen war nichts von Befangenheit oder von banger Sorge um sein Schicksal zu lesen. Und der Ton, in dem er die Fragen des Untersuchungsrichters beantwortete, hätte nicht gelassener und bestimmter sein können, wenn es sich um eine einfache Zeugenaussage, nicht um die Verantwortung auf die furchtbarste aller Anschuldigungen gehandelt hätte.

Auch der Landgerichtsrat, ein schon ergrauter Kriminalist, bewahrte jene beinahe höfliche Ruhe, die er in langjähriger Erfahrung dem Schwerbeschuldigten gegenüber als die beste und zweckmäßigste Art der Behandlung erprobt hatte. Der größere Teil seiner Aufmerksamkeit schien den vor ihm liegenden Akten gewidmet zu sein, und in längeren Zwischenräumen nur warf er über die Gläser seines fast auf der Nasenspitze sitzenden Zwickers hinweg einen blitzschnellen, scharfen Blick auf das Gesicht des vor ihm Stehenden. Dabei sprang er in seinen Fragen scheinbar planlos von einem Gegenstand auf den anderen über, ohne durch ein Wort oder eine Miene zu verraten, ob die Erwiderungen seinen Erwartungen entsprachen oder wie er über ihre Glaubwürdigkeit dachte.

So war es wieder außer jedem Zusammenhang mit dem Vorhergegangenen, als er anscheinend beiläufig sagte:

»Sie haben zu der Gattin des Dr. Leonhardt vor ihrer Verheiratung in sehr freundschaftlichen Beziehungen gestanden. Warum haben Sie denn das bisher verschwiegen?«

»Weil ich nicht die mindeste Veranlassung hatte, darüber zu reden.«

»Aber Sie geben es doch zu?«

»Ihr Vater würdigte mich seines besonderen Wohlwollens, und ich verkehrte deshalb ziemlich häufig in seinem Hause.«

»Wobei es sich dann als etwas beinahe Selbstverständliches ergab, daß auch Ihr Verkehr mit seiner Tochter zu einem recht vertrauten wurde?«

»Ich sehe keinen Grund, mich darüber zu äußern.«

»Nun, daran ist doch an und für sich nichts Verfängliches. Selbst wenn Ihre Beziehungen den Charakter einer kleinen Liebelei gehabt haben sollten, brauchten Sie das heute nicht wie ein gefährliches Staatsgeheimnis zu behandeln, namentlich dann nicht, wenn es Ihnen möglicherweise von Nutzen sein könnte, es einzuräumen. Einen derartigen harmlosen Roman erlebt doch beinahe jedes weibliche Wesen vor seiner Verheiratung.«

»Ich kann nur wiederholen, daß ich mich jeder Bemerkung zu diesem Gegenstand enthalten werde.«

»Eine richtige Auskunftsverweigerung also? Hm! Würden Sie die Diskretion auch dann noch so weit treiben, wenn Sie erführen, daß ich meine Kenntnis aus dem Munde der Frau Rechtsanwalt selbst habe?«

»In diesem Fall würde es meiner Bestätigung um so weniger bedürfen, als das, was Sie aus jener Quelle gehört haben, ohne Zweifel in allen Stücken der Wahrheit entspricht.«

»Gut! Ich nehme es also als Voraussetzung für meine weiteren Folgerungen. Als sich die jetzige Frau Dr. Leonhardt verlobte, hatte es so etwas wie einen Bruch zwischen Ihnen und ihr gegeben. Sie hatten einander seitdem nicht wiedergesehen, und es ist sehr verständlich, daß Sie bei der ersten Wiederbegegnung beide den Wunsch hatten, sich einmal unter vier Augen über jene weit zurückliegenden Dinge auszusprechen. Sie hatten ein kurzes Gespräch mit Frau Dr. Leonhardt, noch ehe Sie von ihrem Mann empfangen wurden. Wurde bei dieser Gelegenheit vielleicht ein Rendezvous für den Abend zwischen Ihnen verabredet?«

Mit wachsendem Erstaunen hatte Theodor Neuhoff zugehört. Nun warf er unmutig den Kopf zurück und sagte:

»Unsere Unterhaltung im Wartezimmer des Rechtsanwalts währte schwerlich länger als zwei oder drei Minuten. Und Verabredungen irgend welcher Art wurden dabei nicht getroffen.«

»Ihr Stelldichein mit dem Fräulein Rogall war also nicht bloß ein Vorwand, der das heimliche abendliche Zusammentreffen mit Frau Dr. Leonhardt maskieren sollte?«

»Was für eine neue Ungeheuerlichkeit ist das nun wieder? Ich versichere Ihnen auf das bestimmteste, daß weder bei der erwähnten Dame, noch bei mir jemals der Wunsch oder die Absicht bestanden hat, ein solches abendliches Zusammentreffen herbeizuführen.«

»Und wenn man Sie nun im Gespräch mit Frau Dr. Leonhardt gesehen hätte? Wenn eine einwandfreie Zeugenaussage vorläge, die vermuten läßt, daß Sie die Zeit zwischen zehn Uhr und Mitternacht in der Gesellschaft jener Dame zugebracht haben?«

Neuhoff stutzte, dann aber zuckte ein spöttisches Lächeln um seinen Mund.

»Ist dieser einwandfreie Zeuge vielleicht auch wieder der famose Herr Deibler, der mich mit solcher Bestimmtheit um Mitternacht hat fortgehen sehen? Der Mann hat entschieden seinen Beruf verfehlt, denn mit einer so fruchtbaren Phantasie hätte er ohne Zweifel besser zum Dichter getaugt, als zu einem einfachen Portier.«

»Sie sind im Irrtum. Es ist nicht Deibler, der die erwähnte Aussage abgegeben hat, sondern sie rührt von jemandem her, der sich in seinen Wahrnehmungen nicht wohl geirrt haben kann. Sie wollen also die Richtigkeit bestreiten?«

»Aber darüber ist doch gar nicht erst zu reden. Ich hoffe, daß man Frau Dr. Leonhardt Gelegenheit geben wird, gegen Leute, die durch derartige leichtfertige oder bösartige Lügen ihren Ruf anzutasten wagen, mit allen gesetzlichen Mitteln vorzugehen.«

»Es liegt Ihnen, wie es scheint, sehr viel an dem Ruf der Dame. Sollte sich nicht vielleicht auch Ihre entrüstete Ableugnung des abendlichen Stelldicheins mit dieser Sorge erklären? Auch das Rendezvous mit der Gesellschafterin haben Sie ja nicht früher zugegeben, als bis Sie erfuhren, daß das junge Mädchen selbst darüber gesprochen habe. Und ein solches Verhalten wäre um so verständlicher, als es ja nur den hergebrachten Ehrbegriffen der Gesellschaftskreise entspräche, denen Sie angehören.«

»Wir dürfen diese akademische Frage getrost unerörtert lassen, Herr Landgerichtsrat – denn sie kommt hier nicht in Betracht. Ich wiederhole zum so und so vielten Male, daß ich an jenem Abend unmittelbar nach meiner Verabschiedung von Fräulein Rogall – das heißt also: einige Minuten vor zehn Uhr – das Haus des Rechtsanwalts verlassen habe und in mein Hotel zurückgekehrt bin. Frau Dr. Leonhardt aber habe ich nach unserer kurzen Begegnung am Vormittag nicht wieder gesehen.«

»Danach hätte die Dame also hier vor mir ein falsches Zeugnis abgelegt. Denn was ich von jener nächtlichen Zusammenkunft weiß, weiß ich von ihr.«

»Das – Verzeihung, Herr Landgerichtsrat – das ist unmöglich! Hier muß ein Irrtum oder ein Mißverständnis vorliegen. Frau Herta Leonhardt kann etwas Derartiges nicht ausgesagt haben.«

»Ich hoffe doch, daß Sie meinen Worten Glauben schenken. Und ich denke auch nicht daran, Ihnen irgend welche Schlingen zu legen. Frau Dr. Leonhardt hat sich an diesem Vormittag bei mir melden lassen, um mir mitzuteilen, daß sie sich durch ihr Gewissen gedrängt fühle, eine Lücke in ihren bisherigen Aussagen auszufüllen. Und diese Lücke bestand nach ihren weiteren Mitteilungen in dem Verschweigen eben jener abendlichen Zusammenkunft, die ebenso wie Ihre Unterredung mit der Gesellschafterin in dem Wintergarten stattgefunden und von zehn bis gegen zwölf Uhr gewährt habe. Frau Dr. Leonhardt hat Ihnen nach ihrer Versicherung schließlich bis zu der aus dem Garten in das Vestibül führenden Tür das Geleit gegeben und Ihnen von dort aus nachgeschaut, bis Sie das Haus verlassen hatten. Wenn das alles der Wahrheit entspricht, können Sie sich natürlich nicht zu der nämlichen Zeit vorn im Arbeitszimmer des Rechtsanwalts aufgehalten haben. Frau Dr. Leonhardt folgert also ganz richtig, wenn sie Sie durch ihre etwas verspätete Aussage stark zu entlasten glaubt. Wollen Sie jetzt angesichts dieses Zeugnisses die Tatsache der Begegnung zugeben?«

Theodor Neuhoff schüttelte den Kopf und führte seine Hand an die Stirn.

»Ich verstehe nichts mehr,« sagte er, »gar nichts! Wenn die Gattin des Rechtsanwalts wirklich von einer solchen Zusammenkunft gesprochen hat, und wenn sie nicht etwa mißverstanden worden ist, so muß sie dabei von Beweggründen geleitet worden sein, die ich nicht einmal ahnen kann. Denn keine Rücksicht auf ihr Geschlecht darf mich abhalten, mit allem Nachdruck zu erklären, daß sie damit die Unwahrheit gesagt hat.«

»Und es ist nicht etwa eine falsch verstandene Pflicht der Ritterlichkeit, die Sie zu dieser Ableugnung bestimmt?«

»Nein! Ich folge damit einzig dem Zwange, bei der Wahrheit zu bleiben.«

»Was ohne Zweifel in Ihrer Lage das einzig Richtige ist. Aber daß Sie nicht ahnen sollten, welche Beweggründe die Frau Rechtsanwalt zu ihrer wissentlich falschen Aussage bestimmt haben, ist doch wohl nicht ganz wörtlich zu nehmen. Es liegt auf der Hand, daß sie Ihnen damit eine Art von Alibi zu schaffen gedachte. Hat sie sich von diesem Wunsche wirklich zu einer so verwegenen Lüge hinreißen lassen, so hat sie damit ohne Zweifel sehr töricht gehandelt. Denn soviel hätte sie als Gattin eines Juristen doch am Ende wissen müssen, daß eine falsche Zeugenaussage mit schwerer Strafe bedroht ist.«

In Neuhoffs Zügen spiegelte sich ein furchtbares Erschrecken.

»Um Gotteswillen, sie – sie hat ihre Aussage doch nicht etwa beschworen?«

»Wenn ich diese Frage bejahen müßte, würden Sie sich dann veranlaßt sehen, Ihre vorhin abgegebene Erklärung abzuändern?«

Der junge Architekt war bis hart an den Tisch des Untersuchungsrichters herangetreten und stützte sich jetzt mit beiden Händen auf seine Kante.

Die so lange behauptete Fassung schien ihn mit einem Male verlassen zu haben. Seine Brust arbeitete ungestüm, und alle Muskeln seines Gesichts waren in zuckender Bewegung.

»Das ist unerträglich!« stieß er hervor. »Was gibt Ihnen das Recht, einen schuldlosen Menschen bis zum Wahnsinn zu peinigen? Und womit gedenkt man wieder gut zu machen, was jetzt an mir verbrochen wird? Ich weiß von dem Verbleib dieses Rechtsanwalts und seines Geldes so wenig wie Sie, und alles, was man zusammengetragen hat, um mich für sein Verschwinden verantwortlich zu machen, sind willkürliche Behauptungen, die ich über alle Maßen dumm und lächerlich finden würde, wenn ich nicht so schwer darunter zu leiden hätte. Ich habe mir selber das Wort gegeben, ruhig zu bleiben und in Geduld das Ende dieser Tragikomödie abzuwarten. Aber schließlich soll man auch dem Starknervigsten nicht mehr zumuten, als ein Mensch ertragen kann. Ich protestiere dagegen, wie ich nochmals in aller Form gegen meine Verhaftung protestiere und gegen den irrsinnigen Verdacht, unter dem man mich im Gefängnis festzuhalten wagt.«

Der Untersuchungsrichter hatte ihn nicht unterbrochen und er hatte nicht aufgehört, in seinen Akten zu blättern. Jetzt sagte er mit derselben kühlen Gelassenheit, die er während der ganzen Dauer des Verhörs bewahrt hatte:

»Es ist etwas sonderbar, daß Ihre Empörung sich gerade in einem Augenblick Luft macht, wo Sie mir auf eine so klare und einfache Frage Antwort geben sollen. Darin, daß ich ein rundes Ja oder Nein von Ihnen verlange, ist doch wahrhaftig nichts, das Sie, wie Sie sich ausdrücken, bis zum Wahnsinn peinigen könnte.«

»Ich soll also nicht erfahren, ob Frau Herta Leonhardt ihre Aussage beeidigt hat?«

»Nein – da ich nicht einzusehen vermag, inwiefern das für den Ausfall Ihrer Antwort von Bedeutung sein könnte, vorausgesetzt, daß Sie entschlossen sind, sich streng an die Wahrheit zu halten.«

Ein paar Sekunden lang stand Theodor Neuhoff schweigend, dann hatte er die Erregung, die soeben die innersten Tiefen seiner Seele aufgewühlt, mannhaft niedergezwungen.

»So erkläre ich denn, daß ich von diesem Augenblick an überhaupt auf keine Frage mehr antworten werde,« sagte er im Tone einer ruhigen Entschlossenheit. »Und ich gebe zugleich meinem Bedauern darüber Ausdruck, mich nicht schon früher zu diesem Verhalten entschlossen zu haben. Mir scheint, daß es dieser unsinnigen Anschuldigung gegenüber das einzig Richtige und Würdige gewesen wäre.«

»Ich hoffe, Sie werden sich das in Ihrem eigenen Interesse noch überlegen. Ihren vorhin abgegebenen Aussagen wünschen Sie also nichts mehr hinzuzufügen?«

Der Architekt antwortete nicht, und er stand mit trotzig zusammengepreßten Lippen in finsterem Schweigen da, während der Untersuchungsrichter seinem Schreiber in kurzen, prägnanten Sätzen das Protokoll der heutigen Vernehmung diktierte. Er ließ es ohne Widerspruch geschehen, daß ihm der Schreiber auf Geheiß des Landgerichtsrats dies Protokoll vorlas. Aber als er dann aufgefordert wurde, es zum Zeichen des Einverständnisses mit dem Inhalt zu unterschreiben, schüttelte er ablehnend den Kopf.

»Ich erkenne nichts von alledem an, was darin steht,« sagte er. »Und ich werde darum auch meine Unterschrift nicht geben.«

Auch jetzt verlor der Landgerichtsrat seine Ruhe nicht.

»Wie Sie es für gut halten. Sie werden ja bald inne werden, ob eine solche Taktik wirklich zu Ihrem Besten ist.«

Er klingelte, um den Untersuchungsgefangenen in seine Zelle zurückführen zu lassen, dann ersuchte er den Sekretär, sich telephonisch mit der Polizeidirektion in Verbindung zu setzen und den Kriminalkommissar Schwarzenberg, falls er dienstlich abkömmlich sei, um einen kurzen Besuch im Justizgebäude zu bitten. Schon zwanzig Minuten später ließ sich der Polizeibeamte bei ihm melden.

»Ich war auf Ihren Ruf gefaßt, Herr Landgerichtsrat,« sagte er nach der ersten Begrüßung, »und ich gestehe, daß ich mit einiger Ungeduld darauf gewartet habe. Hat Neuhoff die überraschenden Angaben der Frau Dr. Leonhardt bestätigt?«

Der Untersuchungsrichter verneinte.

»Er hat auf das entschiedenste in Abrede gestellt, sie an dem fraglichen Abend gesehen zu haben. Wie ich Ihnen schon vorhin sagte, hat mir die Aussage der Frau von Anfang an den Eindruck der Unwahrhaftigkeit gemacht. Sie war von einer Befangenheit, die ich bei den früheren Vernehmungen nicht an ihr bemerkt hatte, sie verwickelte sich mehr als einmal in Widersprüche, aus denen sie sich nur mit großer Mühe wieder herausfand, und ihr ganzes Gebaren war das einer Person, die des Lügens zu wenig gewöhnt ist, um eine einstudierte Rolle mit Geschick durchzuführen. Als ich sie darauf hinwies, daß sie ihre Aussage später zu beschwören haben würde, geriet sie in eine höchst verdächtige Aufregung und Verwirrung. Und wenn sie auch dessen ungeachtet bei ihrer Erzählung blieb, hatte sie doch unverkennbar von diesem Augenblick an keinen sehnlicheren Wunsch, als den, die Vernehmung beendet zu sehen. Wenn ich nicht ein Interesse daran hätte, zu ergründen, worauf sie eigentlich hinaus will, wäre es mir vermutlich nicht allzu schwer gefallen, sie sogleich zu einem Widerruf zu bringen.«

»Worauf sie hinaus will, Herr Rat, liegt wohl ziemlich offen zutage. Sie ist ja von Anfang an darauf bedacht gewesen, Neuhoff zu entlasten, und da es ihr auf andere Weise nicht gelingen wollte, ist sie zuletzt auf dies allerdings tollkühne Auskunftsmittel verfallen. Er aber hat offenbar ihre freundliche Absicht nicht rechtzeitig durchschaut, da er sonst doch wohl mit Freuden nach diesem Rettungsseil gegriffen haben würde.«

»Vielleicht auch ist er zu klug, um einer so unsicheren Chance zuliebe sein bisheriges, wohlüberlegtes Verteidigungssystem zu verlassen. Doch das ist es nicht, was mich jetzt am meisten interessiert. Ich habe Sie hierher bemüht, weil es mir geboten scheint, diese Frau Doktor Leonhardt, die eine so auffallende Teilnahme für den mutmaßlichen Mörder ihres Gatten an den Tag legt, von nun an etwas schärfer aufs Korn zu nehmen. Sie hat mir aus freien Stücken angedeutet, daß ihr Neuhoff vor ihrer Verheiratung ziemlich nahe gestanden habe, und ich würde dies Geständnis für eine große Dummheit gehalten haben, wenn es mir nicht bei reiflicher Ueberlegung verwünscht gescheit erschienen wäre. Denn sie hat damit nicht nur eine plausible Erklärung für das erdichtete Rendezvous finden, sondern sie hat auch dem fatalen Eindruck vorbeugen wollen, den es notwendig hervorbringen mußte, wenn ihre alten Beziehungen zu Neuhoff auf irgend welche andere Weise zutage kamen. So harmlos und unschuldig, wie sie aussieht, ist diese opfermutige Dame jedenfalls nicht.«

Der Kriminalkommissar hatte seine nachdenklichste Miene aufgesetzt.

»Es ist merkwürdig, wie man sich trotz aller vermeinten Erfahrung in der Beurteilung der Menschen, und zumal der Frauen, täuschen kann. Diese Frau Dr. Leonhardt wäre ganz gewiß die allerletzte gewesen, die ich in einen Zusammenhang mit dem gegen ihren Gatten verübten Verbrechen gebracht hätte. Ihr heutiges Verhalten aber kommt doch schon beinahe einer Selbstbezichtigung gleich. Und ich bin der Ansicht, daß ihre notorisch falsche Aussage eigentlich schon eine ausreichende Handhabe bieten würde, mit einem Ermittelungsverfahren gegen sie vorzugehen.«

»Möglich wäre das schon, klug und zweckmäßig aber wäre es wohl kaum. Wenn diese Frau eine Mitschuldige Neuhoffs ist, so liefert sie sich mit ihren verzweifelten Bemühungen, ihn weiß zu waschen, ganz sicher selbst unter das Messer. Die beispiellose Ungeschicklichkeit ihres heutigen Schrittes ist mir dafür Bürgschaft genug. Je ungestörter wir sie gewähren lassen und je vollständiger wir uns den Anschein geben, an die Wahrhaftigkeit ihrer Versicherungen zu glauben, desto schneller wird der Augenblick kommen, da wir sie in der Hand haben und genau wissen, wie wir mit ihr daran sind. Ich empfehle Ihnen also, sie so scharf und so unauffällig als möglich beobachten zu lassen. Wenn sie als die Mitwisserin ihres Jugendgeliebten einen Anteil an der Beiseiteschaffung ihres Mannes gehabt hat, so ist sie ja vermutlich auch über die Persönlichkeit des großen Unbekannten unterrichtet, dem wir die Übersendung der gestohlenen Pfandbriefe verdanken. Sind wir aber erst einmal dieses Komplizen habhaft geworden, so wird das widerspruchsvolle Geheimnis, das jetzt noch diese nächtliche Tragödie umgibt, bald genug seine Aufklärung gefunden haben. – Die Dresdener Polizei hat wohl bis jetzt nichts ermittelt?«

Der Kommissar schüttelte den Kopf.

»Darauf war von vornherein nicht zu hoffen. Welche Zaubermittel sollte man anwenden, um die Spur eines Menschen ausfindig zu machen, von dem man weiter nichts weiß, als daß er zu einer Zeit, die man nicht genau zu bestimmen vermag, ein mit verstellter Handschrift beschriebenes Kuvert in irgend einen von den zwanzig Briefkästen eines Postreviers geworfen hat? – Ich sehe im Geiste das Lächeln, mit dem meine Dresdener Kollegen unser Ersuchen um gefällige Recherchen in Empfang genommen haben, und ich kann es ihnen kaum verargen, wenn sie sich durch diese Recherchen nicht um den Schlaf ihrer Nächte bringen lassen.«

»Uns aber muß außerordentlich viel daran gelegen sein, den Absender der Pfandbriefe zu ermitteln, denn der Umstand, daß er sich nicht aus freien Stücken gemeldet hat, ist der beste Beweis dafür, daß er die Herkunft der Wertpapiere gekannt hat, als er sie von Neuhoff zur Verwahrung erhielt. Daß er sich noch jetzt freiwillig stellen werde, dürfen wir nicht erwarten. Wir müssen also unsere Hoffnung darauf setzen, daß er sich entweder selbst durch irgend eine Unvorsichtigkeit verrät oder daß Frau Dr. Leonhardt dies Geschäft für ihn besorgt. Dazu aber ist vor allem notwendig, daß die Betreffenden nach Möglichkeit in Sicherheit eingewiegt werden, und wir müssen uns zu diesem Zweck der Beihilfe der Presse bedienen. Sie haben ja, soviel ich weiß, Verbindungen in diesen Kreisen?«

»Gewiß, Herr Rat! Es würde manchmal sehr schlimm um uns bestellt sein, wenn wir diese Verbindungen nicht hätten!«

»So sorgen Sie doch, bitte, dafür, daß die Aussage der Frau Dr. Leonhardt in die Zeitungen kommt, und zwar in einer Fassung, die den Eindruck erweckt, als wäre durch diese Bekundung die Schuldlosigkeit Neuhoffs so gut wie erwiesen.«

Der Kommissar schaute etwas bedenklich drein.

»Das wäre mir natürlich ein leichtes, denn die Reporter werden glücklich sein, eine so pikante Neuigkeit in der Sensationsaffäre bringen zu können. Aber diese Leute haben die leidige Gewohnheit, alles nach dem besonderen Geschmack ihrer Leser auszuschmücken und zu übertreiben, und ich kann ihnen hinsichtlich der Fassung ihrer Notizen keine Vorschriften machen. Darum fürchte ich, daß der gute Ruf der Frau Rechtsanwalt dabei sehr schlecht fortkommen wird.«

Gleichmütig zog der Untersuchungsrichter die Schultern in die Höhe.

»Darüber darf sie sich nicht beklagen. Wer einen so bedenklichen Schritt wagt, wie ihn diese junge Frau getan hat, der muß natürlich auch mit den Konsequenzen rechnen. Und die Frau Rechtsanwalt hat keinen Anspruch darauf, daß wir eine Aussage, die sie doch eventuell in der öffentlichen Hauptverhandlung zu wiederholen bereit sein müßte, als ein Geheimnis behandeln. Jedenfalls haben wir kein anderes Interesse als das an der Ermittelung der Wahrheit, und dazu müssen uns alle gesetzlich zulässigen Mittel recht sein.«

Der Kommissar verneigte sich.

»Ich werde dafür sorgen, daß der betreffende Artikel noch in einer der heutigen Abendzeitungen erscheint, und die anderen Blätter werden ihn dann schon ohne mein Zutun nachdrucken. Hoffen wir, daß die Erwartungen sich erfüllen, die Sie an diese Veröffentlichung knüpfen.«

Sogleich nach Rückkehr in sein Dienstzimmer schrieb der Kommissar an den ihm als sehr gewandt und zuverlässig bekannten Berichterstatter der Zeitung und bat ihn, wenn irgend möglich noch heute vormittag herüberkommen zu wollen. Die wichtigen Mitteilungen könnten nur an Hand der vorliegenden Akten gegeben werden.

Der Gerichtsdiener traf den jungen Mann glücklicherweise unterwegs, und dieser ging gleich mit, als ihm angedeutet war, um was es sich handle.

Freilich hatten bei der näheren Besprechung nun beide Herren einige Bedenken, ob man denn die unvorsichtigen und zweifelhaft erscheinenden Aussagen der Frau Dr. Leonhardt wirklich so ausführlich erwähnen solle. Aber das war doch, wie man zum Entschluß kam, das einzig Richtige, nur so könne allmählich Klarheit in die rätselhafte Geschichte kommen.

Als Schwarzenberg dem Untersuchungsrichter von der Besprechung und Absicht Kenntnis gab, war dieser auch gerne mit allem einverstanden.

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